Die Waffen der diluvialen Jäger

Aus: Die Jagd der Vorzeit
Autor: Soergel, Johannes Wolfgang Adolf Werner Dr. (1887-1946) Professor, Geologe, Palänontologe, Erscheinungsjahr: 1922
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Lebensweise und Lebenshaltung, und damit letzten Endes nach der geistigen Kultur der diluvialen Menschen, Menschengeschlecht, Prähistorie, Jagd, Jagdwaffen,
Art und Erfolg der Jagd des diluvialen Menschen waren in erster Linie abhängig von den Waffen, über die er verfügte. Wollen wir uns von dieser Jagd ein Bild machen, so ist es also vor allen Dingen nötig, auf Grund der erhaltenen Stein- und Knochenwerkzeuge und unter Zuhilfenahme ethnographischer Tatsachen und Forschungsergebnisse, eine möglichst gesicherte Vorstellung von der Art und Stärke der Waffen zu erlangen. Das kann auf diesem Wege zunächst nur in den großen Zügen geschehen; inwieweit die vom technologischen Standpunkt aus als möglich erkannten Waffen auch wirklich vorhanden waren, inwieweit es sich in den einzelnen Typen um ganz rohe, in ihrer Fernwirkung beschränkte oder feiner gearbeitete und wirksamere Waffen handelte, das werden im einzelnen erst die in späteren Abschnitten durchgeführten Untersuchungen über die Jagdmethode auf die verschiedenen Tiere entscheiden können. Dieser Abschnitt gilt nur der Fügung eines allgemeinen Rahmens, und wir werden hier vor allem zu prüfen haben, welche Bewaffnung den Menschen der altpaläolithischen Zeit, in der weder Knochen noch Hörn (Geweih) verarbeitet wurden, möglich gewesen sein kann. Für das Jungpaläolithikum sind die gefundenen Stein- und Knochenartefakte nach der Seite ihrer praktischen Verwertung meist so eindeutig, beweist die subtile Bearbeitung von Speer- und Pfeilspitzen eine so hohe Waffenkultur, dass unschwer ein hinreichendes Bild von der Wehrkraft dieser Jäger gewonnen werden kann. Eine ganz gesonderte Behandlung beider Hauptstufen des Paläolithikum hat sich aber nicht streng durchführen lassen; viele negative Momente gegenüber heutigen primitiven Stämmen sind beiden gemeinsam, wiederholt gibt uns die jüngere Stufe bestimmte Anhaltspunkte zur Beurteilung der älteren, so dass die bei einer streng getrennten Behandlung sich bietenden Vorteile durch den Nachteil häufiger Wiederholungen aufgehoben würden.

Lange Zeit und gelegentlich wohl auch bis zum heutigen Tage wurde der Standpunkt vertreten, dass den Menschen der altpaläolithischen Zeit nur Waffen rohester Art zu Gebote gestanden hätten. Man dachte an einfache Holzspeere, die vorn mit den geschlagenen Steinen dieser Periode bewehrt waren, und glaubte, dass mit solchen Speeren der Mensch die großen Säugetiere der Diluvialzeit, auch Elefanten und Nashörner angegriffen und erlegt habe. Wie Versuche gelehrt haben, die nach L. Pfeiffer auch Profé angestellt hat, ist die „Durchschlagskraft" solcher rohen Wurfwaffen auf elastische, mit dichtem Haar bedeckte Häute, auch bei straffer Fleischunterlage, eine sehr geringe, die nicht genügt haben kann, dem vielfach sehr wehrkräftigen, zum mindesten fluchtkräftigen Beutetier nennenswerte Wunden beizubringen. Profé, 1. c, Anm. 3, sagt darüber: „Untersucht man unter voller Würdigung der angedeuteten anatomischen Verhältnisse die für das Eolithikum, das Chelléen, Acheuléen und Moustérien charakteristischen Werkzeugtypen auf ihre Wirkungsweise und Kraft, so gelangt man zu der unabweisbaren Überzeugung, dass sie als Angriffswaffen auf die großen Säugetiere der älteren Steinzeit nicht gedient haben können. Die harmlosen Eolithen, die kräftigen, aber meist stumpfen Chelleskeile können aus den eben angeführten Gründen als Stich- oder Hiebwaffen gegen die großen Raubtiere, den Elefanten, das Mammut, den Urstier, allgemein nicht gedient haben; den leichteren Wildarten gegenüber können sie trotz deren Flüchtigkeit allgemein schon eher in Betracht kommen.

Die Frage, ob die Moustérien-Geräte als Lanzen oder Spieße auf mittelgroße Säugetiere gebraucht werden konnten, habe ich durch eigene Versuche zu lösen mich bemüht. Die Beschaffenheit der aus der Grotte von Placard stammenden Moustérien-Geräte ließ von vornherein eine erhebliche Spitzenwirkung bei Stich und Stoß nicht erwarten. In der Tat gelang es nicht, mit der Spitze des an einem Holzschaft befestigten Schabers die Weichen eines frisch getöteten kräftigen Kalbes zu durchstoßen. Nur an mit Muskeln unterlegten Stellen der Hinterschenkel vermochte der Silexspeer eben die Haut zu durchdringen. Dagegen war die Schnittwirkung der Werkzeuge beim Abhäuten und Zerlegen eine ganz erstaunliche. Die Durchtrennung selbst strafferen Unterhautgewebes, der starken Sehnenbänder an den Gelenken, der Muskulatur gelang mühelos in kurzer Zeit."

Dieser experimentelle Befund ist der Auffassung altpaläolithischer Artefakte als Speerspitzen sehr ungünstig. Der Hinweis auf das Vorkommen ähnlich einfacher Speere bei den Eingeborenen der Admiralitätsinseln, wo dem Holzschaft vorn bis über handlange und fast handbreite, meist dreikantige Spitzen aus Obsidian aufgesetzt sind (siehe Abb. 1), kann eine solche Jagdbewaffnung für den altpaläolithischen Menschen nicht wahrscheinlicher machen. Über die Verwendung dieser Speere bei den Admiralitätsinsulanern sind wir nicht genauer unterrichtet. Es ist aber sehr bemerkenswert, dass es dort an größeren Beutetieren, für die eine solche Waffe erforderlich sein könnte, nur zwei, ein Känguru und ein Wildschwein gibt; wenn es sich nicht um eine Kriegswaffe handelt, so wird am ehesten an eine Prunkwaffe zu denken sein. Sicher ist bei der weit nach vorn verschobenen Lage des Schwerpunktes, dass die Wurfweite solcher Speere auch in geübter Hand nur eine relativ beschränkte sein kann, und dass sie deshalb für die Jagd im Allgemeinen nicht zweckmäßig sind. Das würde in viel höherem Maße gelten für Speere, die mit den Faustkeilen der Stufen von Chelles und von St. Acheul bewehrt waren, denn erstens ist Feuerstein bedeutend schwerer als Obsidian, bewirkt also eine viel beträchtlichere Beschwerung des Kopfendes und damit wesentlich kürzere Wurfweite des Speeres, und zweitens haben diese Faustkeile (siehe Abb. 2) im Gegensatz zu den Obsidianspitzen weder eine hinreichend scharfe Spitze, noch scharfe, schneidige Kanten. Tauglicher als Speerspitzen könnten die meist grazileren, in eine längere Spitze ausgezogenen Faustkeile der Stufe von La Micoque erscheinen (siehe Abb. 3). Aber auch sie sind, obgleich vielfach flacher gearbeitet, nicht schneidig genug an den Kanten und können ihrer ganzen Form nach ebenfalls nur eine Keilwirkung, nicht die kombinierte Stich- und Schneidewirkung gehabt haben, die wir von einer zweckmäßigen Speerspitze erwarten. Nur eine relativ geringe Anzahl von dünnen, fein gearbeiteten Faustkeilen der Stufen von St. Acheul und La Micoque könnten als Bewehrung von Wurfwaffen gedeutet werden. Aber auch sie würden die Spitze eines Speeres noch erheblich belasten und damit die Wurfweite der Waffe stark beschränken. Für Jagdwaffen erscheinen deshalb auch derartig bewehrte Speere, ganz abgesehen davon, ob der Altpaläolithiker eine nicht zu plumpe Befestigungsart kannte, nicht sonderlich geeignet, zumal bei der größeren Zerbrechlichkeit des fein gearbeiteten Spitzenteils jeder der gewiss auch damals nicht seltenen Fehlschüsse eine starke Verletzung oder Zerstörung der Waffe zur Folge haben musste.

Fig. 1. Speerspitzen aus Obsidian von den Admiralitätsinseln. 1/3 n. Gr. Originale im Städt. Museum zu Weimar.

Fig. 2. Faustkeile des Chelléen (unterste Reihe und mittlere Reihe Mitte) und des Acheuléen (oberste Reihe und mittlere Reihe rechts und links) von St. Acheul. Ca. 1/3 n. Gr. Originale im Städt. Museum zu Weimar.

Fig. 3. Faustkeile und Handspitzen von La Micoque ca. 2 /5 n. Gr. Originale im Städt. Museum zu Weimar. (Die kreisrunden dunklen Stellen bezeichnen aufgeklebte Museumsetiketten.)

Fig. 4. Handspitzen des Moustérien, Le Moustier. ca. 2 / 5 n. Gr. Originale im Städt. Museum zu Weimar.

Eher ist für die feineren Faustkeile an eine Verwendung zu Stoßwaffen, die auch jagdlichen Zwecken dienen konnten oder zu Kriegswaffen, zu denken. Mit einem Unterschied in der Verwendung der einzelnen Waffen ist ja überhaupt zu rechnen. Wir wissen von Krapina und auch von Ehringsdorf, dass die Träger der Moustérienkultur Kannibalen gewesen sind. Allein schon diese Tatsache lässt gelegentliche Kämpfe einzelner Horden voraussetzen. Und für solche Kämpfe konnten sich Waffen, die für Jagdzwecke nicht vollwertig waren, als sehr brauchbar erweisen. Denn Krieger zu Krieger stehen ganz anders zueinander als Jäger zu Jagdtier. Im letzten Fall ist es neben
einer direkten vor allem auch eine indirekte Abwehr, wie sie im Vorhandensein eines Fells und einer Fettschicht und in der Fluchtkraft des tierischen Gegners besteht, die der Jäger durch seinen Angriff resp. Überfall zu überwinden trachtet. Im ersten Fall wird dagegen der Angriff vielfach von beiden Seiten zugleich geführt. Waffen von kurzer Wurfweite und Stoßwaffen können ausschlaggebende Bedeutung erlangen. Hier könnten die feineren Faustkeiltypen eine viel zweckmäßigere Verwendung gefunden haben als zur Bewehrung von Jagdwaffen. Ich persönlich neige dazu, auch in den sehr gut gearbeiteten Stücken nur Handwerkszeug zu sehen, dass zur Bearbeitung von Holz, zum Zerlegen der Jagdtiere usw. gebraucht wurde.

Fig. 5. Handspitzen der altpaläolithischen (Moustérien-) Kultur von Ehringsdorf, aus der Homofundschicht von Bruch Kämpfe in Ehringsdorf. ca. 5 / 11 n. Gr. Originale im Städt. Museum zu Weimar ausgestellt.

Fig. 6. Handspitzen des jüngeren Moustérien von La Quina. ca. 1 / 3 n. Gr. Originale im Städt. Museum zu Weimar.

Und dasselbe gilt schließlich für dasjenige Artefakt des Altpaläolithikums, das vor allem zu einer Deutung als Speerspitze verleiten könnte: die Moustierspitze in ihren verschiedenen Formen (s. Abb. 4, 5, 6), die schon selten im älteren, häufiger im jüngeren Acheuléen und der Stufe von La Micoque gefunden wird (vergl. Abb. 3, mittleres Artefakt der mittleren und die Artefakte der unteren Reihe) und im gesamten Moustérien sehr verbreitet ist. Fast ausnahmslos ist die Spitze nicht scharf genug, die Kanten durch meist steile Retuschen zu hoch abgestutzt, das ganze Artefakt für eine Speerspitze zu dick. Durch flache Retuschen schneidiger und dünner gearbeitete Spitzen sind selten, häufig sind beide Kanten in der Neigung der Kantenretusche sehr verschieden und erweisen schon dadurch, dass es sich nicht um Speerspitzen handeln kann. Nicht selten trifft man in der Spitze und an den Kanten sehr gut gearbeitete Moustierspitzen, die auf der Oberseite noch die natürliche Rauheit des Feuersteins, die Grenzfläche zum Muttergestein zeigen (siehe das mittelste Artefakt in Abb. 3, je 2 in der oberen Reihe der Abb. 4 und 6). Da solche Spitzen an den retuschierten Stellen ebenso gut gearbeitet sind wie andere vollständig von frischen Bruchresp. Schlagflächen begrenzte, so müssen sie für ihren speziellen Zweck ebenso brauchbar gewesen sein wie diese. Und dieser Zweck kann dann niemals Bewehrung von Wurfspeeren gewesen sein, weil an Speerspitzen alle die Reibung erhöhenden, die Schusswirkung also beeinträchtigenden Rauheiten beseitigt sein müssten. Die Gesamtheit der typischen gut retuschierten Moustierspitzen können wir also mit Sicherheit aus dem Waffeninventar ausscheiden.

Im Allgemeinen darf man sagen, dass mit keinem Artefakt der altpaläolithischen Kulturen ein Wurfspeer, der auf größere Entfernung geschleudert noch entscheidende Wunden beibringen soll, hinreichend bewehrt werden kann. Haben die Altpaläolithiker aber entgegen dem oben erwähnten experimentellen Befund einen Teil ihrer geschlagenen Steine in dieser Weise benutzt, so müsste es doch als sehr unwahrscheinlich gelten, dass sie mit solchen Waffen die großen wehr- und fluchtkräftigen Säuger in offener Jagd haben erbeuten können. Der Kraftaufwand des Jägers beim Angreifen und Verfolgen der Tiere hätte ein unverhältnismäßig großer, die Gefährdung der eigenen Person durch die Wehrhaftigkeit des Wildes eine unverhältnismäßige starke sein müssen. Das Missverhältnis zwischen Leistung des Jägers, Gefährdung des Jägers und Möglichkeit des Erbeutens, zwischen Angriffswaffen des Jägers und Wehrhaftigkeit und Fluchtkraft des starken Wildes wäre ein viel zu großes gewesen und hätte bei Jagden heutiger primitiver Rassen keine Parallele. Solche Erwägungen und die Meinung, dass für den Menschen der altpaläolithischen Kulturstufen eine andere, wirksamere Bewaffnung nicht wahrscheinlich gemacht werden könnte, führte mich zu der für einzelne Arten auch in der Zusammensetzung des gefundenen Beutematerials gestützten Auffassung, dass der Altpaläolithiker fast ausschließlich Fallgrubenfang getrieben, dass er neben Nashorn und Elefant auch den Bär, den Auerochsen, den Wisent und andere Tierarten der Großtierfauna in Fallgruben gefangen habe. Heute möchte ich dem Fallgrubenfang des Altpaläolithikums eine so stark vorherrschende Stellung innerhalb seiner Jagd nicht mehr einräumen, wenigstens nicht auf alle Arten der mittleren Großtierfauna. Ich beurteile mit anderen Autoren die Bewaffnung des altpaläolithischen Jägers günstiger. Noack lässt in der von ihm geschilderten Mammutjagd die Jäger spitze Pfähle und Speere gegen die Mammute schleudern; und in der Tat muss es den Paläolithikern auch früher Kulturstufen möglich gewesen sein, sich spitze Pfähle oder Speere aus Holz herzustellen. Ein kantiger Feuerstein, gleichgültig ob retuschiert oder nicht, wie ihn jede Kulturstufe besaß, genügt allein, um im Verein mit Feuer einen Stab anzuspitzen. Ein Nachschleifen auf Stein, und es kommt gar nicht auf bestimmte Gesteinsarten an, oder ein Zurechtschneiden und Glätten mit einem scharfen Feuersteinmesser kann solchem Speer eine sehr achtbare Spitze verschaffen und dem Paläolithiker eine recht brauchbare Wurfwaffe an die Hand gegeben haben. Mit welcher geringen Mühe mit Feuersteingerät Holz geschnitten, geschabt, überhaupt bearbeitet werden kann, das lese, wer nicht durch eigene Versuche sich überzeugen will, in Pfeiffers steinzeitlicher Technik *) nach. Die Herstellungsweise solcher Holzspeere ist auch bei primitiven Stämmen der Gegenwart noch eine sehr einfache und geht über das, was dem Paläolithiker technisch möglich gewesen sein muss, vielfach nicht hinaus. Über die Herstellung der Holzspeere bei den Bainings auf Neupommern schreibt Parkinson („30 Jahre in der Südsee"): „Sie werden einigermaßen rund abgeschabt und das eine Ende zugespitzt, sowie im Feuer gehärtet. Trotz der rohen Arbeit sind sie in den Händen der Bainings eine gefährliche Waffe, denn von Jugend an übt man sich im Werfen und erreicht mit der Zeit eine erstaunliche Gewandtheit und Fertigkeit." Die Verfertigung solcher Waffen ist sicher schon im Chelléen, vielleicht noch früher möglich gewesen, sie dürfte natürlich mit der Vervollkommnung der Feuersteintechnik, mit dem Ausbau des Feuersteingerätinventars als dem Arbeitszeug, mit dem Holz geschnitten, geschabt, geglättet wurde, stetig verbessert worden sein. Ihren Höhenpunkt hat die Waffentechnik schließlich in jungpaläolithischer Zeit mit dem Einsetzen von Knochen- und Hornspitzen erreicht. Erst diese jüngere Zeit verfügte auch über Steinartefakte, die zur Bewehrung von Speeren und Wurfpfeilen als geeignet gelten können. Insbesondere die Lorbeerblattspitze und auch die Kerbspitze des Solutréen könnten diesem Zweck gedient haben. Aber auch hier, wo ja in Knochen, Elfenbein und Geweih ein viel geeigneteres Material für Speerspitzen vorhanden war, ist mir die Verwendung der genannten Steinartefakte, die sich keineswegs in allen Solutréenstationen und meist nur in wenigen Stücken gefunden haben, zu geschäfteten Messern, Dolchen, überhaupt kurzen Stoßwaffen viel wahrscheinlicher.

*) L. Pfeiffer, Die steinzeitliche Technik und ihre Beziehungen zur Gegenwart. G. Fischer, Jena 1912.

Fig. 7. Steinwerkzeuge der Tasmanier. ca. 2 / 5 n. Gr. Originale im Städt. Museum zu Weimar.

Selbstverständlich ist mit dem Nachweis der Möglichkeit noch keineswegs der Nachweis erbracht, dass die altpaläolithischen Jäger auch wirklich Holzwaffen, d. h. Waffen mit Holzspitzen besessen haben müssten. Kulturfragmente lassen sich mit Hilfe von Analogieschlüssen allein nicht mit der einer objektiven Kritik genügenden Sicherheit rekonstruieren, weil jede primitive Kultur unter bestimmten Verhältnissen sich entwickelt, deshalb immer einseitig sein muss und viele der in ihr schlummernden Möglichkeiten unter den jeweils gegebenen Verhältnissen gar nicht ausbildet. Nach unseren Anschauungen sehr nahe liegende Entdeckungen sind häufig nicht gemacht worden, man denke nur daran, dass die Jungpaläolithiker niemals auch nur versucht haben einen Stein zu schleifen, obwohl sie Geweih und Knochen vielfach geschliffen haben. Die Ethnologie und Prähistorie kennen genug Beispiele für diese Erscheinung, von denen manches von einer alle primitiven Kulturen der Gegenwart überschauenden Warte vielleicht sonderbar und unbegreiflich erscheinen könnte. Es besteht unter diesen Umständen von vornherein die Gefahr, dass man Kulturfragmente — und um solche handelt es sich ja ausschließlich in dem Stein- und Knochenmaterial der paläolithischen Kulturstufen — zu vollkommen, zu abgerundet ergänzt.

In unserem Falle lassen sich diese an sich berechtigten Bedenken zerstreuen vor der Summe von Erfahrungstatsachen, die für das Vorhandensein von reinen Holzwaffen in altpaläolithischer Zeit sprechen. Zunächst muss man sich völlig frei machen von der Ansicht, dass uns in dem bearbeiteten Stein- und Knochenmaterial der Paläolithiker die gesamte materielle Kultur oder ein sehr großer Bruchteil derselben erhalten geblieben wäre. Es ist nur ein Teil davon, wenn auch der wichtigste, nämlich die Grundlage für die Herstellung alles dessen, was nicht erhaltungsfähig war. Die Voraussetzung, dass die paläolithische materielle Kultur nur Gegenstände aus Stein und Knochen umfasst habe, also nur solche Dinge, die fossil erhaltungsfähig sind, ist zu absurd, um ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden. Wie die Befunde an heutigen primitiven Kulturen lehren, verschwindet dieser Grundbestand des Handwerkszeugs, und als solchen möchte ich die Steinartefakte vorzugsweise auffassen, gegenüber der Fülle von Objekten, die aus vergänglichen tierischen und pflanzlichen Stoffen hergestellt werden. Das gilt auch für diejenigen Stämme, deren materielle Kultur, wie bei den Buschmännern, einen recht geringen Bestand aufweist. Es würde für den Laien, und ich glaube auch für den Fachmann außerordentlich lehrreich sein, nebeneinander die gesamte materielle Kultur eines primitiven Stammes und aus der Gesamtmasse das, was über viele tausende von Jahren in Kiesen, Lehmen, Tuff kalken usw. erhaltungsfähig wäre, also die Geräte oder Geräteteile aus Knochen und aus Stein ausgestellt zu sehen. Diese Gegenüberstellung würde uns einen ungefähren Maßstab für die Beurteilung unserer paläolithischen ..Kulturen" geben und uns zeigen, wie sehr wir in dem, was uns überliefert ist, nur einen Bruchteil der ehemaligen Gesamtkultur zu erblicken haben. Zum direkten Vergleich mit unseren diluvialen Jägern empfehlen sich besonders die leider ausgerotteten Tasmanier, deren Artefakt-Handwerkszeug auf außerordentlich früher, den Eolithen in mancher Beziehung genäherter, etwa altpaläolithischer Stufe stand (vgl. Abb. 7), diesen Leuten aber trotzdem die Herstellung langer, hölzerner Speere, 1 / 2 m langer spitzer Wurfhölzer neben vielen anderen Dingen ermöglichte. Bedenken wir, dass den diluvialen Menschen Europas die Pflanzenwelt zur Lebenshaltung keineswegs das bot, was den primitiven Völkern der Gegenwart die Flora der Tropen und Subtropen, dass aber diese begünstigten Völker ihre Jagdwaffen nach allen Richtungen ausbauten, so werden wir für äußerst wahrscheinlich halten müssen, dass die diluvialen Stämme, die viel stärker auf die Jagd als wesentlichste Nahrungsquelle angewiesen waren, die einfachste und natürlichste Möglichkeit ausgenutzt, dass sie sich reine Holzwaffen gefertigt haben werden. Es soll dabei, und davon wurde ja schon oben gesprochen, nicht in Abrede gestellt werden, dass für bestimmte Zwecke, für Stoßwaffen oder Wurfwaffen mit kurzer Flugbahn (Kriegswaffen) auch geschlagene Steine als Spitzen schon in altpaläolithischer Zeit Verwendung fanden. Man könnte gerade in der mehr reißenden Wirkung solcher Steinspitzen gegenüber der schneidenden resp. stechenden schärferer Holzspitzen einen Vorteil für den altpaläolithischen Jäger sehen wollen. Demgegenüber ist zu bedenken, dass der diluviale Mensch eine schnell wirkende, möglichst tiefe Verwundung, die dem Beutetier keine oder nur eine kurze Flucht gestattete, anstreben musste. Inmitten einer an großen Raubtieren geradezu außerordentlich reichen Tierwelt, über die der nächste Abschnitt berichtet, war die Verfolgungskraft des menschlichen Jägers nur eine geringe, auf jeden Fall sehr beschränkte. Beim Abwägen der Vorteile, die Speere mit Holz- oder mit Steinspitzen dem diluvialen Menschen gewährten, wird man auch die besonders dichte Behaarung aller Tiere zur Zeit eines rauen Klimas nicht vergessen dürfen. Gegen eine solche dichte Schutzdecke mussten spitze Holzspeere viel erfolgreicher sein als Speere mit Steinspitzen, denn die Steinspitzenformen aller altpaläolithischen Kulturen — und für diese vor allem kommen reine Holzspeere in Frage — sind mit ganz verschwindenden Ausnahmen stumpf am Spitzenende und nicht schneidig scharf an den Kanten.

Schließlich ist die Wurfweite der Holzspeere sicher eine beträchtlichere, ihre Herstellung einfacher. Die feste Verbindung einer aus besonderem Material gefertigten Spitze mit dem Holzschaft des Speeres, und zwar so, dass die Waffe nicht zu plump und schwerfällig wird, setzt eine über die Stufe der Altpaläolithiker wohl schon hinausgehende Entwicklung der materiellen Kultur voraus. Einklemmen oder Anbinden der Steinspitze würde die Wirkung der Waffe in jeder Hinsieht so sehr einschränken, dass auch von diesem Gesichtspunkt aus die nur aus Holz gefertigten Waffen unbedingt als die stärkeren und deshalb in Anbetracht aller Umstände als die für das Altpaläolithikum wahrscheinlichsten gelten müssen.

Was die spezielle Gestaltung dieser Holzwaffen, (von denen, da sie nur unter ganz besonderen Verhältnissen erhaltbar oder als Hohlformen nachweisbar sein können, bisher nichts aufgefunden worden ist), besonders die Gestaltung des vorderen Endes angeht, so ist anzunehmen, dass der Querschnitt der Speere an der Spitze wie am Schaft dreh-rund, oder vorn rund-oval gewesen ist. Ganz flache, lanzettförmige Spitzen mit zwei seitlichen Schneiden — eine viel wirkungsvollere Waffe — finden wir heute aus Holz vorwiegend dort, wo den Jägern Bambus zur Verfügung steht, oder doch ein geeignetes Hartholz vorhanden ist. Beides hat dem diluvialen Jäger Europas gefehlt, er konnte als Nomade nur frisches, günstigstenfalls längere Zeit abgestorbenes, nicht aber länger zweckmäßig abgelagertes Holz verwerten, wie es manchen heutigen einfachen, aber sesshaften Rassen möglich ist. Sein Holzmaterial war deshalb minderwertiger und zur Herstellung von Speeren mit flacher, doppelschneidiger Spitze wenig oder nicht geeignet. Für das sehr wahrscheinliche Fehlen derartiger Speere lässt sich auch noch ein zweiter Grund aufführen. Wo in der Vorzeit ein Wechsel im Herstellungsmaterial von Waffen und Geräten eingetreten ist, dort ist in der Übergangszeit und wiederholt noch länger in die neue Zeit hinein mit dem neuen Material die alte Form wiederholt resp. beibehalten worden. Hätten die Altpaläolithiker Holzspeere mit flachen, lanzettförmigen Spitzen besessen, so hätten die mit dem Aurignacmenschen bei uns einrückenden Jungpaläolithiker oder deren vielleicht schon etwas früher in Europa heimische Vorfahren die Vorzüge einer solchen Waffe erkannt und sich zu eigen gemacht. Sie hätte unbedingt auf die Form der aus Knochen gefertigten Speerspitzen von Einfluss sein müssen, zumal sich aus verschiedenen Knochen leicht flache, längliche Stücke gewinnen lassen und schon die Geweihbildung eines der häufigsten Jagdtiere dieser Zeit, des Rentieres, auf flache Formen hinwies. Noch nie aber hat man andere als im Querschnitt runde oder ovale knöcherne Speerspitzen gefunden. (Großer zu kleiner Durchmesser an dem unteren Ende von knöchernen und elfenbeinernen Speerspitzen verhalten sich etwa wie 3 : 2 und werden nach der Spitze zu allmählich gleich.) Auch darin sehe ich einen Hinweis auf die Art der altpaläolithischen und der paläolithischen Holzspeere überhaupt.

Ob die Spitzen der Holzspeere stets glatt, oder ob sie zum Teil eingekerbt und mit Widerhaken versehen gewesen sind, lässt sich nicht beurteilen. Aus jungpaläolithischer Zeit jedenfalls kennen wir in den verschiedenartigen Harpunen mit Widerhaken versehene Speerspitzen. Dass damit bewehrte Speere auch zur Jagd auf stärkeres Wild, nicht nur zur Fischjagd benutzt wurden, dürfte aus Bisonbildern hervorgehen, denen Harpunen aufgemalt sind. Es braucht kaum betont zu werden, dass in solchen Fällen die mit Widerhaken versehenen Spitzen eine feste, nicht eine lose, den eigentlichen Harpunen eigentümliche Verbindung mit dem Holzschaft des Speeres gehabt haben werden.

Außer Holzspeeren werden Wurfhölzer verschiedener Gestalt und Wurfkeulen eine Rolle gespielt haben, insbesondere bei Jagd auf kleineres Wild. Daneben haben die Jungpaläolithiker, jedenfalls die Jäger des Magdalénien Speerschleudern oder „Wurfhölzer" (Propulseur) besessen, wie sie heute noch bei vielen Stämmen verbreitet sind; mit ihrer Hilfe kann den Speeren größere Wurfweite und Durchschlagskraft verliehen werden. Möglicherweise sind sie auch dem Altpaläolithiker bekannt gewesen, uns aber aus dieser Zeit, in der Knochen und Geweih noch nicht verarbeitet wurden und alle Waffen nur aus Holz gefertigt werden konnten, natürlich ebensowenig erhalten wie die Holzspeere selbst.

Diese Holzspeere, die in jungpaläolithischer Zeit durch Einsetzen von Knochenspitzen eine wesentliche Vervollkommnung erfuhren, sind zur Konstruktion von Jagdfallen, ähnlich der auf Ceram und Buru gebräuchlichen Speerfalle, wahrscheinlich nicht benutzt worden; sicher nicht im Altpaläolithikum. Denn das würde nicht nur Bekanntschaft mit der Elastizität des Holzes, und diese Bekanntschaft ist natürlich anzunehmen, sondern auch ihrer Nutzbarkeit mit Hilfe eines gespannten Fadens irgendwelcher Art in einem besonderen, sehr naheliegenden Fall voraussetzen: Dem Bogen. Und für dessen Vorhandensein haben wir nicht einmal in den Höhlenbildern oder in den Gravierungen aus jungpaläolithischer Zeit, sehen wir von den jüngsten spanischen, nicht unbestritten noch dem Paläolithikum zugeteilten Felsmalereien ab, einen Anhaltspunkt. Ebensowenig in den überlieferten Artefakten. Denn die Pfeilspitzen aus Knochen und Stein, die aus jungpaläolithischen Kulturen in größerer Menge vorliegen, erweisen noch keineswegs den Besitz des Bogens. Solche Pfeile können, wie heute noch bei primitiven Stämmen mit Hilfe von Wurf hölzern, Pfeilschleudern geworfen worden sein.

Es ist also für das Jungpaläolithikum die Kenntnis des Bogens und damit die der Jagdfallen, die auf die Elastizität des Holzes aufgebaut sind, zum mindesten ganz unsicher. Diese Jagdfallen dürfen wir aus dem Bestand der Jagdwaffen der jungpaläolithischen Jäger aber mit größerer Bestimmtheit deshalb ausscheiden, weil sie nur in Waldgebieten anwendbar sind, nur dort sich entwickelt haben können, zu Zeiten der Jungpaläolithiker aber bei uns gerade die Steppen eine weite Ausdehnung besaßen; waldfreie und waldarme Gebiete waren die Jagdgründe der jungpaläolithischen Jäger. Spezielle Jagdwaffen für Waldgebiete können bei ihnen nur eine ganz verschwindende, praktisch nicht ins Gewicht fallende Rolle gespielt haben.

Für den Altpaläolithiker können wir den Bogen und auf das gleiche Prinzip gegründete Jagdfallen mit Sicherheit ausscheiden. Einer großen Anzahl von primitiven Stämmen der Gegenwart, und unter ihnen gerade den primitivsten, z. B. den Australiern und Tasmaniern, ist, resp. war der Bogen unbekannt und wir haben nach Ausweis der überlieferten älteren diluvialen Kulturen allen Grund, den Altpaläolithikern eine so hochstehende Waffe, damit die Kenntnis des Prinzips, und deshalb auch die Sperrfallen abzusprechen. Ein späterer Abschnitt (IV) wird zeigen, dass Alt- wie Jungpaläolithikern der Bogen sicher unbekannt war.

*) Obermaier, H., Der Mensch der Vorzeit. Allgemeine Verlagsgesellschaft Berlin — München— Wien 1912.

Inwieweit Schleuder und Bola Verwendung fanden, ist nicht sicher zu beurteilen. Es könnten in diesem Sinne aber Steinkugeln gedeutet werden, die in einigen Moustérienstationen Frankreichs und Spaniens in größerer Zahl gefunden worden sind und die sicher als ein von Menschen ausgelesenes Material an ihren Fundplatz gelangt sind. Obermaier *) denkt an Lederschleudern oder Lasso mit eingenähten Steinen oder einen Holzstock, an dessen Ende der Stein eingeklemmt wird. Nach dem Eindruck, den spätere Abschnitte uns von den geistigen Fähigkeiten des Neandertalmenschen vermitteln, kann ich nur die letzte Deutung für möglich halten. Auf jeden Fall hat der Neandertalmensch, wenn wir uns an die tatsächlichen Funde halten, nicht allgemein eine solche Steinschleuder besessen. Wahrscheinlicher, aber durch Artefaktmaterial auch nur spärlich und kaum zwingend zu belegen, ist, dass die Jungpaläolithiker, die Aurignac- und die Cro-Magnonrasse wirksamere Schleudern, vielleicht auch die Bola gekannt haben. Die Verwendung von Wurf schlingen, vor allem von Stock- und Fangschlingen, ist für diese Zeit recht wahrscheinlich. Eine jungpaläolithische, allerdings nach meinem Empfinden nicht ganz klare Gravierung, kann in diesem Sinne gedeutet werden.

Außer mancherlei Wurf warfen: Wurfspeeren, Wurfpfeilen, Wurfkeulen usw., die für die Jagd am wichtigsten sind, hat der diluviale Mensch jeder Kulturstufe zweifellos Stoßwaffen verschiedener Art besessen, wie sie für den Jungpaläolithiker ja in Knochen- und Geweihdolchen erwiesen sind. Auch dem Altpaläolithiker, der Knochen und Geweih noch nicht verarbeitete, können kurze Stoßwaffen nicht fremd gewesen sein. Denn diese kurzen, vielleicht mit Steinspitzen vorn bewehrten Waffen liegen auf dem Entwicklungsweg, den die Waffe von der Zeit, als Waffe und Werkzeug noch eins waren, bis zur Erfindung des Wurfspeeres genommen hat. An geeigneten Steinspitzen hat es, jedenfalls im Acheuléen und Moustérien, wie wir oben sahen, nicht gefehlt.

Für die Beurteilung der Stärke von Wurf- und Stoßwaffen und damit der Art und des Ausmaßes der vorzeitlichen Jagd ist letzten Endes die Beantwortung der Frage wichtig, ob der Paläolithiker Europas über geeignete pflanzliche oder tierische Gifte zur Bestreichung seiner Waffen verfügte. Wir dürfen diese Frage verneinen, mit Bestimmtheit jedenfalls für den Altpaläolithiker. Aber auch die Rinnen und Riefen, die an knöchernen Pfeilspitzen der Stufe von Solutré gelegentlich angetroffen werden, können als sichere Beweise für Verwendung von Giften nicht gelten. Solche Gifte sind pflanzlichen Stoffen, und das gilt für alle mitteleuropäischen Giftpflanzen, auf einfache Weise nicht zu entziehen. Zum mindesten ist langes Kochen, fast ausnahmslos Einkochen notwendig, um Giftlösungen von der erforderlichen Konzentration zu erhalten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass dem Paläolithiker, der die Töpferei nicht kannte, also nur organische Kochbehälter besaß, und der wahrscheinlich nur durch Einlegen erhitzter Steine in seine Wasserbehälter kochen konnte, auch nur einfache Methoden der Giftbereitung vertraut oder überhaupt technisch möglich waren. Außerdem konnte ihm die mitteleuropäische Pflanzenwelt und Tierwelt (Schlangen, Amphibien, Aas), und das ist entscheidend, keine Gifte von schneller Wirkung verschaffen. Wohl enthalten die Hautdrüsen unserer Salamander und Kröten in ihren milchigen Absonderungen ein Gift, mit dem Fische, Enten, Kaninchen, Meerschweinchen und sogar Hunde getötet werden können, wenn nur eine geringe Menge unter die Haut eingespritzt wird. Die starke Wirkung ist aber auf kleinere Tiere beschränkt. Zu einer schnellen Tötung großer Beutetiere, wozu heute noch von Indianern das viel stärkere Gift amerikanischer Laubfrösche verwertet wird, genügen unsere heimischen Amphibiengifte nicht. Und das gleiche kann mit Bestimmtheit von unseren Pflanzengiften behauptet werden. Selbst die stärksten unter den pflanzlichen Giften, das der Nieswurz und der Tollkirsche, reichen für diesen Zweck nicht aus. Und in einer schnellen Wirkung allein liegt für einen Jäger, der nur oder fast nur der Nahrung wegen jagt, der Vorteil vergifteter Waffen. Wo heute mit Giftpfeilen und Giftspeeren gejagt wird, schneiden die Jäger nach Erbeuten des Wildes sofort das Fleisch um die Treffstelle aus, um ein Weiterziehen des Giftes im Tierkörper zu verhindern. Denn fast alle starken Gifte, und das gilt vor allem auch für die Amphibiengifte, wirken nicht nur, wenn sie direkt durch Verwundung in die Blutbahn gelangen, sondern auch, wenn sie durch den Magen dem Körper mitgeteilt werden. Wer mit vergifteten Waffen zur Beschaffung von Nahrung jagt, der muss schnell erbeuten, also über sehr starke Gifte verfügen. Langsam wirkende Gifte, die dem Wild eine längere Flucht gestatten, vor allem solche, die erst nach weitgehender Durchseuchung des Körpers wirken, kommen deshalb von vornherein gar nicht in Frage. Selbst wenn der paläolithische Jäger solche Gifte hat gewinnen können, was mir sogar für den Jungpaläolithiker unwahrscheinlich ist, so hätte ihm. ihre Verwertung zumindesten einen Teil des mühevoll erlegten Jagdwildes ungenießbar in die Hände geliefert. Eine Steigerung der jagdlichen Rentabilität, und allein von diesem Standpunkt aus ist die Jagd primitiver Stämme zu beurteilen, können wir deshalb in der Verwendung solcher langsam wirkenden Gifte nicht erblicken; wir müssen annehmen, dass der Paläolithiker nicht mit vergifteten Waffen gejagt hat. Hat aber der Jungpaläolithiker Herstellungsweisen solcher Gifte gekannt und lässt sich für die Einkerbungen an knöchernen Lanzen- und Pfeilspitzen im Vergleich mit den Waffen heutiger primitiver Stämme sehr wahrscheinlich machen, dass es sich um Giftrinnen handelt, so müssen wir viel eher an Kriegswaffen als an Jagdwaffen denken.

Als letzte und gewissermaßen indirekte Waffe ist schließlich noch der Grabstock zu erwähnen, der zur Anlegung von Fallgruben verschiedener Art — sie brauchen keineswegs stets groß gewesen zu sein, auch heute werden für große Tiere oft kleine Fallgruben hergestellt, in denen nur ein Bein des Tieres sich fängt — Verwendung finden konnten. Schon der diluviale Mensch ist ein Allesesser gewesen, der einen Teil seiner Nahrung der Pflanzenwelt entnommen haben wird. Wie heute essbare Wurzeln und Knollen überall, wo sie vorkommen, von den Eingeborenen gesammelt, resp. gegraben werden, so wird auch der diluviale Mensch Europas die unter der Oberfläche liegenden essbaren Pflanzenteile gekannt und herausgeholt haben. Die Erfindung eines einfachen, zweckmäßigen Grabegeräts, eines Grabstockes, wie ihn die Buschmänner heute noch führen, wird deshalb eine der frühesten Erfindungen gewesen sein, die die Menschen gemacht haben; und wir können den Paläolithikern den Besitz eines solchen, natürlich nicht überlieferbaren Gerätes ohne weiteres zusprechen.

Wir dürfen uns also den Menschen der alt- und vor allem der jungpaläolithischen Zeit als mit Wurf- und Stoßwaffen wohl ausgerüstet vorstellen, allerdings im Altpaläolithikum, und das werden spätere Abschnitte wahrscheinlich machen, noch kaum in dem Maße bezüglich der Durcharbeitung und Wirksamkeit der Waffen, wie es die im vergangenen Jahrhundert ausgerotteten Tasmanier gewesen sind. Diese Bewaffnung des Paläolithikers, die angesichts der Welt, in der er lebte, keineswegs stark, herrschaftssichernd erscheint, wurde zweifellos ergänzt durch eine genaue Kenntnis von der Lebensweise, der Wehr- und Fluchtkraft der einzelnen Tiere. Mit zahlreichen Listen, gelegentlich vielleicht unter Zuhilfenahme von Verkleidungen, wie sie heute noch üblich sind, hat er seine Waffen mindestens mit dem Erfolg geführt, der zur Sicherung seiner Existenz nötig war. An der Hand der paläolithischen Höhlenmalereien hat Profé 1. c. Anm. 3 gezeigt, dass der diluviale Jäger des Jungpaläolithikums mit der Anatomie der Tiere wohl vertraut war und sehr genau die Stellen kannte, an denen ein Speer oder ein geschleuderter Pfeil am wirkungsvollsten angebracht werden konnte.

Völlig entbehrte der diluviale Mensch aber einer Jagdhilfe, die sich heute bei Stämmen aller Zonen, hoch- wie niedrigstehenden weit verbreitet findet, der gezähmten Tiere. Weder Reit- noch Tragtiere, wie Pferd, Rentier, Rind, noch den wertvollsten Jagdgehilfen, den Hund hat er besessen. Das lässt sich für alle paläolithischen Kulturstufen mit Sicherheit behaupten: niemals zeigt das in den Küchenabfällen überlieferte Knochenmaterial zähmbarer Arten eine solche Zusammensetzung nach Altersstufen, dass auf einen Schlachtverbrauch gezähmter Tiere geschlossen werden müsste, in keinem Falle fanden sich anatomische Anzeichen einer Domestikation; und nie sind an den Knochen der Beutetiere Nagespuren gefunden worden, wie sie beim Besitz des gezähmten Hundes unbedingt zu erwarten wären.

Der diluviale Mensch war Jäger durchaus aus eigener Kraft.

001 Speerspitzen aus Obsidian

001 Speerspitzen aus Obsidian

002 Faustkeile des Chelléen

002 Faustkeile des Chelléen

003 Faustkeile und Handspitzen von La Micoque

003 Faustkeile und Handspitzen von La Micoque

004 Handspitzen des Moustérien

004 Handspitzen des Moustérien

005 Handspitzen der altpaläolitischen Kultur von Ehringsdorf

005 Handspitzen der altpaläolitischen Kultur von Ehringsdorf

006 Handspitzen des jüngeren Moustérien von La Quina

006 Handspitzen des jüngeren Moustérien von La Quina

007 Steinwerkzeug der Tasmanier

007 Steinwerkzeug der Tasmanier