Die alte Stadt bei Werben.

Aus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen
Autor: Gesammelt von Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1840
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Pommern
In der Gegend, wo jetzt das Stadtlein Werben an dem Madüesee liegt, hat vor alten Zeiten eine große und schöne Stadt gestanden. In derselben haben lauter reiche Leute gewohnt, die haben keine anderen Kleider getragen als von Sammt und Seide, und sind nicht anders gefahren, als in Kutschen, mit sechs Pferden bespannt. Es war auch eine Prinzessin darin, die wusste vor allem ihrem Reichtum nicht, was sie tun sollte. Zum Abendbrot aß sie nur das Gekröse von Heringen, so dass sie dazu jeden Abend ganze Tonnen voll Heringe verbrauchte. Nun geschah es aber, dass eine teuere Zeit ins Land kam, und die anderen Leute zuletzt gar nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten. Da gingen die Bürger zu der reichen Prinzessin, an die noch keine Not gekommen war, und fielen vor ihr auf die Knie, und baten sie, mit gerungenen Händen, um Brot. Die Prinzessin aber hatte ein hartes Herz, und sie tat daher, als hörte sie die Leute nicht; und wie diese gar nicht wieder gehen wollten, da ließ sie zuletzt ihren Hundejungen kommen, der musste mit der Hundepeitsche die armen Menschen vom Hofe jagen. Diese riefen ihr wohl zu, wie der liebe Gott gegen solche Hartherzigkeit ein Einsehen tun werde, aber sie machte sich nichts daraus, und wie es wieder Abend wurde, so ließ sie sich, wie sonst, zwei Tonnen Heringe bringen; von denen aß sie das Gekröse, und das Fleisch ließ sie in die Madüe werfen, weil sie es den armen Leuten nicht gönnte. Dabei ging sie in ihrer Verstocktheit so weit, dass sie über Nacht die Straßen der Stadt mit Salz bestreuen ließ, als wenn es die ganze Nacht durch geschneit hätte; darüber fuhr sie am anderen Morgen in einem Schlitten, den sie mit dem feinsten Weizenteig hatte beschmieren lassen, und vor dem die Pferde, anstatt der Schellen, mit lauter Semmeln behangen waren. Aber für solchen Frevelmut kam die Strafe. Denn es fuhr plötzlich vom Himmel ein Blitz herunter, der schlug sie und ihre Pferde tot, und riss ein großes Loch in die Erde, dass die ganze Stadt hineinsank und zu Grunde ging. Seitdem ist der Madüesee darüber gegangen. In diesem kann man auf St. Johannis Mittag die Glocken der versunkenen Stadt noch läuten hören, und wenn großer Sturm ist, so wirft die Madüe noch oft die Menschenschädel, und Nägel und Messer heraus, und andere Sachen, welche die Leute gebraucht haben.

Akten der Pomm. Gesellschaft für Geschichte.

Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller

Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller