Korrespondenz-Artikel aus Schwerin 1840

Autor: Redakteur: Prof. Kämmerer (?), Erscheinungsjahr: 1840
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Schwerin, Sittenbild, Teterow, Kulturgeschichte
Aus: Gelehrte und gemeinnützige Beiträge aus allen Teilen der Wissenschaften. Band 1. Nr. 5. Rostock 5. Februar 1840. S. 78 ff.

Wer aus der sächsischen Schweiz kommend, Berlin und die Mark Brandenburg hinter sich gelassen hat, um sich nach Mecklenburg zu wenden, der wird es kaum glaublich finden, dass sich ihm, wenn er den preußischen Staub von seinen Füßen geschüttelt, ein wahres Eldorado öffnen kann, ein Ländchen, das zwar nicht durch kolossale Felsmassen, Kaskaden oder Kuhställe pittoresk erscheint, oder den geringsten Anspruch an Romantik macht, das aber durch eine üppige Vegetation, durch vorzügliche Landstraßen, anmutige Hügel und noch anmutigere Seen einen durchaus günstigen Eindruck hervorbringt.
Der schönste Punkt in Mecklenburg ist unstreitig Teterow, ein nahe bei Güstrow, gelegenes Städtchen, welches sich durch seine wahrhaft paradiesische Umgegend, aber auch durch unzählige Eulenspiegeleien, die wohl oder übel den Bewohnern Teterows zur Last gelegt werden, auszeichnet. Es ist schon seit langen Jahren hergebracht, jede in Mecklenburg passierte Dummheit nach Teterow zu verlegen. Heine erzählt, dass die Berliner ihre Dummheiten für „ungeheure Ironie“ auszugeben pflegen; wir helfen uns dadurch, dass wir den Fremden erzählen: In Teterow soll einmal etc.; doch kann man mit ziemlicher Gewissheit annehmen, dass der fragliche Passus sich in einer der größeren Städte Mecklenburgs ereignet, vielleicht gar in unserer Residenzstadt Schwerin das Licht der Welt erblickt hat.

Es mag wenig Städte in Deutschland geben, bei denen das Anziehende und das Abstoßende so sehr auf der Hand liegt, wie in Schwerin. Die Extreme stehen sich hier noch schroff gegenüber. Adel- und Bürgerstand, Literatur und Zensur sind wie feindliche Mächte zu betrachten, deren widrige Stellung fürs Erste wohl keine Änderung erleiden dürfte.

Schwerin, beinahe rings von Seen umgeben, hat eine reizende Lage. Noch innerhalb der Stadt genießt man der schönsten Fernsichten, und dichterische Gemüter könnten dadurch leicht zu Ergüssen in gebundener Rede hingerissen werden. Solche Gemüter finden sich hier aber nicht. Schöne Fernsichten helfen dem Mecklenburger die Verdauung befördern, und ein prosaisches, in breitestet Mundart gesprochenes „Ungeheier scheun!“ hilft die letzte Spur einer etwaigen poetischen Anwandlung vertreiben. Von Sinn für Literatur, von raschem Eingehen in die Zeitfragen, vom Erfassen der Zeitinteressen ist hier wenig die Rede; sonst sind wir ehrenwerte Leute, denen nichts über einen ungestörten Genuss des Lebens geht, als höchstens — noch mehr Genuss! Seitdem die Residenz des Großherzoglichen Hauses von dem, wenig Annehmlichkeiten bietenden Ludwigslust nach Schwerin verlegt ist, hat ein reges, großstädtisches Leben das gemütliche, fast ländliche Treiben verdrängt, und unsere Lebensweise mit einer gewissen Noblesse überhaucht, die aber das Eigentümliche des mecklenburgischen Volkscharakters nur wenig zu verwischen vermochte.

Der Baulust des Großherzogs haben viele kleine Baracken weichen müssen, an deren Stelle Paläste entstanden sind, die jede Hauptstadt Deutschlands zieren würden. Recht gelegen brannte das alte Schauspielhaus ab, und der neue Tempel Thalias ist durch den Hofbaumeister Demmler mit so vielem Geschmack wieder aufgeführt, daß sich sämtliche neun Musen dieses Wohnsitzes nicht zu schämen brauchten.

Reich gallonierte Livréebedienten, glänzende Karossen, modische Herren und mit Putz überladene Damen, stark geschnürte Lieutenants und dergleichen, füllen die Straßen. Paraden und Hofbälle, Maskeraden und Theater führen einen ewigen Strudel von Zerstreuungen herbei, in dem die frühere einfache Lebensweise gänzlich untergegangen ist.

Der Hochmut hat sich der Bürger bemächtigt, dass sie es dem Adel in allen Stücken nachtun wollen. In den niedern Ständen ist längst eine Unsittlichkeit eingerissen, die mit der Größe der Stadt in keinem Verhältnis steht.

Wohl gibt es hier, wie an anderen Orten, Familienzirkel, in denen der feinste Takt, die liebenswürdigste Bonhommie herrscht; dass aber dieser Zirkel so sehr wenige sind, und dass sie sich so starr und streng vom öffentlichen Leben und Treiben in Schwerin absondern, ist wohl das schlimmste Wahrzeichen des herrschenden Geistes.

Eine andere Physiognomie hat Schwerin im Sommer, wenn der Großherzog mit dem Hofe in das bei Rostock gelegene Bad Doberan sich begeben hat, eine andere im Winter. Sobald der Hof sich entfernt hat, was übrigens erst spät im Julius geschieht, beginnt eine allgemeine Wanderung. Die höher gestellten Beamten benutzen den erhaltenen Urlaub zu einer Badereise nach Doberan, um sich von irgend einem Übel, am häufigsten von der Langeweile, zu befreien. Die Noblesse fährt eilends im Viergespann zum Tore hinaus; denn es wäre gegen allen guten Ton, wollte man nach der Abreise der hohen und höchsten Herrschaften sich noch länger als 24 Stunden in Schwerins „Mauern aufhalten. Wer auch nur 300 Thaler Einkünfte hat, würde sich für beschimpft halten, wenn er den Sommer hindurch nicht wenigstens vierzehn Tage in Boltenhagen zugebracht hätte.

Im Oktober beginnt unser sechsmonatlicher Winter, und mit ihm das Abonnement auf Theater und Subskriptionsbälle, und die Eröffnung der Assembleen, Thees dansans und wirklichen Bälle der verschiedenen geschlossenen Gesellschaften. Von beiden Geschlechtern wird dabei der Luxus sehr weit getrieben.

Schwerin - Am Pfaffenteich

Schwerin - Am Pfaffenteich

Schwerin - Stadtansicht - Schloss - Hoftheater

Schwerin - Stadtansicht - Schloss - Hoftheater

Schwerin - Totalansicht

Schwerin - Totalansicht

Teterow - vom Kurhaus gesehen

Teterow - vom Kurhaus gesehen

Teterow - Hechtbrunnen

Teterow - Hechtbrunnen