Die mittelalterlichen Bauwerke in Lübeck.*)

Autor: Mitglieder des Berliner Architekten-Vereins, Erscheinungsjahr: 1871
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mittelalter, Bauwerke, Sehenswürdigkeiten, Reisen, Architektur, Lübeck, Baumeister
*) Wir veröffentlichen nachstehend mit bestem Danke für die schnelle Erfüllung unseres Wunsches die uns aus Lübeck zu Teil gewordene Aufklärung, aus der wir mit Befriedigung die eine Tatsache entnehmen, dass bei den restaurierten Teilen des Rathauses die alte Fugenstärke beibehalten worden ist und unsere entgegengesetzte Wahrnehmung demnach auf einer — durch die dunkle Färbung leicht möglichen — Täuschung beruht hat. Was den eigentlichen Kernpunkt der Kontroverse, die Farbe der Verblendungssteine betrifft, so ist dies ein Punkt, bei welchem die subjektive Auffassung eine zu große Rolle spielt, als dass wir uns mit dem erhaltenen Bescheide ohne Weiteres zufrieden geben könnten. Es würde uns zunächst sehr erwünscht sein, wenn auch andere Fachgenossen, und zwar solche, die durch eigene Restaurationen mittelalterlicher Backsteinbauwerke ein besseres Recht zu einem Urteil haben, sich über die Sache vernehmen lassen möchten. (D. Red.)

Aus: Deutsche Bauzeitung. Wochenblatt herausgegeben von Mitgliedern des Architekten-Vereins zu Berlin. Redakteur K. E. O. Fritsch. Berlin, den 28. September 1871
In dem Reisebericht über den Besuch von Mitgliedern des Berliner Architektenvereins in Lübeck am 28. August wird in No. 37 dieses Blattes ein „warnender Mahnruf“ erhoben über die „geringe Sorgfalt oder das geringe Verständnis, mit welchem die Technik der gegenwärtigen Restaurationsarbeiten der Lübecker Monumentalbauten gehandhabt zu werden scheint“

Über den Mangel an Verständnis können wir natürlich mit dem Berliner Kritiker nicht streiten, aber vor dem Vorwurf zu geringer Sorgfalt möchten wir uns mit einigen Zeilen verwahren, zumal der Reiseberichterstatter selbst eine Antwort und Aufklärung wünscht.

Der Unterzeichnete, seit acht Jahren mit Leitung der Herstellungsarbeiten an den Lübecker nicht kirchlichen Monumentalbauten betraut, ist sich bewusst, mit größter Pietät den ursprünglichen Formen nachgespürt und von dem Alten erhalten zu haben, was sich überhaupt erhalten Hess; wenn dies auch nicht immer geglückt ist, und an manchen Stellen alte zerbröckelnde Bauteile durch neues Material in den alten Formen ersetzt werden mussten, so ist doch hierdurch allein so manches Lübecker Bauwerk vor dem gänzlichen Untergange bewahrt worden.

Der Vorwurf des Reiseberichtes trifft hauptsächlich den mit schwarzglasierten Steinen neu verblendeten westlichen Rathhausgiebel, und zwar die Farbe desselben. Bei der dringend notwendigen Instandsetzung dieser Fassade fanden sich die alten Steine, welche ein Alter von vierhundert Jahren aufzuweisen haben, derartig verwittert, dass ein bloßes Ausbessern mit neuen Steinen nicht tunlich war. Bei früheren Ausbesserungen hatte man sich aus Sparsamkeitsrücksichten dadurch geholfen, dass man die eingenickten roten Mauersteine mit Teer oder Ölfarbe schwarz gemacht hatte, und es verdient gewiss Anerkennung, dass in neuester Zeit die nöthigen Geldmittel flüssig gemacht worden sind, um von derartigen Notbehelfen gänzlich absehen und nur glasierte Steine anwenden zu können. Dass diese Steine schwarz glasiert sind, und nicht „braun- oder grünschwarz“, wie der Verfasser des Reiseberichtes will, hat seinen Grund darin, dass die alten Steine jenes Giebels schwarz waren, wie dergleichen noch jetzt an der ganzen Ostfassade des Rathauses zu sehen sind; auch das alte Format ist genau bei den neuen Steinen beibehalten worden, obgleich die große Dicke von 82 Millimeter den jetzigen Zieglern sehr unbequem ist; das Schichtenmaß, also auch die Dicke der Fugen, sowie selbstverständlich jede Profilierung ist genau den alten Mustern nachgebildet. Wäre nicht der Vorwurf der Kunstkritik viel berechtigter gewesen, wenn bei der Restauration die historische schwarze Fassade des Lübecker Rathauses sich plötzlich in eine braun- oder grünschwarze mit „hellen“ Fugen umgewandelt hätte? Dass das Mauerwerk mit dunkelgefärbtem Mörtel ausgefugt worden ist, beruht ebenfalls nur auf der Nachahmung der vorhandenen alten Reste: nur wenige Jahre genügen, um die Fugen so auszubleichen, dass sie bedeutend heller erscheinen, als die glasierten Ziegel. Den Beweis für diese Behauptung liefert die vor acht Jahren begonnene Wiederherstellung der Holstentortürme, welche dem Verfasser des Reiseberichts in der Beleuchtung des Abendhimmels „in einer durch Glanzlinien flüssigen Goldes belebten Pracht erschienen“; und doch ist der gegen den Abendhimmel gerichtete Mittelbau des Holstentores durchaus mit neuen Steinen verblendet, welche in derselben Ziegelei angefertigt und glasiert sind, wie die Ziegel der Rathausfassade, dasselbe ist bei der Westfassade des Burgtorturms der Fall, welche in den Jahren 1862 und 1863 neu verblendet worden ist. Da haben also schon wenige Jahre genügt, um das Neue mit dem Alten in Harmonie zu bringen. Wenn wir das Gleichnis des Reiseberichterstatters weiter führen wollen, welcher die neuverblendete Rathausfassade mit einem blank gewichsten Stiefel vergleicht, so gleicht der alte Teil des Rathauses allerdings einem staubbedeckten, glanzlosen Reisestiefel, der seit langer Zeit nicht geputzt worden ist. Die Zeit wird aber auch hier sehr bald den Ausgleich übernehmen, und wir wünschten nur, dass der Verfasser des Reiseberichts nach etwa zehn Jahren wiederkehren möchte, um zu sehen, ob sein Gleichnis noch zutrifft. So Jahreszeitgemäß auch der fernere Vergleich der Färbung der alten Fassade mit dem „duftigen Hauch einer frisch gepflückten Pflaume“ ist, so verhält sich die Sache doch gerade umgekehrt, denn nicht die Frische, sondern gerade das Alter, der Sturm und Regen von Jahrhunderten haben den Glanz des alten Lübecker Rathauses gemildert, und das wird voraussichtlich auch bei dem restaurierten Teil der Fall sein.

Was schließlich die Herstellungsarbeiten an den Lübecker Kirchen betrifft, so walten dabei so eigentümliche Verhältnisse ob, dass weder Lob noch Tadel an die Adresse eines Architekten zu richten ist. Die hiesigen Kirchen, welche teil weise über bedeutende Mittel verfügen, werden von ihren Vorsteherschaften ganz selbstständig verwaltet; eine staatliche Oberaufsicht in baulicher Beziehung findet nicht Statt. Je zwei „Bauvorsteher“, fast ausnahmslos Kaufleute, lassen die ihnen erforderlich scheinenden Arbeiten durch ihre langjährigen Kirchenarbeiter ausführen, soweit eben die Mittel reichen. Dass dazu „glatte, gleichmäßige und gleichfarbige Ziegel“ genommen worden, wie der Verfasser des Reiseberichts rügt, ist doch wohl natürlicher, als wenn die Ziegel rau, ungleichmäßig und scheckig wären.

Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

Lübeck - Marienkirche

Lübeck - Marienkirche

Lübeck - Markt

Lübeck - Markt

Lübeck - Holsteintor

Lübeck - Holsteintor

Lübeck - Alte Gebäude an der Obertrave

Lübeck - Alte Gebäude an der Obertrave

Lübecker Kirchen

Lübecker Kirchen