Die Unterirdischen auf Rügen

Aus: Deutsche Sagen: Herausgegeben von Heinrich Pröhle
Autor: Pröhle, Heinrich (1822-1895) deutscher Lehrer und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1869
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Pommern, Insel Rügen, Rugard, Bergen auf Rügen, Sagen und Märchen, Hünengräber,
Vor Zeiten ist das ganze Rügenland voll Unterirdischer gewesen. Die haben in Hügeln, Hünengräbern und Ufer-Abhängen gewohnt. Es gab ihrer vier verschiedene Arten, graue (griese), schwarze, grüne und weiße. Die grauen waren den Menschen am gefährlichsten, demnächst die schwarzen. Beide haben Mädchen nachgestellt, Säuglinge vertauscht und und den Menschen manchen Schabernack getan. Die weißen aber waren fromm und guttätig. Jede Partei hatte ihren eigenen König und ihre abgesonderten Wohnstätten. Der Hauptsitz der schwarzen war im Wallberge bei Garz; bei Bergelave und in den neuen Bergen beim Dorf Rothenkirchen wohnten die grauen, bei Patzig die weißen und die grünen in der Granitz.

Auf dem Zudar ist ein Hügel, in welchem früher Unterirdische gehaust haben. Dort ritt einst spät Einer vorbei, der traf die Unterirdischen, wie sie draußen am Hügel schmausen und zechen. Da bat er sich im Übermute auch einen guten Trunk aus, und sogleich brachte ihm einer vom kleinen Volke einen gefüllten goldenen Becher. Der Reiter aber schüttete das Getränk über seinen Kopf weg, gab dem Pferde die Sporen und jagte mit dem Becher als Beute davon. Da rief es hinter ihm: „Vierbeen lop, Eenbeen krigt di!" und die Unterirdischen, die nur ein Bein hatten, waren flugs hinter ihm drein, ja einer ist schon nahe daran, das Pferd am Schweife zu fassen, als er die Zudar'sche Kirche erreichte und gerettet war. Dort in der Kirche ist noch heute der Becher zu sehen.

Später haben die Unterirdischen das Land verlassen. Sie sind durch ganz Rügen gezogen und haben sich vom Goldberge aus, der hinter Poseritz liegt, vom Glewitzer Fährmann übersetzen lassen. Dieser ist dadurch zu großem Reichtume gelangt und seine Nachkommen sind noch bis auf den heutigen Tag vermögende Leute.

Zu ihm also kam eines Abends ein kleiner Mann und bestellte ihn zum Überfähren. Da hat er denn die ganze Nacht fähren müssen und doch nichts gesehen, was er überbrachte, sondern nur die Last in der Fähre gefühlt, dass das Boot tief hineinsank. Als das letzte Boot voll hinüberfuhr; fragte ihn der kleine Mann, ob er einen Scheffel Geld haben oder kopfweise für seine Arbeit bezahlt sein wolle. Der Fährmann wählte den Scheffel Geld. Dann fragte ihn der Kleine wieder, ob er auch wohl wissen möge, was er gefahren, Und als er das bejaht, setzte der Mann ihm seine Mütze auf. Da sah der Fährmann das ganze pommersche Ufer wimmelnd von Unterirdischen, und erfuhr von seinem Begleiter, dass sie alle Rügen verlassen, da für sie kein Segen mehr im Lande sei, seit die Menschen angefangen, Brot und Getreide zu kreuzen und den Besen aufrecht hinzustellen, mit dem Stiel nach unten.*)

Von da an nämlich haben die Unterirdischen nicht mehr daran kommen können. Einige erzählen, dass es allein die grünen gewesen sind, welche sich mit ihrem Könige bei Goldberg haben übersetzen lassen.

*) Es ist gebräuchlich, die Getreidehaufen mit dem Besen zu bekreuzen, und diesen dann mit dem Stiele hineinzustellen.