Die Kette an der Kirchentüre zu Wesenberg.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage,
An der Kirchentüre zu Wesenberg befindet sich ein Schmuck ganz eigener und seltener Art, eine recht geschickt gearbeitete und konstruierte Kette, die weder Anfang noch Ende zu haben scheint. Über den Ursprung derselben lebt im Munde des Volkes nachstehende Sage fort, die mir von meinem lieben Karl P., dessen Heimat das gute Wesenberg ist, mitgeteilt worden, und den ich deshalb also selbst reden lasse:

„Vor langen Jahren wünschten die ehrsamen Bürger von Wesenberg ihre Kirche auf irgend eine besondere Weise zu verzieren. Zu diesem Zwecke wurde ein dortiger Schmiedemeister (Andere erzählen, dass es ein Schlossermeister war) beauftragt, eine lange stattliche Kette anzufertigen, die dann an der Kirchentüre befestiget werden sollte.

Der Meister machte nun darauf eine derartige und zeigte sie dann, sich im Stillen selbst über das eigene Werk, das ihm so manchen Tropfen Schweiß gekostet hatte, freuend, der verehrlichen Ortsobrigkeit vor. Aber oh Schreck! man tadelt dieselbe nicht nur, sondern weiset sie sogar ganz zurück, mit dem Bedeuten, eine zweite, bessere zu arbeiten. Der arme verblüffte Mann geht, sich vor Verdruss in den Kopf kratzend, wieder nach Hause; lässt es sich aber dennoch nicht verdrießen, frisch bei einer neuen Kette zu beginnen. Endlich ist auch diese wieder fertig und triumphierend bringt er sie den Repräsentanten der Stadt. Aber was geschieht, auch diese wird getadelt, ist hier und da nicht gut genug etc., kurz es heißt: ändere und mache sie besser! Noch einmal geht der bestürzte Schmied unermüdet an die Arbeit, bessert die hervorgehobenen Makel und Mängel auf das Sorgfältigste aus, putzt sie auf das Sauberste und bringt sie nun zum dritten Male aufs Rathaus, sich endlich des Sieges und des darauf folgenden Lohnes ganz gewiss glaubend. Doch die mäkligen Senatoren sind auch jetzt noch nicht damit zufrieden und befehlen, nochmals eine ganz andere zu machen. Das scheint unserm betrogenen Meister aber doch allzu toll; zornig wirft er den Herren die Kette vor die Füße, und fluchend ausrufend: „So möge Euch der Teufel eine bessere machen!" geht er davon.

Und oh Wunder! was er gesagt, geschah, sein Ausspruch ist erfüllt; denn als am andern Morgen die Wesenberger frisch erstehen, sehen sie mit Staunen und Grausen eine Kette, ohne Anfang und Ende, an der Türe ihrer Kirche hängen, und sich bekreuzend raunt das Volk einander in die Ohren, dass sie der Teufel dort über Nacht befestiget habe."

Wird dies auch heute noch von Vielen geglaubt, so gibt es doch auch schon lange Zweifler, die da annehmen und behaupten, dass der Schmied selbst derjenige war, der in der Nacht dies Wunder getan und die Kette dort selbst, wo sie noch heutiges Tages sich befindet, befestiget habe.

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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