Mecklenburg - Übergang von pommerscher Sitte zu mecklenburgischer Zivilisation

Aus: Deutschland und die Deutschen. Band 2
Autor: Beurmann, Eduard (1804-1883) deutscher Advokat, Journalist und Redakteur, Erscheinungsjahr: 1839
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Mecklenburg, Landesbeschreibung, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Insel Rügen, Sagen, Küstenland, Gänsebrüste, Kartoffeln, Branntwein, Kotzebue, Adel, Pferde, Pferdezucht, Rennbahn, Pferderennen, Güstrow, Advokaten, Wettrennen, Rostock, Schwerin, Neustrelitz, Hünengräber, Pommern
Man muss Deutschland in der Richtung von Norden nach dem Süden besprechen. Wenn ich aber hier nicht mit Rügen beginne, mit der äußersten nördlichen Spitze, mit dem bunten, fabelhaften Eiland aus Felsen, Eichen- und Buchwäldern, aus Sagen und Hünengräbern, aus einer Mischung von christlicher Religion und patriarchalischen Elementen heidnischer Vorzeit, mit Rügen, das von Poesie duftet und das selbst von der dicken prosaischen Atmosphäre, die auf Pommern lagert, nicht um jenen fabelhaften Farbenton gebracht werden konnte, der Auge und Herz des Reisenden besticht, wenn er aus jenem Küstenlande kommt, wo Kartoffeln und Branntwein und pommersche Gänsebrüste die Quintessenz des Lebens bilden und wo die ganze Natur an einer Gänsebrust groß gesäugt zu sein scheint — ich sage, wenn ich nicht mit Rügen beginne, so liegt das nur daran, dass Rügen im Verhältnis zu Pommern nicht moutarde, aber doch pota après le diner ist. Man beginnt nämlich in dem ehemaligen schwedischen Pommern noch das Diner mit dem Nachtisch, d. h. man trinkt Branntwein, isst Käse und dergleichen, was bei der scharfen Seeluft sehr zuträglich sein mag, und das Beste kommt am Ende. So mag ich auch nicht mit der Romantik Rügens beginnen und mit den dunklen, heiligen Hainen, um später in die sandigen Flächen des ehrlichen Pommerns hinabzusteigen, das vielleicht einst mit Rügen zusammenhing, dem aber Gott im Zorn dieses Stück Dichtung entriss und es zum deutschen Island erhob.

Ich beginne mit Mecklenburg. Mecklenburg ist nicht so traurig, dass man durch dieses Ländchen zum Widerwillen gegen Deutschland bewogen werden könnte, und nicht so lustig und anziehend, dass man nicht von hier aus nach allen Seiten hin übersetzen möchte. Zudem ist Mecklenburg der Übergang von pommerscher Sitte zur Zivilisation; wenn sich in Pommern der Adel mit den Bauern beschäftigt und die Freifräuleins mit den Gänsen, wenn Kotzebues „Landjunker zum Ersten Male in der Residenz“ hier noch immer als ein würdiger Repräsentant von Kopf und Herz eines pommerschen Edelmanns betrachtet werden kann, so beschäftigt sich der mecklenburgische Adel vorzugsweise mit Pferden, mit Veredelung der Pferde, mit Bildung der Pferde. Auch beweisen die vielen Advokaten in Mecklenburg zur Genüge, dass hier die Vermittlung mit der Zivilisation statt findet, denn durch was anderes ist je die deutsche rohe Gegenwart mit der Zukunft vermittelt worden, als durch hie Entscheidung „was Rechtens.“ Ich spreche hier gar nicht von dem Landfrieden Maximilians und der Einführung des römischen Rechts in Deutschland — wodurch gewissermaßen die erste Periode unserer unverständlichen Zivilisation bezeichnet wurde — ich spreche hier nur von allen späteren Ereignissen, in denen der Grundsatz: fiat justitia et pereat mundus den Ausschlag gab, diese Grundlage aller deutschen Zivilisation, welche letztere stets mit dem juristischen Rechte zufrieden war. Da nun in Mecklenburg auf jede Quadratmeile wenigstens ein Dutzend Advokaten bei einer Bevölkerung von 513.000 Einwohnern zu zählen ist, so kann man leicht einsehen, dass hier alles Mögliche getan ist, um die rohe Gewalt abzuweisen. Doch könnte es immer nicht schaden, man veredelte in Mecklenburg die Advokatenzucht, gleich der Viehzucht, weil viele dieser Herren in der Tat in der Rennbahn des Rechts durchaus keinen Vergleich aushalten können mit dem Wettrennen in Güstrow, wo die mecklenburgischen Pferde von Jahre zu Jahre neue Vorzüge entfalten, während der Gang Rechtens bei den Justizkanzleien in Güstrow, Schwerin, Rostock und Neustrelitz noch immer so ziemlich derselbe ist, d. h. „kommst du heute nicht, so kommst du morgen.“

Schwerin - Stadtansicht - Schloss - Hoftheater

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