Neujahrsgebet

Aus: Die Gartenlaube 1864 Nr. 01
Autor: Traeger, Albert (1830-1912) Geheimer Justizrat, Schriftsteller und Journalist, Erscheinungsjahr: 1864
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gedicht, Jahreswechsel, Neujahr, Deutschland, Heimat, Deutschland,
Wir hofften es mit Schwertern einzuläuten,
Mit deutschen Schwertern dieses neue Jahr,
Kein Kampfruf aber sammelt die Zerstreuten,
Noch harrt des Führers eine bange Schar,
Schon hat die Schmach uns in den Stand getreten,
Ein großes Volk, wie ward es schwach und klein,
So höre Du denn der Verzweiflung Beten:
Herr Gott im Himmel, lass uns Männer sein!

Verlassen noch hast Du der Deutschen keinen;
In feigem Mund klingt das wie Hohn und Spott,
Dem Mut’gen nur willst hilfreich Du erscheinen:
Wer selbst sich hilft, dem hilft der liebe Gott!
Das Tier des Waldes wehrt sein Nest der Meute,
Und schlaffen Armes schauen wir darein,
Reißt uns der Feind vom Herzen selbst die Beute
Herr Gott im Himmel, lass uns Männer sein!

Wir dankten Dir den Sieg vor fünfzig Jahren
Mit einem Fest, dass Jubel kaum verhallt,
Und nun das Schlimmste wieder wir erfahren,
Zückt sich kein Schwert, kein streitbar Banner wallt,
Die Freudenfeuer, die empor Dir lohten,
Der Wange Scham ist heut' ihr Widerschein,
Meineid schon ist der Schwur bei unsern Toten —
Herr Gott im Himmel, lass uns Männer sein!

Und haben auch die Mächtigen und Reichen
Ihr starres Herz von Dir hinweg gewandt,
Du hast zum Kampfe für Dein heilig Zeichen
Die Armen stets und Niedern ausgesandt;
So rufe Du das deutsche Volk zusammen,
Zum heil’gen Kampf gib ihm die heil'gen Weih'n,
Erschein' uns in der deutschen Eichen Flammen —
Herr Gott im Himmel, lass uns Männer sein!

Das deutsche Volk, es ist ein Volk von Armen,
Gefesselt noch mit schweren Druck und Band,
Nur eine Habe ließ ihm Dein Erbarmen:
Den Traum vom ein'gen freien Vaterland;
Ist's auch ein Land voll Muhe und Beschwerde,
Soll doch kein fremd Gelüst danach gedeih'n,
Dem Feinde keinen Fußbreit deutscher Erde —
Herr Gott im Himmel, lass uns Männer sein!

So höre Du denn der Verzweiflung Beten,
Dein heil’ges Feuer stähle Schwert und Mut,
Lass uns den Morgen schau'n, den lang erflehten,
Und sei auch seine erste Röte Blut;
Wehrlose Feigheit mag ehrlos verderben,
Zum Kampf, zum Kampf in todesmut'gen Reih'n,
Nur Männer dürfen um die Freiheit werben —
Herr Gott im Himmel, lass uns Männer sein!

Traeger, Albert (1813-1912) Geheimer Justizrat, Schriftsteller und Journalist

Traeger, Albert (1813-1912) Geheimer Justizrat, Schriftsteller und Journalist

Gartenlaube 1864 01 Neujahrsgebet

Gartenlaube 1864 01 Neujahrsgebet