Fakire und Fakirtum im alten und modernen Indien

Yoga-Lehre und Yoga-Praxis nach den indischen Originalquellen dargestellt von
Autor: Richard Schmidt 1866-1939 https://www.indologie.uni-halle.de/institutsgeschichte/richard_schmidt/, Erscheinungsjahr: 1908

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Indien, Inder, Religion, Kultur, Fakire, Schwindler, Betrüger, Tagediebe, Yoga, Geister, Europa, Asketen,
      Vorliegendes Buch ist in Wahrheit nichts weiter als die Objektivation des Willens meines Verlegers. Ich persönlich stehe dem Fakirtum in Indien und seinen Derivaten in Europa und Amerika so ablehnend wie möglich gegenüber, und nur die Überzeugung, hier ein besonders rares Kapitel menschlicher Narrheit vor mir zu haben, ließ mich auf dies Gebiet begeben, um wenigstens die größten Tollkirschen zu pflücken. Liegt es an der Wunderlichkeit der Yogins, dass man sich so wenig mit ihnen ernstlich beschäftigt hat? Soeben habe ich den ersten Teil von Oltramares Werk über die indische Theosophie zu Gesicht bekommen (Annales du Musée Guimet; Bibliothèque d'Etudes, Tom. XXIII), die erste wissenschaftliche, zusammenfassende Arbeit über unseren Gegenstand! Sehen wir von kurzen Darstellungen in Form von Einleitungen zu indischen Textausgaben oder zu Übersetzungen solcher ab, so bleiben nur die Arbeiten Garbes und das recht interessante Werk von Oman, The Mystics, Ascetics and Saints of India. A Study of Sadhuism, with an Account of the Yogis, Sanyasis, Bairagis, and other strange Hindu Sectarians . . . London 1903. Da ich gänzlich darauf verzichten musste, eigene genauere Untersuchungen über den Stoff anzustellen, und nur ein für das den rebus Indicis fernstehende Publikum berechnetes Buch schreiben sollte, habe ich Omans Ausführungen oft wortgetreu übersetzt und bekenne gern, ihm sehr viel zu verdanken; und da ich einmal von Verpflichtungen rede, kann ich nicht umhin, auch öffentlich der großen Liebenswürdigkeit zu gedenken, mit der mich Prof. Dr. Garbe unterstützt hat. Nur so ist es möglich geworden, meinem Buch die 74 Abbildungen (87 mit den Doppelbildern) beizufügen, die nach den in seinem Besitz befindlichen, ein Unikum darstellenden Originalillustrationen zur Gherandasamhitâ, einem Hauptwerk über die Yogins, reproduziert sind. In Benares 1886 von ihm erworben, sind diese von einem Yogin angefertigten Aquarelle, die hier in getreuem Steindruck vorliegen, für das Verständnis des Textes von großer Wichtigkeit; ihre Seltenheit aber ist nur dazu angetan, ihren Wert noch zu erhöhen. Außerdem verdanke ich Herrn Prof. Garbe auch noch die Benutzung von Walters grundlegender Arbeit über den Hathayoga, indem er mir sein Exemplar dieses gänzlich vergriffenen Buches für längere Zeit zur Verfügung gestellt hat.
Inhaltsverzeichnis
    I. Kapitel - Askese und Asketentum
    II. Kapitel - Berühmte Asketen
    III. Kapitel - Die Wundertaten der Yogins
    IV. Kapitel - Berichte über die Yogins aus Reisewerken
      1. Taverniers Bericht
      2. Thevenots Bericht
      3. Sonnerats Bericht
      4. Bernier 124
      5. Fryer 128
    V. Kapitel - Die Philosophie des Yoga
    VI. Kapitel - Yoga-Praxis
      1. Yama
      2. Niyama ("Observanz“)
      3. Die Posituren (âsana)
    1. Die Lehre von den mudrâ’s
    2. 4. Pratyâhâra (,,Konzentration“)
      5. Prânâyâma („Anhalten des Atems“)
      6. Dhyâna (,,Kontemplation“)
      7. Samâdhi („Versenkung“)
Meine Hauptarbeit und, wenn man will, mein Verdienst besteht in der Übersetzung der Gherandasamhitâ in allen ihren wichtigen Stücken. Nachdem der eben genannte Walter die Hathayogapradipikâ in seiner Dissertation übertragen hatte, schien es mir förderlich zu sein, dem des Sanskrit unkundigen Leser auch einen neuen Text zu bieten, der gewiss geeignet ist, unsere Kenntnis vom Wesen des Yoga zu vertiefen. Ich denke sicherlich sehr nüchtern über all jene Fakirkünste, die imstande sein sollen, dem Adepten übernatürliche Kräfte zu verleihen, und ich sehe in den allermeisten Yogins Tagediebe und Schwindler; aber ich verkenne auch durchaus nicht, dass die Yoga-Lehre und Yoga-Praxis die Aufmerksamkeit auch noch anderer Forscher als bloß der Sanskritisten verdient. In so bizarrer Form auch immer jene Weisheit geboten wird, und mit wie lächerlicher Prätension ihre Bekenner sich gehaben mögen: es steckt doch ein Kern darin, um dessentwillen der Erforscher der Geschichte des Menschlichen und allzu Menschlichen willig die harte Nuss der Verschrobenheit knacken wird. Für die Geschichte der Hypnose z. B., der Autosuggestion und ähnlicher moderner Praktiken ist die Kenntnis des Yoga unentbehrlich; und wer erkennt nicht in so manchen Satzungen der Yogins solche, die unseren Hygienikern wieder geläufig sind? So vermag selbst eine so abstruse Lehre wie die des Yoga die interessantesten Streiflichter auf unsere Zeit zu werfen; ein Nutzen, den ich ganz besonders betonen möchte. Wollen moderne Schwarmgeister ihre Blöße mit altindischen Lumpen decken, so mag ihnen dies Vergnügen gegönnt sein. Sie beweisen aber damit, dass die indische Gans doch noch klüger ist als sie, die es bekanntlich versteht, aus einem Gemisch von Milch und Wasser die Milch herauszufinden!

      Als neueste Arbeit über die Fakire möchte ich in diesem Zusammenhang noch die beiden Artikel von Gustav Meyrink im „März“, I, 8 und 16 nennen, weil ihr Verfasser in erfreulicher Weise gegen den Unfug des dermaligen Okkultismus Front macht. Man vergleiche dazu seine Bemerkung p. 270, es sei ,,ein Kubikkilometer faules Manna in Form theosophischer Literatur vom Himmel gefallen“; oder die von p. 271: „Alle Augenblicke taucht inner- oder außerhalb der theosophischen, ,,talmi-rosen-kreuzerischen“ und anderen okkulten Brüderschaften ein neuer Fatzke auf und gibt sich für einen Initiierten aus, der im ,,Astralreich“ lesen kann und Übungen zum Erwecken magischer Fähigkeiten zu vergeben hat. Der wahre Guru, der gemeint ist, kann nun aber kein gewöhnlicher Mensch, der isst, trinkt und verdaut und einen Beruf hat, sein, etwa der Herr Emil Kulike aus Kyritz an der Knatter oder sonstwer, — es ist darunter vielmehr ein ganz anderer zu verstehen ...“ Ohne mich nun näher auf Meyrinks Ausführungen einzulassen, möchte ich doch ein paar Einzelheiten zur Sprache bringen. Die auch in effigie vorgeführten Inder unserer Zeit, Bhâskarânanda und Rämakrsna Paramahamna sind gar keine Yogins, sondern gehören dem vierten Lebensstadium, dem Stande der Samnyâsins an; Meyrink betont selbst, dass der erstere den Vedânta studiert habe, aber nicht den Yoga. Ob M. Sanskrit versteht, weiß ich nicht — die schlecht transkribierten Textstellen 1) Adicete Veikountam Haris und Dioyavapour gatwâ (statt adhi?ete Vaikuntham Haris und Yogavapur gatvâ) sprechen nicht dafür — jedenfalls hätte er sich aus den Übersetzungen der einschlägigen Sanskritliteratur leicht überzeugen können, dass die verschiedenen Posituren, Mudrâs usw. keineswegs Wirkungen sind, wie er p. 271 meint, sondern Bestandteile eines für die höheren Stufen unerlässlichen Training.
Auch die Berufung auf Jacolliot ist ein Missgriff: dieser Mann ist längst als ,,notorischer Schwindler“ anerkannt. Aber wie gesagt: mir gefällt Meyrinks Zorn über die modernen Auswüchse der Theosophie und des Okkultismus.
Ignorabimus!
      Halle-S., 4. September 1907. Richard Schmidt.

      1) Nach Jacolliot zitiert, daher die französische Schreibweise!

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