Olle Kamellen. Band 6 - Dörchläuchting - Ein neues Buch von Fritz Reuter. Rezension

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 16ter Jahrgang 1866. Juli-Dezember
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1866
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Strelitz, Fritz Reuter, Olle Kamellen, Dörchläuchting, Rezension, Roman, Sittenbild
Seit der Herausgeber dieser Blätter, Robert Prutz, wiederholt in einer Reihe von Aufsätzen auf das große Talent des mecklenburgischen Dichters und Humoristen Fritz Reuter hingewiesen, ist der Ruhm von dessen Schriften im beständigen Wachsen geblieben. Die vielen schwächlichen Nachahmungen, die sie gefunden, haben — eine merkwürdige Erscheinung in der Literaturgeschichte — ihrer Verbreitung und Anerkennung nicht geschadet; in Kreisen, die sonst jeder Dialektpoesie sich verschließen, hat Reuters Muse Eingang gewonnen. Die Naturwüchsigkeit und Frische dieser Schilderungen gefällt auch denen, die sich vom Standpunkt einer strengeren Kunstanschauung gegen das Überwiegen des Realismus in ihnen erklären müssen. Nach Verlauf von zwei vollen Jahren seit dem Erscheinen des letzten Bandes der „Stromtid“ tritt der Dichter der „Olle Kamellen“ mit einer neuen Geistesschöpfung an den weiten Kreis seiner Leser heran: „Olle Kamellen. Sechster Teil: Dörchläuchting“ (Wismar, Hinstorff).

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Es ist nicht der kleinste Vorzug der Reuter’schen Dichtungen, dass sie ihren Stoff aus dem frisch quellenden Born des stets sich verjüngenden Volkslebens schöpfen, in dem Boden des in erster Linie berechtigten Faktors unserer Zeit, dem Bürgertum wurzeln, auf ihm groß werden und die herrlichsten Früchte zeitigen. So war es vorauszusehen, dass auch das neueste Buch des Dichters den bisher eingehaltenen Weg ferner verfolgen würde, und wir können gewissermaßen eine Genugtuung darin finden, wenn wir den Träger der Titelrolle, „Dörchläuchting“ selbst, als die am wenigsten gelungene Figur bezeichnen müssen. Dieser Duodezsouverän (Herzog Adolf Friedrich IV. von Mecklenburg-Strelitz), mit dessen „Reiche“ uns der Dichter im ersten Kapitel auf die ergötzlichste Weise bekannt macht, ist zu unbedeutend, als dass wir uns nachhaltig für ihn interessieren könnten; zu kindisch-furchtsam, um uns mehr als ein mitleidiges Lächeln zu entlocken. Seine Furcht vor Gewittern und Weibern, die übrigens Reuter zu einigen drastisch-komischen Szenen zu verwerten weiß, drückt ihn nur noch mehr in unfern Augen herab; dieses knabenhafte Souveränitätsgefühl, das durch die Einschreitungen des Hofrats Altmann, der Bäckerfrau Schultsch, des Kammerdieners Rand, des Konrektors Aepinus oft in bedenklicher Weise abgeschwächt wird, ruft weniger Heiterkeit als Mitleid hervor. Einem solchen Charakter dürfen, falls er sich ästhetisch lebensfähig erweisen soll, die Zauberlichter des Humors nicht fehlen, mit denen z. B. Shakespeare einem Falstaff zu unvergänglichem Ruhme verhalf. Rechnen wir zu diesen Ausstellungen noch die mit unnötiger Breite ausgemalte Farce wegen des Handstocks des Konrektors, die in ihrer unwahrscheinlichen Motivierung lebhaft an ein ähnliches breit ausgesponnenes Sujet in der „Franzosentid“ gemahnt, ferner noch eine gewisse besonders in den ersten Kapiteln hervortretende Maniriertheit des Humors, so hätten wir die Schwächen des Buches aufgezählt.

Um so wärmerer Dank gebührt dem Dichter für die Vorführung eines Charakters wie des Konrektors und Kantors Aepinus zu Neubrandenburg, (dem Schauplatz des Romans), einer Schöpfung, die wir den besten Leistungen Reuters anreihen müssen. Wie dieser alte Schulmeister und Philologe, der sich zwischen seine griechischen und römischen Klassiker auf immer unwiederbringlich verloren zu haben scheint, durch Dürten Holtzens, seiner Haushälterin, uneigennützige treue Liebe noch im Spätherbst seines Lebens zu wärmeren Gefühlen erweckt wird, ist ebenso zart wie originell und wahr durchgeführt. In diesem alten schweinsledernen Gelehrten einerseits und seinem zukünftigen Ehegespons, der resoluten und in ihren Herzensangelegenheiten doch so zaghaft-schüchternen, der polternden und gleich darauf wiederum so sanften dreißigjährigen Wirtschafterin andererseits, haben wir ein bis ins Kleinste sauber und klar ausgeführtes Genrebild erhalten. Ein hübsches Gegenstück hierzu bildet ein zweites Brautpaar, bestehend aus dem ersten Läufer Sr. Durchlaucht, Wilhelm Halsband, im übrigen biederem Böttchergesellen, und Stining Holtzen, der schönen Schwester der Wirtschafterin des Konrektors. Der Idealismus der Liebe, die sich in diesen beiden Gestalten ausspricht, wird keineswegs auf Kosten der Wahrheit und Natürlichkeit künstlich hinaufgeschraubt, ein Lob, das wir dem Dichter bei seinen früheren Arbeiten nicht immer einräumen können. In der Figur des Advokaten und zum Schluss als herzoglichen Hofpoeten anerkannten Kägebein hat sich der Dichter dagegen vergriffen: die humoristische Seite desselben erscheint zu übertrieben, um nicht bezüglich der beabsichtigten Wirkung in das Gegenteil umzuschlagen. Zu loben ist das sorgfältige Kolorit, das auch bei Nebenpersonen, wie dem Kammerdiener Rand, der Bäckerfrau Schultsch, schließlich dem Herzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin, zur Anwendung gekommen ist. Dass der Roman keinen eigentlichen Helden hat, ist kaum ein Vorwurf. Diese Erscheinung zeigt sich auch bei andern Humoristen, sie liegt im Wesen und bildet die Stärke des Humors, der im Großen das Kleine, im Kleinen das Große aufzudecken weiß, dessen Prinzip Ausgleichung und Vermittlung ist, daher er selten das Hervortreten einer Person auf Kosten der andern gestattet. Der Dichter hat die „heitere Geschichte, damit er sich daran etwas verlustieren und vermüetern möge, seinem lieben Freunde, Dr. Julian Schmidt, gewidmet“, bekanntlich einer der ersten, der neben Robert Prutz auf das große Talent Reuters hinwies. I. H.

Reuter, Fritz (1810-1874) Mecklenburger, Dichter und Schriftsteller der niederdeutschen Sprache

Reuter, Fritz (1810-1874) Mecklenburger, Dichter und Schriftsteller der niederdeutschen Sprache