Helgoland und seine Rettung

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Vizeadmiral a. D. A. Meurer, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Helgoland, Nordseeinsel, Nordseebad, Mündung von Elbe, Weser, Eider, Küste, Strand, Sturmflut, Abbruchschäden,
Die Insel Helgoland, eines der schönsten Nordseebäder, begeht in diesem Jahre die Feier ihres hundertjährigen Bestehens als Seebad. Viele Schicksale hat die Perle der Nordsee in diesen hundert Jahren erlebt, seit Jahrzehnten bedroht die Nordsee dieses Eiland, dessen Wände durch die Brandungswellen untergraben und ins Meer stürzen. Einst war „Helgelandt“ so groß Rügen, heute zeugen nur noch kleine Reste von seiner entschwundenen Größe, aber der Kampf um die Erhaltung der Insel wird mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geführt. Über ihn und die wechselreiche Geschichte dieser Insel berichtet der nachstehende Aufsatz aus berufener Feder.

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Helgoland, die Perle der Nordsee, in Gefahr! - so konnte man vor längerer Zeit in allen Blättern lesen. Was ist es damit, und was ist uns Deutschen Helgoland überhaupt? Diese Frage gilt es zu klären, ehe man zu einem Urteil über Wert oder Unwert aller Arbeiten zur Erhaltung der Insel gelangen kann.

In Urzeiten bildete dieses eigenartige und einzigartige, den Mündungen von Elbe, Weser und Eider vorgelagerte, von den gierigen Fluten der Nordsee umspülte Felseneiland wahrscheinlich ein Heiligtum altheidnischer Gottheiten. Darauf deutet wenigstens der Name. Damals war die Insel erheblich größer als jetzt. Die ältesten uns zugänglichen Nachrichten berichten, dass auf der heutigen kahlen, nur von einer Grasnarbe bedeckten Insel ein Hochwald stand. Von dort, von dem „Albalus“ der Alten, holten auf dem Seeweg die in der Bretagne lebenden Oestrymnier schon im siebenten vorchristlichen Jahrhundert das in den Mittelmeerländern als Schmuck hochgeschätzte Elektron, den Bernstein, und verschifften es nach Tartessos, dem ältesten westeuropäischen Stapelplatze an der Mündung des Guadalquivir in Spanien, für den Handel nach dem Osten, wie erst kürzlich ein deutscher Gelehrter (Professor Schulten-Erlangen) festgestellt hat.

Auch in späterer, geschichtlicher Zeit hat die unvergleichliche Lage Helgolands vor der Mündung der deutschen Ströme die Seefahrer angezogen. Dort wurde Wasser und Proviant genommen, bei schwerem Sturme, der in der grimmen Nordsee nur zu oft Schiff und Mannschaft gefährdet, Schutz hinter der südöstlich vorgelagerten Düne gesucht und besseres Wetter abgewartet. Daher war die Insel stets ein begehrtes Beutestück für die Mächte, die um die Herrschaft in der Nordsee stritten. Ihre vorzügliche Lage gab dem Besitzer ganz von selbst die Kontrolle über den Handel der großen Hansestädte an Weser und Elbe. So war in früher Zeit Helgoland im Besitze der Herzoge von Schleswig Holstein, 1714 kam es an die Dänen, in den napoleonischen Kriegen stützten sich die englischen Blockadegeschwader vor Elbe und Weser auf Helgoland, und seit 1807 wehte dort die englische Flagge, nachdem man in London die außerordentliche strategische Wichtigkeit dieser Stelle erkannt und Dänemark nach dem Überfall auf Kopenhagen zur Abtretung gezwungen hatte. Solange diese Zwingburg dicht vor der deutschen Nordseeküste in fremden Händen blieb, war Deutschlands nach 1870 heranwachsende Seemacht zu einem Schattendasein verurteilt, obwohl seit 1895 der Kaiser-Wilhelm-Kanal zur Verbindung von Ost- und Nordsee geplant und in Bau war. Denn diese wichtigste strategische Linie führte dicht an Helgoland vorbei. Daher bildete die 1890 auf friedlichem Wege erreichte Abtretung von Helgoland eine Vorbedingung zum Aufbau einer großen deutschen Flotte. Starkbefestigt, von mächtigen Geschütztürmen gekrönt, hat diese Insel im Weltkriege strategisch eine wichtige und meist verkannte Rolle gespielt. Sie war das Rückgrat für die Verteidigung der gesamten deutschen Nordseeküste gegen jeden feindlichen Angriff von See her. Ohne einen Schuss zu feuern! Denn kein englisches Schiff hat ich jemals in Helgolands gefahrdrohende Nähe gewagt; so hat es durch sein bloßes Vorhandensein die deutschen Nordseehäfen vor jeder engen Blockade bewahrt und gleichzeitig den für die Seekriegführung unentbehrlichen freien Seeweg von der Jade nach der Elbe dauernd gesichert. Aber an diesem Felsen mitten im Meer nagen unerbittlich die Naturgewalten. Seit Menschengedenken bröckelt der Fels des Oberlandes ab und wird immer schmaler. Einst hingen Ober- und Unterland fest mit der heute vorgelagerten Düne zusammen. Eine Sturmflut im Jahre 1721 fegte den natürlichen Wall hinweg. Statt die Lücke gleich wieder zu füllen, ließ man den Naturgewalten freien Lauf, bis es zu spät war. So ist das Oberland schließlich bis auf einen schmalen Felsen zusammengeschmolzen, der kaum ein halben Quadratkilometer Fläche aufweist und, in der Gestalt eines langgestreckten Dreiecks mit der Spitze nach Nordwesten gerichtet, über sechzig Meter hoch aus den Fluten des Meeres und über dem schmalen, an der Südseite vorgelagerten Unterlande emporsteigt. Von Jahr zu Jahr stürzen Felsmassen ab, selten aber in solchem Maße wie im vorigen Frühjahr, wo an fünf Tagen zusammen nicht weniger als fünfzehntausend Kubikmeter Gestein vom Nordrande abstürzten und die gerade dort befindlichen Häuser und Gärten auf dem Oberland stark gefährdeten. Jedermann sagt sich, dass es so nicht weitergehen dürfe. Aber guter Rat ist teuer - teuer in jeder Beziehung. Dabei ist man sich allen Erfahrungen und Forschungen zum Trotz keineswegs ganz klar weder über die eigentlichen Ursachen des Verfalls noch über die besten Mittel zur Abwehr - auf jeden Fall werden die Kosten sehr beträchtlich sein.

Die beigegebenen Abbildungen zeigen deutlich die eigenartige geologische “jag! des Felsens. Schichten von weichem und bröckeligem Tonmergel liegen schräg gerichtet zwischen solchen festen Kalksandsteins. Die ersteren unterliegen in hohem Maße den Einflüssen des feuchten Nordseewetters. Durchsickerndes Regenwasser, Frost und darauffolgendes Tauwetterlokkern das lose Gefüge des Mergels immer mehr; die gegen die Felswand anstürmenden Sturmfluten wirken in derselben Richtung. Setzt sich aber in den schrägen Schichten der Tonmergel erst einmal in gleitende Bewegung, so muss der festere Kalkstein, seiner Stütze beraubt, folgen, und ein Bergsturz wird unvermeidlich. Auch die Sprengungen, die auf Befehl der Entente in Ausführung des Versailler Diktats zur Schleifung der Befestigungen erfolgten, werden für die Auflockerung des Gefüges im Fels mit verantwortlich gemacht. Doch scheint diese Erklärung wenig glaubhaft, da die mindestens ebenso schweren Erschütterungen durch die Schießübungen der schweren Geschütze in früheren Jahren niemals ähnliche Folgen gehabt haben.

Was können menschliche Kraft und Kunst tun, nicht nur um weiteres Unheil an dem im vorigen Jahre zum ersten Male stark gefährdeten Nordrande des Felsens zu verhüten, sondern um womöglich die ganze Insel gegen weiteren Verfall zu sichern. Denn darauf kommt es vor allem an, nicht auf örtliche Schutzmaßnahmen. Schonlange vor dem Kriege war der Bau einer Schutzmauer am Fuße der von den Winterstürmen besonders bedrohten Westseite der Insel in Angriff genommen worden. Diese dicke Betonmauer hat dort, wo sie fertig war, bereits gute Dienste geleistet. Um das Oberland wirklich und dauernd zu schützen, muss sie weitergeführt werden und schließlich den Fels ganz umschließen. Dazu tritt die dringend gebotene Auffüllung der schmalen Rinne zwischen Insel und Düne, in der Flut und Ebbe besonders stark strömen und dadurch den Fuß der Insel gerade an der jetzt bedrohten Stelle immer mehr auswaschen.

Andere Pläne gehen noch viel weiter. Man will nicht nur die Insel erhalten, wie sie nach jahrelanger Verringerung durch Wetter und Flut heute noch ist, sondern sie möglichst wiederherstellen, wie sie einstens war. In der Tat steht die ganze Insel auf einem breiten, flachen, für die Schifffahrt höchst gefährlichen Felsmassiv, das deutlich ihre frühere Größe anzeigt und das von Felstrümmern bedeckt ist, die nur wenig unter der Meeresoberfläche liegen. Schüttet man seinen Rand auf und schützt diesen gegen die Sturmfluten, so würde dies allerdings der beste Dauerschutz der heutigen Insel gegen die Gefahren des Meeres sein. Die Kosten freilich würden ins Ungemessene wachsen. Auch der Bau der Schutzmauern um den Fuß des Oberlandes herum wird schon Millionen verschlingen, denn jedes Meter dieser Mauer, die über Fluthöhe emporragt und bestimmt ist, durch die von oben abstürzenden Felsstücke eine schräge Geröllwand am senkrechten Felsabhang zu bilden, kostet heute viertausend Mark.

Aber diese Summen müssen und werden aufgebracht werden, denn der Schutz Helgolands gegen weiteren Verfall ist eine nationale Aufgabe, der sich weder das deutsche Volk noch die hierfür zuständige preußische Staatsregierung entziehen können. Dieses Felseneiland ist ein Kleinod deutschen Bodens, eine unschätzbare Perle und etwas Einzigartiges zugleich. Wo gibt es sonst Ähnliches auf Erden? Ein steiler Fels in nächster Nähe einer der größten Weltverkehrsstraßen gelegen, in wenigen Stunden von der Küste aus zu erreichen, einsam aus der blauen Meeresflut emporragend, vom nervenstärkenden Salzhauche des Ozeans umweht, dazu, ihm unmittelbar vorgelagert, eine flache Düne mit herrlichem Badestrand und allen Bequemlichkeiten und mancherlei Heilkräften eines modernen Seebades. Schroffe Felsen im Meere pflegen sonst unwirtlich und unbewohnbar zu sein, Brutplätze der Vogelwelt und höchstens Standorte einsamer Leuchttürme. Hier kann der Gesunde sich täglich an einem herrlichen Anblick erfreuen und im Angesicht des ewigen Meeres den Zwang des Alltags vergessen, der Kranke Heilung und Kräftigung finden; für alle aber ist die Insel, die in diesem Jahr ihr hundertjähriges Jubiläum als Seebad feiert, ein Gesundbrunnen des Leibes und der Seele. Dieser „Luginsmeer“, umbrandet von den Wogen der Nordsee, die man in England sehr bezeichnend den ,,Deutschen Ozean“ nennt, ist ein köstliches Stück deutschen Bodens und deutscher Landschaft - nimmermehr darf er uns verlorengehen, solange es noch Mittel gibt, ihn uns zu erhalten!


Die Absturzstelle, von oben gesehen, vor den letzten Abbrüchen. Hofphot. F. Schensky, Helgoland
Das meerumspülte Helgoland: Eine Absturzstelle Hofphot. F. Schensky,
Die oben abgebildete Absturzstelle einige Monate später. Das kleine Häuschen rechts und der Zaun links sind mit dem umgebenden Land in die Tiefe gestürzt, und der Abbruch hat sich dem Fischerhaus bedenklich genähert Hofphot. F. Schensky, Helgoland

Helgoland, Karte

Helgoland, Karte

Helgoland, Die Absturzstelle von oben gesehen vor den letzten Abbrüchen 1925

Helgoland, Die Absturzstelle von oben gesehen vor den letzten Abbrüchen 1925

Helgoland, Die Absturzatelle (1) einige Monate später, Das kleine Häüschen rechts und der Zaun links sind mit dem umgebenden Land in die Tiefe gestürzt, und der Abbruch hat sich dem Fischerhaus bedenklich genähert

Helgoland, Die Absturzatelle (1) einige Monate später, Das kleine Häüschen rechts und der Zaun links sind mit dem umgebenden Land in die Tiefe gestürzt, und der Abbruch hat sich dem Fischerhaus bedenklich genähert

Liebesträume an der Nordsee

Liebesträume an der Nordsee

Strandheime

Strandheime

Gemeinsames Bad in der Nordsee

Gemeinsames Bad in der Nordsee