Für eine Eisenbahn von Berlin über Neu-Strelitz nach Stralsund

Berechnungen und Prognosen über die bestehenden und künftigen Verkehrs-Verhältnisse
Autor: Verein zur Erlangung einer Eisenbahn von Berlin über Neustrelitz nach Stralsund, Erscheinungsjahr: 1844
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Stralsund, Stadtgeschichte, Eisenbahn, Kirchengeschichte, Marienkirche
Der unterzeichnete Verein zur Erlangung einer Eisenbahn zwischen Berlin und Stralsund hat die hier ausgestellten vorläufigen Ansichten geprüft und zu den seinigen gemacht, nachdem nicht allein das Urteil vieler Sachkundigen die Zuverlässigkeit der angenommenen Sätze im Allgemeinen bestätigt, sondern auch eine Reise zweier Mitglieder des Vereins durch das Bahn-Gebiet die Überzeugung gegeben hat, dass sogar manche Sätze der Anschlags-Berechnung viel zu niedrig angenommen sind. Der Verein hat bereits von mehreren im Bahn-Gebiet liegenden Städten und Ortschaften dankenswerte Mitteilungen über die bestehenden Verkehrs-Verhältnisse empfangen, zum Teil mit willkommenen Anerbietungen für den Zweck des Vereins.

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Kann auch zur Zeit noch keine vollständige Zusammenstellung der sich häufenden Materialien über den jetzigen und künftigen Verkehr aus der Bahn-Linie gemacht werden, so mögen doch die folgenden Einzelheiten aus den Ergebnissen der erwähnten Reise und aus den bisher eingegangenen authentischen Nachrichten schon mehr Licht über die Nahrungs-Quellen der beabsichtigten Eisenbahn verbreiten.

Der für überseeische Waren angenommene Verkehr diesseits Neubrandenburg kann in der Haupt-Summe nur größer ausfallen. Wie sich derselbe nach Eröffnung der Eisenbahn-Verbindung mit Berlin und Hamburg jenseits Neu-Brandenburg gestalten wird, ist noch ungewiss, da weiterhin die Konkurrenz von Hamburg, Stettin, Rostock, Greifswald und Stralsund dabei in Anschlag kommt; jedenfalls hat aber die Bahn den Transport nord- oder südwärts zu besorgen.
Nach der Angabe von Neubrandenburg kommen daselbst 1.500 Oxhoft Wein, 6.000 Ztr. Kolonialwaren, 6.000 Ztr. Eisen und Steinkohlen, 1.000 Tonnen Heringe, Tran, Teer etc. zur Verteilung. In Gransee schätzt man, nach Angabe des Magistrats, den jetzigen Verkehr auf etwa 9.000 Ztr. und erwartet eine Steigerung desselben für die Eisenbahn auf 23.000 Ztr.

In Betreff inländischer Produkte erheben sich die Aussichten bedeutend.
Demmin glaubt, dass von dort der Bahn wohl 4.000 Lasten Getreide jährlich zufallen können.
Für Mühlenfabrikate kommt zur Beachtung, dass eben jetzt in Treptow, bei überflüssiger Wasser-Kraft, ein Mühlen-Etablissement eingerichtet wird, das jährlich etwa 50.000 Ztr. Mehl nach Berlin zu liefern gedenkt. In Zehdenick verarbeiten 13 Mahlgänge, bei noch überflüssiger Wasserkraft, täglich 15 Wispel Getreide, welches zum großen Teil aus dem Mecklenburgischen bezogen wird, hauptsächlich für Berlin. Gransee gibt den jetzigen Getreide-Transport nach Berlin zu 4.000 Mispeln an und erwartet für die Eisenbahn 5- bis 6.000 Wispel. Das Mühlen-Etablissement in Sachsenhausen bei Oranienburg hat jährlich 50- bis 60.000 Ztr. nach Berlin zu versenden.
Von Öl-Saat erwartet Demmin 25.000 Ztr. für die Bahn und es hat Neubrandenburg allein oft 75.000 Ztr. zur Versendung; die Mühle in Zehdenick bezieht etwa 10.000 Ztr.; Gransee versendet 3.000 Ztr.
Schlachtvieh kommt schon bei Loitz mit 1.000 Rindern, 200 Kälbern, 300 Schweinen und 4.000 Hammeln an die Bahn, und bei Demmin in großer Zahl aus dem Mecklenburgischen, etwa 1.000 Rinder, 400 Kälber, 1.200 Schweine, 20.000 Hammel jährlich. Eine authentische Nachweisung des Viehmarktes in Berlin gibt, nach genauester Ermittlung, das aus dem bezeichneten Bahn-Gebiet pro 1843 in Berlin zu Markt gekommene Vieh an, auf 3.632 Ochsen, 8.552 Schweine, 1.802 Kälber,
99.910 Hammel.
Die Viehhändler erwarten von der beabsichtigten Eisenbahn eine große Vermehrung der Zufuhr ganz sicher, da ein starker Aufschwung der Viehzucht an der Peene, in Neu-Vorpommern und dem benachbarten Mecklenburg unausbleiblich eintreten werde.
So hypothetisch die Annahme des Anschlags von dem zu erwartenden Milch-Transport erscheinen konnte, so überraschend ist das Faktum, dass die Stettiner Bahn schon jetzt in den Wintermonaten fast ein gleiches Quantum jeden Morgen nach Berlin liefert!

Über Butter, Käse u. dgl. fehlt noch die Ausgabe. Seitdem die Chaussee nach Berlin den kleinen Fuhrwerken der Butterlieferanten den Transport erleichtert, haben die Buttermärkte in Fürstenberg ihre größere Bedeutung sehr verloren. Dass dieser, im Ganzen wohl gestiegene Transport künftig der Eisenbahn zufallen werde, ist außer Zweifel.
Wolle: Neubrandenburg allein versendet jährlich 6.000 Ztr.; Güstrow 15- bis 18.000 Ztr.; Gransee bezeichnet 6- bis 12.000 Ztr.; demnach ist die Annahme in der Berechnung viel zu geringe.

Fische. Nichts ist klarer als der bedeutende Einfluss, den die fragliche Eisenbahn auf den Fischfang an der Pommerschen Küste und auf den Versand frischer Fische nach Berlin und weiter äußern wird. Die Fischer-Innungen in Stralsund, wobei oft 200 Mann in Arbeit kommen, bezeichnen den Belauf der jetzigen Land-Versendungen von den Fischereien Neu-Vorpommerns und Rügens zu ohngefähr Drei Tausend Fuhren oder 50.000 Ztr.: also schon die Hälfte des in Anschlag gebrachten Quantums! In der Gegend von Neubrandenburg haben Berliner Fischhändler kleine Seen zu 5- bis 600 Thalern gepachtet, und mit großer Mühseligkeit wird der Transport nach Berlin zu Wasser, im Winter sogar unter dem Eise, besorgt. Schon in Neu-Strelitz, in der Nähe fischreicher Seen, wird oft mehr als 2 1/2 Sgr. p. Pfd. für Mittelfische bezahlt, in Berlin sind sie noch teurer, nach Qualität und Seltenheit. Die Erwartung auf die, durch die beabsichtigte Eisenbahn möglich werdende Zufuhr frischer Seefische ist in den Städten auf der Bahn-Linie sehr groß, auch ist sicher anzunehmen, dass die Möglichkeit eines gewissen Absatzes den Küsten-Städten des Bahn-Gebiets eine reiche Zufuhr, selbst über See, von den dänischen und schwedischen Küsten, dem Belte und Sunde bringen, die Preise also auch auf einem mäßigen Standpunkt erhalten werde.

Über den Umfang, den der Holz-Transport auf der Bahn gewinnen kann, ist noch kein sicheres Urteil möglich. Es hängt derselbe sehr von der Richtung der Bahn und der Lage der Bahnhöfe ab; sehr bedeutend — und viel größer, als er angeschlagen ist, wird er jedenfalls. Hier mag nur erwähnt werden, dass die Stettiner Bahn mit Bauholz-Transport — bei 19.000 Stücken — fortwährend beschäftigt ist und 24.000 Klafter Fichten Brennholz zu etwa 1 1/2 Thaler pr. Klafter Fracht überwiesen erhielt. Aus Zehdenick (Sitz einer Forst-Inspektion, die den Verkauf auf 200.000 Morgen Staats-Waldungen zu besorgen hat;) wird berichtet, dass die dortige Schneidemühle täglich drei Schock Bretter liefert, die per Eisenbahn nach Berlin gehen würden; Gransee bezeichnet 50.000 Kubikfuß Bauholz etc.-, die Strelitzer Forsten verkaufen viel Holz; im Frühjahr 1843 gingen 753 Stück Bauholz nach Spandau, und in diesem Winter wurden für 40.000 Thlr. Bauhölzer zur Ausfuhr über Lychen verkauft. Große Branntweinbrennereien im südlichen Bahn-Gebiet, z. B. von Löwenberg, werden die Bahn fortwährend benutzen; Gransee führt 10.000 Ztr. Fracht jährlich an. Hefen gehen jetzt schon mehr als 6.000 Zentner von Mecklenburg nach Berlin.

Wie groß manche, im Anschlage kaum erwähnte Transport-Gegenstände sind, mag danach ermessen werden, dass die Glashütten in der Nähe von Fürstenberg jährlich etwa 50.000 Ztr. Hohl- und anderes Glas nach Berlin zu senden haben. Die Papier-Mühle zu Wanske liefert etwa 5.000 Ztr. Papier. Von Gransee werden 20 bis 30.000 Ztr. Heu und Stroh nach Berlin gesandt. Alt-Strelitz sendet seinen nicht unbedeutenden Überschuss von Heu, mit etwa 15 Sgr. pro Zentner Fracht, nach Berlin. Aus Zehdenick gehen wöchentlich 60 Ztr. Bleche und etwa 40 Ztr. Woll-Arbeiten, von Oranienburg mehr als 400 Ztr. Palmlichte, Seife u. s. w. nach Berlin, u. s. w.

Die Versendungen von Berlin nordwärts sind bei dem Zusammenhange mit den aus dem Süden kommenden Bahnen schon so mannigfach, dass detaillierte Angaben darüber nicht zu erlangen sind. Die Versendung Berlins von Fabrikaten, Kunst- und Industrie-Gegenständen, Gütern und Kleinigkeiten aller Art, ist eine unerschöpfliche Fracht-Quelle, die beständig stärker wird. Es ist Tatsache, dass Dinge aus Berlin nach denselben Gegenden hin versendet werden, von denen sie hergekommen sind. Die Waren von Leipzig, Magdeburg, Frankfurt und Berlin sammeln sich in Massen. Loitz erwähnt deren mit 8.000 Ztr., Treptow 1.530, Brandenburg 1.000 Ztr. Ölkuchen gehen von Gransee, Zehdenick, Neubrandenburg, Demmin (10.000 Ztr.) usw. bald nach Süden, bald nach Norden. Wahren hat bedeutende Öl-Schlägerei.

Wie nun hiernach fast jeder Haupt-Artikel des Anschlags für Güter-Transport eine wohl hinlängliche Rechtfertigung aus faktisch-bestehenden Zuständen erhält, eben so sind auch die Ansätze für die weniger erheblichen Transport-Gegenstände schon jetzt als sehr mäßig zu erkennen.
Die für den Personen-Verkehr zum Grunde liegende Berechnung ergibt in Vergleichung mit der Stettiner Bahn, selbst bei günstigeren Elementen, mit einer Zurückstellung von mehr als 50 Prozent, gewiss ein Minimum der zulässigen Erwartung.

Es hält der unterzeichnete Verein seine Überzeugung von der gesicherten Ertragfähigkeit der beabsichtigten Bahn um so fester begründet, als das Anlage-Kapital mit Sechs Millionen ziemlich hoch angeschlagen ist. Denn für die Stettiner Bahn sind, einschließlich ganz bedeutender Extraverwendungen 195.400 pro Meile hinlänglich gewesen (Bericht vom 16. Mai 1843), was für die 28 3/4 Meilen der Stralsunder Bahn erst 5.617.000 Thaler ergeben würde.
In wie fern die Terrain-Schwierigkeiten dort oder hier größer zu schätzen sind, kann freilich noch nicht unbedingt ausgesprochen werden, indessen darf auch nach der ersten Bereisung, das Terrain der Berlin-Stralsunder Bahnlinie, in Bezug auf fast 7/8 seiner Länge, mit Gewissheit als günstig angenommen werden; das noch übrige zwischen Neubrandenburg und Strelitz gelegene Achtel ist allerdings als ungünstig zu bezeichnen, ohne jedoch sehr erhebliche Schwierigkeiten entgegen zu setzen. Jedenfalls wird es zulässig sein, sich auch in dieser Rücksicht auf die Erfahrung der Stettiner Bahn zu stützen, die manche ähnliche Schwierigkeiten zu überwinden hatte.

Der unterzeichnete Verein glaubt durch Obiges genügend festgestellt zu haben, dass die beabsichtigte Eisenbahn zwischen Berlin und Stralsund über Neu-Strelitz ein ausführbares, reichlich sich verzinsendes Unternehmen genannt werden könne, das sich hauptsächlich 1) auf die Produktivität des eignen Gebietes, 2) auf die Bedürfnisse Berlins und seiner Umgebungen und 3) auf den Mangel einer genügenden Wasser-Verbindung innerhalb des Bahngebietes, demnach auf fast unwandelbare Verhältnisse gründet.

Aber eben so viel legt für das Projekt die innere Notwendigkeit, der allgemeine Nutzen und die Annehmlichkeit in die Waagschale. Die erste wird dadurch bedingt, dass jetzt keine Provinz mehr die Industrie, die sich als ein gewaltiges Element in das Leben drängt, zurückweisen darf, dass zurückgeht, was nicht vorwärts geht, und dass in dem in Rede stehenden Falle nicht abgewartet werden darf, dass ähnliche Projekte, ungenügend für die allgemeine Wohlfahrt und nur vorteilhaft für einzelne kleine Interessen einem Unternehmen störend entgegen treten, das seine Vorzüge so entschieden in sich selbst hat, und dem die beteiligten Staaten die Konzession nicht versagen werden.
Und braucht es noch den Nutzen im Allgemeinen weitläufig auseinander zu setzen?

Berlin und Stralsund; die Residenz eines Hauptstaates und die nördliche Seegrenze desselben, kommen in eine solche Verbindung, dass die Seeschiffe ihre Ladungen unmittelbar auf die Trausportwagen der Eisenbahn zum Transport nach Berlin und dem weitergelegenen Inlande verladen können. Der Hafen Stralsunds kann mit geringen Mitteln in einen solchen Zustand gesetzt werden, dass er zu den vorzüglichsten des Staats gehören wird, von dem in der kürzesten Zeit die Residenz zu erreichen ist.

Skandinavien wird künftig keinen andern Hafen wählen für die Verbindung mit dem Innern Deutschlands.

Der Zug der Bahn geht durch die gesegnetsten Provinzen, die bereits gemachten Ermittlungen bezeugen den Verkehr und lassen einen viel größeren erwarten, da bei leichten Transportmitteln die wirtschaftliche Kultur Mecklenburgs und eines großen Teils Vor- und Neu-Vorpommerns bei dem ergiebigen Boden ins Unberechenbare gesteigert werden kann. Damit hängt die reichliche, wohlfeile Versorgung Berlins mit den nötigsten Lebensbedürfnissen zusammen.

Dies kann nur eine Bahn bewirken, die das bedeutende Gebiet zwischen der Hamburg-Berliner und Stettiner Bahn in der graden Richtung von Berlin nach Stralsund teilt.
Aus dem Allen folgt nun auch das staatswirtschaftliche Interesse für diese Bahn, und wenn es auch dem unterzeichneten Verein fern liegt, über die Beziehung zu urteilen, in welche Stralsund im Fall eines Krieges mit den Kriegs-Begebenheiten kommen kann, so ist es doch unbezweifelt, dass eine direkte schnelle Verbindung Berlins mit Stralsund, einem als Hafenfestung und Depotplatz wichtigen Orte, in militärischer Hinsicht immer von großer Bedeutung sein wird.

Endlich möchte es nicht unangemessen erscheinen, auch das Angenehme herauszuheben, was in der Realisierung des Projekts liegt.

In der Tat ist dies nicht gering zu achten, weder in kommerzieller noch in individueller Hinsicht, und wäre es nicht unpassend für einen abstrakt zu besprechenden Gegenstand, so dürfte es nicht schwer werden, Materialien zu einer poetischen Darstellung dieser Vorzüge aufzufinden. Das Innere Deutschlands wird dem Norden näher gerückt und die Berliner können in 6 bis 7 Stunden den Anblick des Meeres genießen und nach einer kurzen Dampffahrt von Stralsund nach Rügen und einem anmutigen Wege von wenigen Stunden auf dem nördlichsten Vorgebirge Deutschlands, auf Arkona stehen und an geeigneten Tagen die Küsten Skandinaviens entdecken. Stubbenkammer mit seinen Kreidefelsen und das lieblichste Seebad im Norden, Putbus, steht den Berlinern nicht viel ferner als Dresden, und ein einziger Tag bringt die Inländer nach Schweden und Dänemark.

Bereits bekommt der Reiz des Nordens immer mehr Geltung und die Reisen nach Skandinavien sind fast ein Bedürfnis der Gebildeten geworden.

Wenn dies Alles einer Berücksichtigung Wert ist und schon viel Anerkennung gefunden hat, so wird es den Bestrebungen des unterzeichneten Vereins für die Erlangung einer so wichtigen Eisenbahn, an Teilnehmern und an wohlwollender Hilfe Höchster und Hoher Staats-Behörden, so wie an den erforderlichen Mitteln nicht fehlen können.
In dieser Hoffnung wird die Unterzeichnung zu einer Aktien-Gesellschaft für eine Eisenbahn von Berlin über Neu-Strelitz nach Stralsund binnen Kurzem durch unsre besonderen Einladungen eröffnet werden.
Stralsund, den 15. Februar 1844.
Der Verein zur Erlangung einer Eisenbahn von Berlin
über Neu-Strelitz nach Stralsund.
C. G. Fabricius. Becker. A. T. Kruse. H. Langemak. Lübke.
D. von Pommer-Esche. Wegelin.

Stralsund Stadtansicht

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