Helene, Herzogin von Orleans

Aus: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Neue Folge. Band 4
Autor: Bölte, Amely (1811-1891) Mecklenburger Schriftstellerin, Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Ludwigslust, Helene Prinzessin von Mecklenburg, Frankreich
Von Frau von Harcourt ist uns das Lebensbild einer Fürstin entworfen, deren Seelenschönheit und Adel der Gesinnung sie zu einer Zierde ihres Geschlechts erheben, auch wenn keine Krone sie geschmückt, auch wenn ihr nicht einer der bedeutendsten Throne Europas bestimmt gewesen.
Dürfen wir der Erziehung auch nur bedingte Resultate zuschreiben; kann sie den Menschen nur bilden und ihm nicht neue, in seinem Charakter nicht liegende Eigenschaften verleihen; so ist es doch wiederum durch das sorgfältige Pflegen und Überwachen einer jungen Seele möglich, die von der Natur gelegten Keime zu entwickeln und zur schönsten Blüte zu entfalten.

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Eine solche Pflege wurde der Prinzessin Helene zu Teil.

Schon im zartesten Lebensalter der eigenen Mutter beraubt, hatte diese auf dem Sterbebette nur den einen Wunsch, dass ihre Cousine, die Prinzessin von Homburg, die Hüterin ihres verwaisten Töchterchens werden möchte, und der Prinz, ihr Gemahl, erfüllte ihr diesen Wunsch, sie zu ihrer Nachfolgerin zu wählen. Nie wurde der Pflicht ein schöneres Opfer gebracht und nie fand sie schöneren Lohn.

Die Prinzessin Auguste von Homburg war weder jung noch schön; aber vielseitig gebildet, voll Lebensernst, voll Bewusstsein der übernommenen Pflichten und voll guten Willens, ihnen auch zu genügen. Selten nur ist es Fürstinnen erlaubt, im ganzen Sinne des Wortes ihren Kindern Mutter zu sein; diese Prinzessin aber wurde ihren Stiefkindern eine Mutter.

Der Erbgroßherzog, ihr Gemahl, wurde ihr bald nach ihrer Verheiratung durch den Tod entrissen. Eigene Kinder besaß sie nicht. Die Welt und ihre Freuden achtete sie wenig. Sie zog sich in die Einsamkeit zurück und lebte ganz der Erziehung der kleinen Helene, die, zart und schwächlich, der größten Sorgfalt bedurfte und, wie eine Blume nur im Sonnenstrahl, so nur in der Wärme zärtlicher Liebe zu gedeihen vermochte.
Die Apanage einer verwitweten Erbgroßherzogin von Mecklenburg-Schwerin ist unbedeutend; eine Prinzessin von Homburg besitzt keine Schätze; so war denn der Haushalt der fürstlichen Witwe auf dem Fuße einfachen Privatlebens eingerichtet.
Ludwigslust, die Sommerresidenz der Herzöge, wurde ihr Witwensitz. Ich sehe sie noch vor mir, die einfache, aus roten Ziegelsteinen aufgeführte Wohnung, in der die vortreffliche Frau mit ihrem kleinen Töchterchen waltete, geachtet und verehrt von allen, die ihr nahten. Arbeit und Wohltun füllten ihr Leben aus. Feste gab sie nicht und besuchte sie nicht. Die Lehrer, deren sie zur Ausbildung Helenens bedurfte, bildeten fast allein ihren Umgang.

In diesem Stillleben wuchs die Prinzessin auf, ohne andere Freuden als die, welche ihr ein Spaziergang oder eine Blume gewährten. Im heißen Sommer ging sie nach Doberan, um das Seebad zu gebrauchen; das war ein Wechsel; doch veränderte sich dadurch ihre Lebensweise nicht.

Von Helenens Kenntnissen und seltenen Talenten hörte man häufig reden, ihre Lehrer konnten ihre Lernbegierde nie genug preisen, ihre Freundlichkeit, ihre Herzensgüte kannte jedermann; sie blühte, wie ein Veilchen, recht im Verborgenen fort.

Da kam die Stunde, wo sie in die Welt hinaustreten sollte; diese Welt war das glänzende Paris. Sie, die Protestantin, sollte sich einem katholischen Prinzen vermählen, sollte Frankreichs künftige Königin werden. Dies scheinbar so glänzende Los war ihr durch eine seltsame Fügung von Umständen vom Schicksale beschieden und gern und freudig folgte sie dem an sie ergangenen Rufe.

Das schmuckste Maigrün schmückte die Flur, als sie im Jahre 1837, an der Seite ihrer Mutter, in einer einfachen Kutsche, ohne Gefolge, der französischen Grenze zufuhr.
„Eine Prinzessin von Mecklenburg?“ fragte man sich in Frankreich. „Mecklenburg?“ Wo mochte dies Land zu finden sein? Deutschland kannte man wohl; denn nur der Rhein trennte es von Frankreich; aber Mecklenburg? Es musste im höchsten Norden liegen, da Frankreich nie davon gehört, da es nie einen Gesandten dort gehabt, noch nie einen Gesandten von dort empfangen.

Erwartungsvoll sah man darum der Ankunft der Prinzessin entgegen, erwartungsvoll im schlimmsten Sinne. Denn man hoffte spötteln, tadeln zu können, man wollte seinen Witz an der nordischen Prinzessin üben und die für Paris tödlichste Waffe des „ridicule“ gegen sie führen.

Aber wie sehr fand sich diese Bosheit enttäuscht! Der einfachen Kutsche entstieg eine schlanke Mädchengestalt, welche mit Anmut und Würde die Abgesandten begrüßte und ihnen im reinsten Französisch, in den angemessensten Worten, für ihre Aufmerksamkeit dankte.

Schon fing das Vorurteil zu schwinden an, und nicht lange, so hatte sie aller Herzen gewonnen.

Ihre Mutter, die Erbgroßherzogin, begleitete sie und stellte sie selbst der Königin Amelie vor, um sie ihr an das Herz zu legen. Wie schwer wurde es ihr, sich von der ihr so teuren Tochter zu trennen, der ihre ganze Liebe gehörte, die ihre Sorge um sie so schön gelohnt.
Helene gehörte jetzt einer neuen Familie an, sie war in einen neuen Kreis gezogen, der von ihr die Erfüllung ihr bis jetzt fremder Pflichten forderte. So schwer diese Aufgabe, sie löste sie glücklich. An der Seite eines Gatten, den sie innig liebte, flossen ihr Jahre ungetrübten Glücks dahin. Als sie nun noch ein Kind in ihren Armen wiegte, einen Sohn, den künftigen Beherrscher Frankreichs, des Landes ihrer Wahl, und die große Aufgabe zu begreifen begann, welche die Vorsehung so in ihre Hand gelegt, da glaubte sie, es sei des Glücks zu viel für sie, und erhob die Hände in warmem Dankgebet zu dem Höchsten für alle ihr erzeigte Wohltat.

„Wie gnädig ist Gott!“ schrieb sie damals an ihre Mutter nach Mecklenburg. „Ihr Kind ist jetzt die glücklichste der Mütter und fast ist mein Herz zu schwach, um all die Wonne, zu fassen. Eine neue Welt breitet sich vor mir aus: ein Kind zu lieben, die Hoffnungen eines ganzen Volkes durch die Zukunft dieses Kindes zu verwirklichen.“

Durch ihren Gemahl und ihr Kind gehörte sie jetzt mit Herz und Sinn ihrem neuen Vaterlande an, dessen Wohl und Wehe sie ganz erfüllte. In der Familie Ludwig Philipps herrschte ein schönes Einverständnis; kein eifersüchtiger Blick von Seiten des Vaters folgte dem Thronfolger bei seiner wachsenden Popularität, in den Zimmern der Königin Amelie hatten die Töchter und Schwiegertöchter jede ihren Arbeitstisch, an dem sie getrennt und doch beisammen während der Morgenstunden arbeiteten. Selten ward der Welt von so erlauchter Stelle aus ein schöneres Bild des Familienlebens geboten.
Die Herzogin von Orleans war dafür wir keine andere Fürstin erzogen, wie wenige empfand sie daher das Glück dieses stillen Beisammenlebens und fühlte darin alle Bedürfnisse ihres Herzens befriedigt, während der Glanz ihres Lebens ihr nur als eine fast lästige Pflicht erschien, deren Gebot sie erfüllte, weil sie musste, nicht weil es ihr Vergnügen oder ihrem Stolze Befriedigung gewährte. Ihre Demut im Glück verleugnete sich nie, so wenig wie später ihr Mut, als des Schicksals schwere Hand sie traf.

Aus heiterem Himmel sollte der Blitzstrahl sie treffen. Sieben Jahre ungetrübten Glücks waren dahingeflossen, als ein Zufall das Leben des Herzogs von Orleans endete. Er hatte sie nach den Bädern von Plombières begleitet, welche sie auf den Rat des Arztes gebrauchen sollte. „Glücklicherweise wird unsere Trennung nicht lange dauern“, sagte die Herzogin bewegt beim Abschiede, „aber der Anfang ist immer am schlimmsten zu ertragen.“

Sie hatte den Gemahl zum letzten male gesehen, und das Gewand der Trauer, das sie um ihn anlegte, verließ sie bis an ihr Ende nicht mehr.

„Nein, nein! Ich kann ohne ihn nicht leben", rief sie nach jener Katastrophe aus, und vergaß in der Heftigkeit des ersten Schmerzes, dass die Pflicht sie noch an die Erde band, dass ihre Kinder der Mutter bedurften.

Als sie damals Ludwig Philipp entgegentrat, rief er schmerzgebeugt: „O, meine liebe Helene, das allerherbste Missgeschick hat mein altes Haupt getroffen!“
Die Königin aber fügte mit ehrfurchtgebietender Stimme hinzu: „Teure Tochter! Lebe für uns, lebe für deine Kinder!“
Mühsam errang sich die Herzogin den Mut, diese Aufgabe zu lösen; mühsam gewann sie die Kraft wieder, an den Vorgängen der Welt teilzunehmen und den Nachklängen ihres Schmerzes zu entsagen.

„Der Entschluss, von Zeit zu Zeit wieder im Salon zu erscheinen“, schreibt sie, „hat mich viel Kampf gekostet. Gestern konnte ich bei den Beileidsbezeugungen eines Generals meine Tränen nicht zurückhalten; das begegnet mir nur zu oft!“

„Ich habe die Minister und die Beamten der Pariser Verwaltung empfangen wollen; es war abends, die Räume, in denen er geglänzt hatte, waren wieder aufs neue belebt, waren, wie sonst, erleuchtet und hatten das Ansehen eines Festes, aber welch eines Festes!“

Die Zeit linderte ihr Wehe; aber sie nahm es ihr nicht. Sie widmete sich ganz der Erziehung ihrer Söhne. Der Graf von Paris wie der Herzog von Chartres waren schöne, begabte Kinder, deren Entwickelung zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Leider aber sollte auch dir Zukunft dieser Kinder bald in Frage gestellt werden, und das Herz der Mutter mit Bangen erfüllen.

Aufmerksam war sie den Debatten der Session von 1847 in der damaligen Deputiertenkammer gefolgt. „Es stehen“, schrieb sie 1847, „so peinliche Dinge auf der Tagesordnung, dass ich nur mit Scheu die Journale in die Hand nehme. In der tiefsten Seele bin ich betrübt über die allgemeine Missstimmung, welche sich der Geister bemächtigt hat. Es ging zu gut, man ist schlaff geworden und hat die Zügel fahren lassen.“

Mit ahnendem Geiste erriet sie, an welchem Abgrunde Ludwig Philipp stand, und bat dringend, der Gefahr zuvorzukommen; aber ihre warnende Stimme fand kein Gehör. Die Regierung fühlte sich wie immer am Tage vor ihrem Sturz am sichersten und beschwor dadurch, statt sich nachgiebig zu zeigen, zum Teil selbst den Sturm herauf.

Die Aufregung in Paris stieg. Die Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag des 24. Februar 1848 war für die Prinzessin eine Nacht der Angst; die Mutlosigkeit hatte sich des Königs und seiner ganzen Umgebung bemächtigt. „Wir halten nicht einmal die Kraft mehr zum Leben“, schreibt sie darüber, als die Ministerkrisis plötzlich die Form einer Revolution annahm. Und die Folge dieser Revolution war die Abdankung Ludwig Philipps.

„Ich bin immer ein friedliebender König gewesen“, sprach er, und trat in sein Kabinett, um die Akte zu diktieren. Weinend warf sich die Herzogin von Orleans in die Arme der Königin, als ihre vereinten Bitten diesen Entschluss nicht wankend machen konnten. Was sollte ihrem unmündigen Sohne eine Krone, welche das Haupt des erfahrenen Mannes zu drücken begann?

Indessen wuchs der Tumult, der König entfloh und die Herzogin von Orleans wurde aufgefordert, die Regentschaft zu übernehmen.

„Das ist unmöglich!“ antwortete sie. „Niemand ist darauf vorbereitet, mich als Regentin zu sehen, am wenigsten aber ich selbst.“

Flintenschüsse unterbrechen sie, die Tuilerien werden gestürmt; sie kann fliehen, oder, mit Gefahr ihres Lebens, ihren, Sohne die Krone zu erhalten versuchen. Und sie wankte nicht einen Augenblick. Sie nimmt ihre beiden Kinder an die Hand und geht mutig ihrem Schicksal entgegen. Mit Gefahr ihres Lebens erreicht sie die Deputiertenkammer, und versucht hier das Wort zu nehmen. Vergebliches Bemühen! Eine wilde Rotte dringt herein und alles flüchtet sich. Man drängt sie, den Präsidentschaftssaal zu gewinnen; sie begibt sich dahin; aber auch hier ist sie nicht sicher. Man rät ihr, nach dem Hotel der Invaliden zu eilen. Hier finden sich nur wenige alte Soldaten, der Marschall Molitor stellt ihr vor, dass ihres Sohnes Leben an diesem Orte gefährdet sei; der Herzog von Remours ist ihr gefolgt und sinnt auf die Möglichkeit der Verteidigung; von allen Seiten laufen ungünstige Nachrichten ein.

„Ist jemand hier, der mir zu bleiben rät?“ fragt die Herzogin. „Ich gebe mehr auf das Leben meines Sohnes als auf seine Krone; aber wenn sein Leben für Frankreich notwendig ist, muss ein König, selbst ein König von neun Jahren, für seine Krone zu sterben wissen!“

Erst als alle Hoffnungen verloren waren, entschließt sie sich zur Flucht, und erreicht, begleitet von Herrn Mornay, die Grenze, welche sie, unter Tränen, überschreitet.

Damit waren die Würfel gefallen; Frankreich ihr verloren. Ohne Kleider, ohne Geld erreichte sie den deutschen Boden, eine Flüchtige, eine Heimatslose. Von ihren nächsten Verwandten war ihr das Schloss Eisenach zur Verfügung gestellt und dahin begab sie sich unverzüglich. In der ländlichen Stille dieses Aufenthalts suchte sie sich von dem Erlebten, wenn es möglich war, zu sammeln und zu erheben.

„Wozu das Klagen?“ schrieb sie am 20. Mai 1.848. „Wir sind in einem friedlichen Tale, in dem die überall tobende Anarchie ihre Stimme noch nicht erhoben. Ich danke Gott, dass er uns dies Asyl gegeben hat; aber doch kommen Augenblicke, wo mir die Trennung von allen meinen Lieben, von jener Familie, die ich so zärtlich liebe, von meiner verehrten Mutter schwer auf das Herz füllt, wo Angst vor der Zukunft, Rückerinnerungen an die Vergangenheit mich sehr verstimmen, und mich fast verkennen lassen, wie viel Gott mir immer noch beschieden hat.“

Im Sommer 1849 stattete sie ihrer Familie in England einen Besuch ab, und dies Wiedersehen wirkte beruhigend auf ihre Stimmung. Sie lernte sich in das Unvermeidliche fügen, lernte es ertragen, ihre Söhne für eine ungewisse Zukunft zu erziehen. Diese Aufgabe mochte ihr allerdings eine so schwierige wie traurige sein. Welches Ziel sollte sie dem Grafen von Paris für seine Bestrebungen stecken, ohne ihm auf irgendeine Weise eine verfehlte Existenz zu bereiten?

Sie lehrte ihm, gottergeben sein und gottergeben zu harren auf des Schicksals Wink. So zog sie ihn auf, die Freude und der Stolz ihres Lebens. „Ich empfinde ein unbeschreibliches Glück“, schreibt sie, „wenn ich sehe, wie herrlich sich meine Söhne entwickeln, wie sie sich im Guten befestigen, in ihrer jungen Seele eine brüderliche, ich möchte sagen väterliche Neigung für mich äußern; sie sorgen für ihre Mutter, als wäre sie einzig ihrem Schutze anvertraut, und ich kann nicht leugnen, dass meine Gesundheit sehr dadurch befestigt wird.“

Der Graf von Paris hatte sein zwanzigstes Jahr zurückgelegt. Beide Söhne sollten nun eine Reise durch Europa antreten. Es war dies die erste Trennung von ihrer Mutter. Mit Wehmut sah die Herzogin diesem Augenblicke entgegen, wo sie der ihr so wohltuenden Fürsorge ihrer Kinder entbehren sollte. Da schloss ein sanfter Tod ihr Auge, gleichsam als wollte das Schicksal ihr diese letzte Prüfung ersparen.

Bölte, Amely (1811-1891) Mecklenburger Schriftstellerin

Bölte, Amely (1811-1891) Mecklenburger Schriftstellerin