Die Reformation der christlichen Kirche in Wismar.

Ein Beitrag zur Landes-Kirchengeschichte Mecklenburg-Vorpommerns
Autor: Herausgegeben von M. Carl Ferdinand Crain (1787-1865), Rektor und Großherzogl. Professor, Erscheinungsjahr: 1841

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Reformation, Reformationszeit, Hansestadt Wismar, Mittelalter, Kirchengeschichte, Stadtgeschichte, Landesgeschichte, Luther, Stadtschule,
Als Einladungs- und Denkschrift bei Gelegenheit der
300jährigen Jubelfeier der am 29. September 1541
im ehemaligen hiesigen Franziskaner-Kloster gestifteten
Großen Stadtschule Wismar, gedruckt in der Ratsdruckerei von J. G. W. Oesten Witwe. 1841


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Inhaltsverzeichnis
  1. Erste Grundlage zur evangelischen Kirche in Wismar. (Möllens. Never. Timme.)
  2. Die ersten Calvinistischen und Wiedertäuferischen Bewegungen in Wismar.
  3. Die Kirchenvisitation von 1541.
  4. Ausführung der bei Gelegenheit der Kirchenvisitation vom Jahr 1541 der Stadt Wismar gegebenen fürstlichen Verordnungen
  5. Augsburger Interim-Kirchenordnung von 1552.
  6. Neue Calvinistische und Anabaptische Händel in Wismar
  7. Neue Calvinistische und Anabaptische Händel in Wismar
  8. Weitere Ausbildung der kirchlichen Verhältnisse in Wismar (Von dem Augsburger Religionsfrieden 1555 bis zur Einführung der Superintendenten-Ordnung im Jahr 1671. Freder. Wigand.)


Die Geschichte der Reformation in Wismar zum Gegenstande einer Schrift, welche zur Feier des, wie in der Einladung zum Herbstexamen 1840 bewiesen worden, am 29. September d. J. zu feiernden Jubiläums der hiesigen großen Stadtschule einzuladen und das Andenken an diese Feier unseren Nachkommen zu bewahren den Zweck hat, lag zu nahe, um einen andern zu suchen, da einmal die genannte Schule ein der Reformation in unserer Stadt war, dagegen aber auch diese aus dem Kloster hervorging, in welchem nachmals die Schule gegründet wurde. Wegen dieser doppelten Beziehung wird die Wahl des in diesen vorzugsweise dem hiesigen Publikum gewidmeten Blättern gewählten Stoffes gerechtfertigt erscheinen. Der Verfasser wünschte nur eben so leicht die Form wenn nicht rechtfertigen doch entschuldigen zu können. Die Arbeit entstand inmitten vieler und mannigfaltiger Berufsgeschäfte und durch diese bedingter Studien; sie konnte also nicht ununterbrochen und mit Festhaltung der Aufmerksamkeit auf ihren Gegenstand fortgesetzt und vollendet werden. Einen andern nachteiligen Einfluss aber übte die Schwierigkeit zu den nötigen Quellen und Hilfsmitteln zu gelangen bei dem Mangel einer größeren namentlich kirchen-historischen Bibliothek in unserer Stadt. Mit dem größten Danke muss ich zwar die Liberalität der Ansichten rühmen und preisen, nach welchen mir nicht nur die hiesigen Archive, das Ratsarchiv, das Hebungsarchiv und das Archiv des geistl. Ministeriums, sondern auf alleruntertänigst erbetene Erlaubnis Hoher Regierung auch das Großherzogl. Geheime- und Haupt-Archiv zu Schwerin zur Benutzung standen, so wie das bereitwillige Zuvorkommen, durch welches die resp. Archivbehörden, hier namentlich Herr Stadtsekretär Enghart und Herr Ratsregistrator Briesemann, in der Residenz die Herren Archivare Groth und Lisch und der Herr Archivregistrator Glöckler meine Arbeit unterstüzten.*) Gleiche Gefälligkeit zeigten die Verwaltungsbehörden der Bibliotheken zu Lübeck, Hamburg, Schwerin, Rostock und Stralsund; selbst die reichen handschriftlichen Schätze des entfernten Wolfenbüttel wurden mir durch Vermittlung des Herrn Archivar Lisch zugänglich. Allein teils war, um mich dieser Hilfsmittel zu versichern, eine zeitraubende Korrespondenz erforderlich, da ich das eine oder andere Buch oft erst am zweiten oder dritten Orte erhalten konnte nach einzelnen auch wohl überall vergeblich fragte; teils musste ich mich Zwecks der Einsicht der schriftlichen Akten und Urkunden unmittelbar an Ort und Stelle verfügen, was die Amtsgeschäfte nur in den Schulferien gestatteten- wie ich denn z. B. erst in den letzten Hundstagen das Schweriner Archiv zu besuchen Zeit hatte. So lange hatte ich natürlich mit der Ausarbeitung nicht zögern dürfen, die reiche Ausbeute aber, die ich an letztgenanntem Orte oder in manchem erst spät zu meinem Gebrauch gelangten Buche fand, und welche zu benutzen ich bald hier bald dort anzusetzen und einzuschieben genötigt wurde veranlasste nun ein großes Missverhältnis zwischen den angelegten Partien, indem durch den Zufluss größeren Stoffes manche bedeutend erweitert wurden, andere in ihrer ursprünglichen kärgeren Anlage bleiben mussten. So hat denn, wenn ich den Vergleich wagen darf, die Arbeit wohl das Ansehen eines alten Schlosses bekommen, das die Vorfahren vor alten Zeiten vielleicht nach einer bestimmten Idee anlegten, die Nachkommen aber in jedem Jahrhunderte veränderten und bald da bald dort einen Flügel anbauten, so dass man den ursprünglichen Plan kaum mehr erkennt. Selbst die mannichfachen Erker und Erkerchen fehlen nicht, da ich vieles was nicht mehr zwischen den Text gebracht werden konnte, in die Anmerkungen setzen musste; wiewohl in letzteren Manches auch gleich anfangs untergebracht wurde, da ich für Leser sehr verschiedenen Interesses zu schreiben hatte und diese oder jene Nachweisung mir bloß für Gelehrte von Fach und für den Beurteiler des historischen Wertes der Darstellung oder gar nur für den Kenner der speziellen Kirchengeschichte lesenswert schien. Dass meine Arbeit unter solchen Umständen weder auf das Verdienst einer schönen Komposition noch auf das Lob eines gewandten Stils Anspruch machen darf und mithin nicht macht, versteht sich also von selbst; auch begnüge ich mich gern, wenn man nur den auf die Sache gewandten Fleiß und das Bestreben den Leser und zwar zunächst den Mitbürger mit einem wichtigen und merkwürdigen Abschnitt der Vorzeit unserer Stadt näher bekannt zu machen nicht ganz verkennen wird.

*) Über das Rostocker Stadtarchiv erhielt ich durch gefällige Bemühung des Herrn Dr. Sastrow daselbst wenigstens die Gewissheit, das dasselbe nichts meinen Zweck Förderndes enthalte.

Anlangend die Hilfsmittel, die ich außer den handschriftlichen Quellen in den Urkunden und Aktenstücken der genannten Archive benutzte, habe ich vorzugsweise die reichen, mit bewundernswürdigem Fleiß zusammengetragenen Materialiensammlungen des vor hundert Jahren hier lebenden gelehrten Archidiakonus an St. Marien, M. Dietr. Schröder und unter diesen wieder hauptsächlich einmal seine Wismarische Prediger-Historie (eine Bearbeitung und Fortsetzung eines von einem früheren hiesigen Archidiakonus M. Dan. Springinsguth aufgesetzten mit kurzen Nachrichten begleiteten Verzeichnisses der Wismarschen Prediger seit der Reformation) gedruckt Wismar 1734; so wie dessen Kirchen-Historie des Evangelischen Mecklenburgs vom J. 1518-1742, lange nach des Verfassers Tode, jedoch nur in seinen ersten drei Teilen, welche die Zeit von 1518-1581 umfassen, im J. 1788 zu Rostock in den Druck gegeben, zu Rat gezogen. Ich habe jedoch nicht unterlassen die Quellen, aus welchen Schröder geschöpft, so weit ich sie erreichen konnte, selbst aufzusuchen, wodurch mir manche Berichtigung geglückt ist. Diese Quellen so wie andere von mir benutzte Hilfsmittel hier sämtlich aufzuführen, will ich unterlassen, da ich dieselben bei den wichtigsten Stellen in den Noten zitiert habe. Nur darf ich, in Anerkennung gegen die Verfasser, die beiden neuesten, meinen Gegenstand nahe berührenden Schriften nicht unerwähnt lassen. Es sind: J. Wiggers Kirchengeschichte Mecklenburgs. Parchim und Ludwigslust 1840. 8. und De Instauratione Ecclesiae Christianae sexto decimo seculo in civitate Wismaria peracta scripsit C. Ch. Hinr. Burmeister. Rostock 1840. 4.

Wismar, im September 1841 Carl Ferdinand Crain


Der Anteil; den ein einzelnes Land oder eine einzelne Stadt an einer großen Weltbegebenheit nimmt, wird sich immer in dem Lichte der individuellen Zustände färben; in denen das Land, die Stadt sich befindet; er wird größer oder geringer sein, je nachdem sowohl die vorwaltende geistige Bildung der Teilnehmenden als auch die Interessen des materiellen Lebens mit der neuen Erscheinung harmonieren oder ihr widerstreben; er wird friedlicher; anschließender und mitwirkender, oder wenn nicht geradezu feindlicher, doch divergierender und modifizierender Natur sein.

Wäre diese Ansicht auch sonst nicht überall richtig so ließe sie sich doch unstreitig auf die Bewegung anwenden, welche mit der neuen Gestaltung der christlichen Kirche im 16. Jahrhundert ins Leben trat. Kein großes merkwürdiges Ereignis der Geschichte verdient den Namen einer Weltbewegung mehr als die durch Luther veranlasste Reformation. Sie wirkte auf den Staat wie auf das Haus, auf Fürsten wie auf Untertanen, auf Wissenschaft und Kunst wie auf Leben und Sitte; kurz nichts war so groß oder klein; so wichtig oder unbedeutend; es war dem Einfluss der Reformation zugänglich. Allein unendlich verschieden war dieser Einfluss, unendlich verschieden der Wiederschein des Scheiterhaufens; auf welchem Luther die päpstliche Bulle verbrannte; unendlich verschieden der Wiederhall; den so die deutschen Gaue; wie die fernen Länder Europas auf sein kühnes Wort ertönen ließen. Hier empfing man die Kunde der kühnen Tat mit freudigem Erstaunen; dort mit Schrecken und Furcht; hier erzeugte sie Lob und Nacheiferung; dort Wider-willen und Verdammung. Aber abgesehen davon; dass die Freunde der Finsternis; deren Trug das neue Licht aufzudecken drohte; den Reformator mit Bann und Fluch verfolgten, selbst diejenigen; in deren Herzen sein Beginnen einen zusammenstimmenden Anklang fand, blieben mit ihm nicht immer einig; Spaltungen entstanden auch in der neuen Kirche; Streit ward geführt; verketzert und verdammt wer abwich; mit einem Wort; eine große Gärung der geistigen Elemente war hervorgerufen, welche selbst nicht durch die Machtsprüche der Fürsten und Konsistorien ganz niedergeschlagen wurde, und trotz aller Konkordienformeln beweist die Geschichte der Theologie bis auf den heutigen Tag; dass wenn auch die Oberfläche jener Mischung kämpfender Ideen endlich zu einer gewissen Klarheit gelangte, doch der Grund noch immer in Bewegung blieb und es bis heute geblieben ist, so wie er es auch bleiben wird und bleiben muss, so lange die menschliche Natur bleibt was sie ist.

Doch wir haben diesen Gedanken hier nicht weiter zu verfolgen, wir haben ihn nur angeregt, um darauf zu kommen, dass, wie in jedem Lande, ja in jeder Stadt die Reformation verschieden war in ihrem Beginn und Fortgange, so auch nicht nur jedes Land, sondern auch jede Stadt ihre Reformationsgeschichte hat die um so charakteristischer und eigentümlicher sein wird, je mehr das Land oder die Stadt in den Streit der Kräfte verflochten war, durch deren allmähliche Vereinigung die neue Kirche am Ende ihre Gestalt gewann. So hat auch unsere Stadt eine Reformationsgeschichte von eigentümlichem Interesse. Und wie sollte sie nicht, mögen wir auf den leichten Ein- und Fortgang, den die neue Lehre in Wismar fand, und auf die Ursachen davon, oder mögen wir auf die kirchlichen Streitigkeiten hinsehen, die sich hier entweder entspannen oder weiter geführt wurden, wie z. B. die Kämpfe gegen die Calvinisten und Wiedertäufer; oder, mögen wir auf seine berühmten Theologen hinblicken, welche an der Spitze der gegen die Widersacher der lutherischen Lehre kämpfenden Partei standen, auf einen Freder, einen Wigand, deren Namen selbst in keiner einigermaßen ausführlichen allgemeinen Reformationsgeschichte fehlen, und durch deren Eifer die Idee einer neuen Kirche in unserer Stadt eine festere Gestalt gewann und ein bestimmter Bauplan vorgezeichnet wurde, nach welchem ihre Nachfolger das angefangene Werk fortführen konnten. Doch wir wollen durch weitere Andeutungen der folgerechten Darstellung der Begebenheiten nicht vorgreifen und die Geschichte der Reformation in Wismar selbst beginnen.

Die Reformation der christlichen Kirche in Wismar - Titel

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