1852 in Kalifornien und Oregon
Kalifornien spielt eine große Rolle in der Welt, nicht nur weil es jährlich zwischen vierzig und fünfzig Millionen Dollars Gold in den Handel liefert, sondern weil es durch seine Weltlage und den Reichtum seiner Hilfsquellen den Kern eines großen Reiches am Stillen Ozean bilden wird. Wie hat sich dort alles binnen einem Jahrzehnt geändert! Seit dreihundert Jahren kennt man diese Gestade, vor kaum einem Jahrhundert ließen sich die ersten weißen Ansiedler dort nieder; Spanien sandte Missionare und Soldatn, um die Glaubensboten zu schützen. Aber eine tätige bürgerliche Bevölkerung fehlte; auch als das Land ein Gebiet des mexikanischen Staatenbundes wurde, kam kein Schwung hinein, und was die Kreolen etwa an Kraft besaßen, das vergeudeten sie in Aufständen und politischem Ränkespiel.
Vor etwa dreißig Jahren munterte die mexikanische Regierung zur Einwanderung nach Kalifornien auf, und bald kamen nordamerikanische Abenteurer, namentlich Gebirgsjäger und Biberfänger von Osten her; aber sie wurden von den Kreolen als störende Eindringlinge betrachtet. Auch die mexikanische Regierung hätte gern jene Aufforderung zurückgenommen; denn Kalifornien zählte nur etwa sechstausend weiße Einwanderer neben sechsmal so viel Indianern, und die amerikanischen Bärenschützen hatten angefangen, sich in die inneren Zwistigkeiten zu mischen und für Kaliforniens Unabhängigkeit gegen Mexiko zu kämpfen. Diese ersten Bahnbrecher und Schatzgräber zogen viele andere nach sich; sie benahmen sich eben so barsch und hochfahrend wie ihre von der See herkommenden Landsleute, die Walfischfahrer, welch die Häfen besuchten, weil diese sichere Zuflucht und Erfrischungspunkte darboten. Die Absperrung vom großen verkehr war von nun an ganz unmöglich; ein Gesetz, welches allen Ausländern Zulass verbot, wurde von diesen nicht beachtet; sie blieben und kamen in wachsender Anzahl, und siedelten sich auf fruchtbaren Strecken in dem menschenarmen Land an. Der Gouverneur in Monterey lies einmal nahe an hundert Engländer und Nordamerikaner verhaften und in Eisen legen; aber dadurch schreckte er die kühnen Abenteurer nicht ab, sondern erbitterte sie im höchsten Grade. Der Seehandel kam mehr und mehr in die Hand der unternehmenden Fremden, amerikanische Kriegsfahrzeuge waren seit 1842 alljährlich in den kalifornischen Häfen erschienen; von da an wurde auch der Zug über die Felsengebirge und die Sierra Nevada immer stärker, und 1846 erschien der berühmte Reisende J. C. Fremont. Der Gouverneur wollte ihn und seine sechszig Gefährten ausweisen, aber als Antwort wurde die nordamerikanischc Flagge aufgezogen und die Erklärung gegeben, dass man Widerstand leisten werde. Er sagte den Creolen den Krieg an, erklärte Kalifornienen für unabhängig und zog jetzt eine mit dem Bilde des grauen Bären geschmückte Flagge auf. Nach wenigen Monaten hatte eine Hand voll kräftiger Männer eines der schönsten Länder der Welt erobert, und im Februar 1813 trat Mexiko, im Frieden von Guadelupe Hidalgo, Kalifornien an die nordamerikanische Union ab.
Nun waren der so fruchtbare Boden, die üppigen Weidegründe und die bewaldeten Berge im ruhigen Besitze der Eingewanderten, deren Zahl sich damals schon auf etwa fünfzehntausend belief. Aber Kalifornien lag „am Ende der Welt,“ und würde, bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge, sich nur langsam entwickelt haben. Da entdeckte, gleich nach dem Abschlusse des Friedens, ein Mormone, bei dem Ausbessern eines Mühlgrabens, Gold. Bald ergab sich, dass die Nachhaltigkeit der Schätze keinem Zweifel unterlag; in allen fünf Erdteilen bemächtigte sich vieler Menschen eine fieberhafte Bewegung, und es begann eine ungeheure Völkerwanderung. Binnen drei Jahren waren mehr als dreimalhunderttausend Menschen nach dem neuen Dorado geströmt; Viele kamen von der Westküste Amerikas, aus China und Australien; Andere umschifften das Kap Horn; wieder Andere gingen über die Landenge von Panama; Tausende zogen vom Missouri aus über die weiten Prairieflächen, die Felsengebirge, durch das Mormonengebiet und über die Sierra Nevada; alle waren Goldgräber, alle wollten binnen kurzer Zeit reich werden.
Wer damals europamüde war, sich aus irgend einem Grunde nach der neuen Welt sehnte, und nicht den Pflug zur Hand nehmen mochte, rief: Wohlauf, nach Kalifornien! Jeder Dampfer brachte von Panama nach San Francisco Leute, denen es nach Gold und Abenteuern dürstete, zumeist Männer im kräftigsten Alter. Viele sind gestorben und verdorben, manche reich geworden, wieder andere leben längst als friedliche Ackerbauer. Ein nicht geringer Teil ist auch, amerikamüde, wieder nach Europa heimgekehrt, je nach Umständen in mehr oder weniger guten Verhältnissen. Es ist erklärlich, dass sie gern von „jenen Tagen“ erzählen, die reich an Aufregungen und Hoffnungen, Wünschen und Entbehrungen waren. Die Schicksale Vieler haben sich seltsam genug gestaltet.
Ein Offizier, der in Algerien unter den Spahis gedient, war afrikamüde und wollte Gold graben. Zu Ende des Jahres 1850 langte er in Kalifornien an. Er war mit einigen anderen Abenteurern bekannt geworden, deren einer eine angeblich ganz ausgezeichnete Maschine zum Goldwäschen erfunden hatte. Vier Männer bildeten eine Genossenschaft, die gemeinsam arbeiten und den Ertrag teilen wollte. So kamen sie nach San Francisco, das damals noch in seinen ersten Anfangen war. Seitdem hat es sich bekanntlich zur Königin unter den Städten an der Westküste Amerikas emporgeschwungen, trotz eines Dutzend verheerender Feuersbrünste, trotz Mord und Totschlag, Geld- und Geschäftskrisen, Raufbolden und Handwerkspolitikern, und trotz des bösen Gesindels, welches von allen Strichen der Windrose dort zusammenströmte. San Francisco glich damals weit mehr dem Krater eines Feuerberges, in dem allerlei vulkanische Elemente durcheinander brodeln, als der Wiege, aus welcher ein großer Staat hervorgehen soll. Aber das Leben war ungemein bunt und höchst eigentümlich.
Als ich, erzählt der Offizier, durch die Straßen schlenderte, kam ich an ein weitläufiges Gebäude mit einem großen Schilde, auf welchem ich die Worte: „California Exchange“ las. Ist das eine Börse oder die Bude eines Geldwechslers? fragte ich mich. Die Menschen drängten sich in den Sälen und ich trat hinein, um zu beobachten. Da wurde gegessen und getrunken, man las und rauchte. Ich nahm an einem gedeckten Tische Platz, um zu essen, und man brachte mir gekochten Lachs, trefflichen Bärenbraten, Butter und Chesterkäse. Als ich fragte, was meine Zeche betrage, bekam ich zur Antwort: „Kostet nichts!“ Dieses „No charge“ befremdete mich. War ich denn in ein Schlaraffenland geraten, wo die Wirtsleute von den Gästen kein Geld nehmen? Aber ich sah doch, dass von anderen Leuten Zahlung angenommen wurde; in Bezug auf meine Person musste also wohl ein ganz besonderer Umstand obwalten, der mir aber noch nicht klar war. Ich nahm Platz in einem Lehnsessel und las in einer Zeitung; da kam ein Zigarrenverkäufer nnd bot mir von seiner Ware an. Ich forderte einen Glimmstengel und reichte dem Hausierer einen Dollar. Er nahm rasch noch drei Zigarren, wickelte sie in ein Papier, sprach: „All right“ und ging fort. Das Stück kostete also zehn Silbergroschen und es war mindestens zweifelhaft, ob das Deckblatt dieser Upmanns nicht etwa in der Gegend von Mannheim am Neckar gewachsen sei! Wunderliches Land, dachte ich, der Wirt nimmt nichts und der Zigarrenhändler zieht dir das Fell über die Ohren. Am Abend erhielt ich den Schlüssel zum Rätsel; in jener „Börse“ zahlte man nichts für das Essen, sondern nur für das Trinken; jenes bekam man mit in den Kauf. Am Abend ging ich noch einmal hinein, trank zwei Glas Cognac mit Wasser und gab dafür einen halben Dollar.
San Francisco war überhaupt ein teures Pflaster und wir machten, dass wir fortkamen; es zog uns nach den Goldfeldern. Bald saßen wir an Bord eines nach San Sacramento bestimmten Dampfers. Es war eine herrliche Fahrt; wir flogen über die glatte Meeresbucht rasch dahin und erfreuten uns an der schönen Landschaft. Bei der Einfahrt in den Strom (den San Sacramento) lag uns eine englische Brigg im Wege und unser Kapitän rief sie an. Die Antwort lautete: „Ich sitze auf dem Grunde fest; im andern Fahrwasser ist eine Sandbank!“ Unser Dampfer kehrte sich nicht daran; der Kapitän sagte, er wolle hindurch, wenn es sein müsste, über den Engländer hinweg. Und in der Tat, er kam hindurch. Erst fuhr er eine kleine Strecke weit zurück, ließ stark heizen, spannte den Dampf so viel als möglich an und raste fort, an der Brigg vorüber, von welcher wir ein nicht unbeträchtliches Stück der Steuerbordseite losrissen. Der Engländer fluchte, der Yenkee wetterte auch, beim Anprallen waren ein paar Dutzend unserer Fahrgäste auf Nase oder Rücken gefallen! aber was machte das aus, wir kamen nach San Sacramento?
Dort kauften wir einen Wagen und Maultiere, luden unsere Wundermaschine und alle übrigen Habseligkeiten, darauf und zogen nach dem Grastal, Grass Valley, um auf irgend einem „Placér“ unser Glück zu versuchen, nach Gold zu „diggen“. Die Gegend, welche wir durchzogen, war noch nicht angebaut, nur in weiten Zwischenräumen sahen wir dann und wann eine einsame Wohnung. Unser Nachtlager hatten wir natürlich unter freiem Himmel, gaben aber wohl Acht, dass wir nicht etwa überrumpelt würden. Denn in den Blättern von San Francisco hatten wir gelesen, dass bösartige Landstreicher umherschwärmten, die es zweckmäßig fanden, nicht selber nach Gold zu graben, sondern Reisenden dasselbe abzunehmen. Indessen war uns das Glück hold und wir gelangten unangefochten in die Nähe des Dorfes Rough and Ready, in demselben Tale, wo Nevada City steht. Dort sahen wir prächtige Placeres im Hintergrunde einer Schlucht, die aussah, als wäre dies Gestein durch einen Orkan durch und über einander geworfen worden. Viele Bäume waren gebrochen oder umgehauen; die „Digger“ hieben mit ihren Spitzäxten in den Boden, andere wuschen Gold aus dem Sande. In der Umgegend fanden wir Zelte und Hütten aller Art. Zwei Tage später waren wir im Grasthale, um dort wo möglich Millionäre zu werden. Als wir unsere Maschine aus packten, strömten viele Neugierige herbei; sie hatten dergleichen noch nicht gesehen. Von San Francisco aus waren wir an einige Schweizer empfohlen worden, die sich sehr freundlich benahmen und uns den großen Placér zeigten, wo wir einen „Claim“ zu nehmen gedachten.
Schon damals hatte sich in Bezug auf Besitztitel durch die Praxis ein Gewohnheitsrecht ausgebildet, das einige Zeit nachher von der Staatsgesetzgebung ausdrückliche Genehmigung erhielt. Das Recht, irgendwo nach Gold zugraben, zu diggen oder zu waschen, und dafür eine gewisse Stelle in Besitz zu nehmen, heißt ein Claim, ein Anspruch. Bei den „Miners“, welche bergmännisch verfahren, gilt als Herkommen, dass ein Einzelner von einer Quarzader nicht mehr als einhundert Fuß Raum in die Länge claimen kann, und die Sache nahm folgenden Verlauf. Ein Mann findet eine goldhaltige Ouarzader. Sobald das bekannt geworden, kommen noch andere Miners, stecken sich jeder eine Front von hundert Fuß ab und gehen ohne Weiteres an die Arbeit. Dem ersten Entdecker wird eine Extrafront von weiteren hundert Fuß zugesprochen und diese bildet seine Belohnung für den Fund. Sämtliche Anteile werden abgemarkt, alle Miners, welche an derselben Fundstätte arbeiten, wählen einen Recorder und dieser verfasst eine Urkunde, in welcher sämtliche Claims verzeichnet sind. Sie wird beim Countyschreiber als Beweisdokument hinterlegt. Jeder kann seinen Claim nach Belieben verkaufen.
Wir fanden in unserer Gegend große Tätigkeit. Nach langer Wanderung waren wir matt und müde, lagen indes; recht gemächlich in unserm Zelte. Aber gleich in der zweiten Nacht brach ein fürchterliches Gewitter los, das in dem Tal entsetzlich rollte und grollte. Zum Glück hielten die Seile unseres Zeltes, aber der in Strömen herabfallende Regen drang durch bis auf die Haut. Nachdem wir jeder einen Claim von zehn Fuß ins Gevierte in Angriff genommen und eine Menge goldhaltigen Sandes zusammengebracht hatten, probierten wir unsere Maschine. Aber sie nützte uns nichts, und obendrein waren wir beim Einkaufe des Quecksilbers betrogen worden; es zeigte sich nämlich, dass man uns verfälschtes gegeben hatte. Nun war freilich das Missvergnügen groß; wir hatten auf diese Maschine alle unsere Hoffnungen gesetzt und diese waren zu Wasser geworden. Unsere Genossenschaft hatte fortan keinen Zweck mehr; wir lösten sie auf, teilten den Rest unserer Habe und jeder versuchte sein Glück auf eigene Faust. Ich blieb noch einige Zeit in Grass Valley und machte von dort Ausflüge; meine Freunde kehrten nach San Francisco zurück. Einer derselben ging nach Benicia und von dort in das nahe gelegene Napatal, das in die San Pablobucht mündet. In diesem Garten Kaliforniens, der damals erst besiedelt wurde, baute er sich an. Als er an den Eingang kam, fand er das Land weit und breit mit wildem Hafer bedeckt; mitten hindurch floss der Napabach, der für kleinere Schiffe Wassertiefe genug hat und bis zum neuen Dorfe Napa schiffbar war. Dort lag ein Fahrzeug, das ein Landmann in San Francisco, wo es als untauglich befunden war, gekauft und hierher gebracht hatte, um es als Wohnung zu benutzen. Es befand sich dicht am Ufer und diente zugleich als Warenlager.
Weiter aufwärts war das Tal von Hügeln eingeengt, die bis zum Gipfel hinauf mit Bäumen bestanden sind. Das Ganze glich weit und breit einem herrlichen Park, in welchem gewaltige, zum Teil immergrüne Eichen teils zerstreut umherstehen, teils dicht bei einander in Gruppen sich erheben. Aber sie verschwinden und nehmen sich aus wie Zwerge neben den Riesen der Pflanzenwelt, den zapfentragenden Bäumen, welche nirgends in der Welt ihres Gleichen haben. Als mein Freund zum ersten Male die gewaltige Zeder sah, welche die Spanier Palo colorado und die Nordamerikaner Red wood nennen (Taxodium giganteum), war er vor Erstaunen außer sich. Dieser schöne Baum ist der Küstenregion eigen und geht nicht weit ins innere Land; man hat einzelne gefällt, deren Höhe etwa dreihundert Fuß betrug. Noch riesenhafter sind freilich die berühmten Lamberts- oder Zuckerfichten, die ich in der Sierra Nevada gesehen habe, und die Wellingtonia gigantea, die von den Nordamerikanern als Mammuth-Washingtonbaum bezeichnet wird. Sie hat ihre rechte Heimat mitten in der Goldregion am Mokelumne und Calaveras, und manche Bäume können, den Jahresringen nach zu urteilen, nicht unter neunzehnhundert Jahre alt sein. Sie haben 92 bis 96 Fuß im Umkreise. Als ein von der Regierung der Vereinigten Staaten ausgesandter Botaniker eine solche Wellingtonia fällen wollte, musste er den Banm zuerst mit Brunnenbohrern durchlöchern lassen, und fünf Leute waren volle zweiundzwanzig Tage beschäftigt, um den Stamm vom Stumpfe zu trennen. Aber noch immer stand jener fest in vollem Gleichgewichte, und die fünf Arbeiter hatten wieder zwei Tage lang vollauf zu tun, um von allen Seiten her Keile einzutreiben; dann erst gelang es, ihn umzustürzen. Das Fällen dieses einzigen Baumes verursachte sechsthalbhundert Dollars Kosten. In der Nähe lag ein noch weit größerer Stamm, der vor etwa einem halben Jahrhundert durch einen Zufall umgestürzt sein mochte. Er ist, als er noch aufrecht stand, mindestens fünfthalbhundert Fuß hoch gewesen; am Boden misst er 110 Fuß im Umfange und hat 36 Fuß Durchmesser; seine Borke ist an manchen Stellen 15 Fuß dick. Teile derselben sind später in den Gewerbeausstellungen zu New York und London gezeigt worden. Er liegt in einem dichten Walde, von Lambertsfichten und Pechtannen umgeben. Solcher Riesenbäume sind im Ganzen nur etwa einhundert Stück vorhanden; sie stehen da als Glieder, welche unsere Tage mit einer uralten Vergangenheit verknüpfen.
In jenem Tal traf mein Freund den berühmten Patriarchen Yaunt. Dieser merkwürdige Mann war so recht das Urbild eines Kriegers, Biberfängers, Bärenjägers und Pioniers, ein Bahnbrecher für die Einwanderung in Kalifornien, und damals schon hoch bei Jahren. Er hatte 1812 unter Jackson die Schlacht bei Neu-Orleans mitgemacht, später in Florida gegen die Seminolen gefochten, welche ihn gefangen nahmen und an den Kriegspfahl banden, um ihn zu verbrennen. Nur durch ein Wunder wurde er gerettet. Dann wurde er Trapper und zog in den weiten Westen, immer weiter der untergehenden Sonne zu, bis er am Gestade des Großen Weltmeeres anlangte. Er durchstreifte Kalifornien und Oregon, baute sich einen großen Nachen, schiffte an den Küsten umher und stellte den wertvollen Seeottern nach. So kam er auch durch die Goldene Pforte in die große, prächtig gegliederte Bucht von San Francisco, welche damals noch öde war, und besuchte das kleine Dorf Yerba buena, an dessen Stelle sich nun die betriebsame Welthandelsstadt erhebt. Von dort steuerte er in die San Pablobucht, in welche, wie schon bemerkt, der Napafluss mündet, und fuhr den letzteren hinauf. Das wunderschöne Tal behagte ihm sehr; es war nur von Caymas Indianern bewohnt, und bei diesen baute Yaunt sich eine Hütte. Während er an derselben zimmerte und dabei früherer Tage gedachte, dämmerte plötzlich eine alte Erinnerung in ihm auf, welche einen gewaltigen Eindruck auf ihn machte. Eine alte Frau hatte dem Knaben, der eben zum Jüngling heranreifte, wahrgesagt, ihm als endlichen Ruhesitz ein schönes Tal in Aussicht gestellt, und dieses mit seinen Wiesenebenen, Eichenhainen, Bergen, mit dem Flusse und selbst mit den heißen Quellen, deren das Napatal mehrere hat, genau beschrieben. Als Yaunt von den Seminolen, welche den Gefangenen zu Tode martern wollten, an den Pfahl gebunden wurde, gedachte er der Wahrsagerin und bedauerte schmerzlich, dass sie falsch prophezeit habe. Seitdem war das in Vergessenheit geraten, trat aber nun im Napatale, wo er Alles verwirklicht fand, lebhaft vor seine Seele. Nachdem er dann die vielen Wechselfälle seines Lebens noch einmal im Geiste an sich vorübergehen ließ, sagte er sich: hier ist gut Hütten bauen, und blieb im Napatale. Aus dem Bären- und Otterjäger wurde ein friedlicher Ackerbauer und Viehzüchter. Anfangs hatte er sich freilich der Indianer zu erwehren, aber es gelang seiner Klugheit, einige Stämme zu sich herüberzuziehen, mit deren Hilfe die ihm feindseligen zu bezwingen und den blutigen Fehden ein Ende zu machen.
Vom Napatal aus unternahm mein Freund mit einigen Landsleuten eine Wanderung nach Oregon. Es handelte sich dabei um ein Unternehmen, das weit mehr Nutzen brachte als das Goldgraben. Einer von dieser Gesellschaft hatte seine Heimat an der Weser, und verstand nicht nur Lachse zu fangen, sondern auch sie zu räuchern. Geräucherter Lachs wurde damals in San Francisco mit Gold aufgewogen. Vom Meere aus ziehen nicht weniger als sechs Arten Lachse alljährlich stroman; die größten findet man im Columbia, wo sie manchmal bis zu fünfzig, im Durchschnitt aber etwa zwanzig Pfund schwer werden. Der Fisch kommt im Mai und dann wieder im Oktober und bildet ein Hauptnahrungsmittel der Indianer in jenen Gegenden; er geht vom Hauptstrom auch in dessen Nebenflüsse, so hoch hinauf, als nur immer möglich, bis in die Nähe der Quellen, wo dann das Wasser so seicht ist, dass viele von den Indianern mit den Händen gefangen werden. Der Lachs hat eine gewaltige Muskelkraft, die es ihm möglich macht, über hohe Wasserfälle zu springen. Man wird stundenlang nicht müde, die Fische bei dieser Arbeit zu beobachten. Oft machen sie mehrere Sprünge, und zwar so, dass sie da, wo die Wasserfälle oder Stromschnellen Absätze bilden, sich zuerst und mit genauer Berechnung auf den unteren Felsenabsatz schwingen und somit zu einem neuen Sprung ansetzen können; dann machen sie diesen. Manche wenden dabei solche Kraft auf, dass sie sich selber töten, andere arbeiten so anhaltend, dass sie vor Erschöpfung nicht mehr stroman schwimmen können nnd vom Wasser getrieben werden. Dann werden sie eine Beute der zahlreichen Adler und Geier.
Der Lachs ist um so fetter und schmackhafter, je näher er noch dem Meer ist; im oberen Laufe der Flüsse erscheint er mager und schon abgehungert. Im Columbiastrom sind jene, welche man an der Tschinuk-Spitze fängt, ohne Zweifel, die delikatesten in der ganzen Welt, und nächst ihnen die bei Oregon City an den Wasserfällen des Willamette. Unsere Landsleute waren verständig genug, sich mit den Indianern in Einverständnis zu setzen, ihnen die Erlaubnis zum Lachsfang abzukaufen und sich ihrer Beihilfe zu bedienen. Denn jeder Stamm hält darauf, dass sein Fischrevier nur von ihm allein ausgebeutet werde; gegen eine Beeinträchtigung desselben würde er sich mit den Waffen erheben, und jede einzelne Familie hat ihren bestimmten Platz, ihre besondere Wasser- und Felsenstrecke, und diese bilden ihr geheiligtes Eigentum, wie bei dem Bauer der Acker, welchen er vom Vater ererbt hat und pflügt. Was für den Indianer der Prairie der Büffel, das ist für jenen in Kalifornien und Oregon der Lachs; dieser bildet sein Hauptnahrungsmittel, und ohne ihn müsste er verhungern, weil er sich zum Ackerbau unfähig weiß. Er ist nun einmal Fischer und Wurzelgräber.
An den Lachsfang knüpft sich bei den Indianern mancherlei Aberglaube. In den ersten Tagen des Fanges, also etwa in der Mitte des Aprilmonats, würden sie um keinen Preis in der Welt einem weißen Manne einen Fisch geben oder verkaufen, über welchen sie nicht vorher einen Kreuzschnitt gemacht und dann das Herz herausgerissen hätten. Ein sterbenskranker Mensch wird in den Wald getragen, und muss dort allein, ohne irgend welchen Beistand, sein Leben beschließen; denn wer einen toten Menschen anrührt, würde im ganzen Jahre keinen Fisch fangen können! Ein Pferd darf nicht durch die Fuhrt gehen, an welcher man Lachse fängt; das brächte Unglück.
Auch an zarten Lachsforellen, die gewöhnlich bis zu zwei Fuß laug werden, sind die Flüsse reich, und diese Fische gerade dann am schmackhaftesten, wenn der eigentliche Lachs mager ist und nicht gefangen wird. Oregon ist sicherlich das fischreichste Land der Welt, denn auch Heringe, Sardinen, Störe, Stockfische, Karpfen, Flundern, Lampreten und Aale kommen in ganz ungeheurer Menge vor.
Während ein Teil unserer Landsleute eine ganze Ladung geräucherter Lachse nach San Francisco brachte und mit großem Vorteil verkaufte, zogen die übrigen mit den Indianern im Land umher, um Beeren und Wurzeln zu sammeln. Dabei spielten auch die Frauen eine Rolle. Es ist Tatsache, dass sie bei den wilden Völkern um so mehr gelten, je mehr sie ihrerseits dazu beitragen, Nahrungsmittel herbeizuschaffen. Bei den Jägernomaden nehmen sie deshalb eine sehr untergeordnete Stellung ein; bei den Fischernomaden, die in Oregon zugleich Wurzelgräber sind, haben sie ein Wort mitzureden.
Nach der Zeit des Fischfanges gehen die einzelnen Familien erst in die Berge, wo sie die zum Teil sehr wohlschmeckenden Beeren sammeln. Dann ziehen sie weiter und graben nach mehlhaltigen Wurzelknollen, welche sie zerstoßen und trocknen. Diese bilden ihr Brot. Es ist mir ein Rätsel geblieben, weshalb man bis auf den heutigen Tag noch keinen Versuch gemacht hat, irgend eine der vielen essbaren Wurzeln, welche im nördlichen Kalifornien und Oregon in unglaublicher Menge wachsen, bei uns in Europa einheimisch zu machen! Wir wissen Alle, von welcher Wichtigkeit die Kartoffel gewesen ist, und man darf wohl annehmen, dass unter jenen oregonischen Wurzelknollen manche den Anbau bei uns verlohnen und durch Pflege noch veredelt würden, gerade wie die Kartoffel. Am liebsten ist den Indianern die Jthwa oder Kamaßwurzel, Camassa esculenta, welche zwiebelartige Schalen hat und in großer Menge an feuchten Stellen der Wiesen wächst. Sie erlangt die Größe einer kleinen Zwiebel, schmeckt wie eine gekochte Kastanie, wird geröstet, zu einer Art Brot verbacken, und bildet neben dem Lachse das Hauptnahrungsmittel der Indianer. Kaum minder nützlich ist die Wappatuknolle, die gleichfalls an sumpfigen Stellen wächst. Die dünne weiße Bitterwurzel, Spatilon, sieht aus wie italienische Nudeln und gibt einen etwas bitter, aber sehr angenehm schmeckenden Brei. Man findet sie, gleich einer anderen bitteren Wurzel, in trockenem Kiesboden; die letztere ist dick, läuft nach beiden Enden verjüngt zu und gilt für sehr nahrhaft. Die Poxpox erscheint gleich im Anfange des Frühjahrs und wird gegessen, ehe die Kamaß gegraben werden kann. Die Mesani ist weniger nahrhaft und gleicht einer Pastinake; sehr beliebt erscheint dagegen die Kauisch oder Brotwurzel, welche in trockenem Boden wächst, so groß wie ein Pfirsich wird und den Geschmack der süßen Kartoffel hat.
Diese Streifzüge waren von schönem Wetter begünstigt und in hohem Grade angenehm. Aber an einen sehr unwillkommenen Vorfall denkt der Lachsfänger von der Weser nicht ohne Schaudern zurück. Als er einst von einer Wiesenfläche her in den Wald gehen wollte, bemerkte er ein dunkelfarbiges Tier mit einem buschigen Schweife, das rasch weglief und in ein Erdloch schlüpfen wollte. Es war kaum zur Hälfte hinein, als er herbeigesprungen kam und mit dem Flintenkolben nach ihm schlug. Aber in demselben Augenblicke spritzte unter dem Schweif eine gelbliche Flüssigkeit hervor, besudelte den Flintenkolben und verbreitete einen furchtbaren Geruch, welcher unserem Landsmann eine Anwandlung von Ohnmacht verursachte. Er fühlte sich von diesem grässlichen Geruche wie erstickt, war aber zum Glück, an seiner Person unbeschädigt geblieben. Trotzdem wollte der Geruch nicht von ihm weichen. Diese Bekanntschaft mit dem berüchtigten Stinktier, das von den spanischen Creolen als Zorilla bezeichnet wird, kann er auch heute noch nicht vergessen. Das Tier hat als einzige Verteidigung eine Blase am Hinterteil, aus welcher es seinen Saft gegen seine Verfolger schleudert. Der Geruch ist beinahe unvergänglich; er setzt sich in Kleidern fest und man muss dieselben wegwerfen; der Saft ist ätzend und verursacht Blindheit, wenn er ins Auge kommt; kein Hund, welcher einmal mit dem Zorilla Bekanntschaft gemacht hat, lässt sich jemals wieder auf ein solches hetzen. Das Zorilla scheint in jenen Gegenden unsern Iltis zu ersetzen, hält sich gern in der Nähe menschlicher Wohnungen auf und ist den Hühnerställen und Taubenschlägen gefährlich. Die Indianer schneiden die Blase weg und essen das Fleisch; sie boten unserm Landsmanne davon an; ich glaube ihm aber gern, dass er sich schön bedankt hat.
Während dieser Zeit verweilte ich noch im Grass-Valley, denn allmählich fand ich Geschmack an dem dortigen Leben und Treiben. Ein Neu-Yorker, welchen das Glück begünstigt hatte und dessen Vater gestorben war, ging in seine Heimat zurück und verkaufte mir seine Hütte, die zwar nicht glänzend, aber doch bequem war. Sie stand unter einem hohen Tannenbaume, war aus Klötzen und Brettern aufgebaut und mit Schindeln gedeckt. Regen konnte nicht hineindringen, ein kleiner Ofen diente als Herd zum Kochen; das Bett bestand aus vier Pfählen, über welche Segelleinwand gespannt war, und einem mit Eichenblättern gefüllten Sacke. Ein kleiner Garten mit allerlei Gemüse fehlte auch nicht, und vierzig Pfund Mehl, welche mir der Amerikaner überließ, waren mir sehr willkommen. Ich konnte mir Brot backen.
Es war recht hübsch im Grastale; auch an Umgang fehlte es nicht, nur war die Klage über Klapperschlangen sehr allgemein. Einer von meinen Nachbarn kam wirklich in große Gefahr. Er hatte aus einer Vertiefung im Gebüsch trockenes Laub in seinen Bettsack geschaufelt und auf diesem schwellenden Lager recht sanft bis gegen Tagesanbruch geschlafen. Da raschelt es im Bette; er denkt an eine Ratte, denn diese ist den Europäern bis in die entlegenen Täler gefolgt, greift hin und packt — eine Klapperschlange! Natürlich sprang er im Augenblicke fort, beobachtete aber die offene Tür. Nach einigen Stunden kam die Schlange, die nun totgeschlagen wurde. Er schnitt ihr die Klapper ab und hat sie aufbewahrt.
Damals lieferte die Jagd noch hübsche Ausbeute; man brauchte nur ein paar Stunden weit zu gehen und war sicher, dass man sich nicht vergeblich bemühen werde. Ich kaufte in Nevada-City ein Maultier, legte demselben eine Bärenhaut als Sattel auf und war eine Zeit lang Jäger von Handwerk. Meine Beute brachte ich gewöhnlich nach der Stadt, und an einem Sonnabend erhielt ich, weil gerade die Goldgräber in Menge dorthin kamen, für einen Hirsch achtzig Dollars, schloss auch mit einem Gastwirt einen Vertrag über Wildlieferung. Von geprägtem Gelde sahen wir nur wenig, alles wurde mit Goldstaub bezahlt. Jeder hatte lederne Börsen und in jedem Kaufmannsladen hingen Goldwaagen.
Als der Winter vorüber war, verließ ich Kalifornien und machte Streifzüge im Osten der Sierra Nevada, bis in die südlichen Teile des Mormonenlandes an den oberen Zuflüssen des Rio Colorado, also in eine Gegend, die damals noch so gut wie unbekannt war. Seit jener Zeit ist sie im Auftrage der Vereinigten Staaten vielfach erforscht worden. Dann ging ich weiter, kam nach Neu-Mexico, besuchte Santa Fé und Taos, gelangte in die Nähe der Quellen des Rio grande und zog über die Felsengebirge südlich von dem jetzt wegen seines Goldreichtums bekannt gewordenen Pikes Pik. Wo nun ein rühriges Leben und Treiben herrscht, war damals Alles Einöde und Wildnis. Von Beuts Fort am Arkansasflusse wandte ich mich nach Süden hin, an den Canadian.
Dieser merkwürdige Fluss hat mit dem Lande Canada nichts zu schaffen; der Name ist ihm von den Nordamerikanern gegeben und, nach ihrem Brauch, verunstaltet worden. Canada heißt im Spanischen eine tiefe Schlucht, und aus diesem Worte haben sie Canadian gemacht. Er strömt durch eine ganz eigentümliche tafelförmige Ebene, welche vielfach von Strömen, bis an deren Rand diese „Mesa“ reicht, und durch eine tiefe Schlucht, einen sogenannten Canon, durchzogen wird. Auf einer Strecke von mehr als einhundert Stunden drängt er sich ununterbrochen durch solch eine tief eingerissene Schlucht und ist auf dieser ganzen Länge nicht zu überschreiten. Denn seine Uferränder werden durch Steilklippen gebildet, welche bis zu einer Höhe von zwölf, ja von fünfzehnhundert Fuß fast senkrecht sich erheben.
In kleinerem Maßstab fand ich ähnliche Erscheinungen auch im Westen der Felsengebirge. Manche Gefließe sind vielleicht nicht zehn Schritte breit, aber ihre vom Regen und vom Strome ausgewaschenen Schluchten haben eine Tiefe bis zu einhundert Fuß. Oft ahnt der Reisende gar nichts von einem solchen Hindernisse, bis er sich dicht vor dem Abgrunde befindet; er muss dann weite Umwege machen, ehe er zu einer Fuhrt gelangt, wo das Überschreiten für Menschen und Tiere möglich wird. —
Wir schließen diesen Schilderungen eine andere an, die neulich ein Franzose, Wogan, gegeben hat. Auch dieser Mann war nach Kalifornien geschleudert worden, wo er ein abenteuerndes Leben führte, das er jetzt mit einem weniger auf regenden Berufe vertauscht hat, denn er ist Telegraphendirektor in seiner Heimat. Längere Zeit war er als Bärenjäger umhergezogen, über die Sierra Nevada an den Humboldtfluss und dann in das Wahsatschgebirge gegangen, wo er mit den Yutas und Navajo-Indianern zusammentraf. Am Green River (Rio verde), dem Hauptarme des Colorado, vernahm er eines Tages wildes Geschrei, über dessen Anlass er Folgendes erzählt.
Ich hielt mein Ohr platt an die Erde und horchte; dann sprang ich anf, eilte in ein Weidengebüsch, legte mich lang hin und passte auf. Bald nachher kam eine ganze Horde von Indianern, Männer, Weiber und Kinder wild durcheinander, und alle sprangen ins Wasser wie Frösche. Offenbar waren sie in Angst und Schrecken; die kleinen Kinder hingen auf den Rücken der Mütter, welche langsamer schwammen als die Männer. Wer das diesseitige Ufer gewann, floh sofort weiter; nur ein paar Männer blieben, um den Frauen behilflich zu sein, am Ufer zurück. Da wälzte sich aus dein Dickicht vom Hügel herab ein grauer Bär, der ins Wasser sprang und hinter einer Frau herschwamm. Die Pfeile der Indianer erreichten ihn nicht. Nun trat ich aus meinem Versteck hervor, legte mein Gewehr auf einem Weidenstamm an, schoss und traf. Mein zweiter Schuss war eben so glücklich, aber der Bär kam ans Land und suchte seinen Feind auf. Nachdem ich rasch geladen, kletterte ich auf einen Weidenbaum und erwartete ihn. Er stand blutend, mit geöffnetem Rachen und mit seinen Tatzen am Baume, denn klettern kann er nicht. Ich feuerte beide Schüsse in seinen roten Rachen und er stürzte; ein paar Kugeln aus meiner Drehpistole, welche sein Auge verletzten, machten dem Leben des Ungetüms ein Ende.
Der graue Bär ist ein sehr gefürchtetes Tier. Ich hieb ihm die Tatzen ab und schlug ihm die Zahne aus; beide dienten mir, nach Indianerweise, als Trophäen. Ich muss in meiner aus Coyotefellen zusammengenähten Bekleidung zu jener Zeit merkwürdig genug ausgesehen haben. Als der Bär vor mir lag, kamen die Indianer und führten einen Tanz auf; nachher stimmten sie einen Gesang an.
Einige Tage später ward ich von eben diesen Indianern bestohlen und bald nachher umschwirrten mich Pfeile. Ich sah, dass derselbe Indianer, dessen Frau ich vor dem Bären gerettet hatte, mir verräterischer Weise nach dem Leben trachtete, und es blieb mir nichts Anderes übrig, als ihm eine Kugel zu senden, die ihn verwundete. Er entrann, ich setzte ihm nach, konnte ihn aber nicht einholen.
Am anderen Tage war ich von Feinden umgeben, und begriff rasch, dass an eine Flucht nicht zu denken sei. Also stellte ich mich an einen Baum und erwartete die Indianer, die mich, etwa sechzig an der Zahl, bald umringt hatten. Ich legte die Waffen nieder, und schritt auf sie zu, wurde aber mit einem lauten Kriegsgeheul empfangen und nach wenigen Minuten gebunden. Auf die Worte, welche ich in spanischer Sprache an den Häuptling richtete, gab er mir eine indianische Antwort, die ich nicht verstand. Nach einer Weile band man mir die Stricke an den Beinen wieder los und schleppte mich fort, über den Sand, durch Gebüsch und einige Bäche, und so gelangte ich zum Dorfe dieser Jutah-Indianer, wo man mich in eine ihrer Hütten brachte. Dort fand ich den von mir verwundeten Indianer, seine Frau und eine Anzahl von Verwandten. Jetzt fragte der Häuptling in spanischer Sprache, ob ich den Mann kenne, und natürlich erfolgte von meiner Seite eine bejahende Antwort. Man zeigte mir die Wunde am Oberarme und somit war ich der Tat geständig und überführt. Nachdem vier oder fünf Männer sich unter einander beredet, brachten sie mich in die Beratungshütte. Sie war etwas größer als die anderen, denen sie im Übrigen ganz gleich sah. Dieser Stamm der Yutah-Indianer war ein hübscher Menschenschlag; ich fand die Männer kräftig und schlank gewachsen; sie hatten Adlernasen und vorstehendes Kinn. Sie wohnten am oberen San Juanflusse, der vom gleichnamigen Gebirge herabkommt und einen Hauptarm des Grand River bildet, welcher seinerseits einen der Hauptströme des Colorado ausmacht. Die Häuptlinge hatten ihr Gesicht mit frischen Farben bestrichen, die Adlerfedern als Schmuck in den Haarbüschel auf der Mitte des Kopfes gesteckt; an Hals und Armknöcheln hingen Zähne und Bärenkrallen, um die Hüften hatten sie Fuchs- und Wolfsschwänze, neben Jedem lag eine Streitaxt und in der Hütte hingen Skalpe. Zwei Indianer hielten Wache vor dem Eingang, der mit einem Bärenfell verhängt war; die Häuptlinge rauchten und zeigten dem Gefangenen eine mit Feindesblut bedeckte Streitaxt. Dann wurde die Frau hereingeführt, um ihre Aussage zu machen, worauf der Häuptling mich fragte, ob ich deshalb ins Land gekommen sei, um Männer seines Stammes feindselig zn behandeln? Ich entgegnete, dass ich nicht angriffsweise verfahren sei, sondern mich nur verteidigt hätte, nachdem Pfeile gegen mich abgeschossen seien. Diese Verteidigung ließ man nicht gelten; die Indianerin entfernte sich, die Häuptlinge hielten abermals Rat, und der Oberste legte mir jene Streitaxt auf den Kopf; das mochte wohl so viel bedeuten, als mein Todesurteil sei gesprochen. Ich wurde an einen Pfahl gebunden und verbrachte lange, qualvolle Stunden, dann band man mich los und führte mich hinaus. Die Indianer hatten sich geschmückt zu dem feierlichen Opfer, und manche ritten prächtige Pferde, die mit Bären- oder Büffelfellen bedeckt waren; eine große Menge hatte sich versammelt. Man band mich mit Händen und Füßen an den Kriegspfahl. Da stand ich nun und musste den verhängnisvollen Streich mit der Axt erwarten; meine Rechnung mit dem Leben hatte ich abgeschlossen.
Der erste Häuptling trat zu mir heran. Neben ihm stand ein Indianer, dessen Gesichtszüge mir ganz europäisch vorkamen. Er war gewiss älter als sechzig Jahre, aber noch in voller Kraft. Die Indianer sind bartlos; dieser Mann hatte einen langen weißen Bart, der einmal rot gewesen sein konnte; er trug eine Büchse, hatte einen Revolver im Gürtel und in der Hand eine Streitaxt.
Mein Erstaunen war groß, als diese seltsame Erscheinung mich im besten Englisch anredete, um mir zu eröffnen, dass ich zum Tode verurteilt worden sei, einmal als Amerikaner und dann wegen der Wunde, welche ich dem Indianer zugefügt. Indessen wolle man mir die dabei üblichen Martern ersparen; er, der Redner, habe das ausgewirkt; er sei von ganzem Herzen Indianer, von Geburt ein Brite. —
Wogan berichtet weiter, dass er diesem Briten den ganzen Sachverhalt auseinandergesetzt und sich als Franzosen zu erkennen gegeben habe. Er schildert ferner, dass jener Mann ein Schotte, Namens Lennox gewesen sei, der aus Liebe zum abenteuernden Leben unter die Indianer gegangen und der Ihrigen einer geworden sei. Er rettete ihm das Leben. Wir erinnern uns vor Jahren über diesen indianisierten Europäer in kalifornischen Blättern Manches gelesen zu haben; auch wurde berichtet, dass mehr als ein weißer Mann durch ihn beschützt worden sei. Gegen die Einzelheiten in Wogans ausführlicher Erzählung hegen wir manchen begründeten Zweifel; aber die Tatsache, dass er jenem Schotten sein Leben verdankte, mag wohl richtig sein. Deshalb haben wir diese ganz einfach mitgeteilt, den französischen Ausputz aber weggelassen.
*****************
Die früheren Zustände Kaliforniens lernt man sehr gut aus einem 1854 in Neu-York gedruckten Buche von Walter Colton kennen. Es führt den Titel: "Drei Jahre in Kalifornien." Dieser Mann befand sich im Juli 1846 in Monterey, als dort die nordamerikanische Flagge aufgezogen wurde. Im August wählte man ihn zum Alcalden; er war also Richter und Polizeidirektor in einer Person, schrieb vierzehn Tage später den Prospectus zu einer Zeitung, welche er redigieren half, und die ersten Nummern wurden in Ermangelung eines Besseren auf Zigarrenpapier gedruckt. Dann und wann hielt er auf den Schiffen und am Lande Predigten, und ging täglich auf die Jagd, um sich seine Nahrungsmittel zu erschießen. Er verbot die Glücksspiele, und beaufsichtigte die Gefängnisse. In seinem Tagebuchc schreibt er: „Ich besuchte die Gefangenen bei ihrer Arbeit. Der eine war ohne Hemd und gestand mir, dass er es an einen andern Gefangenen verspielt habe. Freilich hatten diese Leute keine Karten, aber sie wussten sich zu helfen. Sie hatten nämlich einen Knochen genommen und ihn in die Luft geworfen; wer ihn so warf, dass das dicke Ende zuerst die Erde brührte, gewann. Indianer und spanische Kalifornier würden sogar um ihre Zähne spielen, wenn sie nichts Anderes einzusetzen haben. Ich finde in jedem kalifornischen Hause einen Tanzsal und eine Madonna, Tanzen und Knien wechseln im Nu mit einander ab. Der Kalifornier ist von Kindesbeinen an bis an sein Grab zu Pferd, aber er mag nicht arbeiten.“
Ein sehr anschauliches Bild gibt Colton von der merkwürdigen Aufregung, welche sich der Leute bemächtigte, als das edle Metall gefunden war. Er schreibt unterm 29. Mai 1848 in sein Tagebuch Folgendes: —
Heute früh war es hier sehr lebhaft. Ein Mann bringt die Meldung, dass am Ria de los Americanos viel Gold gefunden worden sei. Die Leute schwatzen darüber, es glaubt aber niemand recht daran. — Am 6. Juni. Das Geschwätz über Goldentdeckungen will kein Ende nehmen; ich muss endlich wissen, was daran ist und habe deshalb einen Boten nach dem American River geschickt. Er hat hin und zurück vierhundert Meilen zu machen, aber sein Pferd ist gut und der Mann zuverlässig. — Am 12. Juni. Heute kam ein Mann vom Americanflusse an und brachte ein Stück Erz mit, das gelb aussieht und etwa eine Unze schwer ist. Wie das von Jedermann beliebäugelt wird! Viele wollen noch nicht glauben, dass es Gold sei, weil es nicht genau so aussieht wie ein Fingerring; es sei ja auch unmöglich gewesen, dass dergleichen Schätze bis heute hätten verborgen bleiben können.
Am 20. Juni. Mein Bote ist wieder zurück und hat wahrhaftig Goldproben mitgebracht. Alle Leute machen lange Hälse. Als er das gelbe Zeug aus der Tasche zog und es ihnen unter die Nase hielt, schwanden alle Zweifel; doch meinte ein alter Creole, die ganze Geschichte sei von den Yankees ausgedacht worden. Heute Nachmittag packt schon Alles auf, Jeder will Gold holen und täglich ein paar hundert Dollars verdienen.
Am 15. Juli. Seit dem tollen Goldfieber ist es gar nicht mehr auszuhalten. Dienstboten sind kaum noch zu haben; was hier bleibt, will sich auf höchstens eine Woche verdingen. Selbst unser Neger hat sich gestern Abend aus dem Staube gemacht. Heute besorgen wir Drei: ein General im Heer der Vereinigten Staaten, der Kommandeur eines Kriegsschiffes und ich, der Alcalde, schon am vierten Tage, unsere Küche selbst, mahlen Kaffee, schälen Zwiebeln, kochen Fleisch und backen Fische.
Am 18. Juli. Heute langte ein Matrose mit 136 Unzen Gold an, die er am Yubaflusse ausgewaschen hatte. Nun sind die anderen Seeleute ausgerissen und haben vierjährigen Lohn im Stiche gelassen. Meine Zimmerleute, welche am Schulhause bauten, sind auch fortgelaufen.
Im August. Mein irischer Diener Bob war acht Wochen lang in den Minen und kam mit Gold im Werte von zweitausend Dollars zurück. Früher war er sparsam, jetzt ritt er ein paar hübsche Pferde, lebte ungemein flott und traktierte seine Freunde. Nun hat der Jubel etwa vier Wochen gedauert und Bob geht wieder in die Minen; das Geld ist ganz alle geworden. Am 16. August. Gestern kamen vier unserer Bürger vom Federfluss zurück; sie arbeiteten dort mit drei Anderen, hatten dreißig Indianer in Dienst genommen, genau sieben Wochen und drei Tage gearbeitet und für 76.844 Dollars Gold unter sich verteilt. Einer von meinen Bekannten, der ganz allein auf eigene Faust arbeitete, ist sechs und vierzig Tage am Yuba gewesen und hat 5.356 Dollars heimgebracht, ein andrer 4.534; auch unsere weibliche Dienerschaft ist in die Goldgruben geflogen.
September. Nun gehe ich auch hin, wo das Gold liegt. Am 20. begegneten uns Leute, die aus den Goldgruben zurückkamen. Ich habe nie eine so abgerissene, zerlumpte, ausgehungerte, in jeder Beziehung armselige Gruppe von Menschen gesehen; nur einige besaßen abgemagerte Gäule, die übrigen schleppten sich mühsam mit wunden Füßen weiter und baten uns inständig um etwas Brot. Da zog der eine einen schweren Beutel mit Gold hervor, um uns für die Gabe zu bezahlen. Diese Leute hatten für mehr als hunderttausend Dollars bei sich, aber auf weiten Strecken nichts zu essen gefunden. Dergleichen kommt hier freilich alle Tage vor.
Am 4. Oktober. Wir sind in den Minen. Das Pfund Mehl kostet einen halben Dollar, ein Pfund Farinzucker vier, ein Pfund Kaffee fünf Dollars. Von Fleisch ist nur an der Sonne gedörrtes, in Streifen geschnittenes Bullenfleisch zu haben. Heute wurde eine Schachtel voll Brausepulver mit 24 Dollars bezahlt, für 40 Tropfen Opium wurden gar 40 Dollars gegeben. Ein Fuhrmann erhielt von einem Arzt Pillen gegen die Kolik und hatte dafür 100 Dollars zu zahlen. Am 29. Oktober. Das Pfund Mehl ist auf zwei Dollars gestiegen, das Quart Rum kostet zwanzig. Am 8. November. Jetzt sind schon mehr als fünzigtausend Goldgräber hier zusammengeströmt. Einige haben Zelte, andere nicht; einige besitzen Lebensmittel, anderen fehlt jeder Bissen. Man arbeitet mit Brechstangen, Spitzhacken, Wiegen, Spaten, Pfannen, Hämmern und Drillbohrern; an allen Ecken und Enden knallt es, denn man sprengt das Gestein mit Pulver weg. So buntscheckiges Volk ist wohl nie zuvor auf Einem Punkte zusammen gewesen. Da wo vor Wochen eine nun verlassene Lagerstätte war, liegen Totengebeine umher, welche von den Wölfen ausgescharrt worden sind; der Tod hält eine reichliche Ernte.
Am 13. November. Ich habe nun genug von der Goldgräberei gesehen und will wieder heim. Eben komme ich von einer Höhe zurück, von welcher ich weit und breit eine beträchtliche Goldregion mit ihren Schluchten und Bächen, Zelten und Menschen überblicken konnte. Ich bin ein weitgereister Mann, habe den Niagara rauschen hören, kenne die Parks und die City von London, die Boulevards von Paris, die schönen Ufer des Rheins, die Trümmer der ewigen Stadt Rom, Pompeji, den feuerspeienden Vesuv. Ich habe auch Mondscheinnächte in Venedig durchträumt, auf der Akropolis zu Athen gestanden und in dem halbbarbarischen Konstantinopel verweilt. Aber alle diese Herrlichkeiten zusammengenommen haben doch keinen so eigentümlichen Eindruck auf mich gemacht, wie diese „Diggings“ in Kalifornien. Das Ganze ist geradezu unbeschreiblich.
Vor etwa dreißig Jahren munterte die mexikanische Regierung zur Einwanderung nach Kalifornien auf, und bald kamen nordamerikanische Abenteurer, namentlich Gebirgsjäger und Biberfänger von Osten her; aber sie wurden von den Kreolen als störende Eindringlinge betrachtet. Auch die mexikanische Regierung hätte gern jene Aufforderung zurückgenommen; denn Kalifornien zählte nur etwa sechstausend weiße Einwanderer neben sechsmal so viel Indianern, und die amerikanischen Bärenschützen hatten angefangen, sich in die inneren Zwistigkeiten zu mischen und für Kaliforniens Unabhängigkeit gegen Mexiko zu kämpfen. Diese ersten Bahnbrecher und Schatzgräber zogen viele andere nach sich; sie benahmen sich eben so barsch und hochfahrend wie ihre von der See herkommenden Landsleute, die Walfischfahrer, welch die Häfen besuchten, weil diese sichere Zuflucht und Erfrischungspunkte darboten. Die Absperrung vom großen verkehr war von nun an ganz unmöglich; ein Gesetz, welches allen Ausländern Zulass verbot, wurde von diesen nicht beachtet; sie blieben und kamen in wachsender Anzahl, und siedelten sich auf fruchtbaren Strecken in dem menschenarmen Land an. Der Gouverneur in Monterey lies einmal nahe an hundert Engländer und Nordamerikaner verhaften und in Eisen legen; aber dadurch schreckte er die kühnen Abenteurer nicht ab, sondern erbitterte sie im höchsten Grade. Der Seehandel kam mehr und mehr in die Hand der unternehmenden Fremden, amerikanische Kriegsfahrzeuge waren seit 1842 alljährlich in den kalifornischen Häfen erschienen; von da an wurde auch der Zug über die Felsengebirge und die Sierra Nevada immer stärker, und 1846 erschien der berühmte Reisende J. C. Fremont. Der Gouverneur wollte ihn und seine sechszig Gefährten ausweisen, aber als Antwort wurde die nordamerikanischc Flagge aufgezogen und die Erklärung gegeben, dass man Widerstand leisten werde. Er sagte den Creolen den Krieg an, erklärte Kalifornienen für unabhängig und zog jetzt eine mit dem Bilde des grauen Bären geschmückte Flagge auf. Nach wenigen Monaten hatte eine Hand voll kräftiger Männer eines der schönsten Länder der Welt erobert, und im Februar 1813 trat Mexiko, im Frieden von Guadelupe Hidalgo, Kalifornien an die nordamerikanische Union ab.
Nun waren der so fruchtbare Boden, die üppigen Weidegründe und die bewaldeten Berge im ruhigen Besitze der Eingewanderten, deren Zahl sich damals schon auf etwa fünfzehntausend belief. Aber Kalifornien lag „am Ende der Welt,“ und würde, bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge, sich nur langsam entwickelt haben. Da entdeckte, gleich nach dem Abschlusse des Friedens, ein Mormone, bei dem Ausbessern eines Mühlgrabens, Gold. Bald ergab sich, dass die Nachhaltigkeit der Schätze keinem Zweifel unterlag; in allen fünf Erdteilen bemächtigte sich vieler Menschen eine fieberhafte Bewegung, und es begann eine ungeheure Völkerwanderung. Binnen drei Jahren waren mehr als dreimalhunderttausend Menschen nach dem neuen Dorado geströmt; Viele kamen von der Westküste Amerikas, aus China und Australien; Andere umschifften das Kap Horn; wieder Andere gingen über die Landenge von Panama; Tausende zogen vom Missouri aus über die weiten Prairieflächen, die Felsengebirge, durch das Mormonengebiet und über die Sierra Nevada; alle waren Goldgräber, alle wollten binnen kurzer Zeit reich werden.
Wer damals europamüde war, sich aus irgend einem Grunde nach der neuen Welt sehnte, und nicht den Pflug zur Hand nehmen mochte, rief: Wohlauf, nach Kalifornien! Jeder Dampfer brachte von Panama nach San Francisco Leute, denen es nach Gold und Abenteuern dürstete, zumeist Männer im kräftigsten Alter. Viele sind gestorben und verdorben, manche reich geworden, wieder andere leben längst als friedliche Ackerbauer. Ein nicht geringer Teil ist auch, amerikamüde, wieder nach Europa heimgekehrt, je nach Umständen in mehr oder weniger guten Verhältnissen. Es ist erklärlich, dass sie gern von „jenen Tagen“ erzählen, die reich an Aufregungen und Hoffnungen, Wünschen und Entbehrungen waren. Die Schicksale Vieler haben sich seltsam genug gestaltet.
Ein Offizier, der in Algerien unter den Spahis gedient, war afrikamüde und wollte Gold graben. Zu Ende des Jahres 1850 langte er in Kalifornien an. Er war mit einigen anderen Abenteurern bekannt geworden, deren einer eine angeblich ganz ausgezeichnete Maschine zum Goldwäschen erfunden hatte. Vier Männer bildeten eine Genossenschaft, die gemeinsam arbeiten und den Ertrag teilen wollte. So kamen sie nach San Francisco, das damals noch in seinen ersten Anfangen war. Seitdem hat es sich bekanntlich zur Königin unter den Städten an der Westküste Amerikas emporgeschwungen, trotz eines Dutzend verheerender Feuersbrünste, trotz Mord und Totschlag, Geld- und Geschäftskrisen, Raufbolden und Handwerkspolitikern, und trotz des bösen Gesindels, welches von allen Strichen der Windrose dort zusammenströmte. San Francisco glich damals weit mehr dem Krater eines Feuerberges, in dem allerlei vulkanische Elemente durcheinander brodeln, als der Wiege, aus welcher ein großer Staat hervorgehen soll. Aber das Leben war ungemein bunt und höchst eigentümlich.
Als ich, erzählt der Offizier, durch die Straßen schlenderte, kam ich an ein weitläufiges Gebäude mit einem großen Schilde, auf welchem ich die Worte: „California Exchange“ las. Ist das eine Börse oder die Bude eines Geldwechslers? fragte ich mich. Die Menschen drängten sich in den Sälen und ich trat hinein, um zu beobachten. Da wurde gegessen und getrunken, man las und rauchte. Ich nahm an einem gedeckten Tische Platz, um zu essen, und man brachte mir gekochten Lachs, trefflichen Bärenbraten, Butter und Chesterkäse. Als ich fragte, was meine Zeche betrage, bekam ich zur Antwort: „Kostet nichts!“ Dieses „No charge“ befremdete mich. War ich denn in ein Schlaraffenland geraten, wo die Wirtsleute von den Gästen kein Geld nehmen? Aber ich sah doch, dass von anderen Leuten Zahlung angenommen wurde; in Bezug auf meine Person musste also wohl ein ganz besonderer Umstand obwalten, der mir aber noch nicht klar war. Ich nahm Platz in einem Lehnsessel und las in einer Zeitung; da kam ein Zigarrenverkäufer nnd bot mir von seiner Ware an. Ich forderte einen Glimmstengel und reichte dem Hausierer einen Dollar. Er nahm rasch noch drei Zigarren, wickelte sie in ein Papier, sprach: „All right“ und ging fort. Das Stück kostete also zehn Silbergroschen und es war mindestens zweifelhaft, ob das Deckblatt dieser Upmanns nicht etwa in der Gegend von Mannheim am Neckar gewachsen sei! Wunderliches Land, dachte ich, der Wirt nimmt nichts und der Zigarrenhändler zieht dir das Fell über die Ohren. Am Abend erhielt ich den Schlüssel zum Rätsel; in jener „Börse“ zahlte man nichts für das Essen, sondern nur für das Trinken; jenes bekam man mit in den Kauf. Am Abend ging ich noch einmal hinein, trank zwei Glas Cognac mit Wasser und gab dafür einen halben Dollar.
San Francisco war überhaupt ein teures Pflaster und wir machten, dass wir fortkamen; es zog uns nach den Goldfeldern. Bald saßen wir an Bord eines nach San Sacramento bestimmten Dampfers. Es war eine herrliche Fahrt; wir flogen über die glatte Meeresbucht rasch dahin und erfreuten uns an der schönen Landschaft. Bei der Einfahrt in den Strom (den San Sacramento) lag uns eine englische Brigg im Wege und unser Kapitän rief sie an. Die Antwort lautete: „Ich sitze auf dem Grunde fest; im andern Fahrwasser ist eine Sandbank!“ Unser Dampfer kehrte sich nicht daran; der Kapitän sagte, er wolle hindurch, wenn es sein müsste, über den Engländer hinweg. Und in der Tat, er kam hindurch. Erst fuhr er eine kleine Strecke weit zurück, ließ stark heizen, spannte den Dampf so viel als möglich an und raste fort, an der Brigg vorüber, von welcher wir ein nicht unbeträchtliches Stück der Steuerbordseite losrissen. Der Engländer fluchte, der Yenkee wetterte auch, beim Anprallen waren ein paar Dutzend unserer Fahrgäste auf Nase oder Rücken gefallen! aber was machte das aus, wir kamen nach San Sacramento?
Dort kauften wir einen Wagen und Maultiere, luden unsere Wundermaschine und alle übrigen Habseligkeiten, darauf und zogen nach dem Grastal, Grass Valley, um auf irgend einem „Placér“ unser Glück zu versuchen, nach Gold zu „diggen“. Die Gegend, welche wir durchzogen, war noch nicht angebaut, nur in weiten Zwischenräumen sahen wir dann und wann eine einsame Wohnung. Unser Nachtlager hatten wir natürlich unter freiem Himmel, gaben aber wohl Acht, dass wir nicht etwa überrumpelt würden. Denn in den Blättern von San Francisco hatten wir gelesen, dass bösartige Landstreicher umherschwärmten, die es zweckmäßig fanden, nicht selber nach Gold zu graben, sondern Reisenden dasselbe abzunehmen. Indessen war uns das Glück hold und wir gelangten unangefochten in die Nähe des Dorfes Rough and Ready, in demselben Tale, wo Nevada City steht. Dort sahen wir prächtige Placeres im Hintergrunde einer Schlucht, die aussah, als wäre dies Gestein durch einen Orkan durch und über einander geworfen worden. Viele Bäume waren gebrochen oder umgehauen; die „Digger“ hieben mit ihren Spitzäxten in den Boden, andere wuschen Gold aus dem Sande. In der Umgegend fanden wir Zelte und Hütten aller Art. Zwei Tage später waren wir im Grasthale, um dort wo möglich Millionäre zu werden. Als wir unsere Maschine aus packten, strömten viele Neugierige herbei; sie hatten dergleichen noch nicht gesehen. Von San Francisco aus waren wir an einige Schweizer empfohlen worden, die sich sehr freundlich benahmen und uns den großen Placér zeigten, wo wir einen „Claim“ zu nehmen gedachten.
Schon damals hatte sich in Bezug auf Besitztitel durch die Praxis ein Gewohnheitsrecht ausgebildet, das einige Zeit nachher von der Staatsgesetzgebung ausdrückliche Genehmigung erhielt. Das Recht, irgendwo nach Gold zugraben, zu diggen oder zu waschen, und dafür eine gewisse Stelle in Besitz zu nehmen, heißt ein Claim, ein Anspruch. Bei den „Miners“, welche bergmännisch verfahren, gilt als Herkommen, dass ein Einzelner von einer Quarzader nicht mehr als einhundert Fuß Raum in die Länge claimen kann, und die Sache nahm folgenden Verlauf. Ein Mann findet eine goldhaltige Ouarzader. Sobald das bekannt geworden, kommen noch andere Miners, stecken sich jeder eine Front von hundert Fuß ab und gehen ohne Weiteres an die Arbeit. Dem ersten Entdecker wird eine Extrafront von weiteren hundert Fuß zugesprochen und diese bildet seine Belohnung für den Fund. Sämtliche Anteile werden abgemarkt, alle Miners, welche an derselben Fundstätte arbeiten, wählen einen Recorder und dieser verfasst eine Urkunde, in welcher sämtliche Claims verzeichnet sind. Sie wird beim Countyschreiber als Beweisdokument hinterlegt. Jeder kann seinen Claim nach Belieben verkaufen.
Wir fanden in unserer Gegend große Tätigkeit. Nach langer Wanderung waren wir matt und müde, lagen indes; recht gemächlich in unserm Zelte. Aber gleich in der zweiten Nacht brach ein fürchterliches Gewitter los, das in dem Tal entsetzlich rollte und grollte. Zum Glück hielten die Seile unseres Zeltes, aber der in Strömen herabfallende Regen drang durch bis auf die Haut. Nachdem wir jeder einen Claim von zehn Fuß ins Gevierte in Angriff genommen und eine Menge goldhaltigen Sandes zusammengebracht hatten, probierten wir unsere Maschine. Aber sie nützte uns nichts, und obendrein waren wir beim Einkaufe des Quecksilbers betrogen worden; es zeigte sich nämlich, dass man uns verfälschtes gegeben hatte. Nun war freilich das Missvergnügen groß; wir hatten auf diese Maschine alle unsere Hoffnungen gesetzt und diese waren zu Wasser geworden. Unsere Genossenschaft hatte fortan keinen Zweck mehr; wir lösten sie auf, teilten den Rest unserer Habe und jeder versuchte sein Glück auf eigene Faust. Ich blieb noch einige Zeit in Grass Valley und machte von dort Ausflüge; meine Freunde kehrten nach San Francisco zurück. Einer derselben ging nach Benicia und von dort in das nahe gelegene Napatal, das in die San Pablobucht mündet. In diesem Garten Kaliforniens, der damals erst besiedelt wurde, baute er sich an. Als er an den Eingang kam, fand er das Land weit und breit mit wildem Hafer bedeckt; mitten hindurch floss der Napabach, der für kleinere Schiffe Wassertiefe genug hat und bis zum neuen Dorfe Napa schiffbar war. Dort lag ein Fahrzeug, das ein Landmann in San Francisco, wo es als untauglich befunden war, gekauft und hierher gebracht hatte, um es als Wohnung zu benutzen. Es befand sich dicht am Ufer und diente zugleich als Warenlager.
Weiter aufwärts war das Tal von Hügeln eingeengt, die bis zum Gipfel hinauf mit Bäumen bestanden sind. Das Ganze glich weit und breit einem herrlichen Park, in welchem gewaltige, zum Teil immergrüne Eichen teils zerstreut umherstehen, teils dicht bei einander in Gruppen sich erheben. Aber sie verschwinden und nehmen sich aus wie Zwerge neben den Riesen der Pflanzenwelt, den zapfentragenden Bäumen, welche nirgends in der Welt ihres Gleichen haben. Als mein Freund zum ersten Male die gewaltige Zeder sah, welche die Spanier Palo colorado und die Nordamerikaner Red wood nennen (Taxodium giganteum), war er vor Erstaunen außer sich. Dieser schöne Baum ist der Küstenregion eigen und geht nicht weit ins innere Land; man hat einzelne gefällt, deren Höhe etwa dreihundert Fuß betrug. Noch riesenhafter sind freilich die berühmten Lamberts- oder Zuckerfichten, die ich in der Sierra Nevada gesehen habe, und die Wellingtonia gigantea, die von den Nordamerikanern als Mammuth-Washingtonbaum bezeichnet wird. Sie hat ihre rechte Heimat mitten in der Goldregion am Mokelumne und Calaveras, und manche Bäume können, den Jahresringen nach zu urteilen, nicht unter neunzehnhundert Jahre alt sein. Sie haben 92 bis 96 Fuß im Umkreise. Als ein von der Regierung der Vereinigten Staaten ausgesandter Botaniker eine solche Wellingtonia fällen wollte, musste er den Banm zuerst mit Brunnenbohrern durchlöchern lassen, und fünf Leute waren volle zweiundzwanzig Tage beschäftigt, um den Stamm vom Stumpfe zu trennen. Aber noch immer stand jener fest in vollem Gleichgewichte, und die fünf Arbeiter hatten wieder zwei Tage lang vollauf zu tun, um von allen Seiten her Keile einzutreiben; dann erst gelang es, ihn umzustürzen. Das Fällen dieses einzigen Baumes verursachte sechsthalbhundert Dollars Kosten. In der Nähe lag ein noch weit größerer Stamm, der vor etwa einem halben Jahrhundert durch einen Zufall umgestürzt sein mochte. Er ist, als er noch aufrecht stand, mindestens fünfthalbhundert Fuß hoch gewesen; am Boden misst er 110 Fuß im Umfange und hat 36 Fuß Durchmesser; seine Borke ist an manchen Stellen 15 Fuß dick. Teile derselben sind später in den Gewerbeausstellungen zu New York und London gezeigt worden. Er liegt in einem dichten Walde, von Lambertsfichten und Pechtannen umgeben. Solcher Riesenbäume sind im Ganzen nur etwa einhundert Stück vorhanden; sie stehen da als Glieder, welche unsere Tage mit einer uralten Vergangenheit verknüpfen.
In jenem Tal traf mein Freund den berühmten Patriarchen Yaunt. Dieser merkwürdige Mann war so recht das Urbild eines Kriegers, Biberfängers, Bärenjägers und Pioniers, ein Bahnbrecher für die Einwanderung in Kalifornien, und damals schon hoch bei Jahren. Er hatte 1812 unter Jackson die Schlacht bei Neu-Orleans mitgemacht, später in Florida gegen die Seminolen gefochten, welche ihn gefangen nahmen und an den Kriegspfahl banden, um ihn zu verbrennen. Nur durch ein Wunder wurde er gerettet. Dann wurde er Trapper und zog in den weiten Westen, immer weiter der untergehenden Sonne zu, bis er am Gestade des Großen Weltmeeres anlangte. Er durchstreifte Kalifornien und Oregon, baute sich einen großen Nachen, schiffte an den Küsten umher und stellte den wertvollen Seeottern nach. So kam er auch durch die Goldene Pforte in die große, prächtig gegliederte Bucht von San Francisco, welche damals noch öde war, und besuchte das kleine Dorf Yerba buena, an dessen Stelle sich nun die betriebsame Welthandelsstadt erhebt. Von dort steuerte er in die San Pablobucht, in welche, wie schon bemerkt, der Napafluss mündet, und fuhr den letzteren hinauf. Das wunderschöne Tal behagte ihm sehr; es war nur von Caymas Indianern bewohnt, und bei diesen baute Yaunt sich eine Hütte. Während er an derselben zimmerte und dabei früherer Tage gedachte, dämmerte plötzlich eine alte Erinnerung in ihm auf, welche einen gewaltigen Eindruck auf ihn machte. Eine alte Frau hatte dem Knaben, der eben zum Jüngling heranreifte, wahrgesagt, ihm als endlichen Ruhesitz ein schönes Tal in Aussicht gestellt, und dieses mit seinen Wiesenebenen, Eichenhainen, Bergen, mit dem Flusse und selbst mit den heißen Quellen, deren das Napatal mehrere hat, genau beschrieben. Als Yaunt von den Seminolen, welche den Gefangenen zu Tode martern wollten, an den Pfahl gebunden wurde, gedachte er der Wahrsagerin und bedauerte schmerzlich, dass sie falsch prophezeit habe. Seitdem war das in Vergessenheit geraten, trat aber nun im Napatale, wo er Alles verwirklicht fand, lebhaft vor seine Seele. Nachdem er dann die vielen Wechselfälle seines Lebens noch einmal im Geiste an sich vorübergehen ließ, sagte er sich: hier ist gut Hütten bauen, und blieb im Napatale. Aus dem Bären- und Otterjäger wurde ein friedlicher Ackerbauer und Viehzüchter. Anfangs hatte er sich freilich der Indianer zu erwehren, aber es gelang seiner Klugheit, einige Stämme zu sich herüberzuziehen, mit deren Hilfe die ihm feindseligen zu bezwingen und den blutigen Fehden ein Ende zu machen.
Vom Napatal aus unternahm mein Freund mit einigen Landsleuten eine Wanderung nach Oregon. Es handelte sich dabei um ein Unternehmen, das weit mehr Nutzen brachte als das Goldgraben. Einer von dieser Gesellschaft hatte seine Heimat an der Weser, und verstand nicht nur Lachse zu fangen, sondern auch sie zu räuchern. Geräucherter Lachs wurde damals in San Francisco mit Gold aufgewogen. Vom Meere aus ziehen nicht weniger als sechs Arten Lachse alljährlich stroman; die größten findet man im Columbia, wo sie manchmal bis zu fünfzig, im Durchschnitt aber etwa zwanzig Pfund schwer werden. Der Fisch kommt im Mai und dann wieder im Oktober und bildet ein Hauptnahrungsmittel der Indianer in jenen Gegenden; er geht vom Hauptstrom auch in dessen Nebenflüsse, so hoch hinauf, als nur immer möglich, bis in die Nähe der Quellen, wo dann das Wasser so seicht ist, dass viele von den Indianern mit den Händen gefangen werden. Der Lachs hat eine gewaltige Muskelkraft, die es ihm möglich macht, über hohe Wasserfälle zu springen. Man wird stundenlang nicht müde, die Fische bei dieser Arbeit zu beobachten. Oft machen sie mehrere Sprünge, und zwar so, dass sie da, wo die Wasserfälle oder Stromschnellen Absätze bilden, sich zuerst und mit genauer Berechnung auf den unteren Felsenabsatz schwingen und somit zu einem neuen Sprung ansetzen können; dann machen sie diesen. Manche wenden dabei solche Kraft auf, dass sie sich selber töten, andere arbeiten so anhaltend, dass sie vor Erschöpfung nicht mehr stroman schwimmen können nnd vom Wasser getrieben werden. Dann werden sie eine Beute der zahlreichen Adler und Geier.
Der Lachs ist um so fetter und schmackhafter, je näher er noch dem Meer ist; im oberen Laufe der Flüsse erscheint er mager und schon abgehungert. Im Columbiastrom sind jene, welche man an der Tschinuk-Spitze fängt, ohne Zweifel, die delikatesten in der ganzen Welt, und nächst ihnen die bei Oregon City an den Wasserfällen des Willamette. Unsere Landsleute waren verständig genug, sich mit den Indianern in Einverständnis zu setzen, ihnen die Erlaubnis zum Lachsfang abzukaufen und sich ihrer Beihilfe zu bedienen. Denn jeder Stamm hält darauf, dass sein Fischrevier nur von ihm allein ausgebeutet werde; gegen eine Beeinträchtigung desselben würde er sich mit den Waffen erheben, und jede einzelne Familie hat ihren bestimmten Platz, ihre besondere Wasser- und Felsenstrecke, und diese bilden ihr geheiligtes Eigentum, wie bei dem Bauer der Acker, welchen er vom Vater ererbt hat und pflügt. Was für den Indianer der Prairie der Büffel, das ist für jenen in Kalifornien und Oregon der Lachs; dieser bildet sein Hauptnahrungsmittel, und ohne ihn müsste er verhungern, weil er sich zum Ackerbau unfähig weiß. Er ist nun einmal Fischer und Wurzelgräber.
An den Lachsfang knüpft sich bei den Indianern mancherlei Aberglaube. In den ersten Tagen des Fanges, also etwa in der Mitte des Aprilmonats, würden sie um keinen Preis in der Welt einem weißen Manne einen Fisch geben oder verkaufen, über welchen sie nicht vorher einen Kreuzschnitt gemacht und dann das Herz herausgerissen hätten. Ein sterbenskranker Mensch wird in den Wald getragen, und muss dort allein, ohne irgend welchen Beistand, sein Leben beschließen; denn wer einen toten Menschen anrührt, würde im ganzen Jahre keinen Fisch fangen können! Ein Pferd darf nicht durch die Fuhrt gehen, an welcher man Lachse fängt; das brächte Unglück.
Auch an zarten Lachsforellen, die gewöhnlich bis zu zwei Fuß laug werden, sind die Flüsse reich, und diese Fische gerade dann am schmackhaftesten, wenn der eigentliche Lachs mager ist und nicht gefangen wird. Oregon ist sicherlich das fischreichste Land der Welt, denn auch Heringe, Sardinen, Störe, Stockfische, Karpfen, Flundern, Lampreten und Aale kommen in ganz ungeheurer Menge vor.
Während ein Teil unserer Landsleute eine ganze Ladung geräucherter Lachse nach San Francisco brachte und mit großem Vorteil verkaufte, zogen die übrigen mit den Indianern im Land umher, um Beeren und Wurzeln zu sammeln. Dabei spielten auch die Frauen eine Rolle. Es ist Tatsache, dass sie bei den wilden Völkern um so mehr gelten, je mehr sie ihrerseits dazu beitragen, Nahrungsmittel herbeizuschaffen. Bei den Jägernomaden nehmen sie deshalb eine sehr untergeordnete Stellung ein; bei den Fischernomaden, die in Oregon zugleich Wurzelgräber sind, haben sie ein Wort mitzureden.
Nach der Zeit des Fischfanges gehen die einzelnen Familien erst in die Berge, wo sie die zum Teil sehr wohlschmeckenden Beeren sammeln. Dann ziehen sie weiter und graben nach mehlhaltigen Wurzelknollen, welche sie zerstoßen und trocknen. Diese bilden ihr Brot. Es ist mir ein Rätsel geblieben, weshalb man bis auf den heutigen Tag noch keinen Versuch gemacht hat, irgend eine der vielen essbaren Wurzeln, welche im nördlichen Kalifornien und Oregon in unglaublicher Menge wachsen, bei uns in Europa einheimisch zu machen! Wir wissen Alle, von welcher Wichtigkeit die Kartoffel gewesen ist, und man darf wohl annehmen, dass unter jenen oregonischen Wurzelknollen manche den Anbau bei uns verlohnen und durch Pflege noch veredelt würden, gerade wie die Kartoffel. Am liebsten ist den Indianern die Jthwa oder Kamaßwurzel, Camassa esculenta, welche zwiebelartige Schalen hat und in großer Menge an feuchten Stellen der Wiesen wächst. Sie erlangt die Größe einer kleinen Zwiebel, schmeckt wie eine gekochte Kastanie, wird geröstet, zu einer Art Brot verbacken, und bildet neben dem Lachse das Hauptnahrungsmittel der Indianer. Kaum minder nützlich ist die Wappatuknolle, die gleichfalls an sumpfigen Stellen wächst. Die dünne weiße Bitterwurzel, Spatilon, sieht aus wie italienische Nudeln und gibt einen etwas bitter, aber sehr angenehm schmeckenden Brei. Man findet sie, gleich einer anderen bitteren Wurzel, in trockenem Kiesboden; die letztere ist dick, läuft nach beiden Enden verjüngt zu und gilt für sehr nahrhaft. Die Poxpox erscheint gleich im Anfange des Frühjahrs und wird gegessen, ehe die Kamaß gegraben werden kann. Die Mesani ist weniger nahrhaft und gleicht einer Pastinake; sehr beliebt erscheint dagegen die Kauisch oder Brotwurzel, welche in trockenem Boden wächst, so groß wie ein Pfirsich wird und den Geschmack der süßen Kartoffel hat.
Diese Streifzüge waren von schönem Wetter begünstigt und in hohem Grade angenehm. Aber an einen sehr unwillkommenen Vorfall denkt der Lachsfänger von der Weser nicht ohne Schaudern zurück. Als er einst von einer Wiesenfläche her in den Wald gehen wollte, bemerkte er ein dunkelfarbiges Tier mit einem buschigen Schweife, das rasch weglief und in ein Erdloch schlüpfen wollte. Es war kaum zur Hälfte hinein, als er herbeigesprungen kam und mit dem Flintenkolben nach ihm schlug. Aber in demselben Augenblicke spritzte unter dem Schweif eine gelbliche Flüssigkeit hervor, besudelte den Flintenkolben und verbreitete einen furchtbaren Geruch, welcher unserem Landsmann eine Anwandlung von Ohnmacht verursachte. Er fühlte sich von diesem grässlichen Geruche wie erstickt, war aber zum Glück, an seiner Person unbeschädigt geblieben. Trotzdem wollte der Geruch nicht von ihm weichen. Diese Bekanntschaft mit dem berüchtigten Stinktier, das von den spanischen Creolen als Zorilla bezeichnet wird, kann er auch heute noch nicht vergessen. Das Tier hat als einzige Verteidigung eine Blase am Hinterteil, aus welcher es seinen Saft gegen seine Verfolger schleudert. Der Geruch ist beinahe unvergänglich; er setzt sich in Kleidern fest und man muss dieselben wegwerfen; der Saft ist ätzend und verursacht Blindheit, wenn er ins Auge kommt; kein Hund, welcher einmal mit dem Zorilla Bekanntschaft gemacht hat, lässt sich jemals wieder auf ein solches hetzen. Das Zorilla scheint in jenen Gegenden unsern Iltis zu ersetzen, hält sich gern in der Nähe menschlicher Wohnungen auf und ist den Hühnerställen und Taubenschlägen gefährlich. Die Indianer schneiden die Blase weg und essen das Fleisch; sie boten unserm Landsmanne davon an; ich glaube ihm aber gern, dass er sich schön bedankt hat.
Während dieser Zeit verweilte ich noch im Grass-Valley, denn allmählich fand ich Geschmack an dem dortigen Leben und Treiben. Ein Neu-Yorker, welchen das Glück begünstigt hatte und dessen Vater gestorben war, ging in seine Heimat zurück und verkaufte mir seine Hütte, die zwar nicht glänzend, aber doch bequem war. Sie stand unter einem hohen Tannenbaume, war aus Klötzen und Brettern aufgebaut und mit Schindeln gedeckt. Regen konnte nicht hineindringen, ein kleiner Ofen diente als Herd zum Kochen; das Bett bestand aus vier Pfählen, über welche Segelleinwand gespannt war, und einem mit Eichenblättern gefüllten Sacke. Ein kleiner Garten mit allerlei Gemüse fehlte auch nicht, und vierzig Pfund Mehl, welche mir der Amerikaner überließ, waren mir sehr willkommen. Ich konnte mir Brot backen.
Es war recht hübsch im Grastale; auch an Umgang fehlte es nicht, nur war die Klage über Klapperschlangen sehr allgemein. Einer von meinen Nachbarn kam wirklich in große Gefahr. Er hatte aus einer Vertiefung im Gebüsch trockenes Laub in seinen Bettsack geschaufelt und auf diesem schwellenden Lager recht sanft bis gegen Tagesanbruch geschlafen. Da raschelt es im Bette; er denkt an eine Ratte, denn diese ist den Europäern bis in die entlegenen Täler gefolgt, greift hin und packt — eine Klapperschlange! Natürlich sprang er im Augenblicke fort, beobachtete aber die offene Tür. Nach einigen Stunden kam die Schlange, die nun totgeschlagen wurde. Er schnitt ihr die Klapper ab und hat sie aufbewahrt.
Damals lieferte die Jagd noch hübsche Ausbeute; man brauchte nur ein paar Stunden weit zu gehen und war sicher, dass man sich nicht vergeblich bemühen werde. Ich kaufte in Nevada-City ein Maultier, legte demselben eine Bärenhaut als Sattel auf und war eine Zeit lang Jäger von Handwerk. Meine Beute brachte ich gewöhnlich nach der Stadt, und an einem Sonnabend erhielt ich, weil gerade die Goldgräber in Menge dorthin kamen, für einen Hirsch achtzig Dollars, schloss auch mit einem Gastwirt einen Vertrag über Wildlieferung. Von geprägtem Gelde sahen wir nur wenig, alles wurde mit Goldstaub bezahlt. Jeder hatte lederne Börsen und in jedem Kaufmannsladen hingen Goldwaagen.
Als der Winter vorüber war, verließ ich Kalifornien und machte Streifzüge im Osten der Sierra Nevada, bis in die südlichen Teile des Mormonenlandes an den oberen Zuflüssen des Rio Colorado, also in eine Gegend, die damals noch so gut wie unbekannt war. Seit jener Zeit ist sie im Auftrage der Vereinigten Staaten vielfach erforscht worden. Dann ging ich weiter, kam nach Neu-Mexico, besuchte Santa Fé und Taos, gelangte in die Nähe der Quellen des Rio grande und zog über die Felsengebirge südlich von dem jetzt wegen seines Goldreichtums bekannt gewordenen Pikes Pik. Wo nun ein rühriges Leben und Treiben herrscht, war damals Alles Einöde und Wildnis. Von Beuts Fort am Arkansasflusse wandte ich mich nach Süden hin, an den Canadian.
Dieser merkwürdige Fluss hat mit dem Lande Canada nichts zu schaffen; der Name ist ihm von den Nordamerikanern gegeben und, nach ihrem Brauch, verunstaltet worden. Canada heißt im Spanischen eine tiefe Schlucht, und aus diesem Worte haben sie Canadian gemacht. Er strömt durch eine ganz eigentümliche tafelförmige Ebene, welche vielfach von Strömen, bis an deren Rand diese „Mesa“ reicht, und durch eine tiefe Schlucht, einen sogenannten Canon, durchzogen wird. Auf einer Strecke von mehr als einhundert Stunden drängt er sich ununterbrochen durch solch eine tief eingerissene Schlucht und ist auf dieser ganzen Länge nicht zu überschreiten. Denn seine Uferränder werden durch Steilklippen gebildet, welche bis zu einer Höhe von zwölf, ja von fünfzehnhundert Fuß fast senkrecht sich erheben.
In kleinerem Maßstab fand ich ähnliche Erscheinungen auch im Westen der Felsengebirge. Manche Gefließe sind vielleicht nicht zehn Schritte breit, aber ihre vom Regen und vom Strome ausgewaschenen Schluchten haben eine Tiefe bis zu einhundert Fuß. Oft ahnt der Reisende gar nichts von einem solchen Hindernisse, bis er sich dicht vor dem Abgrunde befindet; er muss dann weite Umwege machen, ehe er zu einer Fuhrt gelangt, wo das Überschreiten für Menschen und Tiere möglich wird. —
Wir schließen diesen Schilderungen eine andere an, die neulich ein Franzose, Wogan, gegeben hat. Auch dieser Mann war nach Kalifornien geschleudert worden, wo er ein abenteuerndes Leben führte, das er jetzt mit einem weniger auf regenden Berufe vertauscht hat, denn er ist Telegraphendirektor in seiner Heimat. Längere Zeit war er als Bärenjäger umhergezogen, über die Sierra Nevada an den Humboldtfluss und dann in das Wahsatschgebirge gegangen, wo er mit den Yutas und Navajo-Indianern zusammentraf. Am Green River (Rio verde), dem Hauptarme des Colorado, vernahm er eines Tages wildes Geschrei, über dessen Anlass er Folgendes erzählt.
Ich hielt mein Ohr platt an die Erde und horchte; dann sprang ich anf, eilte in ein Weidengebüsch, legte mich lang hin und passte auf. Bald nachher kam eine ganze Horde von Indianern, Männer, Weiber und Kinder wild durcheinander, und alle sprangen ins Wasser wie Frösche. Offenbar waren sie in Angst und Schrecken; die kleinen Kinder hingen auf den Rücken der Mütter, welche langsamer schwammen als die Männer. Wer das diesseitige Ufer gewann, floh sofort weiter; nur ein paar Männer blieben, um den Frauen behilflich zu sein, am Ufer zurück. Da wälzte sich aus dein Dickicht vom Hügel herab ein grauer Bär, der ins Wasser sprang und hinter einer Frau herschwamm. Die Pfeile der Indianer erreichten ihn nicht. Nun trat ich aus meinem Versteck hervor, legte mein Gewehr auf einem Weidenstamm an, schoss und traf. Mein zweiter Schuss war eben so glücklich, aber der Bär kam ans Land und suchte seinen Feind auf. Nachdem ich rasch geladen, kletterte ich auf einen Weidenbaum und erwartete ihn. Er stand blutend, mit geöffnetem Rachen und mit seinen Tatzen am Baume, denn klettern kann er nicht. Ich feuerte beide Schüsse in seinen roten Rachen und er stürzte; ein paar Kugeln aus meiner Drehpistole, welche sein Auge verletzten, machten dem Leben des Ungetüms ein Ende.
Der graue Bär ist ein sehr gefürchtetes Tier. Ich hieb ihm die Tatzen ab und schlug ihm die Zahne aus; beide dienten mir, nach Indianerweise, als Trophäen. Ich muss in meiner aus Coyotefellen zusammengenähten Bekleidung zu jener Zeit merkwürdig genug ausgesehen haben. Als der Bär vor mir lag, kamen die Indianer und führten einen Tanz auf; nachher stimmten sie einen Gesang an.
Einige Tage später ward ich von eben diesen Indianern bestohlen und bald nachher umschwirrten mich Pfeile. Ich sah, dass derselbe Indianer, dessen Frau ich vor dem Bären gerettet hatte, mir verräterischer Weise nach dem Leben trachtete, und es blieb mir nichts Anderes übrig, als ihm eine Kugel zu senden, die ihn verwundete. Er entrann, ich setzte ihm nach, konnte ihn aber nicht einholen.
Am anderen Tage war ich von Feinden umgeben, und begriff rasch, dass an eine Flucht nicht zu denken sei. Also stellte ich mich an einen Baum und erwartete die Indianer, die mich, etwa sechzig an der Zahl, bald umringt hatten. Ich legte die Waffen nieder, und schritt auf sie zu, wurde aber mit einem lauten Kriegsgeheul empfangen und nach wenigen Minuten gebunden. Auf die Worte, welche ich in spanischer Sprache an den Häuptling richtete, gab er mir eine indianische Antwort, die ich nicht verstand. Nach einer Weile band man mir die Stricke an den Beinen wieder los und schleppte mich fort, über den Sand, durch Gebüsch und einige Bäche, und so gelangte ich zum Dorfe dieser Jutah-Indianer, wo man mich in eine ihrer Hütten brachte. Dort fand ich den von mir verwundeten Indianer, seine Frau und eine Anzahl von Verwandten. Jetzt fragte der Häuptling in spanischer Sprache, ob ich den Mann kenne, und natürlich erfolgte von meiner Seite eine bejahende Antwort. Man zeigte mir die Wunde am Oberarme und somit war ich der Tat geständig und überführt. Nachdem vier oder fünf Männer sich unter einander beredet, brachten sie mich in die Beratungshütte. Sie war etwas größer als die anderen, denen sie im Übrigen ganz gleich sah. Dieser Stamm der Yutah-Indianer war ein hübscher Menschenschlag; ich fand die Männer kräftig und schlank gewachsen; sie hatten Adlernasen und vorstehendes Kinn. Sie wohnten am oberen San Juanflusse, der vom gleichnamigen Gebirge herabkommt und einen Hauptarm des Grand River bildet, welcher seinerseits einen der Hauptströme des Colorado ausmacht. Die Häuptlinge hatten ihr Gesicht mit frischen Farben bestrichen, die Adlerfedern als Schmuck in den Haarbüschel auf der Mitte des Kopfes gesteckt; an Hals und Armknöcheln hingen Zähne und Bärenkrallen, um die Hüften hatten sie Fuchs- und Wolfsschwänze, neben Jedem lag eine Streitaxt und in der Hütte hingen Skalpe. Zwei Indianer hielten Wache vor dem Eingang, der mit einem Bärenfell verhängt war; die Häuptlinge rauchten und zeigten dem Gefangenen eine mit Feindesblut bedeckte Streitaxt. Dann wurde die Frau hereingeführt, um ihre Aussage zu machen, worauf der Häuptling mich fragte, ob ich deshalb ins Land gekommen sei, um Männer seines Stammes feindselig zn behandeln? Ich entgegnete, dass ich nicht angriffsweise verfahren sei, sondern mich nur verteidigt hätte, nachdem Pfeile gegen mich abgeschossen seien. Diese Verteidigung ließ man nicht gelten; die Indianerin entfernte sich, die Häuptlinge hielten abermals Rat, und der Oberste legte mir jene Streitaxt auf den Kopf; das mochte wohl so viel bedeuten, als mein Todesurteil sei gesprochen. Ich wurde an einen Pfahl gebunden und verbrachte lange, qualvolle Stunden, dann band man mich los und führte mich hinaus. Die Indianer hatten sich geschmückt zu dem feierlichen Opfer, und manche ritten prächtige Pferde, die mit Bären- oder Büffelfellen bedeckt waren; eine große Menge hatte sich versammelt. Man band mich mit Händen und Füßen an den Kriegspfahl. Da stand ich nun und musste den verhängnisvollen Streich mit der Axt erwarten; meine Rechnung mit dem Leben hatte ich abgeschlossen.
Der erste Häuptling trat zu mir heran. Neben ihm stand ein Indianer, dessen Gesichtszüge mir ganz europäisch vorkamen. Er war gewiss älter als sechzig Jahre, aber noch in voller Kraft. Die Indianer sind bartlos; dieser Mann hatte einen langen weißen Bart, der einmal rot gewesen sein konnte; er trug eine Büchse, hatte einen Revolver im Gürtel und in der Hand eine Streitaxt.
Mein Erstaunen war groß, als diese seltsame Erscheinung mich im besten Englisch anredete, um mir zu eröffnen, dass ich zum Tode verurteilt worden sei, einmal als Amerikaner und dann wegen der Wunde, welche ich dem Indianer zugefügt. Indessen wolle man mir die dabei üblichen Martern ersparen; er, der Redner, habe das ausgewirkt; er sei von ganzem Herzen Indianer, von Geburt ein Brite. —
Wogan berichtet weiter, dass er diesem Briten den ganzen Sachverhalt auseinandergesetzt und sich als Franzosen zu erkennen gegeben habe. Er schildert ferner, dass jener Mann ein Schotte, Namens Lennox gewesen sei, der aus Liebe zum abenteuernden Leben unter die Indianer gegangen und der Ihrigen einer geworden sei. Er rettete ihm das Leben. Wir erinnern uns vor Jahren über diesen indianisierten Europäer in kalifornischen Blättern Manches gelesen zu haben; auch wurde berichtet, dass mehr als ein weißer Mann durch ihn beschützt worden sei. Gegen die Einzelheiten in Wogans ausführlicher Erzählung hegen wir manchen begründeten Zweifel; aber die Tatsache, dass er jenem Schotten sein Leben verdankte, mag wohl richtig sein. Deshalb haben wir diese ganz einfach mitgeteilt, den französischen Ausputz aber weggelassen.
*****************
Die früheren Zustände Kaliforniens lernt man sehr gut aus einem 1854 in Neu-York gedruckten Buche von Walter Colton kennen. Es führt den Titel: "Drei Jahre in Kalifornien." Dieser Mann befand sich im Juli 1846 in Monterey, als dort die nordamerikanische Flagge aufgezogen wurde. Im August wählte man ihn zum Alcalden; er war also Richter und Polizeidirektor in einer Person, schrieb vierzehn Tage später den Prospectus zu einer Zeitung, welche er redigieren half, und die ersten Nummern wurden in Ermangelung eines Besseren auf Zigarrenpapier gedruckt. Dann und wann hielt er auf den Schiffen und am Lande Predigten, und ging täglich auf die Jagd, um sich seine Nahrungsmittel zu erschießen. Er verbot die Glücksspiele, und beaufsichtigte die Gefängnisse. In seinem Tagebuchc schreibt er: „Ich besuchte die Gefangenen bei ihrer Arbeit. Der eine war ohne Hemd und gestand mir, dass er es an einen andern Gefangenen verspielt habe. Freilich hatten diese Leute keine Karten, aber sie wussten sich zu helfen. Sie hatten nämlich einen Knochen genommen und ihn in die Luft geworfen; wer ihn so warf, dass das dicke Ende zuerst die Erde brührte, gewann. Indianer und spanische Kalifornier würden sogar um ihre Zähne spielen, wenn sie nichts Anderes einzusetzen haben. Ich finde in jedem kalifornischen Hause einen Tanzsal und eine Madonna, Tanzen und Knien wechseln im Nu mit einander ab. Der Kalifornier ist von Kindesbeinen an bis an sein Grab zu Pferd, aber er mag nicht arbeiten.“
Ein sehr anschauliches Bild gibt Colton von der merkwürdigen Aufregung, welche sich der Leute bemächtigte, als das edle Metall gefunden war. Er schreibt unterm 29. Mai 1848 in sein Tagebuch Folgendes: —
Heute früh war es hier sehr lebhaft. Ein Mann bringt die Meldung, dass am Ria de los Americanos viel Gold gefunden worden sei. Die Leute schwatzen darüber, es glaubt aber niemand recht daran. — Am 6. Juni. Das Geschwätz über Goldentdeckungen will kein Ende nehmen; ich muss endlich wissen, was daran ist und habe deshalb einen Boten nach dem American River geschickt. Er hat hin und zurück vierhundert Meilen zu machen, aber sein Pferd ist gut und der Mann zuverlässig. — Am 12. Juni. Heute kam ein Mann vom Americanflusse an und brachte ein Stück Erz mit, das gelb aussieht und etwa eine Unze schwer ist. Wie das von Jedermann beliebäugelt wird! Viele wollen noch nicht glauben, dass es Gold sei, weil es nicht genau so aussieht wie ein Fingerring; es sei ja auch unmöglich gewesen, dass dergleichen Schätze bis heute hätten verborgen bleiben können.
Am 20. Juni. Mein Bote ist wieder zurück und hat wahrhaftig Goldproben mitgebracht. Alle Leute machen lange Hälse. Als er das gelbe Zeug aus der Tasche zog und es ihnen unter die Nase hielt, schwanden alle Zweifel; doch meinte ein alter Creole, die ganze Geschichte sei von den Yankees ausgedacht worden. Heute Nachmittag packt schon Alles auf, Jeder will Gold holen und täglich ein paar hundert Dollars verdienen.
Am 15. Juli. Seit dem tollen Goldfieber ist es gar nicht mehr auszuhalten. Dienstboten sind kaum noch zu haben; was hier bleibt, will sich auf höchstens eine Woche verdingen. Selbst unser Neger hat sich gestern Abend aus dem Staube gemacht. Heute besorgen wir Drei: ein General im Heer der Vereinigten Staaten, der Kommandeur eines Kriegsschiffes und ich, der Alcalde, schon am vierten Tage, unsere Küche selbst, mahlen Kaffee, schälen Zwiebeln, kochen Fleisch und backen Fische.
Am 18. Juli. Heute langte ein Matrose mit 136 Unzen Gold an, die er am Yubaflusse ausgewaschen hatte. Nun sind die anderen Seeleute ausgerissen und haben vierjährigen Lohn im Stiche gelassen. Meine Zimmerleute, welche am Schulhause bauten, sind auch fortgelaufen.
Im August. Mein irischer Diener Bob war acht Wochen lang in den Minen und kam mit Gold im Werte von zweitausend Dollars zurück. Früher war er sparsam, jetzt ritt er ein paar hübsche Pferde, lebte ungemein flott und traktierte seine Freunde. Nun hat der Jubel etwa vier Wochen gedauert und Bob geht wieder in die Minen; das Geld ist ganz alle geworden. Am 16. August. Gestern kamen vier unserer Bürger vom Federfluss zurück; sie arbeiteten dort mit drei Anderen, hatten dreißig Indianer in Dienst genommen, genau sieben Wochen und drei Tage gearbeitet und für 76.844 Dollars Gold unter sich verteilt. Einer von meinen Bekannten, der ganz allein auf eigene Faust arbeitete, ist sechs und vierzig Tage am Yuba gewesen und hat 5.356 Dollars heimgebracht, ein andrer 4.534; auch unsere weibliche Dienerschaft ist in die Goldgruben geflogen.
September. Nun gehe ich auch hin, wo das Gold liegt. Am 20. begegneten uns Leute, die aus den Goldgruben zurückkamen. Ich habe nie eine so abgerissene, zerlumpte, ausgehungerte, in jeder Beziehung armselige Gruppe von Menschen gesehen; nur einige besaßen abgemagerte Gäule, die übrigen schleppten sich mühsam mit wunden Füßen weiter und baten uns inständig um etwas Brot. Da zog der eine einen schweren Beutel mit Gold hervor, um uns für die Gabe zu bezahlen. Diese Leute hatten für mehr als hunderttausend Dollars bei sich, aber auf weiten Strecken nichts zu essen gefunden. Dergleichen kommt hier freilich alle Tage vor.
Am 4. Oktober. Wir sind in den Minen. Das Pfund Mehl kostet einen halben Dollar, ein Pfund Farinzucker vier, ein Pfund Kaffee fünf Dollars. Von Fleisch ist nur an der Sonne gedörrtes, in Streifen geschnittenes Bullenfleisch zu haben. Heute wurde eine Schachtel voll Brausepulver mit 24 Dollars bezahlt, für 40 Tropfen Opium wurden gar 40 Dollars gegeben. Ein Fuhrmann erhielt von einem Arzt Pillen gegen die Kolik und hatte dafür 100 Dollars zu zahlen. Am 29. Oktober. Das Pfund Mehl ist auf zwei Dollars gestiegen, das Quart Rum kostet zwanzig. Am 8. November. Jetzt sind schon mehr als fünzigtausend Goldgräber hier zusammengeströmt. Einige haben Zelte, andere nicht; einige besitzen Lebensmittel, anderen fehlt jeder Bissen. Man arbeitet mit Brechstangen, Spitzhacken, Wiegen, Spaten, Pfannen, Hämmern und Drillbohrern; an allen Ecken und Enden knallt es, denn man sprengt das Gestein mit Pulver weg. So buntscheckiges Volk ist wohl nie zuvor auf Einem Punkte zusammen gewesen. Da wo vor Wochen eine nun verlassene Lagerstätte war, liegen Totengebeine umher, welche von den Wölfen ausgescharrt worden sind; der Tod hält eine reichliche Ernte.
Am 13. November. Ich habe nun genug von der Goldgräberei gesehen und will wieder heim. Eben komme ich von einer Höhe zurück, von welcher ich weit und breit eine beträchtliche Goldregion mit ihren Schluchten und Bächen, Zelten und Menschen überblicken konnte. Ich bin ein weitgereister Mann, habe den Niagara rauschen hören, kenne die Parks und die City von London, die Boulevards von Paris, die schönen Ufer des Rheins, die Trümmer der ewigen Stadt Rom, Pompeji, den feuerspeienden Vesuv. Ich habe auch Mondscheinnächte in Venedig durchträumt, auf der Akropolis zu Athen gestanden und in dem halbbarbarischen Konstantinopel verweilt. Aber alle diese Herrlichkeiten zusammengenommen haben doch keinen so eigentümlichen Eindruck auf mich gemacht, wie diese „Diggings“ in Kalifornien. Das Ganze ist geradezu unbeschreiblich.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Globus - Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde. 01

001 Indianische Gerichtssitzung

002 Grass Valley in Kalifornien

004 Ein Claim in den kalifornischen Goldgegenden

005 Die Riesenzeder in Kalifornien

008 Eine Schlucht im Wabsatsch-Gebirge

009 Ein Jäger in Kalifornien

012 Der Gefangene am Kriegspfahl

013 Der Murravstrom bei Hochwasser
alle Kapitel sehen