Homöo- und Allöopathie im Altertum

Aus: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Neue Folge. Band 4
Autor: Frauenstädt, Julius Dr. (1813-1879) philosophischer Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Heilkunde, Medizin, Hippokrates, Heraklit, Philosophie,
Hippokrates, der wissenschaftliche Begründer der Heilkunde, war als Anhänger der Philosophie des Heraklit mit völligem Bewusstsein schon ein Gegner — der Homöopathie. Wenn er nämlich den Grundsatz aufstellt, dass, solange die entgegengesetzten Elemente innig gemischt seien, Gesundheit bestehe, die Krankheit aber das überwiegende Hervorstechen des einen oder andern sei, so ist dies eine notwendige Konsequenz des heraklitischen Gedankens, nach welchem ja alles nur in der harmonischen Mischung der Gegensätze sein Bestehen hat. Wenn Hippokrates ein Umschlagen der Elemente ineinander annimmt, so ist dies nach Gedanken wie nach Ausdruck der Philosophie Heraklits, entlehnt.

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Nach Heraklit ist das Entgegengesetzte dem Entgegengesetzten das am meisten Liebe; denn jedes begehre ein solches, nicht aber ein mit sich Gleichartiges; denn das Trockene begehre das Feuchte, das Kalte das Warme, das Bittere das Süße, das Spitze das Stumpfe, das Leere die Erfüllung und das Volle die Entleerung, und alles andere ebenso nach demselben Gesetz.

Wer erkennt in dieser Philosophie des Gegensatzes nicht die erste philosophische Entwicklung und Begründung des Gedankens der Allöopathie? Sicherlich ist, wenn Hippokrates den nachher sprichwörtlich gewordenen Satz aufstellt: „Das Entgegengesetzte ist des Entgegensetzten Heilung“, die Vaterschaft, welche Heraklit hierzu beanspruchen kann, nach dem zuvor Gesagten unverkennbar.

Von Heraklit wird erzählt, er habe, als er die Wassersucht bekommen, die Ärzte gefragt, ob sie Überschwemmung in Dürre verwandeln könnten, und als sie das verneint, habe er erklärt, er werde sich „nach seiner Weisheit heilen, welche die Wege der Natur erkannt habe und wisse, wie Gott den Weltkörper heile und in diesem Überschwemmung in Dürre, Flüssiges in Trockenes, Kaltes in Warmes u. s. w. umwandele“, worauf
er sich mit Mist bedeckt und in die Sonne gelegt habe, um so das Wasser zu verdunsten.

Diese Märchen enthalten nach Ferdinand Lassalles „Darstellung der heraklitischen Philosophie“ (Berlin, Besser, 1858) zuvörderst eine geschichtliche Erinnerung an die Erkenntnis Heraklits, dass derselbe Verwandlungsprozess wie im Weltall, so auch im lebendigen Körper stattfinde. Diese Märchen bieten aber auch noch das Interesse und diese geistige Wahrheit dar, dass sie uns Heraklit als den ersten wahrhaft wissenschaftlichen Arzt erscheinen lassen und darstellen, d. h. als einen solchen, der auch die Heilkunst geradezu auf seine theoretische Erkenntnis dessen gegründet, was er als den Prozess alles Lebens und der Natur selbst erkannt hat. Hat auch Heraklit selbst keine Heilkunst getrieben, so wären doch jene Märchen ganz unmöglich gewesen, wenn er von seinem philosophischen Grundgedanken nicht auch Anwendungen und Ausführungen auf dem Gebiete der Lebens- und Krankheitserscheinungen gemacht und dabei nicht an die Ärzte seiner Zeit die Forderung gestellt hätte, auf die Erkenntnis des Naturprozesses die Heilung zu gründen, statt auf Aberglauben oder sinnlose Empirie.

Wenn Heraklit als Grundsatz der Heilung aufstellt, die Natur selbst nachzuahmen, so muss diesen Grundsatz, richtig verstanden, auch heute noch alle wissenschaftliche Arzneikunde anerkennen. In dem Streite Mischen Homöopathie und Allöopathie, zwischen Hahnemann und Heraklit, wird sich’s daher im letzten Grunde darum handeln, wessen Theorie richtiger die Natur nachahmt, ob der Grundsatz, dass Gleiches durch Gleiches, oder der, dass Entgegengesetztes durch Entgegengesetztes zu heilen sei.

Es ist ein vielberühmter Ausspruch des Hippokrates: „Ein philosophischer Arzt gleicht einem Gotte.“ Diesen Satz erläutert Lassalle durch die Worte Heraklits: „Ich aber, wenn ich weiß des Weltalls Natur, weiß auch die Menschen, weiß die, Krankheit, weiß die Gesundheit, ich werde mich selbst heilen, ich werde nachahmen den Gott, welcher des Weltalls Ungleichmäßigkeiten ausgleicht.“ Diese Worte Heraklits werfen ein Helles Licht auf jenen Spruch des Hippokrates. Der philosophische Arzt nämlich, d. h. der, welcher den Prozess der Natur und des Alls erkannt hat und ihn bei der Heilung nachahmend zur Grundlage macht, gleicht eben darum einem Gotte, weil er durch seine Einwirkung dieselbe Umwandlung in dem einzelnen Organismus hervorruft wie der Gott in dem großen Naturprozess des Weltalls und dasselbe Verwandlungsgesetz befolgt wie dieser. Hierauf bezieht sich auch die Erforschung des Göttlichen in der Krankheit, womit Hippokrates die Prognose zu beginnen lehrt. Dieses Göttliche ist der Naturprozess.
Wenn die Homöopathen dartun, dass die Natur den Grundsatz Hahnemanns statt den des Heraklit und Hippokrates befolgt, wird ihre Theorie keinen Dr. Simon in Hamburg, keinen Professor Bock in Leipzig zu fürchten haben.

Frauenstädt, Julius Dr. (1813-1879) philosophischer Schriftsteller

Frauenstädt, Julius Dr. (1813-1879) philosophischer Schriftsteller

Hippokrates von Kos (um 460-370 v.Chr.) griechischer Arzt

Hippokrates von Kos (um 460-370 v.Chr.) griechischer Arzt