Die Insel Wollin und das Seebad Misdroy - 01. Blick auf die vorhistorische Zeit und die Urbeschaffenheit der Insel Wollin.

Historische Skizze
Autor: Raumer, Georg Wilhelm von (1800-1856) preußischer Verwaltungsbeamter und Direktor des geheimen Staatsarchivs, Erscheinungsjahr: 1851

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Pommern, Insel Wollin, Fischerdorf Misdroy, Seebad, Handelsstadt, Oder, Ostsee, Lokalgeschichte, Landesgeschichte, Kulturgeschichte, Norddeutschland, Lebensweise, Landbau, Landwirtschaft, Ackerbau, Gutsbesitzer, Forstwirtschaft, Ackerwirtschaft, Volk, Volkswirtschaft, Gesellschaft, Produktion, Ursache und Wirkung, Bodenkultur, Inselbewohner, Ostseestrand, Badeort, Seebad, Usedom, Rügen, Bernstein, Jurakalk, Bernsteinbaum, Baumharz
Unsere Erkenntnis *) der südbaltischen Länder dringt, gestützt auf stumme Zeugen der Erde, bis in die Zeit vor, wo, nachdem der Granit sich erzeugt und die sekundäre Formation des Erdbodens mit der ihr angehörigen Pflanzen- und Tierwelt **) schon untergegangen und überdeckt war, auf deren Trümmern sich eine dritte, die sogenannte tertiäre Bildung der Erdoberfläche gebildet hatte.

Bis vor Kurzem kannte man in Pommern nur eine jüngere Diluvial- und Alluvial-Bildung, welche in ungeheurer Mächtigkeit das ältere Gebilde überschwemmt hat; erst neuerdings ist ein Antediluvial- Gebilde bekannt geworden, dem Jura-Kalk angehörig.

*) Wenn ein Laie in der Geologie unternimmt, das zusammenzustellen, was sich ihm als Resultat bisheriger Forschungen ergeben hat, so kann es nur unter Vorbehalt weiterer Berichtigung der Gelehrten vom Fache geschehen.
**) Von einer Steinkohlen-Flora und älteren Versteinerungen ist daher in Pommern keine Rede.


Der verdienstvolle Klöden*) hat nämlich zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass bei dem Dorfe Fritzow unweit Camin ein Oolith-Kalk zu Tage liegt, welcher sich sonst in größerer Tiefe durch Pommern hindurchzieht. Zwar kannten ältere Schriftsteller diesen Kalk schon, ohne ihn jedoch nach damaliger Lage der Wissenschaft als Jurakalk erkennen zu können, was erst durch Klöden und Gumprecht **) dadurch geschehen ist, dass man in diesem Kalk Versteinerungen entdeckte, Welche nur im Oolith vorkommen ***) und höchstwahrscheinlich ist dieser Fritzower Kalk der letzte Ausläufer eines von Polen aus streichenden Oolithgebirges, das zu den obersten Schichten des Jurakalks gehört. Die Erzeugung auch dieses älteren Kalkes gehört ursprünglich dem Meere an, teils durch Niederschläge, teils und hauptsächlich durch Muscheln und andere Seetiere, welche aus Kalk in der See ihre Gehäuse bildeten, wie der Mensch sein Knochengerüst.

Über diesen Jurakalk lagerte das Meer, lange vor Erschaffung des Menschen, Schichten ab, wozu vermutlich mehrfache Hebungen und Senkungen das Meiste beitrugen. ****) Die Kreidefelsen der Insel Rügen und die jüngeren Kalklager bei Stengow auf der Insel Wollin, aus denen seit mehreren Jahrhunderten und bis auf den heutigen Tag ein sehr guter Kalk gebrannt wird, gehören solchen Meeresablagerungen an, wie die darin gefundenen Muscheln beweisen.

*) In Karstens Archiv der Mineralogie und dann in den Baltischen Studien Bd. 3.
**) Gumprecht zur geognostischen Kenntnis von Pommern in Karstens Archiv der Mineralogie. 1846.
***) Auch im braunroten eisenschüssigen Sande der Insel Gristow liegen oolithische Versteinerungen.
****) Merkwürdig dafür ist die beobachtete Hebung der schwedischen Küste der Ostsee. Welchen Einfluss diese mit der Zeit auf die pommersche Südküste üben kann, steht noch dahin.


Eine dieser abgelagerten Schichten bestand in einem blauen Ton und auf ihr wuchs vermutlich *) der Bernsteinbaum, der Erzeuger dieses merkwürdigen Produkts der Ostsee. Fast die ganze jetzt meerbedeckte Gegend zwischen Schweden und Pommern muss in ungeheurer Ausdehnung mit Bernsteinfichten besetzt gewesen sein, denn schon zweitausend Jahre wird ihr Harz gesammelt und noch treibt jeder Sturm neuen Bernstein aus der gleichsam unerschöpflichen Quelle an. Gewiss enthält die Ostsee ganze niedergeschwemmte Waldungen des Bernsteinbaumes (pinites succinifer) **), in dessen Pfahlwurzel und Holze das Bernsteinharz sich befand, freilich aber vermag Niemand näher zu schildern, wie es damals da ausgesehen habe, wo jetzt die Ostsee ihre Woge rollt; wissen wir doch selbst nicht genau, wie der Baum beschaffen war, dem der Bernstein angehört, doch hat das selten mit dem Bernstein aufgefundene bituminöse, oft vitriolartige Holz augenscheinlich ein Nadelholzgefüge und gehört daher den Koniferen (Nadelhölzer, lat. Coniferales)an, vielleicht waren es auch mehrere Arten von Fichten, welche Bernsteinharz führten. So wie der Baum unseren Nadelhölzern sehr ähnlich war, so steht auch die Insektenwelt, welche sich im Bernstein findet, der unseren ganz nahe und es ergibt sich daraus auch, dass das Harz dem lebenden Baume flüssig entfloss und die Infekten darin wie in Wasser eingetaucht und überzogen wurden. ***)

*) Dass der Bernstein und das bituminöse Holz des Bernsteinbaumes im blauen Ton steckt, gibt einen Fingerzeig über den ursprünglichen Standort ab.
**) Nach Göppert.
***) Man kennt an achthundert Arten Insekten, viele Bernsteinstücke mit solchen sind aber verfälscht s. Berendt, die Infekten im Bernstein, 1845.


Diese Bernsteinvegetation erforderte kein tropisches Klima, nur vielleicht ein Südlicheres als das jetzige in Pommern. Das fossile Holz steckt, wie gesagt, in einem aufgeschwemmten Boden neuerer Formation, dem schon erwähnten blaugrauen Tonlager, in welchem öfters Wurzeln mit Bernstein ausgegraben sind, gräbt man tiefer, so kommen grobe Kieslager zum Vorschein, welche ein uralter Seeboden sein sollen, und darunter findet sich kein Bernstein mehr. *) Solche Tonlager mit Bernstein erstrecken sich denn auch in die Ostsee hinein, die Äquinoktialstürme wühlen sie auf und treiben den Bernstein, in Pommern meist nur in kleinen Stücken, mit Blasentang (fucus vesiculosus) und anderen Seegewächsen, dem Strande zu. Dem Bernsteinbaum gehören auch wohl die Braunkohlen an, welche man hier und da in Stücken findet, meist aber nur als braunen Sand im gelben Meersande erkennen kann, und welcher das Vorkommen des Bernsteins immer begleitet. **)

Es entsteht nun die Frage, wie diese Bernsteinvegetation untergegangen sei, so dass nur noch das verdickte Harz Kunde von ihr gibt, und darüber lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit Folgendes sagen.

Zu einer Zeit, welche schon der jetzigen Erdbildung angehört, brach, vermutlich durch eine, plötzliche, wenn auch nicht sehr bedeutende Verrückung der Erdachse, herbeigeführt durch gestörtes Gleichgewicht des Erdkörpers, eine ungeheure Flut von Norden herein, schwemmte alle Bernsteinfichten weg und lagerte Ton und Sand (zerriebenes Gestein) in teils unermessener Tiefe, jedenfalls viele hundert Fuß hoch auf, verschüttete alle früheren Gebilde und führte zugleich große Geschiebe (sogenannte erratische Granitblöcke) in ungeheurer Zahl mit und über den Sand und Ton her. ***)

*) Alles ist indessen lange noch nicht hinreichend untersucht.
**) S. übrigens John, Naturgeschichte des Succins, Köln 1816; Schweigger, naturhistorische Reisen, 1819, und Nike, zur Naturgeschichte des Bernsteins; Bock, Naturgeschichte des Bernsteins, 1767; v. Bielke, der Bernstein, 1845.
**) Hierüber ist immer noch lehrreich Wrede, geognostische Untersuchungen der südbaltischen Länder, 1804. Vergleiche besonders auch Boll, Geognosie der deutschen Ostseeländer, 1846; Forchhammer in Voggendorfs Annalen, Bd. 58. und Klöden, Versteinerungen der Mark Brandenburg, 1834.


Die Wirkungen dieser Überwälzung sind in ganz Pommern und der Mark Brandenburg bis gegen die Elbe und Saale hin sichtbar und noch jetzt ist einer der größten jener Granitblöcke, der sogenannte große Stein, in dem an die Insel Wollin anstoßenden Caminer Bodden zu sehen; er hat 63 Fuß im Umfange und ist auf 5.000 Zentner Gewicht berechnet, wiewohl ein Teil davon neuerdings abgesprengt worden ist *) Bedeutungsreich aber ist es, dass einer der letzten dieser großen Steine zu dem Denkmal König Gustav Adolphs bei Lützen unweit Leipzig verwendet ist, und zugleich die Grenzen angibt, bis wohin sich jene Umwälzung, welche die Bernsteinwälder vernichtete, auf der norddeutschen Ebene erstreckt hat **) Dieselbe Flut, indem sie Pommern und die Mark Brandenburg mit Ton, Sand und Geschieben überschüttete, ***) wühlte Tiefen auf, in welche die Meereswoge sich stürzte, so entstand die Ostsee und begrub den größten Teil der Bernsteinwaldungen in ihren Wellen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies sich zu einer Zeit zutrug, wo die Erde schon von Menschen bewohnt war, deren Rassenverschiedenheit vielleicht durch Erdrevolutionen erklärlich ist, welche ein Teil derselben mit durchmachen musste. ****)

*) Abgebildet bei Wrede a. a. O. Eine brave Bauerfrau aus Zünz erzählte mir 1849, freilich halb ungläubig, die Legende, dass mitten im Steine eine Kröte, ein verwünschter Prinz, stecke, welche, wenn sie frei würde, den ganzen Caminer Bodden vergiften würde.
**) Dass diese in großen Massen tief im Diluvialboden steckenden erratischen Blöcke bloß durch Eisblöcke aus dem hohen Norden herangeführt seien, wie oft angenommen wird, ist so wenig wahrscheinlich, als dass es Trümmer untergegangener Gebirge rund um die Ostsee herum seien (Meierotto, Gedanken über die Entstehung der südbaltischen Länder, 1790), oder dass sie gar Überreste eines zerstörten Erdmondes wären (Koch, über die Felsblöcke Mecklenburgs, 1825).
***) S. Brückner, wie ist der Boden Mecklenburgs geschichtet, 1825.
****) Siehe was hernach in der Ovidschen Erzählung von der Entstehung der schwarzen Rasse vorkommt. Merkwürdig wäre es, wenn sich bestätigte, dass die See öfters künstlich bearbeiteten Bernstein auswirft.


Dahin deutet ein uralter merkwürdiger Mythus von der Entstehung der Ostsee und des Bernsteins, welchen uns Ovid in der Erzählung vom Sturz des Phaeton am vollständigsten aufbewahrt hat. *) Phaeton, so heißt es in Ovids Metamorphosen, konnte die Pferde vor dem Sonnengespann, welches ihm sein Vater auf sein Bitten anvertraut hatte, nicht halten, da nahm die Sonne einen unregelmäßigen Lauf, und erhitzte Gegenden, die ihre Glut sonst nicht getroffen hatte, das Meer kroch zusammen, und es wurde ein Feld von trockenem Sande, wo einst Meer war, die äthiopischen Menschen wurden dabei schwarz gebrannt; schon rauchten die Pole der Erde, da wälzte sich das aufkochende Meer über einen Teil der Erde her und in dieses Meer, den Eridanus, stürzte Phaeton hinab, seine Schwestern aber verwandelten sich, um ihn trauernd, in Bäume, welche Tränen schwitzten, diese verhärtet die Sonne zu Bernstein und als solchen nimmt der Eridanus die Tränen auf, die Erde aber begann sodann allmählich sich zu erholen und wiederum zu grünen.

Entkleidet man diese Erzählung von der dichterischen Hülle, so ergibt sich eine Abweichung der Sonne von ihrer Bahn, in Folge dessen eine Erdrevolution und die Entstehung der Ostsee, denn eri ist früh, der Morgen, mithin Osten, und eridanus heißt so viel als östlich. **) Die vorgängige Sonnenglut hatte dabei das Harz der Bäume ausgekocht und gehärtet, dieses wurde in der Ostsee mit begraben und ist der Bernstein, welchen schon die alten Griechen und Römer als ein Baumharz erkannten. ***)

*) Vergl. Hasse, der aufgefundene Eridanus, 1796.
**) Ovid sagt maximus Eridanus, wobei nicht an einen bloßen Fluss zu denken ist, orbe diverso, am Ende der Welt. Alles dieses passt auf die Ostsee.
***) Lateinisch succum arboris, succinum; das deutsche Bernstein heißt so viel als Brennstein, vom altdeutschen börnen, das heißt brennen, daher Bernholz für Brennholz.


So war also die alte Bernsteinvegetation untergegangen, die Ostsee in ihrem heutigen Umfange entstanden und das feste Land von Pommern und Brandenburg aufgeschüttet. Durch diesen aufgeschwemmten Sand und Lehmboden brach nun von Schlesien her die Oder sich Bahn und wälzte ihre Gewässer der Ostsee zu. Zuletzt, wo sie sich ihr naht, bildete die Oder einen breiten Meerbusen, den das frische Haff noch jetzt bezeichnet. In drei Armen ging der Fluss, wie jetzt, in die Ostsee, durch die Peene, die Dievenow und die Swinemündung und es bildeten sich dadurch die beiden Inseln Usedom und Wollin, erstere zwischen Peene und Swine, letztere zwischen Swine und Dievenow. Aber es ist hierbei zu beachten, dass die Insel Wollin ursprünglich einen beschränkteren Umfang hatte als jetzt; der Ausgang der Swine zur Ostsee war nämlich nicht so schmal wie gegenwärtig, sondern viel breiter. Wenn man eine Landkarte zur Hand nimmt, so sieht man zwischen Misdroy und den Höhen bei Swinemünde die schmale Halbinsel Pritter, diese existierte damals noch nicht, sondern die Oder floss in großer Breite zwischen dem hohen Golmberg bei Swinemünde, den Lebbiner Höhen am Haff und den hohen Bergen hinter Misdroy in die Ostsee aus. Betrachtet man die Gegend selbst von den Lebbiner Bergen aus, so wird man sogleich gewahr, dass diese Höhenzüge zwischen Lebbin und Misdroy einerseits und dem Golmberg andererseits das alte ursprüngliche Oderufer bezeichnen und das, was dazwischen an niederen Sandflächen und Wiesen liegt, später angeschwemmter Boden ist. Mithin existierten damals weder die Halbinsel Pritter noch alle Wiesenflächen zwischen Lebbin und Caseburg, und ungehindert ging, in der Breite von mehr als einer Meile das Haff in die Ostsee aus. Nicht lange aber und es begann eine letztere allmähliche Veränderung, welche den jetzigen Umfang der Insel Wollin herbeiführte. Die Oder wälzte nämlich, zumal in der ersten Zeit nach der Aufschwemmung des Sandes, durch den sie sich Bahn brach, ungeheure Massen von Sand in ihrem breiten Ausgang durch das Haff und bis an die See. Hier angekommen, trieben Nordweststürme, besonders aber eine in der Ostsee an der Südküste entlang ziehende Meeresströmung, den Sand wieder landeinwärts, und so lagerte er sich am Ausfluss des Haffs in die Ostsee ab, bildete mehrfache und lange Reihen von Dünen zwischen Misdroy und Swinemünde und veranlasste so die Bildung der Halbinsel Pritter. *) Der Augenschein lehrt, dass diese Halbinsel eine neue Dünenbildung ist; man sieht darauf lauter schmale Dünenstreifen, auch sind auf ihr, was besonders beweisend ist, keine erratischen Granitblöcke anzutreffen. In den vorgeworfenen Dünen blieben anfänglich noch zwei Ausgänge der Oder, der eine die jetzige Swine, wenn auch deren Mündung etwas anders aussah, der andere Ausgang war durch den Vietziger See und die sogenannte liebe Seele, **) einen Morast, der sich vom Vietziger See aus bis dicht an das Meer bei Misdroy hinzieht und augenscheinlich ein alter Ausgang des Haffs in die Ostsee war, wie denn auch ein bei Kalkofen am Vietziger See im Boden gefundener Anker beweist, dass hier einst eine Schifffahrt durchging. Später — es ist freilich nicht zu bestimmen wann, — legte sich vor dem Ausfluss dieses Oderarmes in die Ostsee eine Düne vor ***) und sperrte den Ausgang ab. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn herzustellen, den kleinen Vietziger See und die liebe Seele bis ans Meer bei Misdroy zu durchstechen, und so einen Schifffahrtskanal in gerader Linie aus dem Haff in die Ostsee zu erhalten, statt des so sehr gekrümmten Swineflusses. ****)

*) Ganz ähnlich sind die Nehrungen in Ostpreußen schmale Dünen, welche Teile des Meeres abteilten, aber nur da, wo ein Fluss sich in solchen Teil ergießt, entstehen hinter den Dünen Moore und daraus später Wiesenflächen.
**) Der wunderliche, übrigens sehr alte Namen kommt vom slawischen lipa, See, und Seele hängt wohl auch mit See zusammen, so dass auch diese Namen ergeben, dass der jetzige Morast einst ein Wasser war.
***) Gerade so hat eine Düne augenscheinlich in uralter Zeit den Jordansee von der Ostsee abgesperrt.
****) Es gibt noch Sachverständige, welche behaupten, es sei wohlfeiler und für die Schifffahrt besser gewesen, diesen Kanal zu durchstechen, und Misdroy statt Swinemünde zum Hafen zu machen. Wir maßen uns darüber kein Urteil an.


Nachdem also bei Misdroy eine Düne sich vorgelagert hatte und mitten in der Oder aus dem Haff zwischen den Inseln Usedom und Wollin nur noch ein einziger Ausgang, durch die Swine, blieb, verschlammte der andere Ausgang durch die liebe Seele, und es senkte sich überhaupt hinter den Dünen zwischen Swinemünde und Misdroy nach dem nunmehr abgesperrten Haff zu allmählich mehr und mehr Schlamm zu Boden, es entstanden Moräste, aus diesen große Moore und Rohrflächen, welche erst seit einigen hundert Jahren teilweise in Wiesen verwandelt sind. Dies ist die Entstehung der großen Wiesenflächen, welche, wie die Karte zeigt, hinter der Pritterschen Halbinsel nach dem Haff zu sich erstrecken und durch allerhand Querströme abgeteilt sind, und noch ganz neuerdings sind sowohl bei Pritter als auf dem sogenannten Krix bei Lebbin neue und nicht unbeträchtliche Wiesen durch Alluvion entstanden.

So hat sich denn also die Insel Wollin in ihrer heutigen Beschaffenheit gebildet, indem zuerst nur der östliche Teil zwischen Misdroy und der Dievenow bestand, dann eine zweite flache Insel zwischen Misdroy und Swinemünde aus Seesand entstand, endlich letztere bei Misdroy mit der ersten Insel zusammenwuchs, also zu einer Halbinsel wurde, welche gegenwärtig mit zur Insel Wollin, zwischen Swine und Dievenow, gehört. Sowohl in der Konfiguration aber, wie in der Bodenbeschaffenheit tritt es noch jetzt deutlich hervor, dass es zwei verschieden gebildete, ursprünglich nicht zusammen: hängende Inseln sind; die sogenannte Prittersche Halbinsel ist flach und moorig, die Hauptinsel hat an der Küste hohe Ton- und Lehmberge, mithin lauter sogenannten gewachsenen Boden.

Alles dieses gehört der vorhistorischen Zeit an, in welcher wir also zuerst ein der Juraformation angehöriges Gebilde, dann Schichten, auf denen der Bernsteinbaum wuchs, antreffen; hierauf, nach Entstehung der Ostsee und nach Ablagerung mächtiger Tonlager, Kreidelager, Aufschwemmung von Sand, Lehm und Granitblöcken, die Bildung des östlichen und ältesten Teiles der Insel verfolgen können, endlich gewahr werden, wie durch vorgelagerte Dünen, welche nach und nach bewaldeten und hinter denen Moore sich aufsammelten, die Insel Pritter entstand, welche nach Absperrung eines Oderausflusses durch die liebe Seele und Versumpfung der letzteren sich als eine Halbinsel an die ältere Insel anschloss.

Seit der historischen Zeit hat sich die also entstandene Beschaffenheit der Insel Wollin im Wesentlichen nicht geändert. Zwar ist unzweifelhaft, dass die Ostsee, namentlich bei Misdroy nicht unbeträchtliche Landstrecken abgerissen hat; sie wirft bei Stürmen runde Stücke aus einem jetzt in der See lagernden alten Ellernbruche aus *) und der Acker von Misdroy erstreckte sich ehemals weiter in die See hinein, indem der Wind Dünensand darüber her und dann wieder die Dünen mehr landeinwärts getrieben hat, so dass der alte Krug bei Misdroy einige mal hat abgebrochen und zurückgerückt werden müssen, **) auch werden alljährlich vom hohen Ufer hinter Misdroy große Tonblöcke abgerissen und abgeschwemmt, allein im Ganzen und Großen hat sich die Insel Wollin seit dem 12ten Jahrhundert, mit welchem das historische Zeitalter beginnt, zwischen Swinemünde, Misdroy und Swantus wohl nicht mehr verändert, so dass jene kleineren Veränderungen und Abspülungen mehr eine lokale Bedeutung haben.

*) Auch dieses Moor in der See verdient noch eine genauere Untersuchung, es liegt unfern Misdroy.
**) Nach alter Sage ging die Poststraße von Misdroy nach Swinemünde sonst da, wo jetzt die offenbare See ist, auch will man auf einem Riff, einer Sandbank unter See, einen Brunnen wahrgenommen haben. Auf der Lubinschen Karte von 1618 ist ziemlich weit in der See ein Ort angegeben, wo ein Baumstamm stehe.

Raumer, Friedrich Ludwig Georg von (1781-1873) Verwaltungsjurist, Historiker und Politiker

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Stubbenkammer, von der Seeseite

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Usedom, Strandzugang

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Stubbenkammer um 1900

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Stubbenkammer, vom Strand aus betrachtet

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Stubbenkammer von der Victoria-Sicht aus betrachtet

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