Indien
Autor: Ebbe Kornerup (1874-1957) dänischer Maler und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1921
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Indien, Bombay, Sprachen, Englisch, Hindu, Sanskrit, Hindi, Landesteile, Kolonie
Am Ganges
Es gleitet — es sickert — es zieht — es fließt — es schiebt sich, langsam, gelb und gleichmäßig, träg und ruhig den gleichen Weg, abwärts, all das, was auf einem indischen Fluss liegt und fließt — ein gelber Brei, schmutzig gelb mit grauen Streifen, in grünen, gelben, grauen Farben, so treibt es immer den gleichen Weg, den gleichen Weg.
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Es gleitet — es sickert — es zieht — es fließt — es schiebt sich, langsam, gelb und gleichmäßig, träg und ruhig den gleichen Weg, abwärts, all das, was auf einem indischen Fluss liegt und fließt — ein gelber Brei, schmutzig gelb mit grauen Streifen, in grünen, gelben, grauen Farben, so treibt es immer den gleichen Weg, den gleichen Weg.
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Inhaltsverzeichnis
- Am Ganges
- Bombay
- Im Bazar
- Kalkutta
- Die Katastrophe
- Willy Wood
- Great Eastern Hotel
- Das Hospital
- Zwei Freunde
- Der Alte
- Das geheime Indien
- Fatma
- Der Aufruhr
- Die Wüste
- Rupsundari
- Die Reisfelder
- Nasik City
- Ulsten Tod
- Prabaker
- Die alte Satara
- Wanderung
- Willy Woods Erlebnisse
- Das Telegramm
- Pipli
- Lady Hamilton
- Die Dschungel
- Khadia
- Ein Sohn
- Der gelbe Mann
- Schluss
An den Ufern Treppen über Treppen, und alle führen hoch hinauf zu uralten Tempeln, die wie graue Zahnstümpfe aus den Kiefern des Flusses zu beiden Seiten auf ragen. Alles ist grau, gelblich und staubig, aber auf den Stufen leuchten Farben, denn die Treppen sind alle dicht besetzt mit braunen, halbnackten Indern, und selbst der Fluss wimmelt von badenden Menschen. Auf den Treppenstufen liegen weiße Gewänder, safrangelbe Turbanbinden, kirschrote oder jadegrüne Kleidungsstücke, bunte Flecke über die graue Steinmasse zerstreut. Man konnte fast glauben, hier ginge ein Fest vor sich und nicht eine religiöse Handlung: das Bad der Hindus im heiligen Ganges.
Greise, mager, dass man ihre Rippen zahlen kann wie bei abgetriebenen Eseln, sitzen in Reihen auf den untersten Stufen am Wasser. Und an beiden Ufern das gleiche Bild: badende Hindus, Hindus, die sich entkleiden, Tausende von nackten Hindus.
Unterhalb eines ockergelben Tempels stand Khadia. Er hatte den Lendengürtel abgelegt und war in den Ganges hineingewatet, die heilige Schnur hing an seinem Halse und leuchtete weiß auf seiner braunen Haut, dann tauchte er dreimal im Fluss unter, dass das Wasser über seiner heiligen Haarlocke zusammenschlug, stieg hinauf und setzte sich wieder auf die Treppe.
Ein ganzes Jahr war es her, seit er Sita verloren hatte, seine kleine Frau, aber ihm war, als seien schon viele, viele Jahre seitdem vergangen. Nachdem sie damals verbrannt und begraben worden war, hatte er Bombay verlassen, war nach seinem Geburtsort gewandert und schließlich zu Fuß hierher gelangt, war immer nur gegangen und gegangen, war durch Wüste und Gebirge gewandert und schließlich hier am Ganges gelandet.
An den grünen Ufern des Ganges hatte er seinen Verlust von neuem gefühlt, hatte entbehrt, gelitten, aber auch Ruhe gefunden, er hatte mit Yogis und Brahminen gesprochen, hatte heilige Fakire ihre mystischen Künste ausüben sehen, die ihn hingerissen und stark ergriffen und ihm eine ganz neue Auffassung vom Dasein gegeben hatten — neu insofern, als diese Auffassung der Ansicht, die er sich in seinen Studienjahren in London gebildet hatte, diametral entgegengesetzt war. Er hatte seinen Kinderglauben wiedergefunden, nur verstärkt, fast einen neuen, tiefen Glauben. Es war, als habe er erst jetzt sein eigenes Land — Indien — verstehen gelernt, in all diesen weißhaarigen, mageren Männern, die hier überall herumsaßen und hungerten, entbehrten, Not litten, nur um an ein Leben in einer andern Welt zu denken.
Der Gedanke, verlöschend in ein Nirwana unterzutauchen, hatte ihn begeistert, als er seinerzeit niedergebrochen und betrübt an den Ganges gekommen war. Aber jetzt . . . jetzt war eine lange Zeit vergangen, eine sehr lange Zeit, und ein neuer Frühling sprosste an den Ufern des heiligen Stromes! Nun, da die Wasserlilien sich von neuem der Sonne entgegenstreckten, hatte Khadia wieder von seinen roten Blumen geträumt. War denn nicht Frühling in der Luft? War der kleinste Spross frühlingsgrünen Laubes nicht eine Unruhe, eine Angst in seinem Blut? Er sah die Fakire mit neuen Augen an und wurde argwöhnisch gegen die Priester. Er begann diesen und jenen zu kritisieren, begann Fehler an ihnen zu finden. Waren es nicht lauter alte, ausgetrocknete, verstockte Männer? Machten viele von ihnen nicht aus der Not eine Tugend? Vielleicht hatten sie alle damals, als sie selber Jung waren, so flott drauflosgelebt, dass ihnen jetzt das Hungern guttat, und war er, Khadia, nicht noch jung? Er fühlte die Säfte in seinem Blut garen, und die Sehnsucht nach andern Menschen erwachte als erste Ahnung einer neuen Lebensführung in Ihm. Ein leises Lächeln glitt wie Sonnenschein über seine geschwungenen Lippen, dann wickelte er seinen Turban um den Kopf, legte das Lendentuch um und stieg die Treppen hinauf.
Fortsetzung: Kapitel1. Am Ganges
Greise, mager, dass man ihre Rippen zahlen kann wie bei abgetriebenen Eseln, sitzen in Reihen auf den untersten Stufen am Wasser. Und an beiden Ufern das gleiche Bild: badende Hindus, Hindus, die sich entkleiden, Tausende von nackten Hindus.
Unterhalb eines ockergelben Tempels stand Khadia. Er hatte den Lendengürtel abgelegt und war in den Ganges hineingewatet, die heilige Schnur hing an seinem Halse und leuchtete weiß auf seiner braunen Haut, dann tauchte er dreimal im Fluss unter, dass das Wasser über seiner heiligen Haarlocke zusammenschlug, stieg hinauf und setzte sich wieder auf die Treppe.
Ein ganzes Jahr war es her, seit er Sita verloren hatte, seine kleine Frau, aber ihm war, als seien schon viele, viele Jahre seitdem vergangen. Nachdem sie damals verbrannt und begraben worden war, hatte er Bombay verlassen, war nach seinem Geburtsort gewandert und schließlich zu Fuß hierher gelangt, war immer nur gegangen und gegangen, war durch Wüste und Gebirge gewandert und schließlich hier am Ganges gelandet.
An den grünen Ufern des Ganges hatte er seinen Verlust von neuem gefühlt, hatte entbehrt, gelitten, aber auch Ruhe gefunden, er hatte mit Yogis und Brahminen gesprochen, hatte heilige Fakire ihre mystischen Künste ausüben sehen, die ihn hingerissen und stark ergriffen und ihm eine ganz neue Auffassung vom Dasein gegeben hatten — neu insofern, als diese Auffassung der Ansicht, die er sich in seinen Studienjahren in London gebildet hatte, diametral entgegengesetzt war. Er hatte seinen Kinderglauben wiedergefunden, nur verstärkt, fast einen neuen, tiefen Glauben. Es war, als habe er erst jetzt sein eigenes Land — Indien — verstehen gelernt, in all diesen weißhaarigen, mageren Männern, die hier überall herumsaßen und hungerten, entbehrten, Not litten, nur um an ein Leben in einer andern Welt zu denken.
Der Gedanke, verlöschend in ein Nirwana unterzutauchen, hatte ihn begeistert, als er seinerzeit niedergebrochen und betrübt an den Ganges gekommen war. Aber jetzt . . . jetzt war eine lange Zeit vergangen, eine sehr lange Zeit, und ein neuer Frühling sprosste an den Ufern des heiligen Stromes! Nun, da die Wasserlilien sich von neuem der Sonne entgegenstreckten, hatte Khadia wieder von seinen roten Blumen geträumt. War denn nicht Frühling in der Luft? War der kleinste Spross frühlingsgrünen Laubes nicht eine Unruhe, eine Angst in seinem Blut? Er sah die Fakire mit neuen Augen an und wurde argwöhnisch gegen die Priester. Er begann diesen und jenen zu kritisieren, begann Fehler an ihnen zu finden. Waren es nicht lauter alte, ausgetrocknete, verstockte Männer? Machten viele von ihnen nicht aus der Not eine Tugend? Vielleicht hatten sie alle damals, als sie selber Jung waren, so flott drauflosgelebt, dass ihnen jetzt das Hungern guttat, und war er, Khadia, nicht noch jung? Er fühlte die Säfte in seinem Blut garen, und die Sehnsucht nach andern Menschen erwachte als erste Ahnung einer neuen Lebensführung in Ihm. Ein leises Lächeln glitt wie Sonnenschein über seine geschwungenen Lippen, dann wickelte er seinen Turban um den Kopf, legte das Lendentuch um und stieg die Treppen hinauf.
Fortsetzung: Kapitel1. Am Ganges

Indien 01 Panorama von Bombay mit dem Hafen (vom Clock Tower aus)

Indien 000 Der Goldlotosteich (Schiwatempel zu Madura)

Indien 001 Nautchgirl

Indien 002 Nautchgirls fahren zum Tempel

Indien 003 Schiwa als Nateswera, der Herr der Tänzer (Trichinopoly)

Indien 004 Junge Tamilin

Indien 005 Mahadöh (Schiwa) und Dschaganmaki (Schiwatempel Trichinopoly)

Indien 006 Ganescha, der Gott des Weisheit und des Handels (Tempel der Annapurna zu Benares)

Indien 007 Wischnu als Krischna und seine Frauen Lakschmi und Saraswati (Tanjore)

Indien 008 Felsentempel zu Trichinopoly

Indien 009 Durga tötet den Dämon Mahischasura (Wischnu-Tempel zu Seringam bei Trichinopoly)