Die landwirtschaftlichen Arbeiter-Verhältnisse im Großherzogtum Mecklenburg Schwerin

Die Handarbeit im landwirtschaftlichen Betrieb
Autor: Dettweiler, Friedrich Dr. (?) deutscher Landwirt und Publiszist, Erscheinungsjahr: 1905
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Landwirtschaft, Mecklenburg, Friedrich Dettweiler, Handarbeit im landwirtschaftlichen Betrieb
Inaugural-Dissertation der hohen philosophischen Fakultät der Landes-Universität Rostock zur Erlangung der Doktorwürde vorgelegt.
Leseprobe

Problemstellung und Methoden der Untersuchung.

§ 1. Eigenart der landwirtschaftlichen Arbeit. Der Landwirtschaft ist die Aufgabe gestellt, durch intensivere Gestaltung ihres Betriebes immer mehr Produkte aus der gegebenen Bodenfläche heraus zu wirtschaften. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss sie verhältnismäßig viel Handarbeit aufwenden und kann diese bei weitem nicht in gleichem Maße durch Maschinen ersetzen, wie die Industrie.

Schon die Verschiedenheiten der äußeren Umstände, unter denen die Arbeiten in der Industrie und in der Landwirtschaft sich abspielen, bringen das mit sich.

Die industrielle Arbeit kann zu jeder Zeit und an jedem Ort begonnen werden, und einmal begonnen, setzt die Arbeit nicht mehr aus. Sie kann unterbrochen werden, sie braucht aber nicht notwendig unterbrochen zu werden. Sie kann sich an derselben Stelle bis zur Fertigstellung eines Produktes abspielen, sie kann aber auch bei weitgehender Arbeitsteilung unter verschiedene Arbeitspersonen an räumlich weit getrennten Orten weitergeführt werden.

Ganz anders in der Landwirtschaft. Hier bestimmt die Natur den Eröffnungstermin des Arbeitsprozesses. Der Landmann kann nicht an jedem Tage pflügen und säen, er muss abwarten, bis die physikalischen, chemischen und bakteriologischen Vorgänge im Boden den Acker vorbereitet haben zum Empfang des Saatkornes; zur genau bestimmten Zeit muss er dann säen, Wochen und Monate geduldig warten bis zur Reife und Ernte, kann den Wachstumsprozess nur in beschränktem Maße durch Nachdüngen, Behacken und Bekämpfung der Schädlinge beeinflussen und schließlich ist er gezwungen, zur Ernte zu schreiten, wenn die Saat gereift ist, einerlei ob ihm der Termin gelegen kommt oder nicht. Zwischen Saat und Ernte liegen lange Zwischenräume; Wochen und Monate lang ruht die Arbeit an einer Anbau-Gattung vollständig, es wechseln Zeiten von Arbeits-Überbürdung mit Ruhepausen und nur durch die Kultur verschiedener Pflanzenarten und das Einschieben der Tierzucht ist es möglich, die Gesamtarbeit eines landwirtschaftlichen Betriebes in beständigem Fluss zu erhalten und eine gewisse Beständigkeit herbeizuführen. Damit ist aber ein fortgesetzter Wechsel der Arbeitsart unzertrennbar verbunden: Düngen, Pflügen, Eggen, Säen, Walzen, Hacken, Mähen, Transport-Arbeit zu und von dem Acker lösen sich beständig ab, und damit wechselt die Arbeitsstelle fortwährend: Acker, Wiese, Weide, Hof, Stall, Scheune, Keller sind in bunter Reihenfolge die Werkstätte des Landmannes.

Und während in der Industrie in der Regel der Arbeitsgegenstand innerhalb des Betriebes wandert, wandert in der Landwirtschaft der Mensch mit seinem Werkzeug. Während die Industrie ein stabiles System von Kraft- und Werkzeug-Maschinen etablieren kann, trägt der Gerätepark des Landmannes einen überwiegend mobilen Charakter, und damit sind der Anwendung von Maschinen von Hause aus enge Grenzen gezogen. Hierzu kommt noch, dass die Industrie ihre Maschinen während des ganzen Produktions-Vorganges und während des ganzen Jahres gleichmäßig ausnutzen kann, während die Landwirtschaft die ihrigen meist nur einmal im Jahre während weniger Wochen, oft nur während einiger Tage, manchmal bei besonders ungünstigen Verhältnissen überhaupt nicht benutzen kann. Zieht man noch die ungemein starke Abnutzung in Betracht, welche mit der Arbeit im Freien und den nachfolgenden langen Ruhepausen unvermeidlich verbunden ist, dann ist ohne weitere Begründung wohl klar, dass die Verwendung von Maschinen in der Landwirtschaft niemals die Bedeutung gewinnen wird, wie das in der Industrie der Fall ist. Die Landwirtschaft muss wegen der ganzen Natur ihres Gewerbes immer überwiegend auf menschliche und tierische Arbeitskräfte angewiesen bleiben.

Aus alle dem geht hervor, dass der Arbeiterfrage für die Landwirtschaft eine ungleich andere, größere Bedeutung innewohnt, als bei der Industrie.

Die relativ geringe Verwendbarkeit von Maschinen ist in vorstehendem bereits begründet. Der ganze Charakter der landwirtschaftlichen Arbeit steht hindernd im Wege. Der Landmann kann eben den Arbeitsprozess nicht konzentrieren, kann ihn nicht in Teile zerlegen, die neben einander sich ausführen lassen, sondern er muss individualisierend die Arbeit dem Boden, der Witterung, der Jahreszeit anpassen. „Er hat heute wohl bessere Werkzeuge, auch einzelne Maschinen und Feldbahnen, er wendet chemische und physiologische Verbesserungen an, aber nie kann die Technik alle Arbeit mechanisieren, nie kann sie hier die Produktion auf das 10 — 1000fache steigern, wie in vielen Gewerben.“ *) Dass die hemmenden Einflüsse in so großem Umfange vorhanden sind, wird in der Regel übersehen oder wenigstens nicht genügend gewürdigt, und auch Bensing**) ist geneigt, aus dem zweifellos zu einem Teil Arbeiter ersparend wirkenden Charakter einzelner Maschinen zu folgern, dass ihre Anwendung allgemein vermehrt werden müsse. Hierzu ist nur der Großbetrieb mit extensiver Wirtschaftsweise imstande; jeder intensivere Betrieb muss damit rechnen, dass im allgemeinen die Maschine viel weniger eine direkte Arbeits-Ersparnis als eine Verbesserung der Arbeit bedeutet Nur die Dreschmaschine nimmt eine andere Stellung ein, worauf später noch zurückzukommen ist. In allen übrigen Fällen kann den Maschinen schon um deswillen keine allzugroße Bedeutung zukommen, weil sie, wie oben gesagt, immer einen mobilen Charakter tragen, zu ihrer Fortbewegung tierischer Kräfte bedürfen und deshalb in ihrer Größenausdehnung schon von Hause aus beschränkt sind. Damit steht in direktem Zusammenhang, dass ihre Bedienung unverhältnismäßig mehr menschliche Arbeitskraft erfordert, als dies bei den stabilen Riesen-Anlagen der Industrie der Fall ist Die tierische Kraft und die menschliche Handarbeit werden deshalb in der Landwirtschaft stets ihre überwiegende Bedeutung behalten, ja sie werden mit zunehmender Betriebs-Intensität immer noch an Bedeutung gewinnen und es ist für die Landwirtschaft geradezu eine Existenzfrage, ob ihr die für ihren Betrieb notwendigen Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden.

*) Schmoller, Grundriss der allgemeinen Volkswirtschaftslehre 1. Leipzig 1901. S. 220.

**) Bensing, F. Der Einfluss der landwirtschaftlichen Maschinen auf Volks- und Privatwirtschaft Breslau 1898.


§ 2. Arbeiter und Betrieb. Während wachsende Bevölkerung und vermehrter Bedarf an Nahrungsmitteln die Landwirtschaft auf eine Steigerung der Produktion hinweisen, werden aus ihren Reihen seit Jahren laute Klagen erhoben, dass die ihr zur Verfügung stehende Arbeiterkraft nicht nur nicht entsprechend ihrer wachsenden Anforderungen sich vermehre, sondern dass sogar gegen früher ein Rückschritt sowohl nach Zahl als auch nach Beschaffenheit eingetreten sei. Eine Untersuchung dieser Verhältnisse ist daher dringend angezeigt. Abgesehen davon, dass augenblicklich ja Untersuchungen über Arbeiter-Verhältnisse überhaupt an der Tagesordnung sind, zwingt die notorische Arbeiternot auf dem Land zur Ermittelung ihrer Ursachen, was nur möglich ist auf Grund exakter Untersuchungen des gegenwärtigen Zustandes. Denn wie der Arzt eine Krankheit nur heilen kann, wenn er nicht nur den Sitz des Übels, sondern auch alle bewirkenden Ursachen genau kennt, so lassen sich Schäden in der Entwicklung der menschlichen Wirtschafts-Einrichtungen nur beseitigen, wenn man sich über ihre letzten Ursachen klar ist. Jedoch stoßen wir hier auf ungleich größere Schwierigkeiten. Denn während die Naturwissenschaften über eine Reihe von hervorragend entwickelten Methoden zur Vornahme exakter Untersuchungen verfügt, ist die Methode zur Erforschung und Bearbeitung wirtschaftswissenschaftlicher Fragen noch sehr wenig entwickelt, und Nitzsche dürfte kaum Unrecht haben, wenn er sagt, dass nicht einer größeren Intelligenz der neuzeitlichen Menschen die so großen Fortschritte einiger Wissenschaften zu verdanken seien, sondern allein der Entdeckung geeigneter Methoden, welche es ermöglichen, den verhüllenden Schleier hinweg zu ziehen.

Bei der ländlichen Arbeiterfrage liegen nun aber die Verhältnisse ganz besonders schwierig; es fehlt nicht nur an einer geeigneten Methode sie zu studieren, sondern das Studium ist dadurch noch erschwert, dass es vollständig unmöglich ist, den Betriebs-Faktor „Arbeit*' für sich allein zu behandeln. Die Eigenart des landwirtschaftlichen Betriebes schließt dies aus. Wir stehen beim landwirtschaftlichen Betriebe vor einem, trotz all der großen Verschiedenheiten im einzelnen, doch in sich geschlossenen Ganzen, und es muss zu ganz verkehrten Schlüssen führen, wenn man irgend einen Teil herausnehmen und für sich allein behandeln will. Es ist dies vielfach geschehen, z. B. mit der Viehhaltung, und das Ergebnis konnte nur ein den tatsächlichen Verhältnissen direkt widersprechendes sein. Die Arbeit lässt sich von dem Betriebe nicht trennen, und ebenso wenig lässt sich der Arbeiter von ihm ablösen, herausheben und als etwas gesondertes behandeln. Er ist vielmehr mit dem Betriebe und seinen Einzelheiten auf das engste verknüpft und kann deshalb logisch nur im Zusammenhange mit diesen betrachtet werden. Eine Prüfung der Arbeiter-Frage unter diesem Gesichtspunkte weicht allerdings weit ab von der üblichen Betrachtungsweise, denn in einem Zeitalter, in dem fast die ganze öffentliche Meinung unter dem Einfluss einer Massensuggestion den Arbeiter nur von sozialpolitisch-ethischem Standpunkte aus anzusehen und zu studieren sich gewöhnt hat, ist eine solche Betrachtungsweise etwas ungewöhnlich. Deshalb verliert sie aber nicht im mindesten ihre volle Berechtigung. Wenn man die Arbeiterfrage richtig verstehen will, dann „darf man sie nicht losgelöst vom Unternehmungsbetrieb, sondern muss sie als dessen integrierenden Bestandteil betrachten, muss sich vergegenwärtigen, dass sowohl Unternehmer, als Lohnarbeiter Organe der Unternehmung, des Betriebes sind und deshalb ein gemeinsames Interesse an dessen Wohlergehen haben.“ *) Geht es der gesamten Landwirtschaft schlecht, ja leidet nur der einzelne Betrieb, so muss dies seine Rückwirkung ausüben auf die Arbeiterschaft; deshalb erscheint es wichtiger, vor allem Anderen zunächst die tatsächliche Stellung der Lohnarbeiter innerhalb der Unternehmungen genau zu erforschen, die Wechselbeziehungen, welche bestehen zwischen ihren Leistungen und ihrem Lohn, zwischen ihrer Leistung und dem Gedeihen der Unternehmung zu studieren. Um dies zu erreichen, darf man den Arbeiter schon um deswillen nicht losgelöst vom Betriebe betrachten, wie dies üblich ist, weil tatsächlich ein Unterschied besteht zwischen dem, was der Einzelne einnimmt, was er verdient und dem, was der Betrieb ihm liefert. Das Einkommen einer Arbeiter-Familie wird bei normalen Verhältnissen immer etwas größer sein als die Summe, die der Betrieb verausgabt, denn der Arbeiter ist in der Lage, aus den Naturalleistungen, die der Betrieb liefert, Produkte herzustellen, die sowohl für ihn einen höheren Gebrauchswert als für den Markt einen höheren Verkaufswert darstellen. Dieser Umstand hat mit dem Verhältnis zwischen Arbeiter und Betrieb nichts zu tun, und muss deshalb bei einem Studium desselben außer Betracht bleiben. Damit stoßen wir allerdings auf Schwierigkeiten, die so groß sind, dass seither anscheinend alle früheren Bearbeiter zurückgeschreckt sind. Und doch, wollen wir vorwärts kommen und Klarheit erhalten über diese Fragen, so müssen wir den Versuch machen vom Standpunkte des Betriebes, des Unternehmens aus, die landwirtschaftliche Arbeiter-Frage zu prüfen.

*) Vgl. Ehrenberg, Sozialreformer und Unternehmer. Jena 1904.

Vom Standpunkte des Betriebes? Damit stehen wir vor einer großen Schwierigkeit, denn gerade der landwirtschaftliche Betrieb ist bekanntlich nicht nur in sich von der größten Mannigfaltigkeit, sondern auch die Betriebe unter sich sind so verschieden, dass kaum zwei einander vollständig gleichen. Mit der Verschiedenheit des Bodens, des Wiesen -Verhältnisses, der Lage, des Klimas, den Neigungen, Anlagen und Fähigkeiten des Betriebsleiters machen sich Einflüsse geltend, die wohl sämtlich bestimmend auf die Gestaltung des Betriebes einwirken, aber rechnerisch nur sehr schwer erfassbar sind. Nichtsdestoweniger darf man vor den sich auftürmenden Schwierigkeiten nicht zurückschrecken, sondern muss den Versuch machen, festzustellen, wie weit der Einfluss der einzelnen Faktoren sich geltend macht. Spezielle Aufgabe dieser vorliegenden Untersuchung soll es sein, zu ermitteln, wie diese einwirken auf die erforderlich werdende Arbeit und zwar auf die Handarbeit. Späteren, vielleicht sich anschließenden Untersuchungen muss es vorbehalten bleiben, sich näher mit der noch in ganz unzureichendem Maße erforschten Maschinen- und tierischen Gespann-Arbeit zu beschäftigen.

Unsere Aufgabe wird hiernach im wesentlichen umschrieben durch die Untersuchung folgender 3 Fragen:

1. Wie groß ist der Bedarf an Arbeitern in den verschiedenen Betriebsarten und zu verschiedenen Zeiten?

2. Wie hoch sind die Kosten dieser Arbeit?

3. Welche Mängel ergeben sich dabei und wie sind diese abzustellen?

§ 3. Die bisherige Behandlung dieses Problems. Betrachtet man die Angaben in den Lehrbüchern der landwirtschaftlichen Betriebslehre über den in Frage stehenden Gegenstand, so überrascht die Dürftigkeit der Angaben aufs höchste. Nicht nur, dass vielfach Zweifel entstehen, wie die Angaben überhaupt aufzufassen sind, worauf die Berechnung sich bezieht, leiden die Angaben nahezu ausnahmslos an vollständiger Unvergleichbarkeit. Jedenfalls ist der zweifelnde Praktiker nicht in der Lage, sich für seine Verhältnisse daraus einen brauchbaren Rat zu holen.

Albrecht Thaer *), der Vater und Schöpfer der landwirtschaftlichen Betriebslehre, gibt eine detaillierte theoretische Berechnung des Arbeiterbedarfs für die damalige Zeit, die heute völlig veraltet ist. Die Angabe leidet zudem noch daran, dass man nicht erkennen kann, um welche Bodenarten es sich handelt; nur in einem Fall ist die Bodenart überhaupt angegeben. Thaer berücksichtigt also allein das Wirtschaftssystem und bezieht sich auf die Summe der Männerund Weiber-Arbeitstage, welche von seinen Zuhörern für hypothetische, zum Beispiel gewählte Wirtschaften berechnet sind. Da außerdem die Güter von verschiedener Größe sind, so stellen seine Zahlen keineswegs vergleichbare Ziffern dar; wir müssen sie zu diesem Zwecke, soweit dies möglich ist, umrechnen auf die Einheit der Fläche.

*) Thaer, Grundsätze der rationellen Landwirtschaft Band 1.

Die Berechnungsweise nach Arbeitsmonaten ist hier und später von dem Verfasser gewählt, um eine Vergleichs Einheit für die verschiedenen Angaben zu gewinnen und zu zeigen, wie weit diese unter sich von einander abweichen. Auf Einzelheiten der Art der Berechnung kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden; es wird dies später bei Besprechung der für die Untersuchung der mecklenburgischen Arbeiterverhältnisse angewendeten Methode geschehen. Der Arbeitsmonat ist zu 25 Arbeitstagen angenommen.

Sämtliche Arbeiten sollen von Gesinde und Tagelöhnern mit ihrer Familie bewältigt werden, und zu diesem Zwecke wird die Zahl der erforderlichen Gesinde-Personen und der „anzusetzenden“ Tagelöhner-Familien berechnet. Die ganze Rechnung ist also auf Hypothesen aufgebaut.