Die wunderbare Pflanze auf dem Keulenberg bei Rodenkrug, zwischen Alt-Strelitz und Neubrandenburg.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Alt-Strelitz, Neubrandenburg, Keulenberg, Zechow,
An der alten Straße von Alt-Strelitz nach Neubrandenburg, etwa 1 ¾ Meilen von ersterer Stadt entfernt, liegt, hoch und romantisch in einer prächtigen Laubholzwaldung, der Zechow genannt, das Kruggehöft Rodenkrug. Häufig wird dieser Ort von Freunden der Natur besucht, um von hier aus den nahen Keulenberg, eine beträchtliche, ebenfalls mit Laubholz bewaldete Anhöhe, zu besteigen und die weite und herrliche Aussicht zu genießen, welche sich von seinem Gipfel den entzückten Blicken darbietet. Zur Erhöhung der Reize, wie auch zur größeren Bequemlichkeit der Besucher ist die eine Seite des Keulenberges mit allerlei Partien, Wegen und Gängen, Lauben und Beeten versehen worden, was den Aufenthalt daselbst um noch so viel schöner und angenehmer macht.

Früher sollen sich die eben erwähnten Anlagen auf der entgegengesetzten Seite des Berges befunden haben, dann aber verschüttet und hierher, nach ihrem jetzigen Orte, verlegt worden sein. Den Grund zu dieser Veränderung soll eine gar seltsame Pflanze gegeben haben, die alle Mittage auf einem Beete der alten Anlagen, einem sogenannten Rondel, aus der Erde hervorgeschossen und gleich darauf wieder verschwunden ist. Man erzählte mir also hierüber:

„Sobald es Mittags Zwölf zu schlagen begann, spaltete sich mit einem Male die Erde auf dem betreffenden Rondel, und eine schauerlich aussehende, distelartige Pflanze wuchs plötzlich und schnell daraus hervor. Diese Pflanze, Blume oder was es sonst gewesen sein mag, bildeten gleichsam zwei menschliche Arme mit ineinander gerungenen Händen, Alles aber, wie bei den Disteln, mit Stacheln besetzt; unten am Stiele des Gewächses erschienen außerdem noch zwei Menschenköpfe, die ebenfalls über und über mit Stacheln oder Dornen bedeckt waren, aber nie ganz aus der Erde wuchsen und somit nicht ordentlich zum Vorschein kamen. Mit dem letzten Schlage der Mittagsstunde zog sich die Pflanze schnell wieder in die Erde hinein und Alles war spurlos verschwunden."

Weit und breit war das Wunder von dem geisterhaften Erscheinen dieser sonderbaren Pflanze bekannt; Alt und Jung erzählte mit heimlichem Grauen vom Keulenberge und dem, was dort geschehe, und Jedermann vermied in die Nähe des unheimlichen Rondels zu kommen, um nicht etwa auch Augenzeuge jener schauerlichen Erscheinung zu werden.

Ein Pächter und ein Pastor, die beide in der Nähe des Keulenberges wohnten und ebenfalls schon viel von der wunderbaren Pflanze gehört hatten, wollten sich einmal selbst überzeugen, was Wahres an der Sache sei. Sie fuhren deshalb, in Begleitung ihrer beiderseitigen Familien, eines schönen Sommervormittags so aus, dass sie kurz vor 12 Uhr am Orte waren, wo sie sich dann erwartungsvoll vor dem betreffenden Rondel aufstellen.

Mit dem ersten Schlage der Mittagsstunde zerborst die Erde und die Pflanze wuchs, wie sie bereits beschrieben, schnell hervor. Alle schauderten; der Pastor aber nahm gefasst seinen Stock und fuhr damit über das wunderbare Gewächs hin und her, machte Kreuze darüber und besprach es, was aber keiner der Umstehenden verstehen konnte. Plötzlich jedoch fiel er ohnmächtig in die Arme des am nächsten bei ihm stehenden Pächtersohnes. Sein Stock war unten wie verkohlt, sein Arm aber, in welchem er denselben gehalten, war gelähmt und ist dies auch stets geblieben.

Bald nach dieser Begebenheit wurden die Anlagen verschüttet und nach der andern Seite des Berges, da wo sie sich jetzt befinden, hinverlegt.

Über den Ursprung der Wunderpflanze konnte ich nichts weiter ausfindig machen, als dass dort früher an ihrer Stelle ein Meuchelmord begangen sein soll. Ob sich dieselbe später wiedergezeigt, darüber konnte ich ebenfalls nichts Bestimmtes erfahren.