Peru – Beobachtungen und Studien über das Land und seine Bewohner
Während eines 25jährigen Aufenthalts
Autor: Middendorf, Ernst Wilhelm (1830-1908) deutscher Arzt, Anthropologe und Reisender, Erscheinungsjahr: 1893
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Amerika, Peru, Lima, Hochland, Peruaner, Küste, Krieg mit Chile, Erdbeben, Überschwemmungen, Postdampfer,
Das Sprichwort, das jeden Menschen seines Glückes Schmied nennt, enthält zwar gleich anderen Erfahrungssätzen der Volksweisheit eine Wahrheit, ist aber in dieser Fassung nur bedingungsweise zutreffend. Der Mehrzahl der Menschen wird überhaupt nichts zu schmieden gegeben, das Schicksal reicht ihnen weder einen Hammer noch ein Stück Blech zur Bearbeitung, sie müssen sich damit begnügen, anderen bei deren Arbeit zuzusehen, und froh sein, wenn sie nicht als Amboss zu dienen brauchen. Bei den Mehrbegünstigten wird mit dem Sprichwort gewöhnlich demjenigen ein Verdienst zuerkannt, der es im Leben zu etwas gebracht hat, während man damit anderen die Schuld ihres Misserfolges beimisst, ohne dabei zu untersuchen, wieviel in dem einen und anderen Falle von dem Lob oder Tadel verdient war. Aber wie ein Schmied verschiedene Arbeit liefert, je nachdem das ihm zur Verfügung stehende Metall ein edles ist, oder nur Kupfer und Eisen, so entscheiden über die Laufbahn und den Erfolg jedes einzelnen, auch bei Voraussetzung gleicher körperlicher und geistiger Begabung, äußere Verhältnisse und Ereignisse, die ohne sein Zutun auf seine Entschließungen einwirken, mag man sie nun als absichtliche Beeinflussungen einer leitenden Vorsehung auffassen, oder als blindwaltendes Geschick. Soll also jemand sein Glück schmieden, so muss er es zuerst finden, aber während der Zufall es dem einen vor die Füße wirft, sodass er darüber stolpert, zünden andere umsonst bei Tage Laternen an und spähen vergebens, bis sie schließlich aus der notgedrungenen Fügung in ihr Los eine Tugend der Genügsamkeit machen und sich dazu bequemen zu nehmen, was das Schicksal ihnen bietet, wenn es auch etwas Anderes ist als was sie gesucht hatten. In solchem Falle befand sich auch der Verfasser, und dies ist der Grund, weshalb das anspruchslose Buch, das er am Abend seines Lebens dem Leser übergibt, nicht über eine der Erdgegenden handelt, die heute im Vordergrunde des allgemeinen Interesses liegen, sondern über ein Land, das zwar in früheren Zeiten die Aufmerksamkeit in besonderer Weise gefesselt, aber schon seit Jahren diese Gunst eingebüßt hat und gegenwärtig in den Schatten der Gleichgültigkeit gesunken ist.
Inhaltsverzeichnis
- I. Geschichtliches
- Entdeckung Perus
- Eroberung des Landes
- Kriege unter den Eroberern
- Gründung Limas
- Aufblühen der Stadt
- Städtische Behörden und Kolonialregierung
- Der Vizekönig
- Die königliche Audienz
- Die geistlichen Gerichte
- Die Inquisition
- Die Bevölkerung und ihre Sitten unter der spanischen Herrschaft
- Die Erdbeben
- II. Das heutige Lima.
- III. Die Bevölkerung.
- Die weiße Bevölkerung
- Die [Ureinwohner]
- Die [Schwarzen]
- Die Mischlinge
- Die Chinesen
- Häusliches und geselliges Leben
- IV. Kirchen, Klöster und Kultus.
- Die Kathedrale
- Parochial- und andere Kirchen
- Die Mönchsklöster
- Santo Domingo
- La Merced
- San Francisco
- San Agustin
- San Pedro
- Barfüßerkloster
- La Buena Muerte
- Verwaltung der Klöster und ihr gegenwärtiger Zustand
- Die Nonnenklöster
- Die Encarnacion
- Kloster der unbefleckten Empfängnis
- Trinidad, Descalzas, Santa Clara
- Santa Catalina
- El Prado, Karmeliterinnen
- Trinitarierinnen, Nazarenerinnen
- Mercedarierinnen
- Santa Rosa
- Jesus Maria
- Beatérien
- Busshäuser
- Belen, Recoleta, Santo Tomas
- Guadalupe, San Pedro Nolasco, Monserate, Santa Teresa
- Los Decalzos
- San Francisco de Paula viejo, San Francisco de Paula nuero, Santa Liberata
- Religiöse Vereine und Laienbrüderschaften
- Die Geistlichkeit und der Kultus
- V. Gebäude des Staates für Regierung, Landesvertretung und Militärzwecke.
- Der Palast
- Sitzungslokal des Kongresses
- Der Senat
- Die Verfassung der Republik
- Die Regierung
- San Martin, Bolivar, Santa Cruz
- Präfektur und Polizei
- Kasernen
- Militärwesen
- Der General Cáceres
- VI. Gerichte, Gesetze und Rechtspflege.
- Das Justizgebäude
- Das Handelsgericht
- Das Berggericht, Wassergericht
- Die Gesetze
- Die Rechtspflege
- Die Strafanstalt
- Das Gefängnis Guadalupe
- VII. Die öffentlichen Unterrichts-Anstalten.
- Die Universität San Marcos
- Seminar Santo Toribio
- Medizinische Fakultät
- Botanischer Garten
- Die Ingenieurschule
- Das landwirtschaftliche Institut
- Das Kollegium Guadalupe
- Das Kollegium San Pedro
- Das Institut von Lima
- Die Mädchenschule in San Pedro
- Das Erziehungshaus zum guten Hirten
- Die Nationalbibliothek
- VIII. Anstalten des öffentlichen Verkehrs
- IX. Der nationale Wohltätigkeits-Verein und die unter seiner Verwaltung stehenden Häuser und Anstalten.
- Die Beneficencia
- Hospital Dos de Mayo
- Hospital Santa Ana
- Hospital San Bartolomé
- Das Irrenhaus
- Das Lazarett, das Siechenhaus
- Über den Gesundheitszustand und die am häufigsten vorkommenden Krankheiten
- Die Waisenhäuser, Santa Teresa
- Das Findelhaus (Hospicio de huérfanos lactantes)
- San Andrès
- Santa Rosa
- Die Recoleta
- Armenstifte, Hospiz Manrique
- Hospiz Ruiz Davila
- Der allgemeine Begräbnisplatz
- José de la Mar
- Agustin Gamarra
- Felipe S. Salaverry
- Ramon Castilla
- Manuel I. Vivanco
- Manuel Pardo
- Italienischer, spanischer, deutscher und englischer Hilfsverein
- Santa Sofia
- X. Gebäude und Anstalten, die unter städtischer Verwaltung oder Aufsicht stehen.
- Das Rathaus
- Die Markthallen
- Das Schlachthaus
- Die Wasserleitung
- Die Löschanstalten
- Die öffentliche Beleuchtung
- XI. Öffentliche Vergnügungsorte und Spaziergänge.
Als der Verfasser nach Beendigung seiner Universitätsstudien sich nach einem Feld zur Ausübung seiner Berufstätigkeit umsah, war Peru nicht unter den Ländern, die er zu diesem Ende in Erwägung zog, der Gedanke daran war ihm in der Tat nie auch nur flüchtig in den Sinn gekommen. Seine Studienjahre fielen in die Zeit des monarchischen Gegendruckes, der auf die Volksbewegung von 1848 folgte, und da dieser Druck besonders schwer auf den jungen Staatsbeamten lastete, so hatte er, um sich davon möglichst zu befreien, den ärztlichen Beruf erwählt. Allein er fand, dass auch dieser ihm die gewünschte Unabhängigkeit nur in beschränkter Weise gewähren würde. Als Angehöriger eines kleinen deutschen Bundesstaates war ihm die Praxis in anderen nicht gestattet, und auch in seinem Heimatslande, dem Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt, welches damals nicht ganz halb so viel Einwohner hatte als gegenwärtig der Berliner Stadtteil Moabit, war es ihm nicht erlaubt, sich niederzulassen, wo es ihm beliebte, sondern nur an dem Orte, der ihm von obrigkeitswegen als Wohnsitz angewiesen wurde. Als ihm diese Verhältnisse nach Ablegung seiner Staatsprüfung in empfindlicher Weise zum Bewusstsein gebracht wurden, reifte bei ihm alsbald der Gedanke, sich solchen engen Schranken zu entziehen und sich auf freierer Bahn zu bewegen. In seinem Unmut hatte er nur den Wunsch, ohne Verzug den kleinlichen Krähwinkeleien zu entrinnen, sie möglichst weit hinter sich zu lassen, und da auf der Erde niemand sich von dem Orte, wo er sich jeweilig befindet, weiter entfernen kann als zu den Antipoden, so beschloss er, sich nach Australien zu wenden. Zu diesem Ende begab er sich zunächst nach Hamburg, studierte jeden Morgen eifrig die Anzeigen in den Zeitungen und fand nach Verlauf einiger Wochen, wonach er suchte. Es wurden Schiffsärzte nach Australien verlangt und auf der Agentur, wo der Verfasser sogleich nähere Erkundigungen einzog, wurden ihm die Namen und Ankerplätze dreier Schiffe angegeben, welche für verschiedene Häfen des fünften Weltteils segelfertig lagen. Der Verfasser besichtigte am selben Morgen die Schiffe, traf an Bord des einen den Kapitän und den zweiten Steuermann, und da ihm das biedere Wesen dieser Männer gefiel und Vertrauen einflößte, so kehrte er ohne Zeitverlust zum Agenten zurück und schloss seinen Vertrag ab. Der „Cäsar“ war ein Barkschiff von etwa 400 Tonnen, auf der Weser gebaut und von Bremer Offizieren befehligt, fuhr aber unter Hamburger Flagge und war von dem preußischen Generalkonsul Kirchner in Sydney gemietet worden, um deutsche Auswanderer auf den dortigen Arbeitsmarkt zu bringen. Der Unternehmer bezahlte für die Auswanderer die Überfahrt, welche diesen später ratenweis von ihrem Lohn abgezogen wurde. Da zu jener Zeit in Australien die meisten Ankömmlinge und auch sonst alle, die es möglich zu machen wussten, ihre Wohnsitze verlassen und sich in die Goldgruben begeben hatten, so wurde dem Konsul Kirchner für die Einführung deutscher Arbeiter eine Prämie vergütet, jedoch nur für Ehepaare, um auf diese Weise sesshafte Ansiedler zu gewinnen. Diejenigen der angeworbenen Auswanderer beiderlei Geschlechts, die nicht verheiratet waren, wurden einander auf der Agentur vorgestellt, wo man ihre Einschiffung von der Eheschließung abhängig machte, und die meisten bequemten sich wohl oder übel zur Übernahme ihres Joches. Doch wurde ich mit diesem Sachverhalt erst später bekannt, denn in den wenigen Tagen bis zur nahebevorstehenden Abreise blieb mir kaum genügende Zeit für meine eigenen Vorbereitungen.