Die deutsche Kolonie Sao Leopoldo in Südbrasilien

Undurchdringlicher Urwald mit mit einer blühenden Kolonie
Autor: Stricker, Wilhelm Friedrich Karl Dr. (1815-1891) deutscher Arzt, Publizist und Bibliothekar, Erscheinungsjahr: 1851
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderung, Auswanderer, Kolonie, Mecklenburger, Brasilien, Kolonisten, Viehzüchter
Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Robert Prutz, Wilhelm Wolfsohn, Hermann Rost. Erster Jahrgang 1851. Juli – September.
Die Ansiedelung Sao Leopolds in der Provinz Rio Grande do Sul (großer Fluss des Südens), am Sinosflusse, vier bis fünf Leguas nördlich von Porto Alegre gelegen, wurde am ersten Pfingsttage 1824 durch die Ankunft acht deutscher Familien und einiger unverheirateter Männer gebildet, deren Anzahl im Sommer und Herbst durch neue Ankömmlinge bis auf 126 Köpfe zunahm.

Sie liegt in einer Ebene von ungefähr anderthalb geographischen Meilen im Umfange, von waldbedeckten Bergen umgeben, durch welche die Deutschen mit großer Anstrengung Wege gebahnt haben. Bei der Anlage ist mehr auf die Handelsbequemlichkeit, als auf die Zuträglichkeit für die Gesundheit Rücksicht genommen worden, doch ist schon viel dafür geschehen, um den das Land versumpfenden Regengüssen Abzug zu verschaffen. Diese Kolonie nahm ursprünglich ein Gebiet von sechs bis sieben Geviertmeilen ein, ihrer Ausdehnung nach Norden sind keine Schranken gesetzt. Der Siros ist einer der fünf Flüsse, die bei der Stadt Porto Alegre den Rio grande do Sul bilden, welcher dann durch den See de los Patos und von diesem aus zwischen den Städten S. José und S. Pedro in den Ozean geht. Ende 1824 wurden etwa 100 mecklenburgische Sträflinge hier angesiedelt und 80 von den 300 Passagieren des berüchtigten Schiffes, Germania, Kapitän Hans Voß von Hamburg, an dessen Bord sich jene niemals ganz aufgeklärten Vorfälle ereigneten, dass um einer angeblichen Meuterei willen 7 Passagiere ermordet und über Bord geworfen wurden. Im folgenden Jahre wurden die schiffbrüchigen Reisenden der Fahrzeuge Peter und Maria, größtenteils Norddeutsche und Rheinländer angesiedelt, und in den nächsten Jahren, besonders seit 1829 in Folge der Militärreduktion, die Kolonie durch Ansiedler und ausgediente Soldaten vermehrt, so dass im Jahre 1830 sie 4.856 Bewohner hatte (819 Familien, 1053 Unverheiratete). Nach der Abdankung des Dom Pedro I. hörte jedoch die Einwanderung auf, da die Kammer kein Geld mehr bewilligen wollte, und im Jahre 1835 brach der republikanische Aufstand des Obersten Bento Gonsalvez da Silva aus. Die Führer, sowohl der kaiserlichen Partei (Legalistas), als der Republikaner (Farrapos, d. h. Lumpen, eine Bezeichnung, die später Parteiname und Ehrentitel wurde) boten den deutschen Kolonisten Neutralität an, da der innere Streit sie als Ausländer nichts angehe, und forderten sie zur Ruhe auf, freilich mit dem Zusätze, dass, wenn sie einmal Partei nehmen wollten, es nur für diejenige geschehen möge, welcher der die Proklamation unterzeichnende Führer angehörte. Die Besonnenen rieten zum Frieden und zur Annahme strenger Neutralität unter engem Zusammenhalten: allein der Friede dauerte nicht lange und bald teilte sich die Kolonie in zwei Lager, wobei der Direktor mit der Mehrzahl der Protestanten sich auf die kaiserliche Seite schlug, während die beiden evangelischen Prediger mit der größeren Menge der Katholiken zu den Farrapen hielten; einer der selben, Pastor Klingelhöfer, blieb nebst seinem Sohne später vor dem Feinde, und Letzterer, der tapfere Hermann oder Germano, wird noch als der kühnste Kämpfer der ganzen Revolutionszeit von seinen Parteigenossen gefeiert; der andere Prediger musste später davongehen, weil ihm seines Lebenswandels halber der Aufenthalt in S. Leopoldo von allen Seiten unmöglich gemacht wurde. —

Im Anfange wurde der Kampf sehr erbittert geführt und leider entfalteten die Deutschen dabei häufig eine Rohheit und Unmenschlichkeit gegen ihre eigenen Brüder, wie man sie sonst nur unter den wildesten Völkern zu finden gewohnt ist, hiermit zum großen Teil den Ruhm vernichtend, den sie sonst durch ihre Tapferkeit bei den Brasilianern erlangt hatten. Nachdem nun einmal der inneren Zwietracht auch bei den Deutschen Tür und Tor geöffnet worden, wurde von beiden Seiten mit Güte und Gewalt geworben, wobei indessen die Legalisten schonungsloser verfahren sein sollen, als die Farrapen, und bald stand ein großer Teil der jungen und selbst der älteren Männer unter den Waffen; die Niederlassung litt außerordentlich in ihrem Wohlstände, obgleich das Eigentum, — mit Ausnahme dessen, was essbar war, — im Allgemeinen geschont wurde; alle Gewerbe, — mit Ausnahme der Gerbereien, Sattel- und Hutfabriken, welche in dieser Zeit treffliche Geschäfte machten, lagen danieder und viele Familien entflohen einstweilen in ruhigere Teile der Provinz, besonders nach Tones, Rio Pardo und Pellotas. Die Erbitterung ließ indes bald nach, da beide Teile einzusehen begannen, dass aus dem ganzen Streite kein vernünftiges Ergebnis hervorgehen werde, und viele unter den Waffen gewesene Kolonisten kehrten an ihren heimischen Herd zurück, ohne dort stark angefochten zu werden; die Kaiserlichen deportierten eine Anzahl gefangener aufständischer Deutschen nach Angola auf der afrikanischen Küste, von wo, nachdem sie in kurzer Zeit zum Teil viel Geld verdient hatten, sie über Pernambuco ganz ruhig und unbelästigt in die Kolonie zurückkehrten. Die Farrapen hielten ihre Gefangenen in Jaguarano fest, um sie auch bald wieder laufen oder gelegentlich ohne Aufsehen entwischen zu lassen. Der Kampf artete zuletzt in einen wahren Gevattermannskrieg aus; beide Teile, doch die Deutschen weniger als die Brasilianer, wurden sehr höflich, suchten möglichst säuberlich um einander herumzukommen, um sich gegenseitig beim Frühstück oder Abendessen nicht zu stören, und beschossen sich, um doch wenigstens etwas Spektakel zu machen, nur zuweilen, wobei sie meistens die Vorsicht gebrauchten, die Kugeln aus den Patronen herauszubeißen, da sie ja eigentlich ganz gute Freunde waren, die einander nichts zu Leide tun wollten. —

Durch eine Art Vergleich wurde endlich dem Unwesen ein Ende gemacht; Frieden und Ruhe, welche während der letzten Jahre des Kampfes in der Ansiedelung überhaupt nur wenig gestört worden waren, kehrten jetzt vollständig zurück; Alles ging wieder an die gewohnte Arbeit, Wohlstand und Behaglichkeit fanden sich schnell wieder ein, befördert durch manche Entschädigungen, welche gewährt wurden, und nach zwei Jahren waren die Spuren der Revolutionszeit, wenn auch nicht in der Provinz, doch in der Niederlassung fast vollständig verwischt. Am meisten hatten die Viehzüchter (Estancieiros) gelitten; einige derselben, welche vor der Revolution fünf und mehr Geviertmeilen, vollständig mit Vieh besetzt, ihr Eigentum nannten, behielten auch nicht eine Kuh übrig. —

Verstümmelt und vor dem Feinde geblieben waren verhältnismäßig nur sehr wenige Kolonisten, aber viele Familien hatten der Kolonie den Rücken gekehrt, sich an anderen Orten niedergelassen und kamen später nicht zurück, so dass die Seelenzahl von S. Leopoldo, welche 1835 vor Ausbruch der Revolution 5.253 betragen hatte, noch Beendigung des Kampfes im Jahre 1844 auf 5.238 heruntergegangen war. —

Am 16. Christmonat 1845 wurde die Ansiedelung vom Kaiser von Brasilien besucht. Zum Empfang desselben rückten 150 berittene Ansiedler heran. Vom Anfang der Straße bis zum Triumphbogen standen 100 weiß gekleidete Mädchen mit Blumenkörben in der Hand und von hier bis zur Wohnung des Vorstehers der Ansiedelung, des Obersten Dr. med. Johann Daniel Hildebrand aus Hamburg, waren Knaben aufgestellt. Eines der Mädchen hielt eine deutsche Anrede an den Kaiser und bei anbrechender Nacht sangen die Kinder unter Anführung des Schulmeisters: „Gott erhalte unsern Kaiser“, und walzten vor den Fenstern des Herrschers. In der Kolonie ist ein Tanzsaal, der fleißig benutzt wird. —

Der Zustand der Niederlassung war damals sehr günstig. Die Bewohner fanden fast ohne Ausnahme reichliches Auskommen und waren über Rio de Janeiro wieder durch 120 neue Ansiedler vermehrt worden. Man begann den Bau einer protestantischen Kirche, wozu der Kaiser ein ansehnliches Geschenk beisteuerte, aber als kurz nachher S. Leopolde zur Stadt erhoben und ein Stadtrat eingesetzt wurde, gingen gerade von diesem Störungen des Besuchs der evangelischen Kirche und Schule aus, welche Hindernisse nicht ohne Mühe beseitigt wurden; ein neuer Beweis, dass durch die verdorbene und bigotte portugiesische Bevölkerung alle Bemühungen des aufgeklärten Regenten gehemmt werden. Da die Deutschen nämlich das ihnen kürzlich gemachte Anerbieten, sie zu naturalisieren, abgelehnt, so können sie auch bei Ernennung der Behörden nicht mitwählen. So ist die Obrigkeit bloß von den portugiesischen Bewohnern gewählt, besteht nur aus Portugiesen und diese Sprache ist die amtliche. Der Stadtrath (camera municipale) hat eigentlich nur die Verwaltung, maßt sich aber auch die Rechtspflege an und versieht eine so schlecht als die andere. Die Gerichtshöfe sind käuflich. Die Behörden werden von den Deutschen verachtet und betrachten diese wiederum mit Misstrauen. —

Nach dem unparteiischen Urteil eines französischen Naturforschers von der unter Leitung des Herrn Franz von Castelnau in den Jahren 1843 — 1847 in Brasilien verweilenden Expedition verdankt man die Sicherheit dieser Gegend nur dem friedlichen und ehrlichen Charakter der Deutschen, denn die portugiesischen Obrigkeiten würden wenig darnach fragen, wenn Fremde auf dem Felde gemordet und geplündert würden. Die schlimmsten Ruhestörer sind die kaiserlichen Soldaten, welche von Zeit zu Zeit in die Kolonie geschickt werden, um den Landfrieden zu schützen, die aber mehr gefürchtet werden als Räuber und Diebe, denn sie betragen sich nicht selten, als ob sie in Feindesland wärm. Dagegen ist der materielle Zustand erfreulich, besonders auf dem Lande, wo die Deutschen als freie Grundbesitzer von je 400 Morgen Landes, ohne Verpflichtung zum Kriegsdienst und fast abgabenfrei, unvermischt beisammen wohnen. Die Stadt S. Leopoldo gleicht einem deutschen Dorfe. An einer langen, mit Fußsteigen versehenen aber ungepflasterten Straße liegen die wohlgebauten einstöckigen Wohnhäuser, meistens Schenken, Werkstätten und Kaufläden, einige sogar mit Glasfenstern, die noch eine Seltenheit sind, um einem Kalkbewurf und mit Ziegeldächern ausstaffiert. Die meiste Pflanzen-Nahrung der Bewohner von Porto Alegre kommt auf dem Tinos herab nach S. Leopoldo und außerdem viele Kunsterzeugnisse, denn die Landbauer, welche zugleich ein Handwerk verstehen, finden in den regnerischen Wintermonaten Zeit zu dessen Ausübung. Die Waaren werden in bedeckten Barken, sogenannten Lanchons, von den deutschen Bauern nach dem Seehafen gebracht. Überhaupt wenden sich die Deutschen in neuerer Zeit mehr dem Schiffergewerbe auf dem Patossee und den Nebenflüssen des Riogrande zu und haben auf dem Patos- und Merimsee und dem Pardofluss Dampfschifffahrt eingeführt. Bei Villa Pardo bearbeitet jetzt ein Deutscher ein von ihm entdecktes Steinkohlenflöz, dessen Ausbeute der Dampfschifffahrt wesentlichen Vorschub leistet. Für die Landwege hatte die brasilianische Regierung namhafte Summen ausgesetzt, aber das Geld ist in die Taschen der Beamten gewandert und die Wege bei S. Leopoldo sind geblieben, wie Gott sie erschaffen hat. Die Regierung befördert die Einwanderer unentgeltlich von Rio de Janeiro bis zur Kolonie, lässt ihr Gepäck zollfrei Passieren, gibt ihnen Ländereien und bewilligt ihnen für die erstell zwei Jahre ihres Aufenthaltes Unterstützungsgelder, von denen aber gleichfalls viel unterschlagen wird.

Die Freigebigkeit hat aber auch ihre guten Früchte getragen, denn die deutsche Niederlassung ist für die Provinz Rio grande do Sul, namentlich für die Handelsbewegung von Porto Alegre von großem Nutzen. Der Bauer, welcher mehr erntet, als er für seinen Haushalt bedarf, bringt seinen Überschuss auf Pferden oder Eseln zur nächsten Venia, wo er ihn fast immer zu guten Preisen los werden kann. Der Eigentümer der Venta bringt diese Waaren in Karren nach S. Leopoldo, übergibt sie dort einem Schiffer und lässt sie durch diesen den Fluss hinab nach Porto Alegre auf den Markt führen. Natürlich ist dieser Verkehr den jenseits des Zinos wohnenden Ansiedlern erschwert; die Landwege sind unglaublich vernachlässigt, aber die Gewandtheit und Ausdauer der Deutschen machen wieder gut, was die Regierung verabsäumt hat.

Die nach europäischer Weise gebauten Wagen der Deutschen bilden einen schlagenden Gegensatz gegen die unbeholfenen Fuhrwerke der brasilianischen Ansiedler. Letztere, welche auf zwei großen, runden Scheiben statt der Räder ruhen, werden von acht halbwilden Büffeln gezogen, die sich fortwährend untereinander hemmen und aufhalten und zu deren Leitung zwei Neger und ein mit einer langen Pike bewaffneter Reiter notwendig sind. Es ist natürlich, dass ein Deutscher mit einem vierräderigen Wagen und seinen zwei Pferden schneller vorwärts kommt, als jenes riesenstarke Ochsengespann.

Der gegenwärtige blühende Zustand der Kolonie ist die Frucht einer eisernen Ausdauer, eines Fleißes, wie er wohl nur bei deutschen Bauern zu finden ist. Keinen größeren Gegensatz gibt es in dieser Beziehung, als zwischen diesen Eingewanderten und den Brasilianern. Diese lassen ihre Sklaven arbeiten und legen selbst die Hände in den Schooß; bei den Deutschen dagegen ist die ganze Familie tätig. Die Sklaven werden gut behandelt und arbeiten mit der Familie des Herrn. Allerdings wäre es besser gewesen, die Sklaverei wäre der Niederlassung fern geblieben, allein die Schwierigkeit, freie Tagelöhner zu erhalten, hat einigen Ansiedlern die Erwerbung von Sklaven zur Notwendigkeit gemacht. Doch gab es deren Ende 1847 nur 154, wovon 90 den Deutschen, 64 den Brasilianern gehörten.

Man kann sich denken, was deutscher Fleiß in einem winterlosen Klima, auf einem Boden, der jährlich zwei Ernten gibt, zu schaffen vermag. Dieses neue Klima, dieser fremde Boden hat übrigens bereits auf den deutschen Ansiedler, welcher im Allgemeinen das Gepräge seiner Nationalität sich erhalten hat, einen gewissen verändernden Einfluss geübt. Er hat jene Stupidität des Elends, welche so oft die Physiognomie des von harter Arbeit und Dürftigkeit niedergedrückten deutschen Bauers bezeichnet, verloren; die jungen Leute, besonders die in voller Freiheit unter dem Einflüsse einer schönen jugendlichen Natur aufgewachsen sind, haben durchgehends eine Körperbildung von bemerkenswerter Schönheit und einen unternehmenden, energischen Charakter. Sie sind nicht allein gute Arbeiter, sondern auch vollendete Reiter und sichere Schützen, die den Lasso (Wurfriemen) und die Flinte nicht minder geschickt handhaben als die Axt. Ihre Haltung ist gemessen und würdevoll und durchaus frei von jener blöden Unbeholfenheit und Unterwürfigkeit, die man bei ihren Standesgenossen in Europa und auch bei den eben erst gelandeten Einwanderern noch findet. Die letzteren sieht man häufig, wie sie mit plumper ungelenker Haltung, in groben und schwerfälligen Kleidern, in Holzschuhen und Nagelstiefeln, mit dem Knotenstock in der Hand, dahinschreiten, verdutzt über Alles, was sie sehen, und verblüfft über die fremdartigen Schwierigkeiten, die ihnen entgegentreten. Die jungen brasilianischen Deutschen dagegen sieht man auf der Straße nie anders, als zu Pferde, in wohlanstehender Kleidung, schlank von Wuchs, in leichter, stolzer Haltung, welche verrät, dass sie sich ihrer Unabhängigkeit bewusst sind! — Die geistlichen Zusammenkünfte der Ansiedler, die immer sehr zahlreich besucht find, bieten einen anziehenden Anblick dar. Jedesmal, wenn Gottesdienst ist, ziehen von allen Seiten zahlreiche Kavalkaden nach dem Sammelplatze, welcher gewöhnlich auf einem von Bäumen freien Hügel liegt. Alles erscheint dort zu Pferde in sonntäglichem Staat; die Predigt wird mit großer Andacht angehört und hernach zerstreut sich der belebte Zug in die verschiedenen Pfade, welche über Hügel und durch Gehölze nach den Wohnungen zurückführen. Dieser kirchliche Sinn bewahrt die guten Deutschen übrigens nicht vor einer ausgelassenen Vergnügungssucht. Sehr häufig wird in den Ventas (Wirtshäusern) bei herzlich schlechter Musik auf das Wildeste getanzt und Alt und Jung gibt sich diesem Vergnügen mit großem Eifer mehrere Tage lang hin. Bei solchen Gelegenheiten gönnen sich die Tänzer nur wenige Stunden Ruhe unter freiem Himmel oder unter offenen Schoppen. Durch übermäßiges Zechen werden auch nicht selten Schlägereien veranlasst. — Die große Gastfreiheit, welche in der Ansiedelung herrschte, hat durch vielfachen Missbrauch von Seiten neuer Einwanderer, die so lange bis sie selbst eingerichtet waren, ein freies Unterkommen fanden, etwas abgenommen. — Nach der Lage und dem jetzigen Zustande der Kolonie darf man ihr eine große Zukunft voraussagen, falls sie von weiteren Kriegsverheerungen verschont bleibt. Das ihr zugewiesene Gebiet genügt noch auf viele Jahre den Bedürfnissen der jährlich zuströmenden deutschen Einwanderung und man kann auf die künftige Bedeutung dieser Bevölkerung schließen, wenn man den undurchdringlichen Urwald mit der blühenden Kolonie vergleicht, welche schon jetzt, ehe ein Menschenalter verflossen, an seine Stelle getreten ist. Wenn die Deutschen von S. Leopoldo sich abgesondert halten, wie sie bisher getan, so werden sie lange, vielleicht immer, ihre Nationalität bewahren, und mit der Zeit den wichtigsten Teil der Bevölkerung von Rio Grande do Sul bilden. — Wir geben im Folgenden im Zusammenhang die Bevölkerungsstatistik der Colonie von ihrem Ursprung bis zum 1. Oktober 1850, sowie Nachrichten über Handel und Gewerbsfleiß derselben.

Wie erwähnt, wurde Sao Leopolde 1824 mit 126 Deutschen gegründet. Dazu kamen: 1825: 909. — 1820: 828. — 1827: 1033. — 1828: 99. — 1829: 1689. — 1830: 117. — 1844: 66. — 1845: 87. — 1846: 1515 Personen, u. s. w.

Am 1. Okt. 1850 zählte sie 8.673 Bewohner. — Von der Gründung bis Ende 1834, also etwa in 10 Jahren, fanden statt: 1.099 Geburten, 692 Sterbefälle und 508 Heiraten. Ende 1847 zählte man unter mehr als 8.000 Bewohnern in über 1.100 Feuerstellen nur 450 Brasilianer, so dass auf 7 Brasilianer, und auf 60 Deutsche je ein Sklave kam. Zu jener Zeit fanden sich 8 evangelische Kapellen, davon mehrere aus Steinen erbaut, mit zwei evangelischen Predigern, 4 katholische Kapellen mit einem brasilianischen Geistlichen, ein brasilianischer Schullehrer mit 16 Schülern, eine brasilianische Lehrerin mit 16 Schülerinnen, 13 deutsche Privatschulen mit nahezu 500 Schulkindern beiderlei Geschlechts.

An wichtigeren gewerblichen Anstalten bestanden bereits 1843: 34 Branntweinbrennereien, welche alle Zuckerrohr verarbeiten, 4 Sägemühlen, 36 Mandioccamühlen, 14 Mahlmühlen, 2 kleine Ölmühlen, sämtlich mit Wasserkraft, 1 Lederlackierfabrik, 17 Gerbereien, eine Seilerei, 2 Leimsiedereien u. s. w. und 60 Kaufläden und Schenken. Die Kolonie besaß 24 große Flusskähne, denn Zahl sich seitdem noch vermehrt hat. Eine Achatschleiferei, wozu die Achate und Carneole am Flusse Tacquary gesammelt werden, wurde von einigen Birkenfeldern betrieben. — Im Jahre 1845 wurden 5.455 Säcke Kartoffeln, 5.322 Säcke Bohnen, 11.153 Säcke Mandioccamehl, 8.936 Säcke Mais, 9.300 Pfund Paraguaythee. 3.575 Pfd. Butter, 28.525 Pfd. Speck, 4.889 Fässchen Holzkohlen, 7.736 Paar Halbstiefel, 5.315 Sättel, 99 größere und kleinere Frachtwagen ausgeführt. Nach dem neuesten Berichte vom 1. Okt. 1850 zählte die Kolonie in 16 Distrikten 26 Schulen. Der Wein-, Tabak- und Baumwollenbau hatten angefangen sich zu entwickeln, und im Gebiete der technischen Gewerbe wurde außer Branntwein auch Bier erzeugt. Töpfer-, Leder-, Sattler-, Tischler- u. a. Waaren, darunter auch einige Kunsterzeugnisse, wurden ebenfalls in Menge und von besonderer Güte geliefert. Die Ausfuhr betrug 1345: 300.000 Thlr., 1846 bereits 450.000 Thlr.; bloß der Wert der ausgeführten Lederwaren betrug 1845 gegen 100.000 Thlr. — Mögen die Verhältnisse der ferneren friedlichen Entwicklung von S. Leopoldo günstig bleiben!