Mecklenburg - Territorialbeschreibung. Die Mecklenburger. Die plattdeutsche Sprache

Aus: Deutschland und die Deutschen. Band 2
Autor: Beurmann, Eduard (1804-1883) deutscher Advokat, Journalist und Redakteur, Erscheinungsjahr: 1839
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Mecklenburg, Landesbeschreibung, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Natur, Wellenschlag, Erhabenheit, Schönheit, Oasen, Ostsee, Seenplatte, Meer und Dünen, Herrlichkeit, Elbe, Diedrichshagen, Hohe Burg bei Lützow, Ruhnberg, Perleberg, Pohnsdorf, Heilige Damm, Doberan, Menschenschlag, Seen, Meer, Leibeigenschaft, Mecklenburger, Mecklenburgerin, Rittergutsbesitzer, Plattdeutsch, Rechtschaffenheit, Gräfin Hahn-Hahn, Fanny Tarnow, Hoftheater, Krampe, Dünnbier, Mehlspeisen, Kartoffelbrei, Branntwein, Volks-Dialekt, Lessing, Reinike dé Fos, Volkssprache, Schriftsprache, Bärmann, Buurenspille, Mundart
Mecklenburg bietet, man mag aus der Mark, Pommern, oder dem nördlichen Teile von Hannover dorthin kommen, stets eine erfreuliche Abwechslung. An und für sich würde freilich die Schönheit der mecklenburgischen Natur nicht in Betracht kommen können, aber wenn man Heiden, wie die Lüneburger, und Sand und Staub, wie er zum Charakter der Mark gehört, hinter sich hat, dann mögen die fetten und frischgrünen Wiesen Mecklenburgs, die Gehölze, die Seen, die Hügel mit dem Fernblick in die kurzatmige Ostsee, deren Wellenschlag der majestätischen Erhabenheit des übrigen Ozeans ermangelt, aber desto kräftiger und erquicklicher den Körper berührt, die üppigen Saaten, dann mögen alle diese Eigenschaften — Oasen in der norddeutschen Natur-Monotonie — von Bedeutung erscheinen. Selbst die weiten Dünen der Ostsee, die öden, nur von Möwen und Sturm belebten, erhalten durch den einfachen grünen Hintergrund, der das Ende jenes Bereichs bezeichnet, auf welchem der Mensch festen Fuß fassen kann, eine erhabene Färbung. Das Meer an diesen Dünen erscheint wie ein Siegel des Lebens unter einer alten vertrockneten Urkunde, von Gott selbst aufgeprägt, ein Zeichen, dass seine Herrlichkeit nie ein Ende nehme, sondern nur eine Pause mache, um in desto größerer Majestät hervorzutreten. Ich möchte behaupten, dass die Weite des Meeres stets die kleine und begrenzte Abwechslung der Erde hinter sich lässt. Stellt eine ewige Jungfrau an die flachen Ufer der Ostsee, wie bald wird sie in die grauen Nebel der Ferne verschwimmen. Somit hat das feste Land da den besten Teil erwählt, wo es sich nicht in Vorgebirgen und anstrebenden Felsen mit dem Meere messen will. Beide Gegensätze verhalten sich nur wie das irdische Leben zu der Ewigkeit. Allmählich soll jenes in diese verfließen, wie die gelben Dünen der Ostsee in die Fluten, die in stetem Verkehr mit ihnen stehen, die heute zu ihren Füßen spielen und morgen über ihre Häupter einherbrechen.

Mecklenburg bildet übrigens eine ununterbrochene Ebene, mit sanfter Abdachung nach der Ostsee und Elbe. Daher die vielen Seen: die Gewässer haben keinen hinlänglichen Abfluss und es entstehen Wasserstockungen. Durch Mecklenburg und Holstein zieht sich jener Höhenzug, der das Ostseegebiet von dem der Nordsee trennt. Die höchsten Hügel, die hier Berge genannt werden, liegen zerstreut in Nebenzweigen: Ruhnberg unweit Perleberg, die hohe Burg unweit Lützow, der Berg bei Diedrichshagen, der Berg bei Pohnsdorf. Hart an der Ostsee liegt der heilige Damm, jenes breitgeschliffene Schwert aus losen, glatten Steinen, welches Gott selbst zwischen Erde und Meer legte, ein Zeichen, dass hier nur eine Vermählung durch Prokura statt finden solle. Gott hat überhaupt mehr für Mecklenburg getan, als die Menschen, die die Seen, welche den Boden zerreißen, ohne dass sie bedeutenden Nutzen gewähren, längst durch Kanäle hätten trocken legen können, die auch längst für bessere Landstraßen und bessere Posteinrichtungen nach allen Seiten hin hätten Sorge tragen können. Aber auf den Landtagen werden nur die Städte und Güter vertreten, nicht eigentlich Mecklenburg.

Die Mecklenburger sind ein kräftiger Menschenschlag, aber sie verhalten sich demungeachtet ungefähr zu den Holsteinern, wie ihre Pferde zu den holsteinischen. Die Holsteiner sind gedrungener, aber kräftiger, als die Mecklenburger, sie sind unter dem Wellenschlag der Ost- und Nordsee aufgewachsen, und rau und fest, wie die Fluten beider Meere, ragen sie in das Leben hinein. Die Mecklenburger bilden den Übergang von der Mark zur Ostsee, von dem trocknen, sandigen, vornehmen Menschenschlag Brandenburgs zu dem feuchten, ehrlichen, treuherzigen Pommerns. Man wird selbst in dem Mecklenburger Dialekt eine Vermischung des Weichen, Milden mit dem scharfen Charakter, der den preußischen Jargon auszeichnet, finden, eine Behauptung, die zumeist von Mecklenburg-Strelitz gilt.

Übrigens ist der Mecklenburger sehr einförmig und phlegmatisch, eine natürliche Folge der Leibeigenschaft. Wer hat je von einer mecklenburgischen Begeisterung gehört, kam der Impuls dazu nicht von oben! In dem Volke könnte sich kein Leben zeigen. Treue, Ausdauer, Hingebung an den angestammten Fürsten, alle diese Eigenschaften wurden durch das Verhältnis der Leibeigenschaft nicht beeinträchtigt, sie wurden gleichsam dem Mecklenburger Gewohnheit, da er nicht unmittelbaren Druck erlitt und die Persönlichkeit der regierenden Fürsten stets liebenswürdig war. Somit werden auch die Mecklenburger in der Zeit der blinden Tat stets einen ersten Platz behaupten. Auf Universitäten schlägt sich Niemand ruhiger und tapferer, als ein künftiger mecklenburgischer Advokat und Rittergutsbesitzer. Sie haben die größten Hunde, die besten Pferde und bleiben die besten Menschen, bis sie in das Gedränge der Lebensverhältnisse geraten. Aber auch hier muss ich den Adeligen persönliche Rechtschaffenheit einräumen; denn der Adel und alle Standesvorurteile, die aus ihm entspringen, sind nur ein Naturübel. Juristen dagegen werden in Mecklenburg häufig schlechte Christen, wie man zu sagen pflegt.

Was die Mecklenburger Schönen betrifft, so sind sie teilweise von gutem mecklenburgischen Adel. Tiefere Beziehungen muss man bei ihnen nicht suchen. Die Gräfin Hahn-Hahn wurde durch außergewöhnliche hochadelige Einwirkungen zu einer ruhigen Betrachtung der Dinge geleitet und zu einer Höhe des Lebens, die über den Ruhnberg hinausliegt, und Fanny Tarnow, die betagte, aber jugendlich frische Schriftstellerin siedelte bei Zeiten aus dem einfachen Mecklenburg in die Wirren des Lebens über. Schönheit darf man auch in Mecklenburg unter den Weibern nicht suchen; denn die Seenebel wirken hier nachteilig auf den Teint, die Lebensweise dehnt die Formen über die Anmut hinaus aus, und der Boden, der für den Ackerbau eingerichtet ist, verlangt einen kräftigen breiten Fuß. Blonde Haare und blaue Augen sind die einzigen beaux restes deutscher oder vielmehr slawischer Schönheit in Mecklenburg; und wenn der üppige Busen auch keinem Praxiteles dienen könnte, er ist ein Symbol der Fruchtbarkeit desmecklenburgischen Bodens. Hier gedeiht nur Ceres, keine Venus. Aber was ist alle göttliche Form, ohne jenen Timbre, den nur der göttliche Geist verleiht. Wenn eine Mecklenburgerin den höchsten Enthusiasmus für Schönheit an den Tag legen will, so spricht sie von Berlin. Berlin ist für Mecklenburg, was Paris für die Provinz ist; den eigentlichen Maßstab dieses Enthusiasmus hat man jedoch nur in den Moden zu suchen. Selbst wenn das Hoftheater in Berlin nach Doberan Gäste sendet, so sind es doch nur die Herren Rüthling und Gern. Der Eckensteher Nante hat in Mecklenburg Furore gemacht. Die Taglioni wurde hier sicherlich nicht des vergeistigten Tanzes, oder der „ciceronianischen Beredsamkeit ihrer Beine“ wegen bewundert, sondern der Kontouren wegen. Schöne Schauspielerinnen werden durch diese Eigenschaft allein in Mecklenburg reussieren und vielleicht sogar einen Mann erhalten, einen Mann vom Adel selbst, wenn sie sich auf ihren Vorteil verstehen. Bis zur Einrichtung des neuen Hoftheaters in Schwerin, dessen Dekorationen von Gropius in Berlin verfertigt wurden, war die Kunst eigentlich ganz und gar Nebensache; aber die kleinen, manierlichen Soubretten, die Herr Krampe dem allerhöchsten Adel hinter den Kulissen vorführte, haben ihn zum reichen Mann gemacht.

Die schwerfällige, platte Weise der Mecklenburger, die in Klima, Verhältnissen und Lebensmitteln liegt, (denn auch die letzteren: derbe Mehlspeisen, Kartoffelbrei, Dünnbier, Branntwein, geräuchertes Fleisch und gesalzenes sind ein unverhältnismäßiger Schwerpunkt) wird durch die plattdeutsche Sprache noch gehoben. Ich will gar nicht bestreiten, dass in derselben eine eigentümliche Geradheit, ja Biederheit enthalten ist, aber die Bildung Deutschlands wurzelt nicht in ihr; und am Ende hat jeder Volks-Dialekt, vom allemannischen bis zum plattdeutschen, die Gemütlichkeit und das Herzblut des Volks für sich. Dieser Vorzüge wegen ihn über Gebühr zu preisen und zu begünstigen, heißt nichts Anderes, als kleiner häuslichen und Familien-Details wegen die Größe der deutschen Nation, die heut zu Tage von der Bildung allein getragen wird, brechen, oder doch den Einfluss dieser Bildung auf die gesamte Nation vermindern. Weshalb findet man gerade in jenen Gegenden, wo die plattdeutsche Sprache häufig als ein nationales Moment betrachtet wird, von Ostpreußen bis nach Westphalen herab, einen Stillstand der Ideen selbst in einer Zeit, die die ganze übrige Welt in die Bewegung gezogen hat? Diese Frage möchte auch aus dem Gesichtspunkte der plattdeutschen Sprache zu beantworten sein. Der Fortschritt findet an ihr eine Mauer, die so hoch ist, wie die Ideenkraft jenes Volks, das sie schützt. Alle neuen Ideen fliegen über das Volk hinweg, es zerstößt sich den Kopf an jener Mauer. Die hochdeutsche Sprache wurde seit Luther die Sprache der Reformen, der Ausdruck des Gedankens, die plattdeutsche wurde seit ihm die Sprache des Stillstandes, der Ausdruck der Gedankenlosigkeit. Jetzt dürfen wir nicht mehr untersuchen, ob es nicht besser gewesen wäre, man hätte die alte sassische Ursprache bestehen lassen, und sie nur veredelt, jetzt ist diese Sprache aus den geistigen Beziehungen der Nation verdrängt, sie lebt höchstens noch in dem Munde einiger Volksstämme, aber nicht im Herzen derselben, denn man würde Unrecht tun, die Gewohnheit derjenigen, welche dem Aufschwung der Nation stets fern blieben, für einen herzlichen Ausdruck zu nehmen. Das Herz der Nation hat sich in der Literatur der Nation, von Luther bis auf die neueste Zeit, ausgesprochen. Die hochdeutsche Sprache, ausgebildet, wie sie jetzt ist, ist der Ausdruck der Lebenskraft Deutschlands, in ihr liegt auch die Verschmelzung des nieder- und oberdeutschen Charakters, ja der nieder- und oberdeutschen Natur. Hier paaren sich Kraft und Leichtigkeit, hier erheben sich die weichen, ebenen Flächen Norddeutschlands zu den waldumkränzten Bergen und zu den behenden, himmelanstrebenden Gletschern des Südens, hier ist Einfachheit und Erhabenheit. Die plattdeutsche Sprache deutet uns eben nur die platte Fläche der Nation, nicht ihre Höhe. Wäre sie je Schriftsprache in der höheren Bedeutung des Worts gewesen, (die wenigen in platter Sprache vorhandenen Bücher und Volksdichter, unter welchen „Reinike dé Fos“ obenan steht, sind nicht als Schriftsprache anzusehen, sie würde nicht so plötzlich erloschen sein; aber sie konnte nicht Schriftsprache werden, weil jene Stämme, die sie redeten, auch der Bildung vor der Reformation fern standen, weil hier nur Einzelne in dieser Hinsicht hervortraten, während der Süden durch die Nähe Frankreichs und Englands eine allgemeine geistige Anregung erhielt, die die schwäbischen Kaiser von Staatswegen unterstützten und zu Resultaten führten. Wenn aber bereits alle Versuche von Leibnitz, der nur darauf drang, und mit Recht, die hochdeutsche Sprache aus der plattdeutschen, oder besser niederdeutschen zu ergänzen, bis auf Voß, der sie sogar wieder zur Schriftsprache erheben wollte, schon an der Richtung der deutschen Kultur scheiterten, so sollte man doch jetzt die Vergeblichkeit ähnlicher Schritte einsehen und sich mit der Ergänzung des Hochdeutschen aus dem Niederdeutschen allenfalls begnügen. Diese Sprache hat, was man auch für ihre Vortrefflichkeit anführen mag, nun einmal die Tatsache gegen sich, dass sie hinter dem Geist und der allgemeinen Bildung der Nation zurückgeblieben ist. Zudem verstehen hochdeutsch Alle, plattdeutsch nur Einige. Dagegen bemüht man sich im Norden, wie ich schon in der Einleitung angedeutet habe, trotz Schulen und Unterrichts, die ganz und gar hochdeutsch eingerichtet sind, den plattdeutschen Jargon als Volkssprache festzuhalten, eine Absicht, die zunächst die Folge hatte, dass der gemeine Mann, oder besser die Masse der Öffentlichkeit und der aus ihr wenigstens mittelbar hervorgehenden Zivilisation sehr fern blieb.

Ich sagte, die plattdeutsche Sprache mache die platte und schwerfällige Weise der Mecklenburger noch mehr bemerkbar, will aber damit durchaus nicht behaupten, dass dieser Dialekt an und für sich auch nur unschön sei. Nein, er ist weich und mild und voll und reichhaltig, wie der Busen einer Säugamme, aber er hat an Reiz verloren, weil er eben hinter dem Fortschritt der Nation zurückblieb, weil das, was die deutsche Nation für alle Zeiten als eine große Nation bezeichnen wird, zu der plattdeutschen Mundart in gar keinen Beziehungen steht. Und die Einbildung macht allerdings viel. Wenn ein Mecklenburger Bauer mir mit plattdeutschem Gruße begegnet, so kann ich ihm wohl herzlich die Hand drücken, aber begeistern wird mich die plattdeutsche Sprache nie, weil ihr jedes große Moment fehlt, weil in dieser Sprache keine erhabene Tat gefeiert worden ist, weil sie überhaupt heut zu Tage nur noch zur Komik geeignet ist. Bärmanns „Buurenspille“ nehmen sich sehr gut aus, aber der Cothurn würde plattdeutsch zum Holzschuh jener Bauern werden, die in den Mooren und Marschgegenden von Holstein, Oldenburg und Westphalen zu Hause sind. Mit einem Worte, die niederdeutsche Sprache ist gefallen, weil jene Zeit, die sie hätte vertreten können, dazu zu indolent war, die jetzige Zeit nennt sie nicht mehr niederdeutsch, sondern verächtlich — aber gewiss mit Unrecht — plattdeutsch, und so wenig wie die Belgier den flämischen Dialekt wieder in sein altes Recht werden einsetzen können, so wenig werden jene Enthusiasten in Niedersachsen, die über die Sprache das Jahrhundert und den Geist übersehen, ähnliche Resultate hinsichtlich der niedersächsischen Mundart bewirken. Dass diese Mundart eben nur ihre bestimmte Zeit hatte, wird zum Teil auch schon daraus erhellen, dass sie uns nicht einmal eine Grammatik hinterlassen hat. Man gebe uns diese und nehme dafür ein ganzes Dutzend unverständlicher hochdeutscher zurück. Aber wenn man jetzt keinen Beruf mehr dazu fühlt, so benutzt man die plattdeutsche Sprache wenigstens zur Ergänzung der hochdeutschen. Das wird gerade in unserer Zeit des Stils eine gute nützliche Beschäftigung sein, und zwar um so mehr, da sie die Vergangenheit zur Vervollständigung des Lebens der Gegenwart anwendet. Die plattdeutsche Sprache als Schriftsprache ausrufen, heißt nur eine Leiche aufputzen.

Reuter, Fritz (1810-1874) Mecklenburger, Dichter und Schriftsteller der niederdeutschen Sprache

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Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781) bedeutender Dichter der deutschen Aufklärung

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