Jacob Grimm über die Schillerstiftung, Urheber- und Nutzungsrechte, Schutzfristen

Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schillerfeier, Literatur, Urheberrecht, Verlagsrecht, Schutzfristen, Gemeinfreiheit, Nutzungsrechte, Verlage
In der herrlichen Rede auf Schiller, mit welcher Jacob Grimm den Beitrag der Berliner Akademie der Wissenschaften zu der Nationalfeier des 10. Nov. 1859 leistete, finden wir folgende Bemerkungen über eine Anstalt, die wir mehrfach als des großen mit ihr verknüpften Namens nicht würdig und als zugleich an sich bedenklich bekämpft haben:

*******************************************
Man hat eine Schillerstiftung erdacht und schon durch ganz Deutschland verbreitet, der Gedanke ist matt und unbestimmt oder unbeholfen. Wozu auf diesen glänzenden Namen gegründet eine Armenanstalt für mittelmäßige Schriftsteller, für Dichterlinge, denen von aller Poesie abzuraten besser wäre, als sie noch aufzumuntern? Wohl Mühe haben sollen die Verwaltungsräte, öffentlich Rechnung ablegend zu rechtfertigen, wer ihrer Wohltaten nach Verdienst teilhaftig geworden sei. Aufkeimende wirkliche Talente sind deren meistenteils unbedürftig und jede reiche Begabung macht heutzutage, wie ihr Ruf wächst, sich selber Luft. Es wäre wünschenswert, dass aus Anlass der allgemeinen Feier, die wir begehen, diese ohne Zweifel wohlgemeinten Stiftungen sich besännen und umschlügen, so dass sie aus dem Ertrag der zugeflossenen Mittel, wie weit er reicht, lieber leibhafte Werke hervorgehen ließen. An mehr als Einem Platze, zu Marbach und anderswo, würden von Künstlers Hand geschaffene Bildsäulen Schillers aufzurichten sein und dann einem dauernden Freudenfeuer gleich leuchten im Lande; lasst uns den Kostenaufwand dafür und für die Salbe der Weihe nicht abgefordert werden zur Niederlage in den allverschlingenden, immer hungrigen Armenseckel! Wahrer Dürftigkeit beizuspringen an rechter Stelle und zu guter Stunde stehen immer fühlende Herzen bereit.

Je seltener es ist, desto erfreulicher, wenn ein Meister anderer Wissenschaft frei ist von den volkswirtschaftlichen Vorurteilen der Menge. Aber auch die sofort folgende Betrachtung Jacob Grimms verdient wohl, in diesem Blatte wiedergegeben zu werden:

„Noch ein anderes, größeres Denkmal unsern Dichtern zu errichten bleibt in Herausgabe ihrer Werke, wie bisher sie nicht einmal begonnen, geschweige denn vollbracht ist. Der uns heute vor hundert Jahren Geborene ruht nun schon über fünfzig im Schoß der Erde und seine Gedichte liegen immer nicht so vor Augen, dass wir ihre Folge und Ordnung, die Verschiedenartigkeit der Lesart überschauen, alle ihre Eigentümlichkeit aus sorgfältiger Erwägung ihres Sprachgebrauchs kennen lernen, dann der Textfeststellung in würdiger äußerer Gestalt uns erfreuen könnten. Für Schiller, es ist wahr, ist mehr geschehen als für Goethe, und dieser fällt auch viel schwerer. Die neulich erscheinende französische Übersetzung Schillers, geleitet und ausgeführt von Regnier, einen gründlichen Kenner nicht nur unserer heutigen Deutschen, sondern such der altdeutschen Sprache, geht in Manchem musterhaft voran. Goethe und Schiller haben ihre Gedichte vielfach umgearbeitet, oft weichen die Texte von einander ab wie kaum stärker bei mittelhochdeutschen Gedichten, und nicht überall wird man die neue Lesart der alten vorziehen, es ist aber notwendig und höchst belehrend, beide und alle Texte so viel es gibt zu kennen. Was die über kurz oder lang zu bewerkstelligenden kritischen, dann die noch eher entbehrlichen ganz zuletzt das Werk krönenden Prachtausgaben aufhält und hindert, ist die monopolische Berechtigung und Bevorzugung des dermaligen Verlegers, der schon mehrfache und zahlreiche Abdrücke der Schiller’schen Werke veranstaltet und abgesetzt, sich aber, soviel öffentlich bekannt, zur längst bevorstehenden Festfeier gering gerüstet hat. Der langjährige Bund beider Dichter mit einer bewährten, feststehenden, rührigen Buchhandlung ist ihnen sicher heilsam und erwünscht gewesen, hat aber im Verlauf der Zeit unserer Literatur eben keinen Vorteil gebracht. In diesem Augenblick regt sich der schmerzliche Gedanke mit aller Stärke. Wir lassen jeden von selbst tun, was er zu tun hat, doch Niemand kann uns auferlegen ein Befremden zurückzuhalten darüber, dass zur rechten Zeit, wo es vorzüglich wirken mochte und freigebige Austeilungen, gleichsam eine Schuld abtragende, an gehörige Orte hätten erfolgen sollen, es unterblieb. In hinterlassenen Werken großer Dichter fließt bei unaufhörlich steigender Teilnahme ihren Verlegern ein alles Maß überschreitender Gewinn zu, der sich aus dem ersten darüber abgeschlossenen Vertrage gar nicht mehr ableiten lässt. Kein Schriftsteller kann die künftigen Erfolge und Erträge seiner Werke im voraus überschauen, noch hat er, was von ihm eigentlich dem ganzen Publikum hingegeben wurde, auf immerhin ins Eigentum des ihm zur Hand gegangenen Buchhändlers gewiesen: das Eigentum der Welt ist das Höhere und größere Ansprüche fließen daraus her, als sogar die Erben und Nachkommen besitzen. Wenn billig und selbstverständlich scheint, dass bei Leibesleben ein Autor die Frucht neuer Ausgaben mit genieße, auch dass nach seinem Tode eine Zeitlang noch der erwachsende Vorteil zwischen Erben und Verleger geteilt und beiden gerne gegönnt werde; so hat doch die Gesetzgebung das Bedürfnis gefühlt, Fristen auszusetzen, nach deren Ablauf diese Schriften Gemeingut werden, fortan auch von mehreren Buchhändlern verlegt, von anderen Schriftstellern bearbeitet werden dürfen, genau wie bei weit zurückliegenden Schriften des Altertums geschehen mag. Dann wird aller Erfolg von dem Wert der aufgewandten Kritik und der Ausstattung der neuen Ausgaben abhängen. Das Gebrechen ist nun jetzt, dass jene gesetzlich anberaumten Fristen durch Sonderprivilegien und Erstreckungen derselben aufgeschoben, hingehalten, und vereitelt zu werden pflegen. Eingegangener Erkundigung zufolge wurde ein Privileg gegen den Nachdruck der Werke Schillers durch eine preußische Kabinettsorder vom 8. Febr. 1826 den Hinterbliebenen erteilt auf 25 Jahre. Ein Bundesbeschluss vom 23. Nov. 1838 dagegen bewilligte den Schiller’schen Erben ein Privilegium auf 20 Jahre. Beim Annahen des Zeitpunkts, wo diese Schutzfrist ablief, kamen die Erben um abermalige Verlängerung bis zu 1878 ein und im Winter 1854 legte die preußische Regierung ein über den Schutz der allgemeineren Gesetzgebung hinausgehendes Gesetz den Kammern vor, welches diese ablehnten. Darauf erschien am 6. Nov. 1856 ein Bundesbeschluss, wonach im allgemeinen der Schutz gegen Nachdruck zu Gunsten der Weck derjenigen Autoren, welche vor dem 9. Nov. 1827 (Datum eines anderen Bundesbeschlusses) verstorben sind, noch bis dahin 1867 in Kraft bleibt. Schillers Werke und Goethes ebenso werden danach, ohne gerade spezielles Privileg zu genießen, obschon sie es waren, die die allgemeine Maßregel hervorriefen, erst an diesem 10. Nov. 1867 Gemeingut und frei, selbst dann noch nicht in ganz Deutschland, da in Sachsen, dem Hauptsitz des Buchhandels, ein Gesetz von 1844 besteht, das den Werken der vor dem 1. Januar 1844 verstorbenen Schriftsteller noch 30 Jahren lang Schutz gegen Nachdruck zusichert, also bis 1874. So kann zu Ende 1867 ein bodenloser Zustand eintreten, wenn Sachsen als Nachdruck in Beschlag nehmen wird, was im ganzen übrigen Deutschland von Goethe, Schiller, Lessing usw. rechtmäßig gedruckt werden darf. Wir sehen, dass Schillers Werke beinahe sieben mal neun Jahre seit des Dichters Heimgang zu erklecklichstem Nutzen der beteiligten Erben wie der Verlagshandlung ausgebeutet sein werden, welcher in steigenden Progressionen zufällt, was der Dichter selbst nur in kleinem Maße empfing und was ihn der Lebenssorgen noch nicht überhob. Mit allgemeinem Unwillen ist neulich die durch Herrn v. Cotta erteilte ablehnende Antwort aus den Antrag eines für das Schillerfest zu schmückenden Abdrucks der keine 500 Verse starken Glocke gelesen worden, wonach diesem als strafbaren Nachdruck strengstens entgegen getreten werden solle, in einem Augenblick, da durch die Feier selbst und unmittelbar ein überreich erhöhter Absatz einzelner wie der Gesamtwerke herbeigeführt sein muss.

Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832) Dichter und Universalgelehrter

Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832) Dichter und Universalgelehrter

Schiller, Friedrich (1759-1805) Dichter, Philosoph und Historiker

Schiller, Friedrich (1759-1805) Dichter, Philosoph und Historiker

Cotta, Johann Friedrich Freiherr von Cottendorf (1764-1832) deutscher Verleger, Industriepionier und Politiker

Cotta, Johann Friedrich Freiherr von Cottendorf (1764-1832) deutscher Verleger, Industriepionier und Politiker