Mecklenburg - Das Ostseebad Doberan

Aus: Deutschland und die Deutschen. Band 2
Autor: Beurmann, Eduard (1804-1883) deutscher Advokat, Journalist und Redakteur, Erscheinungsjahr: 1839
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Mecklenburg, Landesbeschreibung, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Doberan, Seebad, Ostseebad gegründet 1793, Friedrich Franz I., Gottlieb Samuel Vogel, Badearzt, Allgemeine Baderegeln, Badegesellschaft, Heiligen Damm, Heilbad, Doberaner Münster, Jungfernberg, Buchenberg, Logierhaus, Inschriften
Doberan hat Mecklenburg eine historische Bedeutsamkeit verliehen, Mecklenburg, dem sonst die Geschichte, bis auf Körners Tod, der bei Gadebusch fiel, so fern liegt. Aber in unserer Zeit des Genusses sind Bäder weit mehr, als Bäder. Aus Heilungsanstalten sind sie ein Mittelpunkt moderner Zustände geworden, sie haben zuerst gesellschaftliche Beziehungen erhalten, da es Mode wurde, ins Bad zu reisen, und nicht nur gesellschaftliche Beziehungen für das Inland, sondern auch für das Ausland im weitesten Sinne des Worts, das dieser Wohltat entbehrt und sich deshalb, mit wenigen Ausnahmen, in der Saison nach Deutschland begibt. Ich sagte, die Bäder hätten zuerst gesellschaftliche Beziehungen hinsichtlich der neuesten Zeit erhalten, obwohl diese Eigenschaft nur ihre partie honteuse ist, denn der Luxus, der in dem Farao seinen Höhepunkt erreicht, knüpft sich vorzüglich an die deutschen Bäder; aber sie erhielten auch durch geheime und öffentliche diplomatische Konferenzen eine politische Bedeutung. Durch den Zusammenfluss aus allen Ländern und Weltteilen dienten sie zur Vermittlung der verschiedenartigsten Interessen. Mit einem Worte, die deutschen Bäder sind ein Moment der Gegenwart geworden, ihr eigentlicher Zweck erscheint als ein ganz und gar untergeordneter; denn so wohltätig man auch in Deutschland in Betreff der unteren Klassen verfährt, so dienen die Bäder doch nur den Reichen. Und die meisten unter diesen baden nur aus Langweile, oder gegen Krankheiten, hinsichtlich deren Armut und Mäßigkeit vielleicht zweckdienlicher sein würden.

Doberan ist von Rostock vier Stunden entfernt und von der See eine Stunde, ein Fehler, der jetzt durch ein bequem eingerichtetes Logierhaus an dem Ufer der Ostsee so viel als möglich verbessert worden ist. Die Gesunden werden übrigens demungeachtet ein Quartier in Doberan vorziehen, das alle Abwechslungen bietet, die man nur in einer wenig erhabenen Natur-Umgebung verlangen kann, bis auf die Monotonie des mecklenburgischen Adels, der auch der großartigsten Natur eine steife Haltung verleihen würde, eine Prosa, „mit der die Götter selbst vergebens kämpfen“; denn die Menschen geben nun einmal in den irdischen Beziehungen den Ausschlag, und man muss sehr philosophisch gestimmt sein, will man sich über sie hinwegsetzen. Philosophen aber werden selten Bäder besuchen und mich ennuyierte nichts mehr, als die geraden nur in einer Richtung schauenden Laternenpfahl-Physiognomien der obotritischen Noblesse, die von nichts anderem spricht, als von sich selbst, nämlich der H***-Remplin *) erzahlt eine langweilige Geschichte von dem H***-Basedow und der H**-Basedow erzählt eine langweilige Geschichte von dem H***-Remplin, worin aber meistens ein Pferd, oder ein Jagdhund, oder ein Wettrennen das Hauptmoment ist. Die Frauenzimmer von gutem Adel sprechen in Mecklenburg überhaupt wenig, in Doberan aber gar nicht, man ist sicher, selbst auf eine Frage nur ein Naserümpfen als Antwort zu erhalten. Würde man dafür halten, sie dächten desto mehr, so bin ich der Meinung, dass diese Gedanken wenigstens nie das breite Blätterdach des Stammbaumes durchdringen.

*) Die Adeligen unterscheiden sich, um Verwechselungen, die durch die Gleichheit der Familiennamen herbeigeführt werden würden, zu vermeiden, nach ihren Gütern.

Wie gesagt, der mecklenburgische Adel ist auch in Doberan ein Stein des Anstoßes, obschon ihn der letztverstorbene Großherzog durch seine familiäre Haltung gegen alle Stände, die Doberan besuchten, in Manchem nachgiebiger machte; aber die andere Seite der gesellschaftlichen partie honteuse dieses Landes sind wieder die mecklenburgischen Advokaten; man befindet sich hier zwischen Stammbäumen und den Raupen, die an der Blätterkrone derselben nagen. Unter den verschlungenen Zweigen jener ist dichte Nacht, die selbst jetzt von keinem Sonnenstrahl des jungen Tages erhellt wird, und wenn diese die Blätter und die Früchte abfressen und dadurch Helle verbreiten, so ist der Anblick eines solchen Tages trauriger, als jene Nacht selbst. Wo die Advokaten und Justizkanzleien gegen das Mittelalter kämpfen, kommt die Aufklärung in der Tat aus dem Regen in die Traufe. Wenn man aber in Doberan an der table d’hôte von etwas Anderem reden hört, als von dem Adel und von den Prozessen dieses Adels, so kann man einen solchen Augenblick als ein Ereignis betrachten. Diese Unterhaltung ist übrigens nur langweilig; ich habe es erlebt, dass Mecklenburger Advokaten, um kurzweilig zu werden, sich sans gêne über die Art und Weise unterhielten, wie die mecklenburgische Themis einen Grafen Hahn bis auf sein Fideikommiss-Gut gebracht habe; denn „auf den Hund hätte man ihn eben dieses Fideikommiss-Gutes wegen nicht bringen können.“ Gibt es etwas Schändlicheres, als den Missbrauch des Rechts von den Vertretern dieses Rechts, so ist es gewiss nur die freche Stirn, mit der man darüber spricht. Noch einmal, Mecklenburg ist in Justizsachen das deutsche Ungarn.

Wenn der Kern der Badegesellschaft solcherweise aus vaterländischen Stoffen besteht, so wird man demungeachtet eine Menge Ausländer in diesem Bade treffen, das unter den Ostseebädern bis jetzt noch den ersten Rang behauptet, da es gewissermaßen in tiefer See liegt; denn der heilige Damm ist nur auf das inbrünstige Gebet der Doberaner Mönche von dem Meere, das einst über diese bunten Steine flutete, auf das Festland geworfen worden. Der Wellenschlag ist hier kräftiger, als z. B. in Travemünde, das im Binnenwasser liegt, und die Mode gibt in Badern, besonders in Seebädern, die die teuersten unter diesen Anstalten sind, am Ende den Ausschlag. Selbst das Bad Putbus auf Rügen, das von einer Natur unterstützt wird, die gleichsam wie ein Abschiedskuss deutscher Herrlichkeit zum Herzen spricht, hat der Mode nachgeben müssen. Hier konnte man nicht einmal von dem Mangel hoher See sprechen, denn Putbus liegt über eine Meile vom Festlande entfernt. Vorzüglich baden in Doberan Norddeutsche: Preußen, Hannoveraner — wenn sie nicht aus Patriotismus Norderney wählen, dessen Sanddünen übrigens nicht mit den Buchen und dem duftigen Grün, die Doberan einrahmen, wetteifern können, und vor allen Dingen nicht mit dem Fernblick auf Land und Meer. Auch ist die Nordsee ohne jene bunte Abwechslung, die die Ostsee an Mecklenburgs Küsten auszeichnet. Dort muss ein Sturm Variationen dichten auf die erhabene Monotonie des ewigen Wasserspiegels oder Heinrich Heine, steht man aber auf Dietrichshagen, einem jener Hügel, die in Mecklenburg Berge geheißen werden, so übersieht man landeinwärts Holsteins und Mecklenburgs üppige Triften, und seeeinwärts übersieht man die Inseln der Ostsee: Femern, Laland, Moen, Rügen und Bornholm selbst. Wenn behauptet wird, auch Seelands Küsten und die Türme von Kopenhagen könnten mit bewaffnetem Auge erspäht werden, so muss man doch dafür halten, dass solche Ansichten nur der Fata Morgana zuzuschreiben sind, einer Dichtung, die die Ostsee dann und wann so gut improvisier, wie die sizilische Meerenge. Bei heiterem, warmen und stillen Meer steigen aus den Gewässern Lufterscheinungen hervor, die sich zu seltsamen Bildern formen, zu Städten, Schiffen und Türmen. Wer hat nicht von dem fliegenden Holländer vernommen, dem gespenstigen Schiffe, das den wirklichen Schiffen Sturm und Untergang kündet. Vielleicht ist die Fata Morgana nur ein Spiegelreflex wirklicher Gegenstände, die aus den aus dem Meere aufsteigenden Dünsten widerstrahlen.

Doberan mit seinen weißen Häusern liegt in lieblichem Versteck stattlicher Buchen, die überhaupt die Ostsee auszeichnen, und grüner Hügel. Der Kamp, ein großer ländlicher Platz, enthält schattenreiche Anlagen und Laubgänge. Der Buchenberg und Jungfernberg, die aus dem Waldtale keck emporspringen, aber zeigen uns die nächsten Partien der Ostsee, vorübersegelnde Schiffe und die Badenden. Das 1805 erbaute Schauspielhaus lässt uns „uns selbst erkennen“; wenigstens lautet also die Inschrift, obwohl die Schauspielertruppe noch bis auf die neueste Zeit eine sehr mittelmäßige war und die Berliner Lokalposse den Wendepunkt der Selbsterkenntnis bildete. Jetzt ist die Doberaner Bühne eine Filiale des Hoftheaters zu Schwerin, das die Musen den Händen mecklenburgischer Kavaliere anvertraut hat und neuerdings der Leitung des außerehelichen Sohnes eines Prinzen. Diese Umgestaltung der dramatischen Kunst hat wenigstens denn äußeren Anstand und die Form festgestellt, denn der frühere mit einer Theater-Konzession für das ganze Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin begnadigte Direktor Krampe betrachtete nicht nur die dramatische Kunst, sondern auch die Bühne wie eine melkende Kuh. Allein der vorletzte Großherzog ließ gern jeden in seinem Rechte und den Theater-Direktor Krampe selbst in seinem Unrechte; die erste Reform dagegen, die der jetzt lebende Großherzog in seinem Lande vornahm, war die Errichtung eines Hoftheaters in Schwerin. Vielleicht wollte man des berühmten Mimen Schröders Geburtsort dadurch ehren.

Die alte gotische Kirche verdient schon des Lichtes wegen, welches sie in ihren Grabschriften über den mecklenburgischen National-Charakter verbreitet, besucht zu werden. Wenn der Tod als ein Siegel des Lebens betrachtet werden kann, so mag man aus den bereits angeführten Grabschriften die Zustände Mecklenburgs bis auf die neueste Zeit am besten erklären. Ein „mecklenburgischer Edelmann scheert sich nicht um den Teufel“, wie viel weniger wird er sich um das Jahrhundert „scheeren“, das da, wo es neue Ansichten verteidigt, meistens nur als eine Ausgeburt des Teufels betrachtet wird. Wenn man aber in der Doberaner Kirche, deren schwarze Mauern wunderbar mit den jungen glänzenden Häusern von Schönstadt *) kontrastieren, witzige Allegorien in Stein und Bildern trifft, die den Mönchen von Ameluxborn **) am wenigsten zusagen mochten, so schreibe man sie nicht der mecklenburgischen Aufklärung zu, sondern jenen Verbrüderungen, die bereits im vierzehnten Jahrhundert die Dämmerung der Reformation symbolisch durch die Kunst verkündeten. Hatte die bildende Kunst früher den Stein allzu sehr durchgeistigt, so brachte sie ihn jetzt wieder in Beziehungen zu Fleisch und Blut. In allen öffentlichen Gebäuden jener Zeit findet man die Scheinheiligkeit jener Zeit, die eine Folge der überreizten Heiligkeit war, verspottet. Die Steine erzählten, worüber der Mund keine Kunde geben durfte. So führt uns auch ein Holzschnitt in der Doberaner Kirche den Teufel vor, der einen Mönch mit einer Frau unter der Kutte anredet: Quid habes hic frater? Vade mecum. Ein anderes Bild stellt die vier Evangelisten dar, wie sie die heilige Schrift in die Mühle werfen. Die anderen Apostel mahlen Mehl daraus, das von Bischöfen in Kelchen aufgefangen wird.

*) Der deutsche Name für das wendische Doberan.
) Die Mönche von Ameluxborn gründeten das Kloster Doberan.

Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin.

Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin.

Vogel, Gottlieb Samuel Dr. med. (1750-1837) Professor der Medizin in Rostock, Badearzt in Doberan-Heiligendamm, gilt als Vater des deutschen Seebades

Vogel, Gottlieb Samuel Dr. med. (1750-1837) Professor der Medizin in Rostock, Badearzt in Doberan-Heiligendamm, gilt als Vater des deutschen Seebades

Cover adaptiert

Cover adaptiert

Der Kamp mit dem Herzoglichen Palais.

Der Kamp mit dem Herzoglichen Palais.

Das Stahlbad zu Doberan.

Das Stahlbad zu Doberan.

Der Heilige Damm und die Ostsee.

Der Heilige Damm und die Ostsee.

Der Kamp in Doberan.

Der Kamp in Doberan.

Die Kapelle in Althof.

Die Kapelle in Althof.

Das Salon- und das Badehaus in Heiligendamm.

Das Salon- und das Badehaus in Heiligendamm.

Der Neue Markt in Doberan.

Der Neue Markt in Doberan.

Die Großherzoglichen Logierhäuser in Heiligendamm.

Die Großherzoglichen Logierhäuser in Heiligendamm.

Das Sommerhaus der Alexandriene.

Das Sommerhaus der Alexandriene.

Die Kirche - Das Doberaner Münster.

Die Kirche - Das Doberaner Münster.

Das Großherzogliche Palais in Doberan.

Das Großherzogliche Palais in Doberan.

Der Kamp nach Osten.

Der Kamp nach Osten.

Das Innere der Kirche zu Doberan.

Das Innere der Kirche zu Doberan.

Blick auf den Buchenberg zu Doberan.

Blick auf den Buchenberg zu Doberan.