Geschichte der Juden in Sachsen - 10

Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland
Autor: Levy, Alphonse (1838-1917) deutsch-jüdischer Publizist, trat für die jüdische Gleichberechtigung ein und bekämpfte den Antisemitismus, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Juden, Judentum, Sachsen, Judenverfolgung, Mittelalter, Deutsche, Menschenrechte, Bürgerrechte, Staatsbürger, Religion, Glaubensgenossen, Heimat, Antisemitismus
Über den damaligen Aufenthalt der Juden in Leipzig während der Messezeit berichtet eine Leipziger Chronik : „Was endlich den Pruel anlangt (wo itzt Messzeit die Juden ihr Quartier nehmen, nennt man denselben darum so, weil daselbst ein kothigter, sumpfhafter und pfühlichter Ort gewesen".*) Mit unverkennbarer Befriedigung und großer Ausführlichkeit schildern die alten sächsischen Chronisten einige damalige Judenbekehrungen, von denen einzelne eines humoristischen Anstrichs nicht entbehren. Nahezu übereinstimmend wird aus dem Jahre 1502 verzeichnet: „Ein jüdischer Rabbi ist zu St. Niklas getauft und Franciscus nennt worden. Als man ihm aber das Pathengeid nicht einräumen und übergeben wollen, ist er wieder entlaufen".**) Im Jahre 1607 wurde wiederum in St. Niklas ein Jude getauft, der nicht flüchtig geworden zu sein scheint, während ein am 8. Juli 1630 in St. Thomas getaufter Jude, Abraham von Sandhagen, das Beispiel des vorher erwähnten Comvertiten Franciscus befolgte. Von Sandhagen wird erzählt, dass er einige Zeit hindurch die Thomasschule besuchte, am 10. Dezember desselben Jahres aber wieder entlief. Leichteres Spiel hatten die Bekehrer mit jüdischen Gefangenen, weil diese nicht so leicht entlaufen konnten. In Vogels Annalen (S. 850) wird offen dargelegt, dass man stets alle Mittel anwandte, um Israeliten, welche den Hals verwirkt hatten, zum christlichen Glauben zu bekehren. Ein Jude, der wegen Diebstahls zum Strange verurteilt war, ist am 16. Januar 1612 erst auf dem Leipziger Rathause getauft, dann aber am Tage darauf auf dem Rabensteine mit dem Schwerte gerichtet worden.***) Die Verachtung der Juden war damals in Leipzig so groß, dass verurteilte jüdische Verbrecher, welche sich nicht vor dem Tode bekehren ließen, nicht für würdig befunden wurden, an einem christlichen Galgen zu hängen, so dass für sie ein besonderer Galgen errichtet werden musste.

*) Chronik, Geschichte der Stadt Leipzig 1778. S. 337.
**) Chronik, Geschichte der Stadt Leipzig 1778. S. 45.
***) Chron. Gesch. d. Std. Leipzig 1778. S. 170.


Da die unter der Regierung des Churfürsten August erlassenen drückenden Verordnungen für die in Sachsen reisenden Juden manchen tüchtigen Kaufmann von dem Besuche der Leipziger Messe zurückhielten, wurden die gedachten Verordnungen nachträglich zu Gunsten des Leipziger Handels abgemildert. Johann Georg III. genehmigte am 2. Oktober 1682 eine besondere Leipziger Judenordnung für die Messfremden, zu welcher ein Entwurf von dem „wegen wahrgenommener Mängel der Stadt Leipzig verordneten Kommissarien 1681 eingeschickt und dem gemeinen Wesen fürträglich zu sein befunden worden." Diese Neuregelung war noch weit entfernt von einer etwaigen Handelsfreiheit und enthielt für die Juden noch manche drückende Bestimmung.*) Sie begann mit folgenden Worten: „Von Gottes Gnaden | Wir Johann Georg der Dritte | Hertzog zu Sachsen | etc. etc. tun kund: Demnach Unsere zur Erörterung ein und anderer by der Handlung in Unserer Stadt Leipzig bisher wahrgenommenen Mängel verordnete Komissarien nebst ihrem gehorsamsten Berichte de dato Leipzig | den 20. November 1681 auch zugleich eine abgefassete Jüden Ordnung mit eingeschickt | und solche denen Commercien aus dem gemeinen Wesen allerdings fürträglich zu seyn befunden worden | da wir daher berührte Jüden Ordnung bestätiget haben." Dieselbe enthält folgende Bestimmungen: 1. Jeder muss attestationen seiner Obrigkeit bringen. | 2. Nur Pferdejungen dürfen in der Vorstadt logiren. | 3. Bei Passieren der Thore Anmeldegelder nehmen. | 4. Darauf innerhalb 24 Stunden Personalien etc. schreiben und abgeben. | 5. Innerhalb 24 Stunden Schutzgeld erstatten nach Ordnung 1675. | 6. Den Zettel und gelbes Tuch stets bei sich tragen und stets erzeigen, | 7. Jeder isoliertes Lager außer wenn Compagnon. | 8. Die Waren richtig angeben bei import und export. | 9. Deshalb nicht franco vor die Stadt einkaufen. Die Angeber Christen und Juden werden stark belohnt. | 10. Nicht Diebssachen kaufen. | 11. Alle Punkte gelten auch für Frau und Knecht. | 12. Judenweiber zahlen die Hälfte des Mauths, der Judenknecht voll oder halb, wenn er nicht handelt. Judenjungen unter 13 Jahren zahlen nicht Mauth. | 13. Nur Juden mit attest oder Nachweis von 600 Thlr. Umsatz erlaubt. | 14. Makler. | 15. Juweliere | 16. Federjuden. | 17. Alte Kleiderjuden. | 18. Rosstäuscher. | 19. Ein fremder Pass befreit nicht vom Zoll. |20. Durchreisende Juden sind frei, müssen aber jedesmal nachsuchen. | 21. Jüdische Musikanten sollen nicht andres allhier handeln | und doch jede Person einen Dukaten erlegen. | 22. Abreise. | 23. Die Juden sammt und sonders sollen der A. 1668 am 22. April gemachten Verordnung | wie auch dem ob gedachten im Neu-Jahrmarkt 1675 publicirten Mandat in allen Punkten | so durch dieses nicht geändert oder erkläret | nachleben oder anher zu handeln nicht geduldet werden. Confirmiren etc. 2. Oktober 1682."**)

*) Sidori, Gesch. d. Juden in Sachsen. S. 51.
**) Der Stadt Leipzig Ordnungen | Wie auch Privilegia et Statuta Leipig 1701 S. 133.


Duldsamkeit in Glaubenssachen gab es damals weder gegen Gerechte noch gegen Ungerechte. Dass dies nicht nur die Juden traf, sondern alle, welche sich nicht zur Landesreligion bekannten, beweist die offenbar die Juden nicht betreffende auf dem Konventstage von 1685 vorgebrachte Bitte der Stände: „Es möge auch im Übrigen nicht verstattet werden, dass in Sr. Churfurstl. Durchlaucht Lande fremde Religionsverwandte in die Innungen eindringen, noch weniger zu Bürgern an- und aufgenommen werden möchten." Churfürst Johann Georg III. scheint sogar den die Messe besuchenden Juden freie Religionsübungen gestattet zu haben, denn am 11. Oktober 1682 hielten, wie in den Leipziger Annalen zu lesen, „die auf der Michaelismesse angekommenen Jüden in der Niclas Strassen beym Becker ihr Lauber-Hütten-Fest unter einer von grünen Reisern erbauten Hütten ab."*) Unter der Regierung des glaubenseifrigen Churfürsten Johann Georg IV. wurde ihnen das nicht mehr gestattet; vielmehr erließ dieser Fürst am 20. September 1693 an den Rat zu Leipzig die Verordnung: „Nun wir denn dergleichen ärgerlich Wesen und Abgötterei den Juden bei Euch eben so wenig als an anderen Orten in unseren Landen einführen und demselben hierunter nachsehen zu lassen gemeint, als ist hiermit unser Begehren, ihr wollet denen zu euch kommenden Juden die Begehung des Laubhüttenfestes und ihres falschen Gottesdienstes mit allem Ernst und bei gewisser Strafe untersagen." Schon vor dieser landesfürstlichen Verordnung hatten die den Juden unter der milden Regierung des Churfürsten Johann Georg III. gewährten Freiheiten den judenfeindlichen Teil der Leipziger Bevölkerung so erregt, dass sich der dortige Rat zum Einschreiten gezwungen sah. Einerseits verbot er im Anfang des Jahres 1687 unter Androhung von 10 Thalern Geldstrafe, bezw. bei Gefängnisstrafe, die zur Messe ankommenden Juden vorsätzlich zu werfen, zu schlagen, zu begießen oder zu beschimpfen. Andererseits brachte der Rat aber am 7. März 1687 die früheren Judenordnungen in Erinnerung, wonach kein Jude ein Gewölbe gegen die Straße zu haben durfte.**)

*) Leipzigisches Geschicht-Buch Oder Annales etc. ed. M. Joh. Jacob Vogel, Leipzig 1714. S. 821a
**) Chronik der Stadt Leipzig ed Ed. Sparfeld S. 159.