Die spukenden fürstlichen Vatermörder auf der werleschen Burgstätte bei Wiek, unweit Schwaan.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Wiek, Niclot, Werle, Schwaan, Warnow, Heidenzeit, Wenden
Die berühmte uralte, noch aus grauer Heidenzeit stammende, mecklenburgische Fürstenburg Werle erhob sich südlich von Schwaan, an dem Ufer der Warnow, auf der Feldmark des jetzigen Dorfes Wiek, und zwar auf der Stelle, die noch heute von den Leuten „auf dem Wall" genannt wird. Es ist dies ein ziemlich bedeutender fester Erdwall, der, wie fast alle alten Burgwälle aus der Wendenzeit, hier im Wiesengrunde, künstlich aufgetragen worden ist. Außer diesem alten Burgwalle ist nichts mehr von der einst so starken und mächtigen. Fürstenfeste sichtbar; ein seit 1855 auf der höchsten Erhebung des Walles errichteter kolossaler Granitblock mit der einfachen Inschrift „Burg Werle" erinnert jetzt aber den vorüberziehenden Fremden an die Wichtigkeit dieses ehrwürdigen Ortes.

Eine 1229 von Niclot IV. gestiftete Nebenlinie des fürstlichen Hauses Mecklenburg, der das Fürstentum Wenden, wozu auch Burg Werle gehörte, zufiel, nahm zu dem ihr zustehenden Titel „Fürsten zu Wenden" auch noch nach dieser alten Feste ihrer Ahnen den Titel „Herren zu Werle" an und führten ihn bis zu ihrem Erlöschen, im Jahre 1436, wo Fürst Wilhelm, der Letzte des Hauses Werle, zu seinen Vätern hinüberging.

Hier aus Burg Werle residierte auch jener unglückliche Fürst Heinrich I. von Werle-Güstrow, der von seinen eigenen ältesten Söhnen, Heinrich II. und Niclot V. 1291 gemordet wurde, hauptsächlich wohl aus dem Grunde, weil ihr alter Vater nach dem Tode ihrer Mutter eine zweite Ehe geschlossen hatte, wodurch sie eine Schmälerung ihres Erbes fürchteten*). Auch hat Niclot — setzt die Sage hinzu — ein verbotenes Verhältnis mit seiner Stiefmutter gehabt, bei dessen endlicher Entdeckung er arg von seinem Vater gezüchtigt worden ist, wofür er diesem denn fürchterliche Rache geschworen, sich mit seinem älteren Bruder verbunden und mit ihm den Vater meuchlings auf der Jagd umgebracht hat.

*) Früher galt nämlich noch nicht das Recht der männlichen Erstgeburt, sondern alle hinterbliebenen Söhne, oder doch die ältesten, pflegten nach dem Tode ihres Vaters seinen Länderbesitz unter sich zu teilen, wovon denn damals oft so viele verschiedene regierende Linien eines Fürstenhauses entstanden und die einzelnen Staaten so vielfach zerstückelt wurden.

Als die beiden Vatermörder hiernach von ihren eigenen Untertanen mit Hilfe eines ihrer fürstlichen Vettern verjagt worden waren und Niclot V. bald hiernach, Heinrich II. aber später unter großen Seelenqualen ihr Leben ausgehaucht hatten, da fanden sie keine Ruhe im Grabe und unstät und flüchtig mussten ihre gefolterten Geister im Grauen der Nacht auf der väterlichen Burg umherirren, was auch noch jetzt, nachdem die Feste Werle selbst längst in Staub und Asche zerfallen, dort auf ihren alten Burgwällen geschehen soll.