Neueste Geschichte der Stadt Parchim - Vom Jahr 1800 bis zum 30. September 1818 - 11. Berichtenswertes aus dem Jahr 1815

Aus: Neueste Geschichte der Mecklenburg-Schwerinschen Vorderstadt Parchim vom Jahre 1801 bis 1852. Zur Ergänzung und Fortsetzung der Cleemannschen Chronik
Autor: Icke, Wilhelm Ludwig (17?-18?) Prokurator und Advokat in Parchim, Erscheinungsjahr: 1853
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Parchim, Stadt-Geschichte, Chronik,
Aus dem Jahr 1815 ist in Bezug auf militärische Ereignisse und das damit Zusammenhängende zum Schlusse einiges zu berichten.

Im Monat Januar mussten ferner ansehnliche Corps russischer Infanterie und Fußjäger, 1.400, 1.500, 1.200 und 1.750 Mann stark, teils auf einen Tag, teils auf zwei Tage in Parchim einquartiert werden, wie auch eine russische Feld-Apotheke unter Bedeckung von 24 Kosaken, welche alle weiter nach Plau marschierten. Ihnen folgte am 1. Febr. der Stab des Herrn Generals von Benningsen, von dessen Mannschaft jedoch viele in die Umgegend gesandt wurden, so dass nur 350 Mann eine Nacht hier blieben. Während des Monats März kamen die letzten französischen Kriegs-Gefangenen in mehreren Kolonnen, deren stärkste 300 Mann betrug, auf eine Nacht hier ins Quartier. Den gänzlichen Beschluss des Durchmarsches und Verweilens fremder Truppen allhier machten aber in den Tagen vom 26. März bis zum 3.April 1815 einige Transporte spanischer Gefangenen, aus Russland kommend, zusammen 450 Mann stark. Bei ihrer ersten. Abteilung befanden sich 10 Kriminal-Verbrecher, weshalb sie von 12 Gensd’armes eskortiert ward; ihr Aufenthalt hierselbst dauerte zwei Tage.

Am ersten Oster-Feiertage 1815 hat sich in Parchim ein seltener Umstand begeben, desgleichen — nach den Hilgendorff’schen Annotationen — die ältesten Leute bis dahin nicht erlebt hatten, nämlich das gemeinschaftliche Leichenbegängnis eines anständigen bürgerlichen Ehepaars, des Leinwebers Schlüter und Frau. Beider Särge sind in dieselbe Gruft gesenkt, und ist deren schnell nach einander erfolgtes Ableben um so mehr bedauert worden, als sie noch jung gewesen sind und sechs Kinder hinterlassen haben.

Von den Mecklenburgern kamen die noch übrig gebliebenen Bataillone der Landsturm-Männer am 23. April allhier zusammen, und wurden entlassen, nachdem 120 Mann zum regulären Militär ausgesucht worden; am 14. Dezember 1815 aber ward schließlich ein Bataillon neu errichteter Mecklenburg-Schwerinscher Landwehr, 600 Mann stark, auf eine Nacht hier einquartiert.

Mit diesem Geschäfte erreichte (nachdem im Jahr 1815 zum zweitenmale ein noch anhaltender Frieden mit Frankreich zu Stande gekommen, und die so lange unterbrochene Ruhe der deutschen Provinzen im Allgemeinen wieder hergestellt war) ein hiesiges Institut seine Endschaft, welches man, mindestens in seiner erlangten Ausdehnung sonst nie kennen gelernt hatte, und wovon zu wünschen ist, dass es hier in Jahrhunderten nicht wieder nötig werden möge, d. h. die aus Deputierten des Magistrats, der Eximierten und der Bürgerschaft erwählte Einquartierungs-Kommission. Ihr werde hier noch eine leichte Skizze, und ein letzter Nachruf gewidmet.

Hervorgegangen aus dem Elend der auch Mecklenburg ergriffen habenden politischen Umwälzungen und schweren Kriegs-Drangsale, und näher ausgebildet im Kampfe einer höchst unruhigen und bedrohlichen Zeit hat diese Behörde während ihrer fast zehnjährigen Dauer sehr viel und unverdrossen ganze Tage lang, und in der ersten Periode auch Nächte hindurch gearbeitet. Es ist nach der Natur ihres Geschäfts unvermeidlich gewesen, dass sie nicht nur bei vielen Einwohnern, die sich durch deren Verfügungen graviert gehalten, Anstoß erregt, und manche unbegründete Vorwürfe anzuhören gehabt, sondern auch besonders durch die fortwährenden nahen Berührungen mit einer großen Anzahl fremder, nicht einmal unsere Sprache kennender, Militär-Personen, die öfters roh und zu anmaßend auftraten, viel Unangenehmes und Mühevolles haben erdulden müssen. Alle die Tausende unterzubringen, welche in den vorstehenden Blättern genannt oder wenigstens angedeutet worden, auch dabei sie doch mehrenteils zufrieden zu stellen, ist wahrlich! keine Kleinigkeit gewesen. Und dennoch hat sich viel durch vernünftige Vorstellungen erreichen lassen; dennoch ist auch von dieser Kommission durch gehörige Umsicht und Akkuratesse, so wie durch stete Führung vollständiger Listen wesentlich dahin gewirkt, dass den Quartierträgern die ihnen unabänderlich aufzuerlegen gewesenen Lasten so viel wie möglich erleichtert sind, in der Folge aber auch die von den Krieg führenden Mächten oder vom Lande Mecklenburg gezahlten Sublevations-Gelder nach richtigem Verhältnisse haben zu Teil werden können.

In gleicher und vorzüglich in letzterer Hinsicht gebührt indes der größere Ruhm den Manen der würdigen Männer, welche während der Jahre von 1806 bis 1815 das Parchimsche Magistrats-Kollegium ausmachten. Denn auch sie haben, jeder an seinem Teile und nach dem Maße seiner Kräfte, dazu beigetragen, dass der Krieges-Not zu rechter Zeit möglichst abgeholfen worden ist, und ihre nachgebliebenen Angehörigen mögen in diesen wenigen Zeilen ein ehrendes Denkmal meiner Anerkennung der Verdienste finden, welche ihre Väter sich durch die, mir aus den Akten bekannt gewordene, treue und pünktliche Besorgung der Lieferungs-, der Fuhrleistungs- und aller übrigen Angelegenheiten, welche sich auf die so häufig vorgekommenen Requisitionen der Truppen-Anführer und der höheren Behörden, insbesondere auch hinsichtlich der Militär-Kranken bezogen, um die Stadt Parchim und deren Einwohner erworben haben.

Von jenen Bürgermeistern und Senatoren, so wie von den ehemaligen Mitgliedern der Einquartierungs-Deputation, ihren Gehilfen, Schreibern und Dienern, also von einer ganzen Anzahl Menschen ist gegenwärtig nur noch der Herausgeber dieses Buches am Leben, welchem es beschieden wurde, als Spezial-Geschichtsschreiber ihres stillen, doch nützlichen Wirkens rühmlichst zu erwähnen; denn auch der hochbejahrte und leider! zuletzt erblindete Dr. Koß, von dessen unermüdeter Tätigkeit seine bekannte, in den Akten des Quartier-Amts am öftesten vorkommende Handschrift Beweis und Zeugnis gibt, ist in der Nacht vom 29. zum 30. Sept. 1851 zum schöneren Dasein in eine bessere Welt übergegangen.

Jetzt aber möge mir noch ein kurzer Rückblick auf die hier bisher geschilderte Vorzeit gestattet sein. Bei dem vielen Ungemach, welches die Stadt Parchim und ihre Kämmerei-Dörfer während der Kriegs-Unruhen betroffen hat, bei höchst drückenden und immer aufs neue wiederkehrenden Einquartierungen und Lieferungen, bei allerlei sonstigen Drangsalen, auch durch herrschende Teuerung besonders der Kolonial-Waren, welche in Folge der auf Napoleons Befehl gegen England angeordneten allgemeinen, nur zu bald auch in Mecklenburg eingeführten Kontinental-Sperre, hauptsächlich in den Jahren 1810 und 1811 hier eintrat, hätte man denken sollen, dass die dadurch hervorgebrachten Leiden kaum zu ertragen gewesen wären, und die Verarmung, so wie den völligen Untergang vieler hiesiger Familien nach sich gezogen haben würden. Allein dies Resultat hat sich, wenn gleich einzelne Fälle davon vorgekommen sind, doch im Ganzen nicht ergeben, und waren vielmehr die Zustände dieser Periode doch noch auszuhalten und für viele Menschen sogar nicht unglücklich zu nennen. Denn so wie nur die Not des ersten Schreckens- und Plünderungs-Systems mit ihrer freilich harten Plage überwunden war, gelangte man bald zu der Überzeugung, dass auch mit Frankreichs Kriegsschaaren und ihren Hilfsvölkern auszukommen war, wenn man sie nur gehörig zu nehmen wusste, und das zu erlernen brauchten unsere Bürger nicht viele Zeit. Freundliches Entgegenkommen und die Äußerungen guten Willens von Seiten ihrer Wirte, das war es, worauf die Franzosen sowohl als ihre Verbündeten großen Wert legten, und vermöge dessen man nachhin mancher unbilligen Forderung ausweichen konnte. Auch hatten schon gegen Ende des Jahrs 1806 mehrere hiesige, namentlich jüdische, Handelsleute, beim Rückmarsche der drei, hier durch oder vorbei passierten, ansehnlichen französischen Armee-Corps von Lübeck einträgliche Wechsel-Geschäfte mit einer Anzahl Soldaten gemacht, welche reiche Beute aller Art, die ihnen aber beschwerlich zu tragen war, bei sich führten, und gerne eine Quantität Silber, so wie andere kostbare Objekte gegen einige leicht zu transportierende Goldstücke vertauschten. Fiel nun gleich dieser Erwerbs-Zweig weg, nachdem die Sache mehr geordnet war, so fand sich doch in den darauf folgenden Monaten und Jahren, bei der Menge der hier einkehrenden Truppen und ihren vielfachen Bedürfnissen noch immer Gelegenheit genug, Handels-Artikel und Arbeiten für sie gegen gute Preise zu liefern, und ward auch selbige häufig benutzt. Ferner war, je verwickelter die Verhältnisse wurden, und je mehr Anstalten zur Befriedigung der unendlich scheinenden militärischen Requisitionen, welche von der mecklenburgischen Militär-Verpflegungs-Kommission und anderen Landes-Behörden getroffen werden mussten, grade durch deren hier zu beschaffende Ausführung desto mehr bares Geld in Umlauf gekommen und ein regerer Verkehr entstanden. Zunächst bekamen unsere Kaufleute und Handwerker durch die vermehrte Konsumtion einen größeren Absatz ihrer Waren und Erzeugnisse, der ihnen in Friedens-Zeiten nicht zufallen konnte, aber folgeweise zogen auch alle zur erwerbenden Klasse gehörige ihren Nutzen davon. Insbesondere fanden die Gast- und Schenkwirte, Bäcker und Schlächter reichliche Nahrung, und an allen öffentlichen Orten war Leben und Tätigkeit zu bemerken, weil die fremden Offiziere und Soldaten dort frequentierten, und durch Spiel und Verzehrung viel Geld aufgehen ließen. Beides hatte wieder Einfluss auf die übrigen Einwohner, und brachte auch unter ihnen eine Art Wohlstand zu Wege, der sich mehrseitig kund gab. Man sah, besonders in der zweiten Hälfte der Kriegs-Jahre, fast durchgängig bessere Kleidung, und mehr Teilnahme an öffentlichen Vergnügungen. Auch konnte man im Club der Honoratioren des hiesigen Orts nur hohes Spiel vorfinden, und ward z. B. das damals vorzugsweise beliebte Whist mit quatre Honneurs und ohne Rest das Point zu 4 ß gespielt, daneben auch noch öfters rechts und links ein Gulden pariert. Nur diejenigen, welche auf ein fixes Einkommen beschränkt waren, und die bei ihnen einquartierten Militär-Personen, mitunter ohne Entschädigung, gut bewirten mussten, waren übel daran und litten allerdings Schaden.

Übrigens ist hier aus dem Jahr 1815 noch eines nicht unerheblichen Vorfalls zu gedenken, nämlich der im Monat Juni durch eine auf landesherrlichen Befehl zusammengesetzte Zivil- und Militär-Behörde allhier vorgenommenen Aushebung der landwehrpflichtigen Mannschaft des Elde-Districts. Es entstand bei dieser Gelegenheit zwischen solcher Behörde und dem Herrn Major und Stadt-Kommandanten v. Bülow, welcher auf deren Ersuchen einige Soldaten zur Bewachung der Rekruten gestellt hatte, ein Wortwechsel über eine Seitens der ersteren auf ganz kurze Zeit angeordnete Torsperre, welcher in widerwärtige Diskussionen ausartete und Veranlassung gab, dass beide Teile, ersterer wegen Störung in ihrem Geschäfte und letzterer wegen Eingriffs in seine Kommandanten-Rechte beim Landesherrn Beschwerde führten. Serenissimus fand Sich dadurch bewogen, den Herrn Obersten von Holstein und Oberstallmeister von Rantzau mit genauer Untersuchung der Statt gehabten Vorfälle zu beauftragen. Diese nahmen mit allerhöchstem Konsens den Herrn Advokaten Carl Rönnberg aus Güstrow zu ihrem juristischen Beistande an, und es ward nun unter dessen Leitung eine, wegen der vielen abzuhörenden Interessenten sehr weitläuftig gewordene kommissarische Untersuchung zwar in Schwerin eröffnet, aber zu Parchim im Jahr 1816 weiter geführt. Das End-Resultat derselben war, dass laut des zufolge Informatorii des hohen Hof- und Land-Gerichts zu Güstrow am 1. Juni 1816 erlassenen Erkenntnisses dieser Kommissarien zwar keinem Angeschuldigten eine Strafe auferlegt, wohl aber ihnen einzelne Punkte zum Vorwurf gemacht und sie zur Bezahlung der Untersuchungskosten, jedoch in verschiedenem Maße, kondemniert wurden. Außerdem hat sich während des Jahrs 1816 in Parchim und dessen Besitzungen nur wenig merkwürdiges zugetragen.

Blücher, Gemälde von Gebauer (Hohenzollernmuseum)

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Die Befreiung 1813-1814-1815, Original-Cover

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Schlesisches National-Kavallerie-Regiment, Preußen

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Ostpreußisches National-Kavallerie-Regiment, Preußen

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Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4

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Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 2

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Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 3

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Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1

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