Klein-Russland

Da sind wir nun in Klein-Russland, sprichwörtlich bekannt durch den wohlklingendsten unter allen Dialekten der russischen Sprache von hoher musikalischer Wirkung in seinen Volksliedern, „deren fremdartig anmutende Poesie vornehmlich das Kasakenleben der Ukraine umspielt.“ Freilich sagt man, dass die in Südrussland am unteren Don wohnenden Kasaken in ihren schwermütigen ergreifenden Gesängen es den Kleinrussen noch zuvortun sollen. Immer aber ist es die Schmiegsamkeit der russischen Sprache, die den Hauptreiz dieser Lieder ausmacht, welche noch lange in meiner Erinnerung nachklingen werden. Herzen bezeichnet als den Grundcharakter der „reichen bildsamen klangvollen“ Sprache der Russen die Leichtigkeit, mit der man Alles in ihr ausdrücken könne, abstrakte Ideen wie lyrische Empfindungen: „Sie erschließt sich dem überströmenden Gefühl, der wehmütigen Klage, dem sprühenden Witz, dem Schrei des Unwillens und der stürmenden Leidenschaft“ und Puschkin sagt: „Sie lässt die Lebensgedanken nachfühlen, die in stillen Nächten leise auf- und abwandeln, wie Schaaren Mäuse“. „An die orientalische Sprache“ sagt Honegger, „erinnert sie durch die Fähigkeit in einem einzigen Wort ein ganzes Bild zu geben. Phonetisch sehr reich enthält sie fast alle in den westeuropäischen Sprachen vorhandenen Laute. Das Alphabet ist aus dem Slowenischen genommen und mit abendländischen Zeichen nur sehr schwer und unvollkommen wiederzugeben. Die mannigfachen Färbungen in der Aussprache gewisser Vokale und Konsonanten sind für den Fremden nahezu unüberwindlich.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Krim- und Kaukasus-Fahrt - Bilder aus Russland