Die sozialpolitischen Maßnahmen des jüdischen Arbeiterfürsorgeamtes für Regulierung und planmäßige Verteilung der ostjüdischen Einwanderung in Deutschland.

Aus: Die Einwanderung der Ostjuden - Eine Gefahr oder ein sozial-politisches Problem
Autor: Kaufmann, Fritz Mordechai (1888-1921) Mediziner, Historiker, Publizist und Redakteur. Generalsekretär des jüdischen Arbeiterversorgungsamts in Berlin., Erscheinungsjahr: 1920
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Ostjuden, Einwanderung, Einwanderer, Deutschland, Russland, Polen, Progrome, Gewalt, Krieg, Vertreibung, Wohnungsnot, Gründe, Not, Elend, Arbeitsplätze,
I. Allgemeine Vorbemerkungen

Bereits die im vorhergehenden Aufsatz, gegebene Darstellung über „die ostjüdische Einwanderung nach dem Kriege" lässt deutlich ersehen, dass wir es hier mit einer zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallenden Zuwanderung von Flüchtlingen zu tun haben, so dass die unsagbar aufgebauschte Ostjudenfrage in Deutschland ohne weiteres durch einsichtige sozialpolitische Maßnahmen lösbar erscheint. Es muss aber betont werden, dass eine bestimmte Kategorie von Flüchtlingen in dieser Darstellung nicht berücksichtigt werden konnte. Es handelt sich dabei um solche ostjüdische Elemente, die sowohl wirtschaftlich wie gesellschaftlich aus dem Rahmen der spezifischen Ostjudenwanderung herausfallen und auch siedlungsmäßig fernab von den mehr proletarischen Judenvierteln in den mondänen Straßenzügen und Hotels sich aufhalten, Sie gehören jenen in Neubildung begriffenen „russischen" Kolonien an, die, sei es auf der Flucht vor dem Bolschewismus, zu politischer Arbeit gegen die Räteregierung und für die bürgerlichen Parteien Russlands und der Randstaaten, häufig auch zur Anknüpfung von Handels- und Industriebeziehungen, nach Deutschland wie allgemein nach Westeuropa sich verpflanzt haben. In ihnen überwiegt teilweise das feudale, militärische und kadettische russische Element, die reiche Bourgeoisie, das Baltentum usw.

Außerdem muss von vornherein Nachdruck darauf gelegt werden, dass die Zugewanderten streng zu unterscheiden sind, einmal in Passanten, die in Deutschland ihre Weiterfahrt in die Vereinigten Staaten abwarten, in Saisonarbeiter, die aus den in Heft 1 geschilderten Gründen die Konsolidierung der östlichen Verhältnisse abwarten müssen, und schließlich in die sehr geringe Zahl solcher, die zu ihren bereits seit längerer Zeit in Deutschland ansässigen Verwandten gezogen sind. Zu der ersten Gruppe der Passanten sei noch bemerkt, dass der deutschen Öffentlichkeit die großzügigen Maßnahmen der ostjüdischen Verbände Nordamerikas für die reibungslose Herüberschaffung der während des Krieges im Osten verbliebenen älteren und jüngeren Familienmitglieder leider kaum bekannt sind.

Die „Vereinigten Jüdischen Hilfskomitees" in Nordamerika haben in großzügiger Weise eine besondere Organisation geschaffen, bei der bereits 20.000 Familien die Schifffahrtskarten und Überführungsgelder für etwa 80.000 im Osten bisher auf die Ausreise wartende Familienmitglieder, meist betagtere oder jüngere Personen, eingezahlt haben. Nach genauen Erkundigungen wird der Abtransport dieser 80.000 Personen bereits im Laufe des Juni, sobald die Verhandlungen wegen des Schiffsraumes zu Ende geführt sind, über die deutschen Häfen beginnen. Ein Teil dieser Auswanderer hält sich bereits jetzt, also nur für eine gewisse Karenzzeit zur Beschaffung der nötigen Papiere usw. in Deutschland auf. Zahlenmäßige Angaben, wie hoch der Prozentsatz dieser Durchwanderer im Gesamtbild der Flüchtlinge ist, werden sich erst nach einiger Zeit, sobald unsere statistischen Arbeiten vorgeschritten sind, machen lassen. Nach unseren Schätzungen beträgt die Zahl dieser Passanten mindestens 25%.

II. Die Aufgabe

a) Vom deutschen Standpunkt aus lässt sich, wenn man die parteimäßige Einstellung diesen Einwanderern gegenüber beiseite lässt, über die Unerwünschtheit solcher Einwanderung sachlich folgendes sagen:

Bei der skrupellosen Benutzung der Juden- und insbesondere der Ostjudenfrage durch die reaktionären Parteien im Wahlkampf und in der politischen Agitation muss jedes unnötige In-den-Vordergrund-Treten etwaiger Probleme, die durch die jüdischen Flüchtlinge aufgeworfen werden, als lästig empfunden werden. Die jüngsten Vorgänge in Bayern, wo eine zahlenmäßig lächerlich geringe, 4.000 Personen kaum überschreitende alte Ostjudensiedlung den Anlass zu einer maßlosen Hetze gegen die Grundlagen der demokratischen Verfassung abgab, zeigen deutlich, dass den reaktionären Parteien an einer weitsichtigen sozialpolitischen Regelung dieser Frage durchaus nichts gelegen ist, sondern, dass sie nur s o weit hieran interessiert sind, wie diese Frage zu einem billigen Kesseltreiben gegen die als Träger der Demokratie verschrienen Juden überhaupt und von hier aus gegen die Demokratie selber benutzt werden kann.

Weiterhin ist nicht abzuleugnen, dass auf den ersten Blick durch die Flüchtlinge eine wenn auch geringe Belastung des immer unzureichender gewordenen deutschen Wohnungsmarktes befürchtet werden könnte. Es schrumpft zwar die in letzter Zeit auch von Fachleuten des Wohnungswesens geäußerte Befürchtung erheblich zusammen, wenn man sich die spezifischen Wohnungsverhältnisse dieser Flüchtlinge vergegenwärtigt, wie sie in der besonderen Darlegung des Dr. Senator (s, Anlage 2, S, 39 — 41) dargestellt worden sind. Unbedingt zuzugeben ist aber, dass hier ein hochwichtiges deutsches Interesse vorliegt, dem durch die Selbsthilfe der jüdischen Organisationen auf jeden Fall entsprochen werden muss.

Die in der ersten Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung berechtigte Befürchtung, dass der deutsche Arbeitsmarkt, der nicht einmal die einheimischen Arbeitslosen aufzunehmen in der Lage war, ein Zuströmen von arbeitsuchenden Ausländern nicht vertragen könne, trifft seit einigen Monaten nicht mehr zu, soweit man von einzelnen Großstädten absieht. Das westdeutsche und mitteldeutsche Industriegebiet hat bereits seit längerer Zeit einen steigenden Bedarf an Arbeitern bestimmter Zweige, der durch die von der Großstadt nur in seltenen Fällen fortzubringenden einheimischen Arbeitslosen nicht befriedigt werden kann. Schädlich vom deutschen Standpunkte aus ist lediglich die Stauung der arbeitsfähigen Flüchtlinge in den Großstädten, während ihrer Verteilung auf die aufnahmefähige Provinz unter bestimmten Kautelen ein deutsches Interesse nicht entgegensteht (s, auch die besondere Anlage 1, S. 32 — 33),

Schließlich ist zusammenfassend zu sagen, dass nach allen Erfahrungen der Kriegszeit und der im allgemeinen zu günstigen Erfolgen führenden preußischen Praxis (die sich auf den Ministerialerlass vom 1. November 1919 stützt), es ohne weiteres notwendig erscheint, bei dieser spezifischen Flüchtlingsfürsorge die Erfahrungen der jüdischen Organisationen Deutschlands und deren Selbsthilfe möglichst weitgehend dazu heranzuziehen, um bei der Regelung des Problems die deutschen Interessen ausdrücklich wahrzunehmen.

b) Vom Standpunkt der Flüchtlinge aus wäre wünschenswert, wenn bei der Regelung dieser Frage auf ihre Psyche und ihre besonderen Verhältnisse soweit Rücksicht genommen würde, dass die notwendigen sozialpolitischen Maßnahmen möglichst ohne Erschwerung durch verallgemeinerndes bürokratisches Vorgehen erfolgen. Es geht nicht an, dass zulieb einigen wirtschaftlichen Schädlingen, die obendrein noch durch ihre auffallenden Gesten deutlicher in Erscheinung treten als die viel gefährlicheren Großschieber neutraler und westdeutscher Konfession, die Gesamtzahl der Flüchtlinge durchweg wie eine Gesellschaft von raffinierten Schwindlern behandelt wird. Es darf nicht vergessen werden, dass selbst diese wenigen unerwünschten Schieber unter den Flüchtlingen volkswirtschaftlich, ihren Umsätzen nach, auch nicht annähernd eine ähnliche Rolle spielen, wie jene westeuropäischen, aus Neutralien und anderswoher kommenden Großschieber, die in ihren Gesten und ihrem äußerlichen Gehaben in den vornehmen Hotels kaum auffallen, hier, obwohl sie den Wohnungsmarkt wirklich belasten, keinerlei ,,Volkswut" gegen sich wachrufen, aber den Ausverkauf Deutschlands bisher ungehindert mit riesigen Mitteln vornehmen konnten.

Vom Standpunkt der Flüchtlinge aus würde also zu fordern sein, dass bei ihrer Behandlung auf die verschiedenen Gründe, die sie zu vorübergehendem Aufenthalt in Deutschland gezwungen haben, soweit Rücksicht genommen wird, wie es mit den vorher geschilderten deutschen Interessen zu vereinbaren ist. Insbesondere ist es zu wünschen, dass amtliche Stellen sich nicht durch die von den reaktionären Parteien aufgebrachte Legende verwirren lassen, als befinde sich unter diesen Immigranten der Mittelpunkt der bolschewistischen Propaganda, Man muss sich diese armseligen, verängsteten, von allen Seiten her bedrückten Menschen, die an der Grenze meistens bis auf die letzte Barschaft ausgeplündert wurden, erst einmal ansehen, man muss sich unter ihnen bewegt und mit ihnen über ihre vielen kleinen Sorgen gesprochen haben, um sich von der Absurdität solcher Märchen zu überzeugen.

III. Organisation und Gliederung des Arbeiterfürsorgeamtes

Als während der Kriegszeit Tausende ostjüdischer Arbeiter zur Durchführung des Hindenburgprogramms zum Teil mit hartem Zwang nach Deutschland überführt wurden, ergab sich bald die Notwendigkeit, eine besondere jüdische Stelle damit zu betrauen, dass bei der Überleitung dieser Arbeiter auf die für sie geeigneten deutschen Industriezweige und zu ihrem Schutze vor sachunkundiger und grausamer Behandlung wenigstens die schwersten Fehler vermieden wurden. Diese „jüdische Abteilung" der deutschen Landarbeiterzentrale zu Warschau, die bei den deutschen Gewerkschaften in Berlin eine besondere Zweigstelle hatte, wurde nach Kriegsschluss von dem ,,Komitee für den Osten" übernommen und als ,, Jüdisches Arbeiterfürsorgeamt" mit der Zentrale in Berlin und einigen Nebenstellen in der Provinz weitergeführt. Die Erkenntnis jedoch, dass es im Interesse aller großen jüdischen Organisationen Deutschlands liege, die Fürsorge für diese Eingewanderten zu übernehmen und durch jüdische Selbsthilfe zu einer Entlastung Deutschlands beizutragen, führte endlich im März 1920 zu einem Zusammenschluss der großen jüdischen Organisationen und zu dem notwendigen Ausbau des Arbeiterfürsorgeamtes. Dieses fasst als Spitzenorganisation folgende zur gemeinsamen Arbeit zusammengehende Vereinigungen zusammen: den Hilfsverein der deutschen Juden, den Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, die zionistische Vereinigung für Deutschland, die Großloge U. O. B. B., die Berliner jüdische Gemeinde, das Komitee für den Osten, die Zentralstelle für jüdische Wanderarmenfürsorge, die jüdischen Arbeiterparteien: Bund, Hapoel-Hazair, Poale-Zion, den Verband der Ostjuden, das Jüdische Arbeitsamt usw. — Erst jetzt war auch die finanzielle Möglichkeit gegeben, das Arbeiterfürsorgeamt zu einer leistungsfähigen Flüchtlingsfürsorge für die eingewanderten Ostjuden auszubauen, in allen größeren Städten ein Netz von aufnahmefähigen Unterstellen zu schaffen und die Frage der nach Kriegsende nach Deutschland Geflüchteten in großzügiger, organisatorischer Weise der Lösung näher zu bringen.

Bei der Wichtigkeit und der zahlenmäßigen Bedeutung der örtlichen Fürsorgearbeit in Berlin ist die neugeschaffene Zentralstelle durch Personalunion des Leiters mit der örtlichen Fürsorgestelle Berlin verbunden. Der Zentralstelle für Deutschland liegt einmal die Vertretung des A. F. A. vor den Reichs- und Landesbehörden und die Führung der notwendigen Verhandlungen ob. Ein gut funktionierender Pressedienst, der zur sachlichen Aufklärung der Öffentlichkeit angesichts der skrupellosen Verhetzung durch reaktionäre Organe immer dringlicher geworden ist, wurde eingerichtet. Die Versehung der Unterstellen mit dem notwendigsten, ihrer Arbeit die Richtung weisenden Material, der Ausbau dieser Unterstellen und ihre beständige Informierung über die in Angriff zu nehmenden Aufgaben ist mit Erfolg in die Wege geleitet worden. Inzwischen hat sich immer klarer herausgestellt, dass die dem Arbeiterfürsorgeamt durch den Erlass des Ministeriums des Innern vom 1. November 1919 übertragenen Arbeiten nur dann mit Erfolg durchgeführt werden können, wenn eine möglichst enge Verbindung mit den jüdischen Einrichtungen für Arbeitsnachweis, insbesondere mit dem als Arbeitsnachweis dienenden Jüdischen Arbeitsamt (Berlin, Monbijouplatz 1) und seinen Zweigstellen hergestellt wird. Dieses Arbeitsamt ist einige Monate nach Kriegsende zunächst zur Fürsorge für jüdische Kriegsbeschädigte und Kriegsteilnehmer begründet worden, hat aber später sich mit allem Nachdruck der Arbeitsbeschaffung für ostjüdische Flüchtlinge gewidmet. In welcher Weise sich die organisatorische Angliederung des Arbeitsamtes an das Arbeiterfürsorgeamt bewerkstelligen lässt, ist augenblicklich Gegenstand besonderer Verhandlungen,

Das A. F. A., Zentralstelle für Deutschland, hat außer diesen noch besondere Abteilungen für die Regelung der Wohnungsbeschaffung, für die statistische Erfassung der Flüchtlinge und für die Zentralisation der ihnen dienenden Wohlfahrtseinrichtungen und Organe der sozialen Fürsorge eingerichtet. Als Spitzenorganisation ist es leicht imstande, in systematischer Weise die bereits bestehenden allgemeinen jüdischen Wohltätigkeitsbestrebungen, soweit Beköstigung, Beherbergung und produktive Unterstützung den Flüchtlingen geboten wird, zu zentralisieren und ein planloses Nebeneinander zu vermeiden.

IV. Die Maßnahmen des Arbeiterfürsorgeamtes

a) Die Regelung der Personalverhältnisse:

Bekanntlich fehlt es für einen großen Teil der ostjüdischen Flüchtlinge an jeder konsularischen Vertretung. Ganz abgesehen von ihrer zielbewussten Schikanierung durch einzelne osteuropäische Konsulate hat der Wirrwarr und die Umgestaltung der Staatsverhältnisse in der früheren österreichisch-ungarischen Monarchie und in den russischen Randgebieten auch sachlich für jede Kategorie der Flüchtlinge, sowohl für die Amerika-Emigranten wie für die vor Progromen und dem grausamen polnischen Militärdienst Flüchtenden es beinahe unmöglich gemacht, mit genügenden Personalpapieren sich nach Deutschland zu begeben. Dieser Tatsache hat bekanntlich der Erlass des Preußischen Innenministeriums vom 1. November 1919 soweit Rechnung getragen, dass das A. F. A. als hierfür besonders geeignetes Organ mit der Feststellung der Personalverhältnisse und ihrer genauen Prüfung betraut und in den Stand versetzt wurde, die unbedingt zu schützenden Arbeitswilligen und anständigen Flüchtlinge in seine Obhut zu nehmen und es zu verhindern, dass unschuldigerweise Tausende arbeitsamer Elemente durch Verweigerung der Anmeldung einfach gezwungen wurden, sich auf illegalem Wege Lebensmittelkarten zu beschaffen, und hierdurch zu Konflikten mit dem geltenden Rechtsbrauch gezwungen zu werden. Es wäre unbedingt wünschenswert, wenn diese augenblicklich nur in Preußen geltenden Ermächtigungen des A. F. A. auch in den anderen Bundesstaaten zur Anwendung kämen. Erst dann ließe sich die von dem A. F. A. angestrebte und zu einem gewissen Teil bereits durchgeführte Dezentralisierung der in den Großstädten sich stauenden Flüchtlinge und die Überleitung der nicht auf der Weiterwanderung begriffenen arbeitsfähigen Elemente auf geeignete deutsche Wirtschaftszweige in vollem Umfange durchführen. Augenblicklich wird der Recherchendienst des A. F. A. weiter ausgebaut, damit den Aufgaben, die dem A. F. A. durch den oben erwähnten Erlass übertragen worden sind, in der peinlichsten Weise entsprochen wird.

b) Die Wohnungsfürsorge:

In einer besonderen Darlegung (s. S. 38 — 42) sind die vielen maßlosen Angriffe, die gegen die Flüchtlinge wegen der vermeintlichen Belastung des Wohnungsmarktes immer wieder erhoben werden, in objektiver Weise geprüft und auf Grund der Tatsachen auf das richtige Maß zurückgeführt worden. Es ist hier daran zu erinnern, dass für einen nicht unerheblichen Teil der Flüchtlinge, nämlich für die Durchwanderer nach Amerika (vgl. auch Seite 19 der Vorbemerkung) es sich nur darum handelt, ihnen für die kurze Karenzzeit bis zu ihrer Weiterfahrt Schlafgelegenheit zu bieten. Die Bemühungen des A, F. A., durch Bereitstellung und Herrichtung jüdischer Vereinslokale, der Vorräume von Synagogen und weiterer, für den allgemeinen Wohnungsmarkt überhaupt nicht in Frage kommenden Räumen zu Notstandsquartieren Abhilfe zu schaffen, beginnen bereits jetzt zu einem Erfolge zu führen. Die gleichen Bemühungen wie in Berlin werden von uns in anderen deutschen Großstädten unternommen; wir scheuen nicht davor zurück, in der jüdischen Selbsthilfe soweit zu gehen, dass wir reicheren jüdischen Familien zumuten, für den Notfall einzelnen Flüchtlingen in ihrer Wohnung Notquartier zu geben.

Anders stellt sich die Frage für diejenigen Flüchtlinge dar, die in Arbeitsstellen der Provinz vermittelt werden. Hier kann von einem akuten Problem überhaupt nicht die Rede sein. Der ostjüdische Arbeiter, an sich schon an primitives Wohnen gewöhnt, ist durch die ungeheure Kriegsnot, durch die massenhafte Ruinierung seiner Wohnstätten in der Lage, mit solch scheinbar unzulänglichen Unterkünften vorlieb zu nehmen, die für den deutschen Arbeiter, insbesondere für den großstädtischen, überhaupt nicht in Frage kommen. Dazu ist auf eine weitere Eigentümlichkeit des jüdischen Arbeiters hinzuweisen. Am leichtesten gelingt es, ihn selbst bei schweren Arbeitsverhältnissen mit gutem Resultat unterzubringen, wenn er nicht als einzelner, sondern in kleinen Arbeitstrupps mit seinen ostjüdischen Kollegen in die neue Umgebung versetzt wird. Es wird nicht schwer sein, in solchen Fällen durch das A. F. A. besondere Baracken für diese Arbeitertrupps zur Verfügung zu stellen. Auch wird von uns an einer Ausgestaltung solcher jüdischer Einrichtungen gearbeitet, die, wie beispielsweise die jüdische Arbeiterkolonie Weißensee bei Berlin, eine größere Kapazität für die Beherbergung von Flüchtlingen bieten, wenn diese zunächst die Unterbringung in Arbeitsstellen abzuwarten genötigt sind. Über die weiteren Arbeiten des A. F. A. nach der Richtung hin, den deutschen Wohnungsmarkt planmäßig von den Flüchtlingen zu entlasten, wird von Zeit zu Zeit weiter berichtet werden. Unbedingt zu fordern ist aber, dass bis zur völligen Durchführung dieser Arbeiten in den nächsten Monaten keine Erschwerung durch rigorose Maßnahmen der Wohnungsämter eintritt.

c) Die Arbeitsvermittlung:

Auch über diesen Punkt kann auf eine Sonderdarstellung verwiesen werden, die in Anlage 1, S. 31 — 37, beigefügt ist, Sie klärt zunächst einmal die grundsätzlichen Fragen des Arbeitsmarktes, die steigende Kapazität bestimmter deutscher Industriezweige für ostjüdische Arbeiter und die psychologischen Voraussetzungen für ein reibungsloses Gelingen ihrer Unterbringung. Wir sind augenblicklich dabei, abgesehen von einer engeren Angliederung des als Arbeitsnachweis dienenden Jüdischen Arbeitsamtes, dessen Zweigstellen derart zu vermehren, dass jede Belastung von unbedingt zu sperrenden deutschen Wirtschaftszweigen durch ostjüdische Arbeiter unterbleibt, andererseits aber dort, wo eine Vermittlung jüdischer Arbeiter ohne weiteres gangbar und nützlich erscheint, diese in der bisherigen sachkundigen Weise, dabei erleichtert durch größere, für diesen Zweck zur Verfügung gestellte Mittel, reibungslos erfolgt. Die hierauf bezüglichen Verhandlungen mit den amtlichen Stellen schweben noch. Es sei dazu bemerkt, dass unsere Arbeit in enger Fühlungnahme mit den zentralen und örtlichen Instanzen der Gewerkschaften vor sich geht. Irgendwelche Erschwerungen durch die besonderen Religionsgesetze treffen bei der überwiegenden Mehrzahl der jüdischen Proletarier überhaupt nicht zu. Die Verweltlichung der ostjüdischen Gemeinschaft hat gerade in den Kreisen des jüdischen Proletariats schnelle Fortschritte gemacht, so dass die Mehrzahl der Arbeiter (man mag es bedauern oder begrüßen) ohne jede Hemmung sich in die deutschen Arbeits- und Lebensbedingungen ohne weiteres einfügt. Etwas anderes ist es mit ihrer Vorliebe, in kleinen Arbeitstrupps Stellung zu suchen; diese hängt damit zusammen, dass der jüdische Arbeiter unter seinen jüdischen Kollegen seine regen kulturellen Bedürfnisse leichter befriedigen kann und durch seine geringe Kenntnis der deutschen Sprache weniger behindert ist. Das A. F. A. erblickt in dem Ausbau dieser arbeitsvermittelnden Maßnahmen eine seiner wichtigsten Aufgaben; nur so können weitere Kreise der Flüchtlinge aus den moralisch für sie nur schädlichen Anhäufungen in der Großstadt und aus der Gefährdung, durch Arbeitslosigkeit und Not kriminell zu werden, herausgebracht werden.

d) Die ergänzende soziale Fürsorge:

Obwohl für die Mehrzahl der Flüchtlinge die Regelung ihrer Personalverhältnisse, die Versorgung mit Notquartier und die Vermittlung von geeigneter Arbeit, sowie für die nach Amerika Durchreisenden die Beschaffung der notwendigen Visa als regelmäßige Fürsorgemaßnahme meistens ausreicht, gibt es doch eine Minderzahl, für die eine besondere, ihren Bedürfnissen angepasste, ergänzende soziale Fürsorge eintreten muss.

Dies trifft ohne weiteres zu für jene vereinzelten Fälle, in denen betagtere Personen, auch Witwen, Minderjährige, Waisen, lediglich um ihr nacktes Leben zu retten, mit der Welle der Arbeitsfähigen nach Deutschland verschlagen worden sind. An sich ist es richtig, dass bei dem gut entwickelten Sinn für Wohlfahrtswesen, der die deutschen jüdischen Gemeinden auszeichnet, wohl überall die verschiedensten Vereine bestehen, die bereits in Friedenszeit solche soziale Fürsorge ausgeübt haben. Der Notwendigkeit, in dieser Richtung Neugründungen zu veranlassen, ist also das A, F. A. samt seinen Fürsorgestellen in der Provinz meistens enthöben. Sowohl der Jüdische Frauenbund, wie die Wanderarmenfürsorge, die Durchreisekommissionen der Gemeinden, die Wohltätigkeitsvereine für Wöchnerinnenpflege und Armenunterstützung sind in dieser oder jener Form in den meisten Großstädten vorhanden. Aufgabe des A. F. A. ist es daher, einmal die große Zahl der sich täglich meldenden Petenten daraufhin zu sichten, für welche Personen unbedingt soziale Fürsorge eintreten muss. Auf der anderen Seite versucht das A. F. A., die bereits bestehenden jüdischen Organe der sozialen Fürsorge für den besonderen Zweck der Flüchtlingsfürsorge in der Art zusammenfassend mit heranzuziehen, dass eine planvolle Arbeitsteilung und Abgrenzung der verschiedenen Arbeitsgebiete eintritt mit dem obersten Zweck, dass die Fürsorgebedürftigen öffentlicher Armenpflege keineswegs zur Last fallen und ihre Angelegenheiten in einer Weise geordnet werden, die den Grundsätzen sozialer Fürsorge entspricht.

Auch für einen Teil der ohne weiteres arbeitsfähigen Personen kann manchmal Arbeitsvermittlung mit Erfolg erst dann vorgenommen werden, wenn bestimmte Wohlfahrtsmaßnahmen vorangegangen sind. Kommt doch ein Teil der Flüchtlinge häufig völlig ausgeplündert, mit nur geringer Barschaft an, so dass Einzelne manchmal nicht einmal im Besitz ausreichender Arbeitskleidung sind. Andere sind, da sie aus Unkenntnis der Sprache und der Verhältnisse allen möglichen Schwindlern in die Hände geraten, in Deutschland selber häufig um ihre gesamte Habe betrogen worden. Eine gut organisierte zeitweilige Hilfe, um diese Personen über die ersten Schwierigkeiten bis zur Arbeitsaufnahme hinwegzubringen, ist daher ohne weiteres ein Erfordernis, dem das A. F. A. bereits jetzt weitgehend entspricht.

V. Ausblick auf die behördliche Regelung der Eingewandertenfrage, soweit Reichs- und Landesbehörden in Betracht kommen

Im vorhergehenden ist das sozial-politische Problem, das in der Tatsache der nach Deutschland geflüchteten Ostjuden vorliegt, nach den verschiedensten Richtungen hin verdeutlicht worden. Es hat sich dabei ergeben, dass bei einer von außen her ungestörten, aufbauenden Tätigkeit des Jüdischen A. F. A. die meisten Befürchtungen, die auf Grund hetzerischer Entstellungen heute noch selbst von mancher objektiven deutschen Seite gehegt werden, in ein Nichts zusammenschrumpfen. Vorbedingung hierfür ist aber, dass bei der offiziellen Behandlung des Problems ein weitsichtiger Standpunkt derart eingenommen wird, dass nicht die engen Ressortinteressen der einzelnen Verwaltungsstellen, insbesondere auch nicht lediglich das örtliche Interesse bestimmter nachgeordneter Instanzen übermäßig betont werden. Sonst kann von einer umfassenden Regelung der Frage nicht die Rede sein.

Einige Beispiele mögen dartun, wie schädlich in dieser Frage jede Art von Kirchturmpolitik und einseitiger Hervorhebung in den Vordergrund geschobener Ressortschwierigkeiten ist. Im Gebiet der Provinz Brandenburg ist das als Arbeitsnachweis dienende Jüdische Arbeitsamt vom Landesarbeitsamt als offizieller Arbeitsnachweis anerkannt worden. Das Landesarbeitsamt Brandenburg hat sich der Einsicht nicht entziehen können, von welchem Vorteil für die Entlastung Berlins die Tätigkeit dieses besonderen Arbeitsnachweises ist. Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet dagegen, wo als Nebenstelle des genannten Arbeitsamtes die Jüdische Arbeitsnachweisstelle Duisburg fungiert, nehmen die Landesarbeitsämter Düsseldorf und Münster, schärfer noch das Landesbergbauamt in Bochum, bisher eine Stellung ein, die der Tätigkeit unserer Arbeitsvermittlung wenig förderlich ist. Es ist aber zu hoffen, dass jetzt, nachdem besondere Verhandlungen hierüber auch mit den Zentralbehörden vor dem Abschluss stehen, die Einfügung dieser speziellen jüdischen Arbeitsnachweisstellen in die provinzielle Organisation des Arbeitsnachweiswesens reibungslos erfolgen wird. Für uns nämlich ist es sehr erschwerend, wenn die Hemmungen, die mancher unterbewusst antisemitisch eingestellte oder der jüdischen Arbeiterschaft überhaupt nur skeptisch gegenüberstehende Beamte von Natur aus mit sich bringt, immer wieder durch zeitraubende Einzelverhandlungen überwunden werden müssen. Eine von den Zentralstellen, in diesem Fall dem Reichsamt für Arbeitsnachweis, von vornherein ausgegebene einheitliche und eindeutige Anweisung wird manche Schwierigkeiten, die augenblicklich noch unsere Arbeiten lahmlegen, hinwegräumen und den allein gesunden Standpunkt für die Praxis zur Geltung bringen, dass bei der Regelung dieser Frage nur bei einem Vorgehen nach einheitlichen und weitsichtigen Gesichtspunkten Erfolge erzielt werden können.

Ähnlich ist es mit den Erschwerungen, die manche örtliche Wohnungsämter machen. Während der Direktor des Wohnungsamtes Berlin, Dr. Laporte, auf Grund eingehender Informationen seit einigen Wochen eine Praxis bei der Zuteilung von Schlafstellen und möblierten Zimmern an ostjüdische Flüchtlinge anwendet, die es uns ermöglicht, unsere dezentralisierenden und den deutschen Wohnungsmarkt entlastenden Maßnahmen durchzuführen, arbeiten andere Wohnungsämter augenblicklich in einer viel negativeren Weise, die für unsere Arbeit eine Menge Erschwerungen mit sich bringt.

Nicht anders liegen die Dinge, wenn man die Praxis der preußischen Landesbehörden mit der anderer Bundesstaaten vergleicht. In Sachsen und in den süddeutschen Staaten ist es bisher noch immer nicht gelungen, eine ähnliche Regelung herbeizuführen, wie sie in Preußen u. a. auf Grund des Erlasses des Innenministeriums vom 1, November 1919 mit Erfolg vorgenommen worden ist. Dort erfolgen noch immer (vergl. die Vorgänge in Bayern) Ausweisungen, die ohne Berücksichtigung der in den Nachbarstaaten erlassenen zweckmäßigen Bestimmungen neue Beunruhigung und planlose Störungen im Gefolge haben und eine einheitliche Aktion des A. F. A. beinahe zur Unmöglichkeit machen. Zwar hofft das A. F. A., nunmehr systematisch zu einer objektiven Information auch der in Frage kommenden Reichsund Landesbehörden überzugehen. Das wenigste aber, das von unserem Standpunkt aus gerade bei der Wahrung deutscher Interessen verlangt werden muss, ist die offizielle Anerkennung des A. F. A. als derjenigen Stelle, die von den deutschen Reichs- und Landesbehörden vor jeder Inangriffnahme von legislativen oder anderen Regelungen der Ostjudenfrage unter allen Umständen, wenigstens informatorisch, gehört und zur Stellungnahme aufgefordert werden soll. Eine derartige Übertragung offiziellen Charakters auf das A. F. A. bedeutet durchaus kein Novum in der bisherigen Verwaltungspraxis, Auch andere Zentralstellen für Flüchtlingsfürsorge werden bekanntlich in der gleichen Weise zur Information und Stellungnahme herangezogen. Wenn diese Vorbedingung erfüllt ist, glaubt das A. F. A. durchaus die Verantwortung für seine im Sinne der deutschen Interessen selber liegende Tätigkeit nach jeder Richtung hin übernehmen zu können.

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