Die Insel Wollin und das Seebad Misdroy - 10. Pommern und die Insel Wollin werden im dreizehnten Jahrhundert ein deutsches Land.

Historische Skizze
Autor: Raumer, Georg Wilhelm von (1800-1856) preußischer Verwaltungsbeamter und Direktor des geheimen Staatsarchivs, Erscheinungsjahr: 1851

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Pommern, Insel Wollin, Fischerdorf Misdroy, Seebad, Handelsstadt, Oder, Ostsee, Lokalgeschichte, Landesgeschichte, Kulturgeschichte, Norddeutschland, Lebensweise, Landbau, Landwirtschaft, Ackerbau, Gutsbesitzer, Forstwirtschaft, Ackerwirtschaft, Volk, Volkswirtschaft, Gesellschaft, Produktion, Ursache und Wirkung, Bodenkultur, Inselbewohner, Ostseestrand, Badeort, Seebad
Es ist schon bemerkt, dass der Umstand, dass Pommern im zwölften Jahrhundert von Deutschland aus zum Christentum bekehrt wurde, bewirkte, dass es mit dem deutschen Reich in eine innige Verbindung trat, ja selbst ein ganz deutsches Land wurde. Dazu trug besonders bei, dass alle Klostermönche und die gesamte christliche Geistlichkeit von Geburt Deutsche waren; hauptsächlich aber bewirkten die mit dem Ende des zwölften und bis gegen den Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts zahlreich eingeführten Kolonien aus der Mark Brandenburg und Niedersachsen, dass in verhältnismäßig kurzer Zeit deutsche Sprache, Sitten und Kultur herrschend wurden. Die Umwandlung betraf zunächst die Städte, welche durchweg deutsche Verfassung und Einrichtung, Zünfte und Magistrat erhielten, so auch die Stadt Wollin; die alten slawischen Bewohner verschmolzen entweder, namentlich die Wohlhabenderen, mit den deutschen Einwanderern und Handwerkern oder sie zogen sich in die Vorstädte zurück, wie denn der aus Fischern bestehende Amtswyck vor Wollin slawischen Ursprungs ist. Auch deutsche Dörfer wurden ganz neu angelegt, die sogenannten Hagendörfer, doch sind dergleichen auf der Insel Wollin nicht nachzuweisen. *) Auf dieser Insel trat dagegen zu dem altslawischen Element der Bevölkerung und zu den einzelnen eingewanderten Deutschen noch ein drittes Element hinzu, nämlich dänische Kolonisten. Dergleichen werden 1174 in einer Urkunde ausdrücklich erwähnt, und das Dorf Dannenberg soll ihnen seinen Namen verdanken. Eine Urkunde vom Jahre 1208 erwähnt slawische Wirtshäuser, dann eigene deutsche und dänische Wirtshäuser, **) so dass jede Nation nach ihrer Sitte Unterkunft fand. Gewiss ist, dass auch ein Teil des pommerschen Adels deutscher Herkunft ist, der Familienname allein entscheidet darüber freilich nicht, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass die auf der Insel Wollin und besonders auf dem rechten Ufer der Dievenow von alten Zeiten her ansässige Familie von Flemming, vielleicht auch die alte Familie von Apenburg zu Tonnin deutscher Herkunft sind.

*) Auf Lubins Karte von 1618 ist das Dörfchen Hagenkeit bei Mokratz mit einer Umzäunung gezeichnet, soll es ein altes Hagendorf bedeuten?
**) Tabernae more gentis suae (der Slawen) sive teutonicorum aut danorum.


Doch sind die Namen der meisten Zeugen des Adels in Urkunden bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts echtslawische und unzweifelhaft ist ein großer Teil des pommerschen Adels altslawischen Ursprungs. Die deutsche Geistlichkeit trug besonders dazu bei, dass die verschiedenen Völkerstämme verschwanden und die plattdeutsche Sprache und Sitten die anderen Nationalitäten verdrängten, sie gab sich alle Mühe, dass das rohe und der christlichen Sitte ungewohnte Volk *) sich letzterer mehr und mehr anbequemte und einzelne deutsche Ausdrücke, die seit dem zwölften Jahrhundert in Urkunden erscheinen, z. B. Schiffe, die Koggen und Schuten genannt werden, **) breiteten sich allmählich so aus, dass schon gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts das Deutsche als Vulgärsprache ***) bezeichnet wird und die altslawische Sprache an der Küste von Pommern bald ganz verschwunden war und nur einzelne slawische Bezeichnungen übrig geblieben sind. Aus dieser durch deutsche Kultur verschmolzenen Verschiedenartigkeit der Nationalitäten hat sich der heutige Charakter des Vorpommern entwickelt, indem ihm die slawische Zähigkeit, der deutsche bedächtige Ernst und der Mut des dänischen Schifffahrers geblieben sind. Die Verschmelzung geschah, wie bemerkt, hauptsächlich durch die christliche Kirche; auf der Insel Wollin bestanden zunächst in der Stadt Wollin mehrere bereits erwähnte Kirchen, in welche zum Teil auch benachbarte Amtsdörfer eingepfarrt waren, auf den entlegeneren herzoglichen Amtsdörfern wurden eigene Kirchen erbaut, z. B. in Koltzow, dessen mit doppelten Bogenstellungen im Schiff versehene alte Dorfkirche noch erhalten ist. Für sämtliche im zwölften Jahrhundert dem Probst von Camin übergebenen, zum Schloss Lebbin gehörigen Dörfer wurde eine Kirche zu Lebbin gestiftet, in welche noch heutigen Tages alle ehemaligen Probsteidörfer eingepfarrt sind, endlich stiftete der Adel auf einigen seiner Güter Kirchen, über welche er dann das Patronat behielt. Übrigens muss man für die Zeit des dreizehnten Jahrhunderts in Pommern gar sehr die Küstenstriche von dem Inneren des Landes unterscheiden; Pommern hatte damals die größte Ähnlichkeit mit Nordamerika, die Meeresküste und die Ufer der größeren Flüsse, zumal der Oder, waren bevölkert, zivilisiert und mit deutschen Städten besetzt, im Inneren des Landes gab es ausgedehnte Urwälder, die erst allmählich, teils durch den Landesherrn, teils durch die Klöster und den Adel, mit Kolonien besetzt und in Kultur gebracht wurden.

*) Plebs rudis in disciplina fidei Christianae et indocta heißt es in einer Urkunde von 1182.
**) Urk. von 4194, 1214.
***) Teutonice et vulgariter nuncupatur etc. heißt es in Urk.


Mit der Verwandlung von Pommern in ein deutsches Land ging Hand in Hand, dass die Landesfürsten, die altslawischen Knesen, sich in deutsche Reichsfürsten verwandelten, *) einen Hofstaat von deutschem Adel um sich versammelten, deutsche Hofsitte, und was besonders zu beachten ist, die deutsche Regierungsweise annahmen. Mit dieser verschwand denn die altslawische Kastellanei-Verfassung im Lauf des dreizehnten Jahrhunderts und nur einzelne Spuren, z. B, die Landvogteigerichts-Verfassung, blieben davon zurück. Seit dieser Zeit werden daher auch Kastellane von Wollin nicht mehr erwähnt; auf dem Schloss residierte dagegen ein Schlosshauptmann oder Amtshauptmann und beaufsichtigte und verwaltete nach deutscher Administrationsart die zum Amt gehörigen Vorwerke und Dörfer, hob die Gefälle ein und lieferte den Überschuss teils in Naturalien, teils in Gelde, an die herzogliche Amtskammer zu Stettin ab. So bildete sich seit dem dreizehnten Jahrhundert die Landesverwaltung von Pommern so aus, wie sie im Wesentlichen bis zum Aussterben der herzoglichen Familie im siebzehnten Jahrhundert bestanden, seit welcher Zeit die alte Naturalienwirtschaft dem neueren Geld- und Pachtsystem Platz gemacht hat.

*) Dazu gehört die Errichtung von Erbhofämtern im vierzehnten Jahrhundert, wobei die von Flemming zu Leutzin auf der Insel Wollin Erbmarschälle von Hinterpommern wurden, welche Würde sie noch besitzen.

Raumer, Friedrich Ludwig Georg von (1781-1873) deutscher Historiker und Politiker.

Raumer, Friedrich Ludwig Georg von (1781-1873) deutscher Historiker und Politiker.