Neueste Geschichte der Stadt Parchim - Vom Jahr 1800 bis zum 30. September 1818 - 7. Aus dem Jahre 1811

Aus: Neueste Geschichte der Mecklenburg-Schwerinschen Vorderstadt Parchim vom Jahre 1801 bis 1852. Zur Ergänzung und Fortsetzung der Cleemannschen Chronik
Autor: Icke, Wilhelm Ludwig (17?-18?) Prokurator und Advokat in Parchim, Erscheinungsjahr: 1853
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Parchim, Stadt-Geschichte, Chronik, Napoleon, König von Rom
Dagegen steht aus dem Jahre 1811 über besonders häufige militärische Lasten zu referieren.

Französische Einquartierung und Durchmärsche waren im Anfange und am Ende desselben an der Tagesordnung. Am 11. und 13. März kamen, nach voraufgegangenen kleineren Trupps, Abteilungen reitender Jäger bis zu 200 Mann stark. Dies geschah gleichfalls am 2. und 3. April, und musste für sie jedes Haus 1/2 Scheffel Hafer, 2 Bund Heu und 2 Bund Stroh liefern. Am 4. April rückte der Stab des dritten Chasseur-Regiments hier ein, bestehend aus einem Obersten, 16 Offizieren und 30 Jägern, denen am 5. und 6. noch mehrere folgten, und blieb hier bis zum 15. Vom 9. bis 10. April sind hier einquartiert gewesen zwei Bataillone vom 48. Infanterie-Regiment, 32 Offiziere und 1.866 Gemeine enthaltend, nebst 2 Kanonen und 5 Pulverwagen, welche außerhalb des Wokertors aufgestellt und bewacht wurden; am anderen Morgen aber mussten zum Transport derselben und der Bagage 30 Zug-Pferde, und 13 vierspännige Wagen gestellt werden. Darauf folgten schon am 11. April 2.400 Mann vom 111. Linien-Infanterie-Regimente mit dem ganzen Stabe, welcher laut des darüber erteilten Scheins bestanden hat aus 1 Colonel, 3 Lieutenant-Colonels, mehreren Adjutanten, 6 Ober- und Unter-Ärzten, 1 Zahlmeister, 12 Capitains, 28 Lieutenants, 1 Chef der Musik, 1 Vague-Maitres, 1 Tambour-Major, 26 Musikern, 2 Porte-Aigles, 13 Sappeurs, 3 Secretairs, 3 Chirurgie-Eleven, 14 Artillerie-Conducteuren, 34 hommes de garde und einigen Ordonnanzen. Zur Weiterbeförderung ihrer Effekten wurden wieder 14 vierspännige Wagen und 12 Train-Pferde requiriert. Und so ging es den ganzen April-Monat fort. Bald waren es Detachements französischer Husaren und Infanterie, bald mehrere Kommandos Artillerie, letztere vom 7. Regiment, welche eine Nacht hieselbst verweilten, und am folgenden Tage ebenfalls mit einer Anzahl Pferden und Wagen zum Transport ihrer Sachen versehen werden mussten.

Wichtiger und folgenreicher für Parchim aber war die am 18. April 1811 eingetretene Ankunft einer starken Abteilung vom 1. Regimente Chasseurs zu Pferde nebst dem Stabe desselben unter Befehl des Obersten, Barons von Meda, welcher mit 15 Offizieren und einer Compagnie hier bis zum 11. Oktober im Stand-Quartier blieb. Die übrigen Compagnien dieser Jäger wurden respektive nach Grabow, Neustadt, Crivitz, Goldberg, Plau und Lübz verlegt; die den letztgenannten 4 Orten zugeteilten aber schon zum 2. Mai hierher beordert, und auf 2 Nächte einquartiert, weil das Regiment damals vor dem Neuentor zu manövrieren hatte.

Während der Anwesenheit des Obersten von Meda allhier war am 20. Mai 1811 dem mächtigen Kaiser Frankreichs von seiner zweiten Gemahlin, Marie Louise von Österreich, ein Sohn geboren worden, den er schon in der Wiege „König von Rom“ nennen lassen konnte. Von allen seinen Zivil- und Militär-Autoritäten sollte dies Ereignis hoch gefeiert werden, und so durfte denn auch der Anführer des ersten Chasseur-Regiments hierin nicht zurückbleiben. Deshalb veranstaltete er mit Zuziehung des löbl. Magistrats am 9. Juni 1811, als am Tauftag des kleinen Königs ein großes Fest allhier, welches folgendermaßen zelebriert ward. Nachdem um 6, 7 und 8 Uhr Morgens eine dreimalige Artillerie-Salve erfolgt, und mit allen Glocken geläutet war, so stellte sich das hierher wieder zusammengezogene ganze Regiment in Parade auf, saß dann ab, und marschierte mit seinem Musik-Corps um 9 Uhr in die St. Georgen-Kirche, deren Räume wohl noch nie eine so große Menge Zuschauer und Zuhörer aus der Stadt und ihrer Umgegend aufgenommen hatten, als gerade an diesem Tage. Dort wurden die Chasseurs in den Gängen, ihre Karabiner beim Fuß, aufgestellt, für die Offiziere aber waren Stühle vor dem Altar gestellt. Hr. Superintendent Franke hielt nunmehr eine Rede von der Kanzel über den Zweck der Zusammenkunft und des Festes. Als er darin zuerst die Namen „Napoleon“ und „König von Rom“ aussprach, sprang der französische Oberst plötzlich von seinem Sitze auf, und kommandierte mit gezogenem Degen: Présentez les armes! worauf sämtliche Chasseurs das Gewehr präsentierten. Der auf eine solche Unterbrechung nicht vorbereitet gewesene Redner hielt verwundert ein, und konnte erst nach erteiltem und befolgten zweiten Kommando: Présentez les armes! weiter über das angeordnete Dankfest reden und für den Neugeborenen beten. Nach Beendigung seines Vortrags ward das Te Deum laudamus gesungen. Hierauf aber stieg das Regiment wieder zu Pferde, und manövrierte mehrere Stunden hindurch vor der Stadt im Feuer. Um 4 Uhr gab der Oberst große Mittags-Tafel von 60 Couverts; wozu außer den sämtlichen Offizieren die hiesigen Behörden, auch die Ehren-Geistlichkeit eingeladen und erschienen waren. Die Regiments-Musik ließ sich während derselben hören, und gegen Ende des glänzenden Mahls wurden Toaste auf des Kaisers und der Seinigen Gesundheit ausgebracht, auch mehrere zu dieser Feier gedichtete Couplets gesungen. Abends gaben die Offiziere auf ihre Kosten einen splendiden Ball im Saal des ihnen von der Stadt überlassenen Schützenhauses, wozu sie, schon mehrere Tage vorher, alle Honoratioren schriftlich eingeladen hatten. Dies Gebäude war stattlich verziert, insbesondere aber der Ball-Saal mit Eichen-Girlanden, Transparenten und allegorischen Gemälden geschmückt, auch durch viele Kronleuchter erhellt. Am Eingange des Saals wurden die zahlreich erschienenen Gäste von Kommissarien aus der Zahl der Entrepreneurs empfangen, und die Damen zu den für sie bereiteten Sitzen geführt. Es fehlte nichts an stattlicher Bewirtung und der Ball dauerte bis Morgens 7 Uhr. Auch für die Chasseurs hatte man eine Tanz-Partie in der großen mit Laternen erleuchteten und durch anpassende Transparente verzierten Linden-Allee veranstaltet, wozu ihnen mehrere Tonnen Bier von der Stadt gegeben wurden. Tags darauf hielten selbige noch eine Nachfeier durch Wettrennen zu Fuß und zu Pferde nebst gymnastischen Übungen, welche so großartig waren, dass der wailand Herr Bürgermeister Loescher kein Bedenken gefunden hat, sie in einer von ihm verfassten, bei den Akten vorgefundenen Beschreibung dieser Festlichkeiten „olympische Spiele“ zu nennen. Nach Beendigung derselben verteilte der Oberst des Regiments die dafür ausgesetzten Preise und schenkte überdies seine reichgespickte Börse einem Chasseur, der in allen Wettkämpfen, so wie im Ringen und Laufen den Sieg davon getragen hatte.

Übrigens aber war einige Zeit vorher, nämlich schon im April 1811 dem hiesigen Magistrate und Quartier-Amte, wie auch den Obrigkeiten der Umgegend viele Beschwerde verursacht worden durch die von Grabow hierher gekommenen und von hier aus weiter zu befördernden Transporte der großen Bagage des 111. und des 48. Infanterie-Regiments.

Für erstere hatte man 60 Wagen begehrt, die in der Stadt und deren Gebiet nicht herbeizuschaffen waren, daher die benachbarten Gutsbesitzer sofort um Assistenz ersucht wurden, auch ein Bittschreiben solcherhalb an das Herzogliche Amt Neustadt erging. Von ersteren aber wurden nur wenige Fuhren gestellt, und von letzterem unterblieb, wegen eigenen Notstandes, die Aushilfe ganz, so dass man sich genötigt sah, mehrere Bauern aus dem Amte Grabow zum Weiterfahren zu zwingen, wenn sie gleich von ihrer Obrigkeit nur bis hierher beordert worden. Nur 44 vierspännige Wagen ließen sich am 14. April von Seiten der Stadt Parchim zusammenbringen, womit also die Franzosen sich behelfen mussten, und ward deren Escorte, aus 3 Offizieren und 70 Mann bestehend, einen Tag allhier beköstigt.

Auch die Fortschaffung der Bagage des 48. Regiments erregte viele Mühe und Umstände. Von Grabow aus waren dazu am 19. April 50 bis 60 Wagen begehrt. Es wurden daher alle hier Pferde haltenden Einwohner zu Protokoll verzeichnet, um übersehen zu können, auf wie viele Fuhren aus der Stadt zu rechnen sein würde, weil aber deren Anzahl nicht ausreichend war, wiederum Boten mit dem Ersuchen um Fuhr-Gestellungen in die Nachbarschaft ausgesandt, und zwar an die Besitzer der Güter Dargelütz, Herzberg, Greven, Lancken, Möderitz, Neuhof und Schlieven, wie auch an das Amt Lübz. Von den Gutsbesitzern konnten nur wenige damit dienen; das Amt Lübz aber erzeigte sich bereitwillig durch Gestellung von 18 Pferden, womit 3 Geldwagen weiter nach Plau gefahren sind. — Laut Bescheinigung des Kommandanten der aus 71 Mann bestehenden Escorte sind derzeit 51 Wagen zum Transporte von der Stadt Parchim hergegeben worden.

Auch hat dieselbe am 20. April 40 Rationen Fourage an Heu, Stroh und Hafer für Artillerie-Pferde des 48. Regiments verabreicht.

Im Monat Juni 1811 ward das bis dahin zu Lüneburg etabliert gewesene französische Militär-Hospital hierher verlegt, und musste dazu wiederum das Schul-Gebäude ein geräumt werden. Von Seiten der dabei angestellten Offizianten erfolgten allerlei Requisitionen, auch an Schreib-Materialien. Am 12. Juli 1811 aber wurde zwischen dem löbl. Magistrate als Bevollmächtigten der allgemeinen Landes-Kredit-Kommission zu Schwerin und dem hiesigen Chirurgus Modes ein Kontrakt über die Verpflegung der in dies Lazarett aufgenommenen Kranken abgeschlossen, wonach ihm die auf Rechnung solcher Kommission angeschafften Utensilien an Bettstellen, Betten, Leinzeug, Tischen, Bänken und Geschirr aller Art nach einem aufzunehmenden Inventario überliefert, und für jeden verpflegten Kranken auf 24 Stunden 26 ß N 2/3 gezahlt werden sollten. Beides ist auch geschehen, und ihm die Zahlung alle 14 Tage bar von der gedachten Kommission geleistet bis zum 31. Oktober 1811, wo dies, zunächst für die Chasseur-Regimenter eingerichtete, Hospital von hier abging. Magistratus hat darauf den größten Teil jener Utensilien, in fünf Fässern und einer Kiste, welche Wäsche, wollene Decken, Strohsäcke, Bettlaken, Kopfkissen und Pfühle enthielten, instruktionsmäßig unterm 18. November an den löbl. Magistrat zu Wismar expediert, und diesem sind zuletzt auch 100 Stück auseinandergenommene Hospital-Bettstellen, jedoch erst am 19. Februar 1812, auf 4 Frachtwagen von hier aus zugesandt.

Am 14. August 1811, rückten die außerhalb Parchims einquartierten 4 Compagnien des 1. Chasseur-Regiments allhier ein, um vereint mit der hiesigen Garnison das Tags darauf einfallende Geburtsfest des Kaisers Napoleon zu feiern, und begingen es auf folgende Weise. Zuvörderst ward ein Dankgebet in der Hauptkirche hieselbst gehalten, dann aber folgte große Parade des Regiments und eine Darstellung von Gefechten — la petite guerre genannt — auf dem Felde der Neustadt, welcher sehr viele Menschen zu Ross und zu Fuß beiwohnten. Nachdem es staubbedeckt von da zurückgekehrt war, gaben die französischen Offiziere Abends einen großen Ball im Saale des Schützenhauses, welchen man mit Girlanden und rotem Tuch hübsch verziert hatte, und wozu die Behörden, so wie alle hier wohnenden Honoratioren mit ihren Damen eingeladen waren. Jede derselben ward an der Eingangs-Türe des Ball-Saals von den Unternehmern empfangen, und unter Darreichung eines Blumen-Bouquets zu ihrem Sitze geführt. Die Bewirtung war überaus stattlich, und es ward bis spät in die Nacht fröhlich getanzt und pokuliert. Etwa 8 Tage darauf gab die Stadt den Offizieren eine Gegen-Fete.

Am 17. August kam der General Bordesoulle von Lübz herüber, um Special-Revue über das hier versammelte Regiment zu halten, und am 21. marschierten die auswärtigen Compagnien in ihre Stand-Quartiere zurück. An eben diesem Tage starb der Herr Senior Seidel, aus Dresden gebürtig, nach 28jähriger treuer Amtsführung als Prediger an St. Marien hieselbst im 69. Jahre seines Alters. Er hinterließ den Ruf eines streng orthodoxen, aber sehr rechtschaffenen Mannes, und eine zahlreiche Familie, von welcher noch im Auslande zwei verheiratete Tochter und ein Sohn, letzterer als Kammer-Direktor zu Lich im Fürstentum Solms, leben. Während des Monats September trafen 120 Mann Rekruten aus Frankreich ein, und ward auch noch eine Compagnie hierher verlegt. Am 4. Oktober 1811 aber verließ der Stab dieses Chasseur-Regiments nebst seiner Mannschaft kraft plötzlich eingegangener Marsch-Ordre unsere Stadt, in welcher Offiziere und Gemeine sich beinahe 6 Monate hindurch gut betragen hatten, zum Bedauern Vieler, deren Bekanntschaft mit ihnen, besonders mit den ersteren, zu freundschaftlichem, mitunter sogar vertraulichem, Umgang geführt hatte, den sie nun schmerzlich vermissten.

Die Zeit von da bis zum 16. Dezember verging unter mehreren Durchmärschen vom 3. Chasseur-Regiment, von Geld- und Pulverwagen, und von einiger Infanterie, auch 30 Mann Douanen. Am 17. Dezember 1811 erhielten wir wiederum Stand-Quartier durch das 6. Bataillon vom 48. Regimente, 600 Mann stark, welche indes schon nach zwei Tagen nicht mehr von den Einwohnern verpflegt, sondern Abteilungsweise gespeist wurden. Es war nämlich angeordnet, dass zur Erleichterung der Quartierträger die Soldaten aus einem hier errichteten Magazin Lebensmittel erhielten. Diese bestanden täglich für jeden in 1 ½ Pfund Roggenbrot und 8 Loth Weizenbrot, 20 Loth Fleisch, 1/8 Pott Branntwein, etwas Salz und Zugemüse, und wurden für sie in mehreren bei den Bürgern eingerichteten Küchen bereitet, wobei täglich 2 ß à Mann für Holz und Geräte vergütet werden mussten. Es fand auch zwischen diesen Leuten und ihren Wirten, deren jeder noch für Nachtlager und Licht 3 ß à Tag ersetzt bekam, die jedoch nicht bar bezahlt, sondern nur auf die zu erlegende Kontribution abgerechnet wurden, ein gutes Vernehmen Statt, und als am ersten Weihnachts-Festtage im hiesigen Posthause Feuer ausbrach, halfen die Offiziere dieses Bataillons, wie ihre Vorgänger, feine und artige Leute, treulich mit dazu, dass der zum Glück nur im Schornstein befindliche Brand bald gelöscht wurde.
Reicher an merkwürdigen Ereignissen ist für Parchim das Jahr 1812.

Original Cover Reuters Franzosenzeit in der französischen Übersetzung.

Original Cover Reuters Franzosenzeit in der französischen Übersetzung.

Original Titelblatt der französischen Ausgabe aus dem Jahre 1880.

Original Titelblatt der französischen Ausgabe aus dem Jahre 1880.

Parchim, Rathaus

Parchim, Rathaus

Parchim, am Eichberg

Parchim, am Eichberg

Parchim, Wasserberg

Parchim, Wasserberg