Eine polnische Wolfsjagd

Aus: Sundine: Unterhaltungsblatt für Neu-Vorpommern und Rügen, 18. Band 1844
Autor: Redaktion - Sundine, Erscheinungsjahr: 1844
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wölfe, Wolfsjagd, Napoleonischer Befreiungskrieg, Polen
Nach dem Frieden von Tilsit (so ist Herrn H. R. Addison die folgende Beschreibung einer eigentümlichen Jagdart von einem französischen Offizier mitgeteilt worden) kam das Armeekorps des Marschall Davoust in Polen zu stehen.

**********************************
Mein Regiment wurde bei Blonie unfern Warschau einquartiert und ich für meine Person erhielt mein Logis bei dem Grafen Lasseur in dem kleinen Dorfe Cozerki. Ich ging dann wie immer, wenn meine Pflichten mir dazu die Muße ließen, dem Waidmannsvergnügen nach. Auf einem meiner Streifzüge kam mir auch ein Wolf in den Schuss, den ich erlegte. Nicht wenig stolz auf die Tat, ließ ich denselben durch den Bauer, der ihn mir nach Hause brachte, zu meinem Wirt tragen, um damit zu prahlen.

„Ist das die ganze Frucht Ihrer heutigen Jagd?“ fragte der Graf mich fast spöttisch; „wenn Sie daran Gefallen finden, so kann Ihnen gedient werden. Ich will Sie mit einem Verfahren bekannt machen, vermittelst dessen Sie den ersten besten Morgen, der Ihnen konveniert, zehn oder ein Dutzend Wölfe, größer als der da, schießen können, wenn Sie es der Mühe wert halten.“
„Der Mühe wert halten? Ei, hundert Meilen weit reise ich um eine solche Jagd.“
„Nun denn, passt es Ihnen morgen?
„Ei freilich!“ erwiderte ich und begab mich in mein Zimmer, um mich für die Partie des andern Tages einzurichten. Die Erde war hoch mit Schnee bedeckt und es herrschte eine strenge Kälte. Mit Tagesanbruch wurde ich geweckt und eingeladen, in einem mit vier Pferden bespannten Schlitten Platz zu nehmen, in welchem der Graf, warm in Pelzwerk eingehüllt, sich schon eingenistet hatte. Als wir abfuhren, warf der Diener unter unsre Füße noch ein Ferkel in den Schlitten, das so gellend quiekte, dass ich es kaum ertragen konnte.
„Aber ums Himmels Willen!“ rief ich aus, „was tun wir mit diesem schreienden Tiere?“
„Das sollen Sie schon erfahren“, antwortete der Graf; „verhalten Sie sich nur ruhig und ich werde mein Versprechen erfüllen.“
„Aha! ich weiß schon; es wird ein Frühstück für uns sein sollen; aber da wäre es doch eben so gut gewesen, es vorher zu schlachten“, sagte ich.
„Auch ohne dies Ferkel soll es uns an Proviant nicht fehlen“, entgegnete mein Freund und dampfte aus seinem großen Meerschaumkopfe ruhig fort.

Als wir ungefähr drei Meilen weit gefahren waren, jagten wir in vollem Galopp in einen Wald hinein. Das Schweinchen war endlich des Schreiens müde und verhielt sich ganz ruhig. „Kneipen Sie ihm ins Ohr“, sagte der Graf nun zu mir. — „Wem?“ fragte ich.
„Nun, dem Ferkel!“

Ich tat es und das arme Vieh schrie so erbärmlich, dass es durch den ganzen Wald ertönte. Da kamen in weniger als fünf Minuten drei große Wölfe zum Vorschein und rannten unserem Schlitten nach. Nun wurde es mir klar, dass unser kleiner Sänger der Lockvogel für die hungrigen Bestien sein sollte. Obwohl diese noch zu weit entfernt waren, um sie mit einiger Sicherheit aufs Korn nehmen zu können, wollte ich doch schon zum Schuss anschlagen, als der Jäger des Grafen eine mit Stroh ausgestopfte Schweinsfigur, die an einem Stricke von 20 bis 30 Ellen befestigt war, aus dem Schlitten warf. Kaum war das geschehen, als die gefräßigen Untiere, in der Meinung, dass unser kleiner Schreihals herausgefallen sei, so wild herbeistürmten, dass sie sich beinahe einander über den Haufen rannten.
In einem Nu feuerten der Graf und ich mit einer Präzision, dass zwei der Wölfe stürzten.
„Welch’ köstliche Jagd!“ rief ich entzückt aus.
„Nur noch ein wenig Geduld; das ist erst der Anfang vom Ende! wir kehren nicht eher heim, als bis ich mein Versprechen erfüllt und wir mindestens das Dutzend voll gemacht haben.“

Der Schlitten glitt rasch vorwärts. Nach etwa einer Viertelstunde machten wir wieder von unserer tönenden Lockpfeife Gebrauch und brachten, dasselbe Manöver mit dem ausgestopften Schweinchen wiederholend, die hungrigen Waldbewohner aufs Neue in den Bereich unserer Büchsen. Durch dies Experiment, das wir auf einer Fahrt von etwa fünf Meilen mindestens ein Dutzend Mal wiederholten, hatten wir nicht weniger als vierzehn Wölfe erlegt und traten dann langsamer, als wir gekommen waren, den Rückweg an. Wir fanden von ihnen noch elf vor und diesen zog der Jäger das Fell ab, eine Operation, die er jedesmal in drei Minuten zu Stande brachte. Die fehlenden drei Wölfe waren von ihren hungrigen Kameraden gefressen worden.

Heulender Wolf

Heulender Wolf

Wolfspaar

Wolfspaar