Gründe für die Auswanderung der ländlichen Arbeiterklassen aus Mecklenburg 1872

Aus: Bericht ... über die Verhältnisse der ländlichen Arbeiterklassen über Auswanderung und Arbeitermangel in Mecklenburg
Autor: Kommissionsbericht von Graf Bassewitz auf Wesselsdorf, Erscheinungsjahr: 1873
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Landesgeschichte, Wirtschaftsverhältnisse, Arbeiterklasse, Landarbeiter, Sozialgeschichte, Auswanderung, Arbeitskräftemange, Lage der arbeitenden Klasse, Lohn, Einkommen, Lebenshaltungskosten, Besitzverhältnisse
Die Gründe, welche den Arbeiter veranlassen, sein Vaterland zu verlassen und sein Heil in fremden Ländern zu suchen, sind mannigfacher Art.
Als erster Grund wird von fast sämtlichen Herren das Streben genannt, den bereits voraufgegangenen Verwandten und Freunden zu folgen, zumal wenn, wie es in der Regel der Fall ist, dieselben Briefe mit den verlockendsten Schilderungen nach Hause senden und diese noch häufig von einer Geldsendung oder einem Überfahrt-Billet begleitet sind.

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Wenn nun dieses Streben in der menschlichen Natur begründet ist und schwerlich ein Mittel dagegen aufzufinden sein wird, so kommt doch noch dazu, dass es in unzähligen Fällen durch falsche Vorspiegelungen, Überredungen und Aufhetzungen genährt und ausgebeutet wird. Herr Pogge Gevezin namentlich erinnert an das gewissenlose Treiben so vieler öffentlicher, konzessionierter und geheimer Agenten, welche um des Verdienstes willen, den ihnen jeder Auswanderer gewährt, die etwa bei ihm herrschende Unzufriedenheit für ihre Pläne benutzen. Alles, was ihn hier drückt, was ihm unbequem ist, wird ihm als unerträglich und als dort nicht vorhanden geschildert und das so lange, bis er es glaubt und sich zur Auswanderung entschließt. Was für ein Schicksal ihn jedoch drüben erwartet, das ist dem Agenten gleichgültig, wenn er nur seinen Verdienst dabei hat. Diesen Letzteren berechnet Herr Pogge unter Umständen zu 6—7 Thlr. pro Kopf, denn der Agent erhält nicht nur von der Reederei-Gesellschaft, welche den Auswanderer wegbefördert, ein gewisses Kopfgeld, sondern er kann auch noch dadurch, dass er denselben bis zu seinem Einschiffungspunkt begleitet, ihm dort beim Einkauf seiner Reisebedürfnisse, beim Umwechseln des Geldes und bei der Besorgung des Nachtquartiers hilfreiche Hand leistet, sich einen ansehnlichen Nebenverdienst verschaffen. Der Auswanderer ahnt es nicht, dass er diese angeblich uneigennützigen Dienste doppelt und dreifach bezahlen muss, weil sein getreuer Agent schon vorher mit jenen Leuten ein Übereinkommen getroffen und sich von ihnen seinen Anteil am Gewinn redlich auszahlen lässt.

Dem entgegen findet Herr Pogge-Blankenhof, dass der Vorwurf, als ob die Agenten nur, um einige Thaler per Kopf zu verdienen, die Leute zur Auswanderung verlockten, und dass sogar die amerikanische Regierung dahinter stecke, jetzt nicht mehr aufrecht zu halten sei, nachdem in 22 Jahren über 100.000 Seelen von hier dorthin gegangen, nachdem Tausende von Briefen die dortigen günstigen Verhältnisse schilderten und nachdem die Hinübergegangenen schon nach 1—2 Jahren Hunderte von Dollars schickten, um ihre Verwandten nachzuholen. Dies Alles wirke mehr als 100 Agenten und stärke das Vertrauen unserer Arbeiter zu den amerikanischen Verhältnissen.

Es ist nun aber doch wohl nicht zu leugnen, dass in vielen Fällen Beeinflussungen durch gewissenlose Agenten stattfinden, aber ebenso wenig darf man sich verhehlen, dass viele von den Übelständen, welche diese den Leuten als unerträglich hinstellen, in Wirklichkeit, wenn auch weniger fühlbar und drückend, vorhanden sind, und werden von den Herren Lemcke, Pogge-Gevezin, Graf Schlieffen, Satow und Pogge Blankenhof vor Allem die Abhängigkeit der Arbeiter vom Arbeitgeber und die große Schwierigkeit, es hier durch Erwerb von kleinem Grundbesitz zu etwas Besserem zu bringen, hervorgehoben. Herr Pogge Gevezin, Graf Schlieffen, Herr Satow und Herr Pogge-Blankenhof erwähnen daneben auch noch die in den letzten Jahren so gesteigerte Militärlast.

Was die ersteren Übelstände betrifft, so sind dieselben bereits bei den Gründen zur Unzufriedenheit erwähnt und wird auch von den Herren Burchard und Graf Bassewitz noch hervorgehoben, dass eben diese Unzufriedenheit mit seinen jetzigen Verhältnissen und das Bewusstsein, es hier nie weiter bringen zu können, für den Arbeiter ein Hauptgrund zur Auswanderung sei.

In Bezug auf die Militärlast sucht Graf Schlieffen den Übelstand in der allgemeinen Wehrpflicht. Herr Pogge-Blanckenhof und Herr Satow dagegen in der 3jährigen Dienstzeit, welche den Menschen 3 Jahre seinem Berufe entziehe. Herr Pogge erkennt zwar an, dass diese Zeit von großem Nutzen für die Ausbildung der Leute sei, weil sie vieles in der Schule Versäumte nachholen könnten, hebt aber hervor, dass auf Niemandem der Druck so laste, wie auf unserem ländlichen Arbeiter; derselbe sei an kräftige Nahrung gewöhnt und die Ernährung des Soldaten genüge ihm nicht. Seine Löhnung reiche nicht aus, ihn vor Hunger zu schützen, er müsse sich von Hause Geld, Nahrung und warme Sachen zuschicken lassen; während er sonst in dieser Lebenszeit sparen würde, müsse er nun zusetzen und würde der Ausfall durch die steigenden Löhne einerseits und durch die Entwertung des Geldes andererseits von Jahr zu Jahr größer. Amerika dagegen besitze nicht die allgemeine Wehrpflicht und die Entschädigungen, welche an Frau und Kinder gezahlt würden, seien von einer Höhe, wie sie hier vollständig fremd sei. Schließlich hebt Herr Fischer noch hervor, dass wir selbst die größte Schuld an der jetzt herrschenden Auswanderungswut tragen, indem wir durch die in Folge des Jahres 48 und der darauf folgenden Reaktion so maßlos geförderte Auswanderung den Leuten selbst den Weg dazu gezeigt.

Soviel betreffend die Auswanderung in überseeische Länder. Außer dieser gibt es jedoch noch eine zweite: diejenige nämlich in die großen Städte wie Berlin, Hamburg, Lübeck. Referent Graf Bassewitz sucht die Gründe hierzu wieder in dem Streben nach Reichtum, indem das in diesen Städten angesammelte Kapital und die erhöhten Lebensbedürfnisse einen höheren Verdienst gewähren könnten, als es auf dem Lande möglich, fügt aber hinzu, dass daneben auch die mannigfachen Genüsse und Freuden, welche eine große Stadt darbiete, von großem Einfluss auf den Drang dorthin seien.

Das Ziehen der Arbeiter vom platten Lande in die kleinen Landstädte betrachtet Graf Bassewitz nicht als Auswanderung, weil die Arbeitskräfte durch die freien Arbeiter dem platten Lande wieder zukommen; außerdem ist er auch der Ansicht, dass diese im ersten Taumel der Freizügigkeit hervorgerufene Erscheinung bereits wieder im Abnehmen sei und vielfach schon ganz das Gegenteil stattfinde.

Herr Pogge-Blankenhof hebt als einen Grund dieses in die Städte Ziehens die mangelhafte Einrichtung unserer Landschulen hervor und behauptet, dass, weil die Leute den Wert der Bildung für das Leben kennen, sie gerne Opfer bringen würden, um ihre Kinder mehr lernen zu lassen, wenn die Schulen nur darnach wären.

Mittelbergers Reise nach Pennsylvanien im Jahr 1750.

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07. Pier cranes discharging cargo at Hamburg.

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08. Church in the emigrant village at Hamburg.

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09. The „Deutschland“

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16. Loading a trainload of cable direct from cars into steamer.

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03. Hamburg freighter, being served by barges and lighters.

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