Friedrich der Große und die erste Teilung Polens

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1918
Autor: R. Reinke., Erscheinungsjahr: 1918

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Preußen, Friedrich der Große, Teilung Polens, Russland, Peter III. Österreich, Stanislaus August Poniatowski, Provinz,
„Ich habe dieses Preußen gesehen, das ich gewissermaßen aus Ihrer Hand empfangen habe. Es ist eine sehr gute und sehr vorteilhafte Erwerbung, sowohl was die politische Lage des Staates als die Finanzen anlangt,“ so schreibt Friedrich der Große am 12. Juni 1772 an seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, der von ihm an den Petersburger Hof gesandt war, um dort die Interessen Preußens in Polen zu wahren, eine Aufgabe, die er mit gutem Geschick gelöst hat. Dem großen König ist öfters nachgesagt worden, dass vor allem seine Politik zur ersten Teilung Polens, die an sich keinen Lichtblick im Völkerleben darstellt, geführt habe. Er selbst verwahrt sich entschieden dagegen, so auch in einem Briefe an Voltaire; auch die Geschichtsforschung ist zu einem anderen Urteil gelangt über diese Umwälzungen, die wohl im Interesse der Staatsräson der beteiligten Mächte lagen, aber ein dunkler Punkt in der Geschichte sind, so wenig Mitgefühl an sich das polnische Volk jener Zeit verdient.

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Einig in diesem letzteren Urteil sind sich alle Geschichtsschreiber. Die polnische Nation war um jene Zeitwende wohl auf ihrem angelangt. In staatlicher wie in wirtschaftlicher Hinsicht herrschte im Polen des achtzehnten Jahrhunderts eine Versumpfung, wie sie so leicht nicht ihresgleichen findet. Sie erhält ihre Erklärung in der Übermacht und in dem unheilvollen Einfluss des Adels, der allein den sprichwörtlich gewordenen polnischen Reichstag bildete, sprichwörtlich durch die grenzenlose Unordnung und Zerfahrenheit infolge der Eifersüchtelei der Parteien. Das verhängnisvolle Recht des „liberum voteo“, das freie Einspruchsrecht des einzelnen Reichstagsmitglieds, in selbstsüchtiger Verblendung von ihnen selbst als das „Palladium“ Polens bezeichnet, war es, das ein gedeihliches Arbeiten der gesetzgebenden Körperschaft unmöglich machte. Durch den Einspruch eines einzigen Reichstagmitgliedes, durch sein „nie pozwolam“ — ich gestatte nicht — wurde nicht nur der jeweilige Reichstag aufgelöst, „zerrissen“, wie der Ausdruck lautete, sondern auch sämtliche, vorher von ihm gefassten Beschlüsse wurden ebenfalls ungültig. Zum ersten Male machte im Jahre 1652 der Landbote Sicinski von diesem folgenschweren Recht Gebrauch; er fand schnell Nachahmer, und bis zum Jahre 1764 sind von den in dieser Zeit abgehaltenen fünfundfünfzig Reichstagen nicht weniger als achtundvierzig zerrissen worden! Dass ein Staat unter solchen Verhältnissen dahinsiechen muss, ist einleuchtend. Nicht genug damit, besaß der Adel noch ein ebenso verhängnisvolles, im modernen Staatsleben absonderlich anmutendes Recht, nämlich das der „Konföderation“, wodurch gewissermaßen die Revolution für gesetzlich erklärt war. Zur Erreichung besonderer Zwecke vereinigte sich der Adel, teilweise oder gänzlich; während dieser Periode ging die gesamte Staatsgewalt gesetzlich auf die „Konföderation“ über. Die Gegner bildeten häufig eine neue, eigene „Konföderation“, die sich die gleichen Rechte anmaßte. Wohin ein solches Chaos einer politisch unfähigen Nation notwendig führen musste, bedarf wohl keiner näheren Erklärung.

In den Händen eines so gearteten Adels lag die Königswahl der „Adelsrepublik“! Dass die Wahlbestimmungen und Bedingungen vor allein dahin zielten, diesem seine Vorrechte in erster Linie zu gewährleisten, ist selbstverständlich. Nach dem Aussterben der Könige aus dem Stamme der Jagellonen im Jahre 1572, die, weil noch ungefesselt durch diese einschnürenden Bestimmungen, Polen auf den Gipfel seiner Macht gebracht hatten, begann der Verfall des Reiches. Unaufhaltsam trieb das Reich seiner Auflösung entgegen, als August III. im Jahre 1763 gestorben war und die Wahl eines neuen Königs in Frage kam.

Die aufblühenden Nachbarreiche, Russland, Preußen und Österreich, nahmen an der Thronbesetzung jetzt einen ausschlaggebenden Anteil; ein jeder hatte ein Interesse daran, Polen nicht dem anderen zufallen und es auch nicht erstarken zu lassen. Friedrich II. von Preußen hatte bereits mit dem Zaren Peter III. einen dahingehenden Vertrag geschlossen und auch mit Katharina II. ähnliche Vereinbarungen getroffen. Die Zarin setzte nun mit Gewalt und Bestechungen die Wahl des Grafen Stanislaus August Poniatowski durch, eines ihrer früheren Günstlinge und eines gefügigen Werkzeuges in ihrer Hand. Unter dem Namen Stanislaus II. August bestieg er am 7. September 1764 den Thron; er war der letzte König von Polen. Auch ein willensstärkerer Mann, als er es war, würde es nicht vermocht haben, unter den bestehenden Verhältnissen den Untergang seines Vaterlandes zu verhüten. Und willensstark war der im Jahre 1732 geborene König durchaus nicht. Er war ein liebenswürdiger und über den damaligen Durchschnitt gebildeter Pole, der seine staatsmännischen Fehler und Irrungen in Liebeständeleien vergaß. Gegen die innere Zwietracht konnte er mit Erfolg nicht ankämpfen, und seine wohlgemeinten Reformbestrebungen, die den Staatskörper vielleicht hätten gesunden können, wurden von den Nachbarn, vor allem von Katharina und auch von Friedrich II., vereitelt. Eine Abschaffung des unheilvollen „Liberum veteo“ wurde von ihnen nicht geduldet, um einer gefährlichen Erstarkung vorzubeugen. Die inneren polnischen Zustände trieben dem Ende zu. Die Teilung Polens schwebte in der Luft, nachdem Österreich im Jahre 1770 durch Besetzung der Zips den Anstoß dazu gegeben hatte, als eines Gebietes, das ihm eigentlich von Rechts wegen gehöre. Als Prinz Heinrich von Preußen Ende 1770 am russischen Hofe weilte, sagte Katharina unter Bezugnahme auf diese österreichische Abtrennung halb scherzweise zu ihm: „Warum sollten denn nicht alle anderen auch etwas nehmen.“ Der Stein war ins Rollen gekommen, und am 6. August 1772 wurde der Teilungsvertrag unterzeichnet, den König Stanislaus gutheißen musste. Seine spätere Auflehnung gegen die weitere Teilung kostete ihn den Thron, dem er am 25. November 1795 entsagen musste. Die drei Mächte zahlten ihm ein Ruhegehalt von 200.000 Dukaten; am 12. Februar 1798 starb er in St. Petersburg.

Preußen erwarb durch die erste Teilung Polens einen Landzuwachs von etwa 600 Quadratmeilen mit rund 600 000 Einwohnern; es hatte den kleinsten Anteil erhalten. Das Gebiet bestand aus dem heutigen Westpreußen, ohne Danzig und Thorn, und dem Netzedistrikt, dem nördlichen Teil der jetzigen Provinz Posen. Die preußische Erwerbung befand sich in einem, den polnischen Verhältnissen entsprechenden, trostlosen, verwilderten Zustand. „Ich glaube, Kanada ist ebenso zivilisiert wie Pomerellen,“ schreibt der Alte Fritz an seinen Bruder, „keine Ordnung, keine Einteilung. Die Städte sind in einem bejammernswerten Zustand.“ Mit der ihm eigenen Energie, die sich auch auf die geringste Einzelheit erstreckte, ging Friedrich ans Werk, das Land zu germanisieren und kolonisieren. Seine erste Tat war die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Einrichtung eines geordneten preußischen Gerichtswesens. In der Urbarmachung der Sümpfe und Moräste erblickte er eine weitere, erfolgversprechende Aufgabe, und er fühlte sich nie befriedigter, als wenn er, auf den Flussdämmen stehend, sagen konnte: „Ich habe eine Provinz gewonnen.“ Er teilte die Provinz in Kreise ein, mit einem Landrat an der Spitze, und richtete eine Polizei ein, „die diesem Lande selbst dem Namen nach unbekannt war“ (Brief an Voltaire im Jahre 1773). Die liebevolle Fürsorge des Königs erstreckte sich in richtiger Erkenntnis auch auf die Einführung eines geordneten und guten Schulwesens. Während in anderen preußischen Provinzen die Schulmeister oft wenig gebildete Personen, häufig invalide Soldaten waren, legte er hier großes Augenmerk auf eine gute Vorbildung und Eignung. Es wurden vierundvierzig katholisch-deutsche und dreiundachtzig katholisch-polnische Lehrer angestellt, die das für damalige Zeiten hohe Gehalt von sechzig Talern jährlich und ein Stück Gartenland erhielten. Wie im preußischen Staat, war auch hier die Glaubensfreiheit gesichert, die unter polnischer Herrschaft nur auf dem Papier bestanden und daher zu schwersten inneren Streitigkeiten geführt hatte. Von wahrhaft kolonisatorischem Weitblick zeugte die Anlegung des Netzekanals, der eine Verbindung der Oder mit der Weichsel schuf. Schon vor der ersten Teilung Polens war Friedrich in Voraussicht der kommenden Staatsumwälzung diesem Plan nähergetreten. Jetzt wurde er mit größter Beschleunigung verwirklicht, und bereits nach sechzehn Monaten Bauzeit konnte dieses volkswirtschaftlich hochbedeutsame Werk dem Verkehr übergeben werden. Sechstausend Arbeiter waren hierzu in Tag- und Nachtschicht beschäftigt gewesen, und in geradezu amerikanischer Weise schritt die Arbeit vorwärts. Schon im Sommer 1773 konnte der König hocherfreut beladene Oderschiffe der Weichsel zufahren sehen.
Auf militärischem Gebiete suchte er ebenfalls das Land zu heben; so baute er eine Kadettenschule in Kulm, deren Kosten — eine feine Ironie — aus den Geldern bestritten wurden, welche die den Krieg und Kriegsdienst verwerfenden Mennoniten des Landes zur Ablösung der Heerespflicht zahlen mussten.

Dieses wichtige Zugeständnis der Heeresbefreiung machte Friedrich auch allen neuen Kolonisten und ihren Söhnen; es ist das ein Beweis dafür, wie sehr dem König an dem Zuzug neuer deutscher Ansiedler gelegen war. Seine Agenten waren denn auch überall in deutschen Landen tätig, neue Kolonisten zu gewinnen. Es wurden ihnen neben der obigen Vergünstigung, die selbst reiche Leute ihrer Söhne wegen in die neue Provinz lockte, Reiseentschädigung, freier Transport durch Preußen, die nötige Behausung, Scheune, Stallung, Vieh oder Viehgelder, Ackergerät und fünfzehn Morgen Land für die Familie gewährt. Auch von Abgaben blieben die Kolonisten befreit bis zum Jahre 1798, als ihnen alles erb- und eigentümlich überlassen wurde.

Friedrichs Idee, jährlich tausend neue Familien in Westpreußen anzusiedeln, konnte in so großem Umfange nicht verwirklicht werden. Bis zum Jahre 1786 waren eingewandert 11.015 Kolonisten aus 2.203 Familien, von denen 768 aus Polen, 668 aus Schwaben, 716 aus anderen deutschen Gebieten und der Rest aus fremden Ländern stammte. Wie man sieht, stellte Schwaben bei weitem den größten Anteil. Friedrich hat also auch erhebliche Kosten nicht gescheut, seine neuen Provinzen zu besiedeln, waren doch allein die Reisekosten von Württemberg nach dem Ziele nicht unbedeutende. Zu verhältnismäßig günstigen Bedingungen erhielten die Kolonisten ihr Land in Erbpacht; in der Regel war der Wert mit neun Prozent zu verzinsen.

Jeden Monat ließ sich der König „über die wirklich angesetzten Kolonisten eine monatliche designation ohnfehlbar und ohne säumig zu sei“ vorlegen, und streng achtete er auf jegliche Einzelheit. Ist auch die Kolonisierung des Landes und seine Nutzbarmachung dem König gelungen, so hat sich eine andere Aufgabe, „den polnischen Mann zu deutscher Landesart zu bringen“ und die Einwohner mit Deutschen zu „mehren“, in ihrem vollen Umfange bis heute nicht verwirklichen lassen.

Friedrich der Große im Netzedistrikt

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Stanislaus Poniatowski, der letzte König von Polen

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