Ein Bild Rostocker Theaterlebens von 1756 bis 1767

Aus: Zur Geschichte des Rostocker Theaters (1756-1791)
Autor: Schacht, Wilhelm Dr. (1878- ?), Erscheinungsjahr: 1908
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Theater, Theaterleben
In Christian Ludwig dem Zweiten von Mecklenburg hatte die Schauspielkunst einen verständnisvollen und begeisterten Freund. Seine Freude am Theater ward ihm selbst von einer wachsenden „Gesichtsdunkelheit“ nicht geraubt, aber er konnte nicht verhindern, dass Schönemann, den er sich fast sieben Jahre hindurch als Hofkomödiant erhielt, an Kraft und Leistung abnahm, ehe der Tod seines Mäzen ihn aus dem Lande verbannte. Christians Nachfolger, Friedrich der Fromme, war aus pietistischer Strenge von der „Lasterhaftigkeit des theatralischen Vergnügens“ überzeugt und als sparsamer Fürst ein Feind des Luxus. „Das Schauspiel sei eine Anreizung zur Verschwendung, befördere den Müßiggang und verscheuche den Geist der Industrie.“ Der Schweriner Hof war den Komödianten verschlossen, auf Jahrzehnte hin.

Von den mecklenburgischen Städten blieb des Landes größte, Rostock, das vornehmste Ziel der wandernden Schauspielertruppen. Hier hatte der alte Herzog vor fünf Jahren — 1751 — ein eigenes Hoftheater errichten lassen — es steht heute noch, dem Palais benachbart, mit der Durchfahrt des Schwaanschen Tores — und Schönemann machte dort, wenn der Hof das Lager in der Stadt hielt, seine Schaubühne auf, von der herab Ekhof sprach. Rostocks Bürger haben ihn nicht gehört, denn nur an einer einzigen Aufführung wurde Stadtpublikum als Gast des Herzogs geladen.

An Einwohnern gab es 1773 kaum 9.000, in den 90er Jahren 11 bis 12.000. Wenn die Stadt auch unter ihren Einwohnern sehr viele nicht bloß wohlhabende, sondern auch sehr bemittelte und reiche zählt, deren Anzahl noch besonders durch viele adelige Familien vermehrt wird, — so fehlen doch die opferfrohen Kunstfreunde, urteilt am Ende des Jahrhunderts J. C. Wundemann über seine Vaterstadt. Schaut er in die Zeit des siebenjährigen Krieges, schreibt er: „Tod und Schlaf haben hier ihre Zelte aufgeschlagen.“ Im ersten Jahr des kunstfremden Herzogs war dieser Krieg ausgebrochen, in dem sich die Preußen und die Schweden mit den Herzoglichen ablösten, die Stadt mit Einquartierung, Kontributionen und Exekutionen zu peinigen. Die Schuldenlast des Krieges war nur durch Jahrzehnte größter Sparsamkeit zu bekämpfen. Die Universität führte ein Scheinleben. Die herzoglichen Professoren waren nach Bützow ausgewandert, die rätlichen konnten keine Promotionen abhalten und versammelten in dieser dreißigjährigen Konfliktzeit nicht mehr als 50 Studiosi zu ihren Kollegien. In akademischen Kreisen hegte man aber zum Theater keine offene Freundschaft. Das Publikum für „ernstere Kunst“ war gewiss in seinem Kern der Kaufmannsstand, der in der festgegründeten Handelsstadt auch schwere Zeiten der Unruhe überwinden konnte. Mit dem Rate unabhängig von dem landesherrlichen Geschmack, der sich in den andern Städten geltend machte, die nicht die weiten Privilegien Rostocks besaßen, hatte er sich freierhalten von dem Einfluss der zahlreichen städtischen Geistlichkeit, die das „Komödianten-Unwesen“ öffentlich befehdete. Selbst Wundemann mied als Pastor den Besuch des Schauspiels, urteilt trotzdem, diese Kunst sei nicht auf unser eigentliches Bedürfnis berechnet, sondern nur auf das Vergnügen des gebildeten Geistes.

Die Wandertruppen, die in Lübeck und Hamburg spielten, den alten Rivalen Rostocks im Handel und in der Kunst, und von da nach Pommern blickten, hatten auf ihrem Wege durch Mecklenburg Wismar, Güstrow (auch Schwerin) und Rostock. Erst später, nach dem Tode Friedrichs des Frommen, begann Mecklenburg für sich eine Theater-Provinz zu werden.

Jedem Wandertruppen-Prinzipal erteilte der Rostocker Rat die Erlaubnis, mit seinem „Rüstwäglein“ das Tor zu passieren und seine Kunst zu zeigen. Ein Grund, abzulehnen, fehlte. Und die Schaulust war immer rege, vielleicht in Zeiten des Krieges mehr, als im matten Frieden. In der Wokrenterstraße lag der Freesische Gasthof, dessen Saal die Wanderkomödianten aufnahm; in derselben Straße der noch heute erhaltene, unter dem alten Namen bekannte Horn’sche Hof, ein Kaufmannshof von mäßiger Größe — heute verengt und nach der Straße (Nr. 18) den schmalen Torbogen sendend — er wurde das Ziel der größeren Truppen, als das Ballhaus am Steintor eingestürzt war. Dieses Gebäude, das natürliche Lokal aller reisenden Künstler, stand seit 1624 auf dem Grundstück des heutigen Ständehauses, hatte aber nach der Steinstraße, der noch bis auf diesen Tag Komödianten herbergenden „Krimm“ gegenüber, einen Nachbarn, das sogenannte Ballmeisterhaus. Nach Norden sah das Ballhaus auf die Johanniskirche (Garnisonskirche), nach Süden auf drei kleine zusammhängende Wall-Häuser „am Kuhberg“.

Mitten im Kriege — 1760 — rücken die ersten Wanderkomödianten (unseres Zeitraumes) ein, auf einen halben Monat nur. Wilde heißt der Führer, ein unbekannter Name unter der großen Zahl der Prinzipale. Auf dem Ballhause werden gespielt uralte „Fratzen“, „zum Vergnügen gereichende moralische Stücke“, deren „Pauken- und Trompetenschall“ wir noch vernehmen; im lückenhaften Repertoir aber auch ein vielgespieltes neueres Lustspiel. Mit einem Dankprolog an den Rat nimmt der Komödiant Abschied.

Fünf Jahre später — der Krieg war zu Ende — weiß Leppert die Gunst des Pfingstmarkts zu nutzen, der seit fast 500 Jahren bestehend, die Stadt mit Fremden füllte und auch für die Schaulust der Rostocker die ersehnte Zeit war. „Ernsthafte Kunst“ am Pfingstmarkt: wer hat die erwartet? Das war die andere Seite: zum Pfingstmarkt konkurrierte der Schauspieler mit Seiltänzern, Marionettenspielern, Bärenziehern — die Rostocker Verordnung über Erwerbs- und Nahrungssteuern vom Jahre 1772 macht den Komödianten zum Genossen dieser Künstler, zählt ihnen außerdem zu die Marktschreier, Oculisten und Bruchschneider; alle diese müssen täglich 12 Schillinge erlegen. Leppert stammte aus Kochs Truppe, war vom Spaßmacher zum Prinzipal aufgestiegen, hatte mit Ackermann paktiert, wurde aber seiner kleinen Figur wegen mehr verspottet als belacht; er kam aus Lübeck. Der Kommandant von Rostock, zur Kur in Pyrmont, hatte ihn dort gesehen und auf Rostock gewiesen. Mit dem Anspruch, seine Gesellschaft gleiche der ehemals hier gesehenen Schönemannschen, tritt er auf, hat Beifall und so gute Einnahme, dass er sich verpflichten will, die nächsten sechs Jahre hindurch wiederzukommen und eine Jahrespacht von 200 Reichstalern zu zahlen, wenn ihm die Stadt ein Komödienhaus errichtet. Der Rat hat diesen Vorschlag abgelehnt — die Stadtkassen geboten es; das war sein Glück: denn im folgenden Jahr, da er wieder zum Pfingstmarkt seine Bretterbude öffnete — das Ballhaus selbst war im November 1760 vom Sturm zusammengeweht worden — konnte er nur kürzere Zeit bleiben; und die Kritik schmälert ihm den Erfolg, aus der Stadt hinaus begleitet ihn ein Pamphlet „die wahre Schilderung der Bühne des Herrn Lepperts“. Von seinem Repertoir ist nur ein Stück bekannt.