Flüchtige Reisebemerkungen im Sommer 1798

Hufelands Journal der praktischen Heilkunde, Band 7
Autor: Hufeland, Christoph Wilhelm Dr. (1762-1836) deutscher Arzt. Begründer der Makrobiotik. 1799, Erscheinungsjahr: 1799
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hufeland, Samuel Vogel, Badearzt, Baderegeln, Badeanstalt, Seebad, Ostseebad, Doberan, Kiel, Stralsund, Insel Rügen, Mönchgut, Driburg, Sagrd, Nenndorf, Meyenberg
Ich machte in diesen Sommer meiner Gesundheit wegen eine Reise durch einen beträchtlichen Teil vom nördlichen und westlichen Deutschland. Ich sah mehrere Bäder, sprach viele vortreffliche Ärzte, deren Bekanntschaft und Unterhaltung mir noch jetzt in der Erinnerung manchen schönen Genuss gewährt, und mir die frohe Überzeugung befestigt hat, dass es mit unserer praktischen Medizin wahrhaftig nicht so schlimm bestellt ist, als unsere neuen medizinischen Revolutionäre der Welt gern glauben machen wollten, im Gegenteil, dass der Geist rationeller Medizin, vernünftige (aber praktisch brauchbare) Grundsätze, Bestreben zur Vervollkommnung, Fleiß, und Benutzung der Lektüre und Erfahrung, ja selbst zunehmende Humanität in den gegenseitigen Verhältnissen der Ärzte untereinander, ungemein zugenommen haben, und im Durchschnitt auszeichnende Eigenschaften unserer deutschen Ärzte sind.

Bei einer solchen Gelegenheit macht man eine Menge Bemerkungen, erhält manche praktische Notizen, die, wenn sie gleich ihrer Entstehung nach nicht andere als flüchtig sein können, dennoch nicht ohne Interesse und Brauchbarkeit sind, und die ich um Erlaubnis bitte, den Lesern des Journals, eben so flüchtig und zerstreut, als sie mir vorkamen, mitzuteilen. Ich werde aber, um auf keine Weise, selbst durch Lob nicht, die Diskretion zu verletzen, so wenig als möglich Namen nennen, da es hier bloß auf Sachen, nicht auf Personen ankommt.

Auf der Insel Rügen, einem überhaupt in Absicht seiner Naturschönheit, des überall durchblickenden deutschen Altertums, der biedern und originellen Menschheit, äußerst interessanten und ehrwürdigen Punkte Deutschlands, war es mir eine angenehme Überraschung in Sagard, auf der Halbinsel Jasmund, eine neue Trink- und Badeanstalt zu finden, die den würdigen Prediger von Willich, einen Bruder des rühmliche bekannten Arztes gleiches Namens zu Bergen in Rügen (der auch zugleich Brunnenarzt ist) zum Stifter hat. Der Quell ist, nach dem sinnlichen Qualitäten zu urteilen, eisenhaltig, und erhält dadurch einen großen Vorzug, dass die Nachbarschaft der See Gelegenheit zu Seebädern gibt, die in Verbindung jenes innern Gebrauchs eine sehr wirksame Kur ausmachen müssen. Nur ist es zu bedauern, dass noch bis jetzt die Erlaubnis zu einer öffentlichen Badeanstalt an der nahe liegenden Seeküste fehlt, welche aber wohl von der Humanität des Besitzers erwartet werden kann. — Als eine psychologische Merkwürdigkeit muss ich noch beifügen, dass bei Rügen, eine kleine Insel von etwa 700 Einwohnern, Namens Mönchgut, liegt, auf der seit Menschen Gedenken kein Dieb, kein Mörder, kein unehelich Kind, und kein Bettler existiert hat.

In Doberan sah ich mit Vergnügen die Bestätigung von alle dem, was uns Hr. Hofrath Dr. Gottlieb Samuel Vogel über die Kräfte und Einrichtungen dieser treulichen Badeanstalt mitgeteilt hat. Es ist zum Bewundern, zu welcher Vollkommenheit dieses Institut in den 3 Jahren, seitdem es angefangen wurde, gelangt ist, und es bringt dies der großmütigen Unterstützung des Herzogs [Friedrich Franz I.], und dem unermüdeten Eifer der Direktoren (ohne welches eine so schnelle neue Schöpfung unmöglich gewesen wäre) unendliche Ehre. Die Zahl der Bader, die ich schon bei meinem ersten Besuche so zweckmäßig fand, ist seitdem vermehrt, es sind noch Duschbäder von verschiedener Art angelegt worden, durch eine neuerrichtete Pferdemühle zum Auspumpen des Wassers aus der See ist die Versorgung der Bäder mit Wasser vermehrt und erleichtert, die Wohnungen in Doberan sind vermehrt, die Anlagen zur Promenade verschönert worden. Wenn mir etwas zu wünschen noch übrig bliebe, so wäre es dies, dass durch einen bequemen und trocknen Fußpfad durch den Wald die Verbindung des Bades mit der Stadt für Spaziergänger erleichtert, und an dem Seeufer noch Wohnungen für Badegäste errichtet wurden, da es, ohneracht ich die Vorteile der Bewegung vor und nach dem Bade für die meinen Kurgäste nicht verkenne, dennoch für manche Arten von Kranken ungleich vorteilhafter sein muss, das Bad in der Nähe zu haben, und es mit weit mehr Bequemlichkeit, auch öfterer, brauchen so können. Es waren an 200 Badegäste, und schon aus entfernten Gegenden z. B. Südpreußen, gegenwärtig, wodurch ein überaus angenehmer und heiterer Zirkel entstand, denn es gereicht diesem Bade zum besondern Ruhm (und selbst zur medizinischen Empfehlung, denn man weiß wie mancherlei Nervenreizungen and kleine Ärgernisse bei weiblichen Kranken, oft durch konventionelle und Rangverhältnisse entstehen), dass hier weder von Etiquette noch Rang die Rede ist. Man kennt hier keinen Unterschied von guter und schlechter Gesellschaft (man weiß, was dies in manchen Bädern heißt, und welche unangenehme Trennungen dies veranlagt), man lebt hier bloß nach dem Ton, den die allgemeine Sittlichkeit und der Zweck, Gesundheit und Vergnügen, angeben, und so entsteht bei der mannigfaltigsten Mischung die angenehmste Gleichheit in Unterhaltung, Fröhlichkeit und Lebensgenuss. Selbst die Gegenwart des Herzogs stört dies nicht, sondern beförderte ?s auch diesmal ganz sichtbar, da ihm jeder Zwang verhasst ist, und er durch seine persönliche Annehmlichkeit und Heiterkeit die ganze Gesellschaft belebt. Um nur einen scheinbar unbedeutenden, aber in der Tat auch, für andere Bäder empfehlungswerten Umstand anzuführen, so ist es hier gesetzmäßig verboten, den Hut nicht vor einander zu ziehen, und der Herzog ist der erste, der dies von niemand erlaubt, und mit guten Exempel vorgeht. — Was die diesjährigen medizinischen Wirkungen betrifft, so überlasse ich dies dem würdigen Vogel ausführlicher zu melden. Ich erwähne nur zweier Fälle, die mir vorzüglich merkwürdig schienen, und die Kraft dieses Bads auffallend ins Licht stellen. Ein Mann, der schon viele Jahre lang an epileptischen Zufällen gelitten, und dagegen vergebene die kräftigsten Arzneimittel, desgleichen Pyrmonter und andere mineralische Wasser an der Quelle gebraucht hatte, hat schon seit 2 Jahren, wo er das Seebad zu brauchen anfing, diese Anfälle völlig verloren, und war jetzt zum dritten Male hier. — Ein anderer, der an Nervenschwindsucht dem Tode nahe gekommen war, wurde durch das Seebad zur Bewunderung schnell wieder hergestellt. Ich selbst befand mich in Betreff einer Schwäche des einen Auges, weswegen ich hierher kam, durch die Anwendung des kühlen Seebads (14 bis 16 Grad) und der Dusche von Seewasser ungemein gebessert. Überhaupt scheint gerade dieser mittlere Grad der Reizung verbunden mit den qualitativen Eigenheiten des Mineralalcalis und der Salzsäure, die er hat, für manche Arten der Nervenschwäche und kränklichen Reizbarkeit weit passender und wohltätiger zu wirken, als die ungleich stärkere Kraft der eisenhaltigen luftsauren Wasser.

In Stralsund freute ich mich sehr, einen neuen Beweis zu finden, dass die Humanität und liberale Denkart auch unter den Ärzten zunimmt. Es existiert hier eine Einrichtung, die überall nachgeahmt werden sollte (für jetzt weiß ich nur noch Altenburg zu nennen); und die den Stiftern sowohl, als dem jetzt darum besonders verdienten Herrn: Assessor Haken große Ehre macht, eine medizinische Privatgesellschaft. Sie wurde durch die Herren Deneke; Helwig; Klatt und Hasper gestiftet, und hat sich nun 25 Jahre lang erhalten, welches freilich mehr sagen will, als dass sie gestiftet wurde. Sie versammelt sich einmal in der Woche, ihr Hauptzweck ist, sich mit der neuesten Literatur der Medizin und Physik bekannt zu machen, dazu nun Bücher und Journale anzuschaffen (wodurch schon eine ansehnliche Bibliothek entstanden ist). Aufsätze vorzulesen und sich kollegialisch zu unterhalten. Ich kann den Geist dieser schönen Verbindung nicht besser schildern, als wenn ich den Schluss einer Schrift des Hrn. Assessor Haken (über dis Entstehung, Einrichtung und den Fortgang der medizinischen Privatgesellschaft zu Stralsund 1798, worin man die genauere Beschreibung findet) hersetze. „Lassen Sie uns heute den Bund erneuern, den Sie mit Ihren verewigten Freunden schlossen, und lassen Sie uns vereint immer den großen Zweck erfüllen, Menschen glücklich zu machen, damit, wenn einst am Abend unsrer Tage der Allbeglücker uns zu höhern Bestimmungen abruft, wir froh uns sagen dürfen: wir haben gelebt.“

In Kiel sah ich mit vielem Vergnügen das Krankenhaue und Krankeninstitut, welches bloß der unermüdeten Tätigkeit des würdigen Professor Weber seine Entstehung verdankt. Ohne allen Fond unternahm er diese wohltätige Anstalt für Arme, wurde aber nach und nach durch so reichliche Beiträge des hiesigen Publikums unterstützt (welches diesem zugleich sehr große Ehre bringt), dass die Anstallt nun 14 Jahr besteht, ein sehr ansehnliches und wohleingerichtetes Krankenhaus vor der Stadt mit Garten, Badeanstalt etc. besitzt, und nun teils durch Heilung s? vieler Unglücklichen, teils durch Unterricht der Studieren den sehr viel Gutes gestiftet wird. Zum Beleg führe ich die Rechnung vom Jahr 1797 an. Die sämmtliche Einnahme der Anstalt betrug 1.560 Rthl., wobei ich nur bemerke, dass die Beiträge des Publikums 560 Rthl. betragen haben. Der Kostenaufwand betrug 1.269 Rthl., wovon 711 Rthl. für Arzneien aufgingen. Davon wurden behandelt 343 Kranke; von diesen starben 46. 5 wurden entlassen, 219 völlig hergestellt, und 73 verblieben in der Kur.

Einer der vorzüglichsten Augenärzte Deutschlande teilte mir folgende interessante Bemerkungen mit: er hat die Amaurosis einst durch die Application des verstärkten Sonnenlichte mitteilt eines Brennglases ins Auge, geheilt (mein Vater heilte einst diese Krankheit dadurch, dass er den Kranken täglich einige Zeit in die Sonne sehen ließ); auch bedient er sich des Brennglases, um bei tiefliegenden Augenkrankheiten die hintern Gegenden des Auges völlig zu erhellen, um alles deutlich zu sehen (natürlich muss man sich dabei hüten, dass nicht der konzentrierteste Focus diese Teile trifft). — Auch macht er eine sehr sinnreiche Benutzung des Galvanismus, um die Gegenwart der völligen Amaurosis zu entdecken, welches zuweilen z. B. bei zugleich vorhandenen Cataracta nicht leicht ist. Er appliziert Silber oder Gold ans Auge, und Zinn an die Zungenspitze; und bringt beide Belegungen in Berührung; sieht dabei der Patient den bekannten Blitz nicht, so ist es vollkommne Amaurosis.

Ein wegen seiner glücklichen Behandlung der Wahnsinnigen berühmter Arzt versicherte mich: dass er seine vorzüglichsten Kuren mit Helleborus niger gemacht habe, dass aber alles darauf ankomme, ihn nicht verfälscht zu erhalten; er bediente sich bloß der Wurzel, welche beim Bruch ein Kreuzgen neige.

Über Pyrmont (wo ich 4 Wochen blieb) noch etwas zu sagen, finde ich nach dem, was Marcard *) in seinem Meisterwerke darüber gesagt hat, sehr überflüssig. Ich habe mich durch den Augenschein und Selbstgebrauch überzeugt, dass dieser herrliche Quell immer unter den deutschen Wassern einen der erden Platze behaupten, und sich, auch wenn 10 andere Moden kommen-, und ihm alle Empfehlungen fehlen sollten, in Ewigkeit selbst empfehlen und erhalten wird. Vorzüglich scheint er bey dem höchsten Grade der Nervenschwäche, bei nervöser Hypochondrie und Hysterie, bei Anlagen so Hämorrhoiden, passiven Blutflüssen und Gicht ein außerordentliches Mittel zu sein. Merkwürdig ist es, dass er bei Epilepsien nicht hilft, sondern oft schadet. — Ich sah ein Mädchen von 18 Jahren, welches vor 6 Jahren durch Schrecken an Armen und Beinen völlig gelähmt worden war, und seit 4 Jahren, wo sie jeden Sommer das Pyrmonter Wasser an der Quelle brauchte, mit jedem Jahre besser, und jetzt so vollkommen hergestellt war, dass sie völlig frei herumgehen und mit den Händen alle Geschäfteverrichten konnte.

[i]*) Einem Buche, was übrigens nicht bloß als Beschreibung von Pyrmont, sondern noch weit mehr als eine von den wenigen klassischen Werken über chronische Krankheiten, insbesondere über die wichtige Leine von den chronischen Blutstockungen im Unterleibe, gelesen und studiert werden sollte. Wir haben nichts so gründliches und praktisch vortreffliches über diesen Gegenstand, und überhaupt gehört dies Buch zu den wenigen, die bei weiten mehr enthalten, als man darinnen sucht.[/b]

Die merkwürdige Dunstquelle ist bekannt; die Menge der sich hier entwickelnden Luftsäure ist außerordentlich, und ?s wundert mich, dass man hier nicht schon eine Einrichtung zur Benutzung dieses wichtigen Medikamente zum Einatmen, Eintauchen, Injizieren etc. gemacht hat. ?s gäbe dies eine neue, in ihrer Art ganz einzige, und gewiss für manche Krankheiten höchst wirksame, Kuranstalt. Statt dessen ist sie mehr ale eine Todesanstalt benutzt worden; vor 2 Jahren tötete sich da ein Jude bloß durchs Heineinlegen; eine ganz neue, und wahrscheinlich sehr sanfte Todesart.

Ich sehe es für eine schätzbare Akquisition von Pyrmont an, dass die dortige Salzquelle durch die Bemühungen des Hrn. Geh. Rath Trampel, mehr im Gebrauch gekommen ist. Es ist ein bloß muriatisches Wasser, was aber durch die Verbindung mit fixer Luft viele Nachteile der bloßen Salzwasser verliert, und weniger den Magen und den Ton der Faser schwächt, daher es sehr nützlich bei Skrofeln, chronischen Verschleimungen und Verstopfungen, genug in Fällen, wo das Eisenwasser nicht passen würde, gebraucht wird, auch in manchen Fällen zur Vorbereitung auf den eisenhaltigen Quell benutzt werden kann.

Leider hinderte mich ein Fieber, die nahe liegenden wichtigen Bäder, Driburg, Nenndorff, Meyenberg zu besuchen. Doch hörte ich viel von der großen Menge der diesjährigen Kurgäste, und den trefflichen Wirkungen des Wassers zu Nenndorff.

Einen merkwürdigen und höchst traurigen pathologischen Fall muss ich hier noch erwähnen: Eine liebenswürdige Dame wird, so oft sie schwanger wird, wahnsinnig, und oft bis zur Raserei, und dies hört nicht eher, aber alsdann auch sogleich auf, wenn sie entbunden ist.

Es ist bekannt, dass bey manchen üblen Nachfolgen schnell unterdrückter Wechselfieber kein besseres Mittel ist, als Wiederherstellung des Fiebers, aber dass dies oft sehr schwer hält. Durch salzige Laxirmittel, Digestivpulver von Magnesia und Crémor tart, habe ich einige Mal diesen Zweck erreicht, aber nicht immer. Ein alter bewährter Praktiker erzählte mir, dass er einige Mal das Fieber durch Cort. Mezerei wieder hergestellt habe, indem er denselben auf beide Arme, beide Seiten des Unterleibs und die Schenkel zugleich auflegte. Es ist bekannt, dass bei der Wirkung des Seidelbasts leicht Schauer und Fieberbewegungen entstehen.

Heiligendamm, Kurhaus und Kolonnaden

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Bademode und Bakarren um 1900

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Stralsund, Jacobi-Kirche

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