Die spinnende Frau in der Sonne und der Mann mit dem Holzbündel im Monde

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Aberglauben, Osterwasser,
Früher wurde der Sonntag, der Tag des Herrn, in Mecklenburg noch viel mehr heilig und in Ehren gehalten, als es jetzt leider der Fall. Schon am Sonnabendabend begann man sich auf den folgenden Feiertag würdig vorzubereiten, weshalb die Gesellen und Lehrburschen, die Knechte und Mädchen dann frei hatten und nicht, wie an den übrigen Alltagsabenden der Woche, für ihre Herrschaften zu arbeiten brauchten, wie solches ja auch noch heute in fast allen Häusern Sitte ist.

Ganz besonders sündlich aber hielten es die Leute, am Sonnabendabend zu spinnen; weshalb denn auch noch jetzt — mit gewiss nur sehr wenigen Ausnahmen — alle Spinnräder an diesem Abend ruhen.

Eine gottlose Frau, die einst einen ganzen Winter hindurch gegen diesen alten frommen Brauch handelte und ruhig an den Sonnabendabenden fortspann, wurde zur Strafe für dies Verbrechen in die Sonne versetzt, wo sie nun Tag und Nacht bis in alle Ewigkeit spinnen muss. Wenn die Frauen und Mädchen zurück vom Osterwasserholen*) kommen, dann können sie die Gottlose ganz deutlich in der aufgehenden Sonne sitzen und spinnen sehen.

Ein Mann, der mehrere Male so gottlos gewesen war, am Sonnabend noch spät in den Wald zu gehen und Holz zu holen, wurde zur Strafe hierfür mit seinen Bündel Reisig in den Mond verbannt, wo man ihn auch jetzt noch deutlich — freilich mit etwas Phantasie — sehen kann.

*) Das Osterwasser, dem man eine heilende Kraft bei allen möglichen Fehlern und Gebrechen, sowie die Eigenschaft zuschreibt, dass das Waschen damit schön mache etc., muss am ersten Ostermorgen vor Aufgang der Sonne stillschweigend geholt werden. Es wird dann noch heute von Manchen regelmäßig so viel davon geholt, dass es für ein ganzes Jahr ausreicht, zu welchem Zweck man es in Kruken füllt und im Keller aufbewahrt, da es sich bis zum nächsten Ostern vollständig gut und frisch erhalten soll.