Die Juden in Mecklenburg im Kampfe um ihre staatsbürgerlichen Rechte

Zur Geschichte der Juden in Mecklenburg
Autor: von einem Christen, Erscheinungsjahr: 1847
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Geschichte der Juden, Sternberg, Judenverfolgung, Gleichberechtigung, Emanzipation, Judentum, Christen, Glauben, Religion
Im Mittelalter war das Verhältnis zwischen Juden und Christen ein durchweg feindseliges. Der Jude, lediglich auf Handel und Wucher angewiesen, hasste den Christen wegen der Bedrückung, welche er von diesem erlitt, und der Christ hasste wiederum den Juden wegen seiner Übervorteilung, seiner Kriecherei und seines Unglaubens nach damaligen Begriffen. Wie im gesamten Deutschland, so war auch dieser Zustand in Mecklenburg, und Judenverfolgungen kamen hier so gut wie in anderen Ländern vor. Weil die Juden zu Sternberg i. J. 1492 nach damals allgemein herrschenden Vorurteilen beschuldigt wurden, bei Gelegenheit einer Hochzeitsfeier zwei geweihte Hostien mit Nadeln durchstochen zu haben, wurden daselbst am 24. Oktober genannten Jahres 25 jüdische Männer und 2 Frauen lebendig verbrannt und darauf sämtliche Juden aus dem Lande vertrieben. Dagegen taten die Rabbinen Mecklenburg in den Bann, so dass erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, unter dem Herzoge Christian I. Louis, sich die ersten Juden in Mecklenburg, und zwar in Schwerin, wieder ansiedelten. Seit jenem Zeitraum hat sich die Anzahl derselben in Mecklenburg allmählich vermehrt, so dass jetzt gegen 5.000 derselben in beiden Großherzogtümern leben mögen. Der alte Glaubenshass zwischen Christen und Juden ist verschwunden; beide Religionsgesellschaften bestehen friedlich neben einander, und von nicht wenigen Christen sind die Emanzipationsbestrebungen der Juden unterstützt und gefördert worden.

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Unter dem 22. Februar 1813 hatte der hochselige Großherzog Friederich Franz eine landesherrliche Konstitution zur Bestimmung einer angemessenen Verfassung der jüdischen Glaubensgenossen in Mecklenburg-Schwerin erlassen. In derselben wurden den Juden in staatsbürgerlicher Hinsicht fast gleiche Rechte mit den Christen verliehen, ja selbst Ehen zwischen Christen und Juden sollten nicht unverboten sein. In Folge wiederholter dringender Vorstellungen von Seiten der Stände wurde jedoch diese Konstitution unter dem 11. September 1817 bis zum Erlass allgemeiner Bestimmungen der Bundes-Versammlung landesherrlich suspendiert und die Juden traten notgezwungen in ihr altes Schutzverhältnis zurück. Die erwarteten Bestimmungen der Bundes-Versammlung sind jedoch nicht erschienen, wohl aber sind von den Juden in Mecklenburg verschiedentlich Versuche gemacht worden, mit den christlichen Bewohnern des Landes wiederum gleiche Rechte zu erlangen. Auch auf den Landtagen kamen mehrfach die staatsbürgerlichen Verhältnisse der Juden zur Verhandlung. So auf den beiden Landtagen von 1828 und demjenigen von 1830. Alle seitdem vorgeschlagenen und getroffenen Maßregeln wurden indes nur als Übergangsmaßregeln bezeichnet, um die Juden zum Genuss voller Bürgerrechte reif zu machen. Dies sind sie im Laufe der Jahre denn auch geworden; denn wenn auch seit jener Zeit bis zum Jahre 1846 von Seiten der Landesherren keine weiteren Mitteilungen. Zwecks Fortrückung der Gesetzgebung an die Stände gelangt sind, so haben doch die Regierungen auf mancherlei Weise die politische Fortbildung der Juden zu unterstützen gewusst. Am meisten ist dies wohl im Großherzogtum Schwerin geschehen, wo durch die Einsetzung eines Oberrats, die Einführung einer Synagogen-Ordnung, durch Verbesserung des Religionsunterrichts der israelitischen Jugend, durch die Entfernung der Hindernisse, welche den Juden bisher im Handwerksbetriebe entgegen fanden, so wie durch Errichtung eines Handwerkervereins, endlich durch Aufhebung des noch aus den Zeiten des Mittelalters herstammenden Schutzgeldes die Juden zur Gleichstellung mit den Christen befähiget wurden. Die mecklenburg-schwerinsche Regierung beabsichtigt indessen noch weiter zu gehen. Sie will, dass das im § 377 des landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs begründete Verbot der Erwerbung von Grundeigentum von Seiten der Juden rücksichtlich aller städtischen Grundstücke aufgehoben werde; dass ferner das bestehende Schutzverhältnis der Juden in Rücksicht auf die Ausübung bürgerlicher Gewerbe aufgehoben und einheimische Juden befähigt erklärt werden, gleich christlichen Untertanen, das Einwohner- und Bürgerrecht (ohne dass es dazu eines landesherrlichen Schutzbriefes bedarf) zu der Folge zu erwerben, um aller damit verbundenen gewerblichen Rechte teilhaftig, aber auch zu den nämlichen Leistungen verpflichtet zu werden, wozu christliche Untertanen unter denselben Verhältnissen verpflichtet find; und endlich, dass den Juden die Zulassung zur Advocatur unter denselben Bedingungen wie christlichen Untertanen allgemein gestattet werde. Dagegen soll es den Juden auch ferner benommen sein, weiteren als städtischen Grundbesitz zu erwerben, die Apotheker-Profession auszuüben und richterliche Funktionen zu versehen, und wird hierzu die Beistimmung der Stände von den Landesherren erwartet.

Wenn nun die bereits erfolgte Aufhebung des Schutzgeldes, so wie die ihnen zugedachte Erweiterung ihrer staatsbürgerlichen Rechte von den Juden auch in deren ganzem Wert erkannt und geschätzt worden ist, so kann man es denselben doch nicht verargen, wenn sie die ihnen fernerhin aufzuerlegenden Beschränkungen auf jede mögliche Weise von sich abzuwenden suchen. Die mecklenburgischen Juden sind Kinder des Landes, so gut wie die christlichen Untertanen. Mögen einst vor Jahrhunderten ihre Vorfahren auch eingewandert sein, so sind doch die gegenwärtigen mecklenburgischen Juden für einheimisch, für Mecklenburger anzusehen; sie wurden im Lande geboren und erzogen, sie atmen dieselbe Luft, die wohnen in denselben Städten, die gehorchen denselben Gesetzen, sie erkennen und verehren denselben Fürsten, wie die Bekenner der christlichen Lehre in Mecklenburg. Sie sind keine Fremdlinge im Lande mehr; Mecklenburg ist ihre Heimat, und diesem anzugehören ist ihr Stolz und ihre Freude. Warum also sie in ihren Rechten beschränken, warum ihnen nicht dieselben Vorteile gewähren, wie den Christen, da sie doch dieselben Pflichten wie diese zu erfüllen haben? Der Jude soll keinen ländlichen Grundbesitz erwerben, er soll nicht Gutsbesitzer, soll nicht Landstand werden können. Muss es ihm freilich vorenthalten sein, Patronatsrechte über christliche Kirchen selbst auszuüben, so ist doch der Grund nicht einzusehen, dass ihm die Erwerbung eines ländlichen Besitzes überhaupt untersagt bleiben sollte. Glaubte die Regierung etwa, mit dem ganzen auf Humanität begründeten Gesetze bei den Ständen zu scheitern, wenn sie den Juden auch Erwerbung ländlichen Grundbesitzes gestatten würde? Die mecklenburgischen Landstände sind selbst human genug, um jüdische Gutsbesitzer gerne als Genossen zu erkennen. Es fehlt das Gesetz nur, welches ihnen dieses gestattet, und die Zeit wird das Gesetz schon bringen. Es leben in Mecklenburg jüdische Gutsbesitzer, welche ihren Grundbesitz in den Jahren 1813–1817 erworben haben. Man hat niemals gehört, dass sie ihre Gutsangehörigen schlechter behandelt hätten, als christliche Gutsherren. Auch aus anderen Ländern, wo die Juden Grundeigentum haben, ist dergleichen nie vernommen worden; im Gegenteil, so wie der Jude seine Leute überhaupt gut zu halten pflegt, sind die Gutsangehörigen mit jüdischen Herren oft zufriedener als mit christlichen gewesen. Die Religion kann hier durchaus nicht in Betracht kommen; denn so wie der Jude den Bürgereid zu leisten im Stande ist, so kann er auch den Lehneid schwören. Der Jude glaubt wie der Christ, dass Gott ein gerechter Richter ist, der in diesem wie im ewigen Leben die Tugend belohnt und das Laster bestraft. Der Jude wird also auch seinen Eid nicht minder heilig halten wie der Christ.

Der Jude soll weiter die Apotheker-Profession nicht ausüben und zwar aus rituellen Gründen. Über diesen Punkt sprechen sich die jüdischen Mitglieder des Oberrats in einer an die Großherzogliche Regierung gerichteten. Bitte folgendermaßen aus: Es ist nicht wohl einzusehen, welche rituelle Gründe dem Juden die Ausübung der Apotheker-Profession unmöglich machen, und warum es diesem am Sabbat weniger gestattet sein solle, die Medikamente nach ärztlicher Vorschrift zu bereiten, als dem Arzte die Ausübung seines Geschäfts am Sabbat erlaubt ist. Wir müssen gegen eine solche Ansicht von unserer Religion um so entschiedener uns verwahren, als diese gerade in Bezug auf die Sabbatfeier den Grundsatz aufstellt, dass dieselbe in allen die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit betreffenden Fällen zurückzutreten habe. Der Ausspruch Matthäi: „Des Menschen Sohn ist ein Herr auch über den Sabbat“, findet sich auch im Talmud in Beziehung auf Menschen wohl ausgedrückt mit den Worten: „Der Sabbat ist euch, ihr aber nicht dem Sabbat überantwortet worden“, und mag es unentschieden bleiben, ob dieser schöne Grundsatz ursprünglich dem älteren Judentum oder dem jüngeren Christentum angehöre, so besitzen ihn doch faktisch beide Konfessionen. Sagt also die oberste geistliche Behörde der Juden, sagt der jüdische Oberrat selbst, dass eine Religion der Ausübung der Apotheker-Profession nicht im Wege stehe, wie sollte dann der Christ etwas für jüdische Glaubensgenossen Nichtgeeignetes darin finden können? Auch wir halten den Sonntag heilig, auch wir ruhen an ihm von der Arbeit der Wochentage aus; aber so wie wir gerne bereit find, auch am Sonntage unseren Nebenmenschen, wenn es Not tut, Hilfe und Beistand zu leisten, so lässt sich von den Juden dieses nicht minder erwarten. Die tägliche Erfahrung liefert den Beweis dafür. Der jüdische Arzt ist am Sabbat so gut wie an jedem andern Tage am Krankenbette zu finden, und wollte ein jüdischer Apotheker sich aus konfessionellen Gründen jemals der Ausübung seines Geschäfts entziehen, so würde es nicht an Mitteln fehlen, ihn zur Erfüllung seiner, dem Gemeinwohl schuldigen Pflichten zu zwingen, gleich wie man einen christlichen Apotheker zwingen würde, auch am Sonntage zu dispensieren.

Ähnliches gilt von dem Satze, dass der Jude keine richterliche Funktionen ausüben soll. Hat der Jude sich so viel Rechtskenntnisse erworben, dass man ihm die Advokaten-Matrikel erteilt und die Führung von Clientelen gestattet, weshalb will man ihn denn nicht zum Richteramte gelangen lassen, vorausgesetzt, dass er im Examen die nötigen Kenntnisse dazu dargelegt hat? Konfessionelle Gründe werden den Juden eben so wenig davon abhalten, am Sabbat ein Richteramt auszuüben, als sich annehmen lässt, dass er weniger gerecht sein werde, als der christliche Richter. Auch der Jude glaubt, dass dereinst alle Menschen den ewig einzigen Gott anbeten und verehren, und in Bruderliebe vereinigt, sich Kinder eines Gottes, eines Vaters nennen werden. Mag er immerhin diese Zeit die Zeit und das Reich des verheißenen Messias nennen, so sind doch allgemeine Menschenliebe, Erfüllung der dem Nächsten schuldigen Pflichten, Redlichkeit, Treue, Gewissenhaftigkeit für ihn eben so heilige Gebote als für den Christen. Auch der Jude verheißt an geweihter Stätte, Gott zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus allen Kräften, und in der Liebe zu ihm auch einen Nächten – wessen Glaubens und Bekenntnisses er immer sei – zu lieben wie sich selbst. Dass aber der Jude dieses in jedes Menschen Herz geschriebene Gebot gegen eine christlichen Mitbrüder erfülle, davon zeugt das ganze gemeinnützige Streben der Juden in der Gegenwart, davon zeugen die Wohltaten, die er christlichen Armen – oft nur in der Stille – zukommen lässt. Warum ihm also Verrichtungen entziehen, die zu erfüllen er befähigt ist; warum ihm Rechte entziehen, auf welche er mit dem Christen die gleichen Ansprüche hat? Oder sollte man wirklich, wie von manchen Juden behauptet wird, durch die Entziehung seiner angeborenen Rechte den Juden zum Konfessionswechsel, zur Annahme des Christentums zwingen wollen?

Glaubenszwang!

Fort mit dem Gedanken! Er ist des Christen, des protestantischen Christen nicht würdig. Wohl hat der Jude um seines Glaubens willen schon viel gelitten. Ausgetrieben aus dem Lande der Verheißung, umhergestoßen durch alle Länder der Erde, geschmäht, geknechtet überall, ist er seinem Glauben doch treu geblieben. Das ist es, was wir an der jüdischen Glaubensgenossenschaft zu ehren haben, dieser Glaubenstreue, mit der fiel der Lehre ihrer Väter angehangen hat. Und diese Lehre, ist sie nicht geläutert worden von den Schlacken, welche eine frühere Zeit ihr angeheftet hatte? Das Judentum hat, gleichwie das Christentum, die Befugnis, seine Religion für den wahren Glauben zu halten. Beide Bekenntnisse wissen in ihrer reinen Auffassung weder von einem Glaubenszwange, noch von einer Glaubensverfolgung, und wollen lediglich durch die Macht der Wahrheit und inneren Überzeugung siegen. Die Zeiten des Mittelalters, wo man den Juden hasste, weil ein Gott ein anderer war als der des Christen, sind vorüber; die Zeiten, wo man ihn schmähte und verfolgte, weil er nur Schacher und Wucher trieb und weil man sich von ihm übervorteilt hielt, werden nie wiederkehren. Die allgemeine Bildung ist, sobald die Schranken fielen, welche die Juden von derselben fern hielten, auch zu diesen eingekehrt, und unter allen Ständen, vom Gelehrten bis zum Handwerker herab, finden wir Juden, die, wenn sie Christen wären, dem christlichen Staate zur Ehre und zum Ruhme gereichen würden.

Als am 24. Oktober 1492 die Juden zu Sternberg mit festem Mute, ohne Widerstreben und Wehklagen, auf den Judenberg geführt wurden, um dort mit alten heiligen Gesängen ihr Leben auszuhauchen, redete der Herzog Magnus den Juden Aaron mit den Worten an: „Warum folgt du nicht unserem heiligen Glauben, um durch die Taufe mit uns gleicher himmlischer Seligkeit zu genießen?“ Da entgegnete Aaron: „Edler Fürst, ich glaube an den Gott, der Alles kann und Alles geschaffen hat, an ihn, dessen Verehrung unseres Volkes Vater Abraham und sein Sohn Isaak und unsere anderen Vorfahren, welche nie von unserem Glauben abgefallen sind, geboten haben. Er, so glaube ich, ließ mich Mensch werden und Jude. Hätte er mich zum Christen haben wollen, so hätte er mich nicht meinem heiligen Bekenntnisse zugewandt. Wenn es ein Wille gewesen wäre, hätte ich ein Fürst sein können wie Du!“

Darum, du Volk Israel, lasse nicht ab im Kampfe um deine staatsbürgerlichen Rechte. Wie deine Vorfahren den Tod um ihres Glaubens willen nicht scheuten, so scheue auch du nicht Streit, Opfer und Gefahr, um dasjenige zu erlangen, was der Christ bisher dir vorenthalten hat. „Mein Schein ist mein Recht“, sagt Shylok im Kaufmann von Venedig. Dein Recht ist deine Geburt. Das Land, welches dich erzeugt, genährt und erzogen hat, ist verpflichtet, dir dieselben Rechte zu gewähren, die es einen übrigen Angehörigen bewilligt hat. Nicht des Juden Schuld ist es, dass er Jude geworden, eben so wenig, wie es dem Christen ein Verdienst sein kann, dass er Christ ist. Ihre Geburt ist ihr Recht; sie haben beide die gleichen Ansprüche an den Staat, dem sie dienen. Gerechtigkeit und Gewissensfreiheit sind Heiligtümer, welche in keinem zivilisierten Staate je verletzt werden sollten.

Schwerin - Am Pfaffenteich

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Schwerin - Stadtansicht - Schloss - Hoftheater

Schwerin - Stadtansicht - Schloss - Hoftheater

Schwerin - Totalansicht

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Schweriner Schloss

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Friedrich Franz, Großherzog von Mecklenburg-Schwerin

Friedrich Franz, Großherzog von Mecklenburg-Schwerin

Sabbatanfang, Moritz daniel Oppenheimer 1867

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Sabbat, Samstagmorgen

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