Die Letzten des adligen Geschlechts von Stove oder Stave.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Stavenhagen, Stove, Stave, Avenak, Ivenak, Kloster
Stavenhagen wurde von dem Ritter Reimbern von Stove oder Stave, von welchem es seinen Namen entlehnt hat, gegründet, etwa um das Jahr 1252, als derselbe auch das Zisterziensernonnenkloster Avenack stiftete. Die feste Burg dieses Ritters und seiner Nachkommen lag dort, wo das jetzige Amtsgebäude in Stavenhagen, das sogenannte Schloss, liegt, und war mit Wällen, deren Spuren im heutigen Schlossgarten noch deutlich zu erkennen sind, und anderen Befestigungswerken umgeben.

Von dem Untergang des Geschlechts von Stave erzählt man sich folgende Sage:

Die letzten Stammhalter dieser edlen Familie waren zwei Brüder, von denen der Eine auf seiner Burg zu Stavenhagen, der Andere, als Stiftsherr des adligen Fräuleinklosters, zu Ivenack lebte. Ihre einzige Schwester, in der, bei einer schönen Körpergestalt, alle weiblichen Tugenden vereint zu sein schienen, hielt das lockere Band der brüderlichen Liebe noch einigermaßen zusammen; trotzdem zerriss es oft, und wilder Zank und Streit, durch die Verschiedenheit ihrer Charaktere hervorgerufen, brach häufig zwischen den beiden Brüdern aus.

Eines Tages besuchte der Ivenacker den Stavenhäger auf seiner Burg und gab, ohne es zu wollen, durch ein zufällig hingeworfenes Wort wiederum Veranlassung zum Ausbruche brüderlicher Uneinigkeit. Ein heftiger Streit entspann sich, und mit dem Ausrufe, dass nur Einer von ihnen den Platz lebend verlassen dürfe, griff man endlich zum Schwerte. Wild wogte der Kampf, als die Schwester, durch die lauten Stimmen und das Waffengeklirr herbeigezogen, mit einem Schrei in die Halle stürzte und sich zwischen die Kämpfenden warf, ohne die Gefahr zu achten. Aber der auf's Heftigste entbrannte Zorn der Brüder kannte keine Grenzen; sie senkten nicht einen Augenblick die Schwerter — in blinder Kampfeslust erstachen sie die eigne Schwester. Jetzt erst kamen sie zur Besinnung. Herzzerreißend war ihr Jammer, als das von beiden so zärtlich geliebte Wesen mit leiser Stimme die letzten Worte: „Lebt wohl und gedenkt Eurer Schwester!" über die bleichen Lippen hauchend, stumm und starr vor ihnen lag, Sie verwünschten sich gegenseitig, verfluchten ihr Dasein und schwuren mit einem fürchterlichen Eide, sich auf dieser Erde niemals wieder zu sehen.

Jahre waren vergangen und die feindlichen Brüder hatten ihren Schwur gehalten. Die Alles heilende Zeit hatte indessen ihren Schmerz um die ermordete Schwester gemildert, und der gegenseitige Hass, der in dieser Absperrungszeit ohne Nahrung geblieben war, musste zuletzt der in ihren Herzen wiederum aufkeimenden brüderlichen Liebe weichen. Es entstand der Wunsch in ihnen, sich endlich, nach so langer Zeit der Trennung, auszusöhnen und fernerhin einträchtig beisammen zu leben. Um aber dem Gelübde, sich auf dieser Erde nicht wieder zu sehen, treu zu bleiben, hatten die beiden Brüder brieflich beschlossen, einen unterirdischen Gang zwischen Stavenhagen und Ivenack, unter dem Ivenacker-See, zu bauen, in der Mitte desselben eine Grotte anzulegen und dort den Versöhnungsakt zu feiern.

Die Arbeit war beendet, und die Brüder hatten sich an dem festgestellten Tage durch die entgegengesetzten Mündungen zur Mitte des Ganges begeben. Kaum aber hatten sie sich die Hände gereicht und die ersten Bewillkommnungsworte gewechselt, als über ihren Häuptern ein seltsames Geräusch hörbar ward. Einem fürchterlichen Donnerschlage zu vergleichen, stürzte die Decke der Grotte ein und begrub unter ihrem Schutte die Brüder. Unaufhaltsam drängten sich nun die brausenden Wogen des Ivenacker Sees durch diese Öffnung, setzten den ganzen Gang unter Wasser, weichten die erdigen Wände des Baues auf und zerstörten das in wenigen Minuten, zu dessen Herstellung Menschenhände ein volles Jahr nötig gehabt hatten.

Die Leichen der Brüder konnten natürlich nie ans Tageslicht geschafft werden; denn als das flüssige Element durch die Mündungen des Ganges hervorsprudelte, hatte man nichts Eiligeres zu tun, als dieselben durch eine dicke, feste Mauer für immer zu verschließen.

Das war die rächende Vergeltung und das Ende der feindlichen Brüder, mit denen das von Stave'sche Geschlecht erlosch, da Beide kinderlos gestorben waren.

Die vermauerten Öffnungen des unterirdischen Ganges sind bis auf den heutigen Tag erhalten. Die eine befindet sich unterhalb der kleinen Villa im Ivenacker Schlossgarten, die andere im Keller des Amtsgebäudes zu Stavenhagen.