Hamburgerinnen und Wienerinnen (3)

Aus: Zeitung für die elegante Welt. 36ter Jahrgang. 1836 (Karl Spazier)
Autor: Redaktion: Zeitung .f.d.e.W., Erscheinungsjahr: 1836
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hamburg, Hamburgerin, Wien, Wienerin, Charakter, Frauentypen
Ich sagte, wenn es nicht Zeit geworden wäre, nach Hamburg zurückzukehren, damit uns Constantin endlich mit seiner Braut bekannt mache, die wir künftig als kongeniale Freundin in unseren Geisterbund aufnehmen werden, so wollte ich Euch noch die Geschichte einer Wienerin erzählen, an die ich durch die Schilderung der Hamburgerin jetzt wunderbar, ich weiß selbst nicht wie, mich erinnert fühle. Aber die golden-sonnige Gegenwart soll heut ihr Recht behaupten, nicht die unglücklichen und geheimnisvollen Bilder der Vergangenheit!

„Nicht so!“ sagte Constantin, nachsinnig vor sich hinblickend. „Meine Braut bringt den heutigen Tag auf dem Lande zu, in dem stillfriedlichen Wandsbek, wo sie sich manche Tage ganz der Einsamkeit widmet, und dann auch nicht gern aufsuchen lässt. Sie hat ein tiefbewegtes und immer in sich arbeitendes Gemüt, dem ich zuweilen die äußere Windstille gönne, um sich ganz in das schöne Netz des eigensten Selbst einzuspinnen. Dann gibt sie sich wieder mit fröhlichem Lebensübermut an den Tag und den Umgang hin, heraustretend aus einem Seelenhintergrunde von unendlicher Bedeutung. Jetzt aber wird es erst schön und prächtig hier auf unserer Elbuferhöhe, und ich rate noch treu zu bleiben dem Gespräche, dem Wein und diesen so eben anlangenden, Himmel und Erde versöhnenden Beefsteaks Altenglands, welche drei Gegenstände wir so lange nicht miteinander teilten. Dann darf uns auch die Wienerin nicht entgehen, auf deren Schicksal uns unser Freund begierig macht, denn ich interessiere mich nicht weniger für die Wienerinnen, als für die Hamburgerinnen.“

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Wir spendeten diesen Wollen unseren Beifall, und die lachende Sonne schien hernieder auf unser Frühmahl, zu dem wir uns zuvorderst anschickten, wahrend Windstöße voll frischer Meeresluft zuweilen den Strom herauffuhren und uns von fernher bestrichen.

„Von Hamburg auf Wien zu kommen“, nahm Constantin wieder das Wort, gewährt überhaupt viele Beziehungen, und die Vergleichung beider Städte, in denen ich längere Zeit gelebt, hat sich mir oft genug aufgedrungen. Soll noch irgendwo von einer tüchtigen Gesundheit der Existenz heut die Rede sein, so darf man sie nur in Wien und in Hamburg suchen, wo sie, ungeachtet des verschiedensten Treibens hier und dort, auf einer gleichen Hineinbildung des Daseins in das Reale und Wirkliche sich gegründet hat. Alle andern großen Städte Deutschlands kranken im Inhalt wie in der Form des Lebens, und ihre Krankheit schleicht noch dazu ohne alle pathologische Krisis dahin. Wien und Hamburg sind kerngesund, es sind die Marktplätze des Augenblicks, wo der Moment wichtig ist für den Genuss, wie für die Geschäfte, und im frischen Schaum abgeschöpft werten muss von dem Wellenspiel des Tages. Alle Vorteile und alle Nachteile, die es mit sich bringt, auf solche Weise gesund zu sein, vereinigen sich hier an der Elbe wie dort an der Donau, denn der Mangel jener sittlichen Krankheit, die alle Wundmahle der Zeit an sich aufzuweisen hat, wie die Nonne Emmerich alle Nägelmahle des Herrn an ihrem verzückten Körper, muss auch wieder als ein Nachteil angeschlagen werden. Aber es hat sich gezeigt, dass bei den Schmerzen wie bei den Hoffnungen und Idealen dieser Zeit gleich wenig herauskommt, und da das Märtyrertum der Ideen mit in einer solchen Epoche längst lächerlich geworden ist, so erkenne ich den Materialismus der Gegenwart, oder die Gegenwart des Materialismus dermalen für das einzig richtige Lebensprinzip an. Das wahre Herrnhut für dies Prinzip ist in Wien und Hamburg oder nirgends zu finden. Hier oder nirgends ist jetzt Herrnhut! Hier ist Frieden mit der Tradition und Versöhnung mit der bestehenden Wirklichkeit, und an die Stelle der Zukunft, deren Sterne anzubeten sich die Menschheit in Schmerzen verzehrt, ist schon der Genuss getreten, und ein weitausgreifender Vertrieb des Weltkapitols. Wie durch seine überseeische Perspektive das Leben Hamburgs in das hohe Meer des Welthandels einströmt, so hält das epikureische Wien als Bazar der Diplomatie und durch patriarchalisch-aristokratisches Großleben die Weltfäden in der Hand, mit denen es sich der Bedeutsamkeit des Allgemeinen verknüpft. Beide Städte, obwohl sehr eigen in sich beschlossen, sind also keineswegs eingepfercht in ihren Richtungen, sondern lassen alle Elemente des andringenden Lebens ein und aus, bleiben aber durch dieselben unverändert. Das Bestehende wird in Hamburg durch das Interesse des Handels und der Gewerbe, in Wien durch die Anhänglichkeit an die Religion, den Kaiser und das Vergnügen verteidigt. Ein bestimmter Mittelpunkt des Lebens ist in beiden Städten vorhanden, in Hamburg konzentriert er sich im Hafen und in der Börse, in Wien im Katholizismus, von dem alle übrigen Ausstrahlungen des Tages sich herleiten lassen. Mit dem sichern Ergreifen der Gegenwart verbindet sich der Genuss, der hier und dort als das gemeinsame Banner mit goldgestickten Rändern und fröhlichen Lebensfarben hoch emporflattert. In Hamburg motiviert sich der Genuss immer durch die Arbeit, welche ihm vorangegangen ist, und mit der es von dieser vieltätigen Bevölkerung sehr ernstlich genommen wird. In Wien entsteigt der Genuss mehr dem Naturell, der Gewohnheit und Gelegenheit des Tages, dem holden Müßiggang und der süßen Leidenschaft. Darum ist er hier genialer, leichter, flüssiger, und wird naiv durch den Volkshumor, der sich ihm zugesellt. In Hamburg, diesem nordischen Capua, wo das Vergnügen das anstrengende Geschäft ablöst, tritt ebendeshalb die Freude in einer derberen und handfesteren Gestalt auf, und greift zu nach tüchtigen Stoffen und Massen, um zu zeigen, dass sie auch wirklich genieße. In beiden Städten wird erstaunlich viel gegessen, in Wien isst man mit Grazie in infinitum, und verdaut durch Strauß und Lanner. Deshalb hat die schöne Fülle des Fleisches, die hier angesetzt wird, und deren reizenden Repräsentanten, den Wienerinnen, man in den Mittagstunden am Graben und Kohlmarkt oder die Kärnthnerstraße entlang in den seltensten Erscheinungen begegnet, noch immer etwas durchsichtige und durchschimmernde Poesie an sich. In Hamburg macht einem auf den großen betäubenden Diners die Naturgeschichte mehr zu schaffen. Der Hamburger diniert mit Ernst und Gewichtigkeit, die aufgetragenen Gerichte, die seltenen Seefische, die kostbaren Hummern, die ausgesuchten substanzreichen Suppen nehmen eine gewisse feierliche Grandezza in Anspruch, und lassen die Größe des Werkes, zu dem man sich niedersetzt, und dessen Schwierigkeit besonders in der Verdauung liegt, still bedenken. Die Unterschiede des Lebens wird man immer am meisten an den öffentlichen Vergnügungsörtern gewahr. Man sitze unter den glänzenden Reihen des Sperl und beobachte die Körperbewegungen der braunen, lebhaften Wienerin, mit denen sie die Takte der Musik unwillkürlich begleitet, während sie die siegesgewissen Blicke auf ihre Nachbarn umhergleiten lässt; oder man verweile im Elbpavillon auf dem Wall oder in dem herrlichen Alstergarten zum alten Raben, wo die festgenährte weiße Hamburgerin in behaglicher Existenz auf und nieder wandelt, oder man besuche in Prag die Abendkonzerte auf der in der Moldau so reizend gelegenen Färberinsel oder Schützeninsel, wo nur die dunkeln Augen der Böhminnen in lebhafter Bewegung sind, sonst aber kaum ein Wort verlautet und jeder still und stumm an dem Anderen vorübergeht: welche verschiedene Physiognomien, die aus verschiedenen Bestandteilen des Lebens sich zusammensetzen! Im Ganzen zeigen sich die Klassen der Gesellschaft an den öffentlichen Orten getrennter in Hamburg als in Wien. Ein Tanzfest im Augarten mit seinen üppigen rauschenden Walzern zieht die ganze schöne und vornehme Welt Wiens herbei und durch die blendend erleuchteten Lustgänge sieht man stolzgeschmückte Fürstinnen neben Grisetten und Kammerjungfern wandeln. In Hamburg sind die Tanzsalons fast nur mit den unzähligen Bajaderen dieser Stadt angefüllt. Welche Aufgabe für einen Hogarth, einen Ball in den weltberühmten Salons von Peter Ahrens oder Dorgerloh zu skizzieren! Dieses tumultuarische Aufundniederbewegen vieler hundert Gestalten, untermischt mit schaulustigen Fremden aller Nationen! Der Tanz geht an, bald in stürmischen Walzern und Galloppen, die den ganzen Saal durchregen, bald in einzelnen abgeteilten Gruppen des Contretanzes, welche die Zuschauer in dichtem Gedränge durchschreiten; dann lässt sich auf einmal ein lautes Kreischen vernehmen, eine Tänzerin hat Krämpfe bekommen, in einer anderen Ecke des Saales entsteht ein Lärm und Zusammenlauf, zankende Stimmen toben durcheinander, da rauscht die Musik mit Alles übertönenden Doppeltakten auf, um den Aufruhr zu beschwichtigen, der Tanz entbrennt von neuem in stürmischen Touren; nun tritt eine längere Pause ein, der Fußboden wird besprengt mit malerisch ausgegossenen Wasserkreisen, man unternimmt Spaziergänge durch den Garten, oder hier und dort auf der Galerie bilden sich einzelne Gruppen und Gelage, wo ein Fremder einige Flaschen Wein spendet, bis endlich gegen den anbrechenden Morgen hin der letzte ersterbende Ton im Saale gespensterhaft verstummt. Will man noch in tiefere Regionen hinabsteigen, so kann man die nächtlichen Schauder des Hamburger Berges, den unheimlichen Sitz ägyptischer Bacchanalien, vergleichen mit dem Volkstreiben des Lerchenfeldes in der Vorstadt Wiens, oder auch mit dem sogenannten Wurstelprater, wo freilich die Harmlosigkeit des Wieners sich noch ziemlich außerhalb dieser Parallele hält. Dennoch ist im strengsten Sinne die größere Sittlichkeit auf Seiten Hamburgs, wenigstens was das Gesellschafts- und Familienleben betrifft. Ein Lieblingsausdruck der Ehefrauen in Wien ist: „G'scheidt sein!“ und diese Gescheidtheit, welche sie sich nachrühmen, ist der Sicherheit der Ehe weniger günstig, als die blauäugige Treue des hamburgischen Eheweibes, das aus dem strenggezogenen Kreise der Pflicht nicht so leicht heraustritt. Dagegen muss man gestehen, dass das Straßenleben nirgends frecher und unsittlicher vor sich gehen kann als in Hamburg, während in Wien umgekehrt größerer Anstand draußen auf den Gassen herrscht, als im Innersten
der Häuser.

In einigen Wechselgesprächen führten wir diese Parallelbilder von Wien und Hamburg, die Constantin in solcher Art angeregt hatte, noch weiter aus. Ich fand daran einen guten Übergang zu meiner den Freunden versprochenen Erzählung, zu der ich nach einigem Nachsinnen mein Gedächtnis auffrischte, und dann begann. (D. F. f.)

Eveline Berenger

Eveline Berenger

Miss Wardour

Miss Wardour

Zilia von Moncada

Zilia von Moncada

Rachel Geddes

Rachel Geddes