Etwas über den Mecklenburgischen Kalk

Aus: Freimütiges Abenblatt, Band 8 (1826)
Autor: Redaktion - Freimütiges Abendblatt, Erscheinungsjahr: 1826
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Bodenschätze, Kalk, Baumaterial, einheimische Rohstoffe, Seestädte, Rostock, Wismar, Handel, Landesgeschichte
Ich kann die Meinung des Herrn Präpositus Flörte zu Kirch-Mulsow (siehe dessen Aufsatz: „Über den Kalk, dessen sich unsere alten Vorfahren zu ihren Bauten bedienten“, in No. 365 d. Bl.) aus Mangel an hinreichenden Kenntnissen weder bestreiten noch mit neuen Gründen unterstützen, dass nämlich die erstaunenswerte Festigkeit, welche wir bei 600 bis 600 Jahre altem Gemäuer antreffen und bei unseren neueren Bauten vermissen, darin ihren Grund habe: dass unsere Altvorderen sich des einheimischen, wir uns aber des fremden Materials zur Bereitung unsers Mörtels bedienen. Die Entscheidung dieser Frage überlasse ich sachverständigen Männern; dagegen stimme ich dem Hrn. Präpositus von ganzer Seele in dem Wunsche bei, dass wir Mecklenburger aufhören möchten aus der Fremde ein Erzeugnis zu beziehen, welches wir im eigenen Vaterlande in hinreichender Menge besitzen: es sind wirtlich für den National-Reichtum und die vaterländische Industrie rein verlorene Kapitalien, welche wir bei dem in einigen Gegenden Mecklenburgs in vorzüglicher Güte und im größten Überfluss vorhandenen Kalke alljährlich an Schweden für dieses Material zollen.

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Um die eben gemachte Äußerung zu belegen, sei es mir hier vergönnt, über den Kalk einer vaterländischen Gegend, die mit diesem Erzeugnis von der Natur ganz besonders begabt ist, und womit ich näher bekannt bin, einige Auskunft zu geben.

Einige tausend Schritte von den südlichen Ufern des Kölpiner Sees entfernt, erhebt sich eine Hügelkette von ungleichen Erhöhungen, worunter einige jedoch für unser ebenes Land schon ziemlich beträchtlich zu nennen sind: sie nimmt auf der Lebbiner Feldmark ihren Anfang, zieht sich dann fast grade von Westen nach Osten über das Wendhöfer und Poppentiner Feld, wo sie nun eine südliche Richtung annimmt, bis sie, das westliche Ufer der Müritz in einer bald größeren bald geringeren Entfernung folgend, sich bei Gotthun in das niedrige Uferland jenes Gewässers verflacht. Wahrscheinlich besteht diese Hügelkette, in einer gewissen Tiefe von der Oberfläche, durchgängig aus Kalk-Erde, obgleich die meisten Kuppen derselben mit Sand- oder Lehmschichten bedeckt sind, und nur auf einigen der Kalk gleich zu Tage liegt. Schon bei der westlichsten Anhöhe, womit die Kette beginnt, ist dieses der Fall, und dieselbe Sache wiederholt sich in gewissen Entfernungen, besonders häufig aber auf dem Wendhöfer Felde bis bei Gotthun. Doch scheint dieses Kalklager noch nicht von den beiden genannten Punkten (dem Gange der Hügel folgend, wohl eine Meile von einander entfernt) begrenzt zu sein: in einer nordwestlichen Richtung vom ersten derselben, am jenseitigen Ufer des Fleesen-Sees, auf dem Nossentiner Felde, und südöstlich von Gotthun über die Müritz bei Roggentin, trifft man wieder Kalkhügel an, so dass, aller Wahrscheinlichkeit nach, von beiden Selten eine Verbindung unter dem Wasser statt findet. Für einen Geognostiker müsste es keine uninteressante Forschung sein, zu untersuchen, in welcher Verbindung dieses grade hier so häufig vorkommende Fossil, ein unstreitig neptunisches Erzeugnis, mit der Bildung der großen Wassermassen steht, welche sich so hoch (250 Fuß) über dem Spiegel der Ostsee, in den Becken der Müritz und Kölpin, des Fleesen-Malchowschen- und Plauer-Sees gesammelt haben; und inwiefern ein Zusammenhang dieser Kaltlager mit den Rügenschen und Dänischen sich nachweisen lässt.
Als ein in der Oryktognosie Unbewanderter, kann ich mich auf keine wissenschaftliche Beschreibung der Kalkerde dieser Gegend einlassen, sondern begnüge mich, zu erwähnen, dass sie in ziemlich harten Würfeln von unter drei Linien bis über einen Zoll Größe bricht, und mit vielen Feuersteinen vermischt ist; in der Grube des Hügels auf dem Wendhöfer Felde, woraus die Erde gegraben wird, die man im dortigen Kalkofen brennt, finden sich auch Konchylien u. dgl. m. im Kalke eingeschlossen. Überhaupt zeichnet sich die Erde dieser Gruben, welche eigentlich wohl Kreide und kein Kalk ist, durch ihre außerordentliche Weiße ganz besonders aus; je tiefer man grabt, je schöneren und bindenderen Mörtel liefert sie nach der Verarbeitung. Bekanntlich brennt man aus Kreide, nächst Muschelschalen, den besten Mörtel, und als Beispiel der ungewöhnlichen Bindekraft des Wendhöfer mag der Fall dienen, dass beim Abtragen eines Schornsteins, der vor etwa zehn Jahren im dortigen Wohnhause mit diesem Mörtel gebaut worden, das Gemäuer in großen unregelmäßigen Stücken eingerissen werden musste, weil die Arbeiter nicht im Stande waren, die einzelnen Mauersteine von einander zu trennen, wovon nachher nur wenige in ihrer ursprünglichen Gestalt aus den Trümmern losgearbeitet wurden. Die Wendhöfer Kreide eignet sich übrigens durch ihre Feinheit und Gute zu vielen andern technischen Zwecken; eine Reihe von Jahren hindurch benutzte die Reinsberger Fayance-Gewerk-Anstalt dieselbe als Material zu ihrem Fabrikat, und geschlemmt stehet sie der englischen Kreide in nichts nach, welches folgendes Zeugnis des Hrn. Professors Hermbstädt in Berlin hinreichend beurkundet:
„Eine Probe geschlemmter Kreide, von der Erbe welche man auf dem Felde des Gutes Wendhof im Mecklenburg-Schwerinschen gräbt, habe ich auf Verlangen den nötigen Prüfungen unterworfen, um ihre Brauchbarkeit zum technischen Zwecke auszumitteln. Hieraus hat sich als Resultat ergeben, dass gedachte geschlemmte Kreide völlig weiß, zart, stein- und eisenlos ist, daher solche
1) zum Weißmachen der nicht geschwefelten wollenen Tücher in den Tuchmanufakturen;
2) zum Anstreichen und Weißmachen des weißen „Leders:
3) für die Bleiweißfabriken:
4) zum Anstreichen der Wände in der Wassermalerei so wie zu jedem anderen Behuf vorzüglich empfohlen zu werden verdient, zu welchem eine reine eisenfreie geschlemmte Kreide, oder das sogenannte spanische Weiß erfordert wird: welches ich hierdurch der Wahrheit gemäß bezeuge.
Berlin, den 28. Oktober 1814.
Hermbstädt, Königl. Geh. Rat.“
Dieses große Kalt- und Kreidelager nun, an dem größten, aber leider und unbegreiflicherweise zum Handel bis jetzt fast gar nicht benutzten Binnenwasser Mecklenburgs gelegen, beschäftigt in seiner ganzen Ausdehnung notdürftig nur sechs Kalköfen. — Ist es Unbekanntschaft mit dem Vorhandensein desselben, ist es die Schwierigkeit des Transports oder das Vorurteil zu Gunsten des fremden Erzeugnisses, was den Absatz des eben so guten, ja besseren und gewiss wohlfeileren einheimischen Baumaterials so sehr beschränkt? — So lange freilich, wie die Elde und so viele andere Gewässer unseres Vaterlandes für den inneren Verkehr (leider!) unbenutzt bleiben, kann der Achsen-Transport für die von der Müritz oder anderen mit Bergkalk versehenen Gegenden zu entlegenen Orten so kostspielig werden, dass sie sich mit dem schlechten Moor-Kalk, der etwa näher zu haben sein mag, behelfen müssen, oder sogar den fremden Kalt aus Rostock oder Wismar wohlfeiler beziehen können; aber verwundern musste es mich und gewissermaßen betrüben, als ich vor einigen Jahren erfuhr, dass man zu einer großen öffentlichen Baute in Güstrow aus unseren Seestädten gotländischen Kalk, immer doch nur aus der zweiten Hand, herbeischaffte, da doch ein eben so gutes Material wenig weiter und gewiss viel billiger aus der ersten Hand, von den Ufern der Kölpin oder des Malchower Sees zu haben gewesen wäre.

Wann werden wir Mecklenburger unsere inländischen Erzeugnisse gehörig schätzen? — Wann werden wir anfangen, sie allen Gegenden unseres Vaterlandes zugänglich zu machen, indem wir die Naturstraßen unserer Gewässer nur etwas nachhelfen oder sie bloß benutzen, ohne dass uns eine jede Meile derselben, gleich der Mac-Adamschen Kunststraße, 24.800 Rthlr. zu kosten braucht?
Waren, den 2. Januar 1826.

Müritzeum, Kalkstein

Müritzeum, Kalkstein