Die Hexe von Schwechow bei Lübtheen.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Von L. Kreutzer zu Parchim, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Aberglauben, Hexe, Hexenprozesse, Hexerei, Zauberei, Schwechow, Lübtheen, Feuertod, Hexenzauber
Vor Alters lebte in Schwechow, unweit Pritzier, ein hochbetagtes Mütterchen, grau und zusammengeschrumpft und mit roten, triefenden Augen. Gerade also dachten sich die guten Schwechower die Hexen, und wer darum der Alten begegnete, schlug einen Seitenweg ein, oder bekreuzte sich, oder spuckte stillschweigend dreimal hinter sich. Litt Jemand an den „Suchten", von denen es bekanntlich 99 verschiedene Arten gibt, oder starben hier oder da die Ferkel, oder hatte sich eine Kuh oder ein Kalb verfangen, oder war die Milch blutig, lang oder blau — wer in aller Welt konnte anders Schuld daran sein, als die Alte mit den roten Triefaugen. Dabei war sie schlau und vorsichtig, und Niemand dürfte sagen, dass er je die Alte auf bösen Wegen ertappt habe; aber die Augen, die Augen verrieten die Hexe! —

Die ganze liebe Christenheit in und um Schwechow ließ es sich von ganzem Herzen angelegen sein, die bösen Künste des Weibes ans Licht zu bringen. Der Eifrigste unter den Eifrigen aber war der Hirte, denn gerade ihm hatte sie allen erdenklichen Schabernack zugefügt. Kaum war er in den schönen Frühlingstagen mit der lieben Herde hinausgeeilt auf die Wiese voller Frühlingslust und Frühlingsfreude, dieweil das junge Gras so saftig und die Osterblümchen*) so rosig waren — da plötzlich hatte sich das schönste Tier seiner Herde verfangen, und seine Lieblingskuh war am Blutharnen erkrankt. Oder glaubte an dem heißesten aller Sommertage seine etwas wohlgenährte Ehehälfte am Butterfass vergehen zu müssen, von wegen der Hitze und der bittersaueren Arbeit des Butterns, so quoll statt der erwarteten goldgelben Butter ein gelbweißer Schaum aus dem Fasse hervor; mochte die gute Frau auch bald kalt, bald warm, bald heiß nachgießen; mochte sie in der kühlen Kammer, oder unter dem heißen Strohdache buttern.

*) Osterblümchen, Windröschen, auch Oeschen genannt, anemone nemorosa — Der Genuss desselben soll dem Rindviehe Blutharnen erzeugen. —

Diese Plackereien konnte kein Christenmensch ertragen, und unser Hirte erst recht nicht. Darum suchte er die Alte auf Schritt und Tritt, auf Wegen und Stegen zu beschleichen, um ihre Zaubersprüche zu hören oder sie in Gesellschaft des Bösen anzutreffen; denn ohne Beweise konnte man ihr unmöglich den Prozess als Hexe machen. Allein so schlau er auch das Weib zu überlisten vermeinte, sie war doch schlauer, neun und neunzigmal zum wenigsten. Meinte er, ein noch so sicheres Versteck gewählt zu haben, von wo aus er die Alte gewiss zu belauschen hoffte, wenn sie dahergewatschelt kam, um ihm oder sonst Jemand in der Nähe einen Streich zu spielen, immer entdeckte sie ihn. Und dann hätte Einer das unschuldige Gesicht des heuchlerischen Weibes sehen sollen, wenn sie entweder Kehrt machte, oder einen Seitenweg einschlug, oder, dem guten Hirten zum Ärger, dicht an ihm vorüberschlüpfte; man hätte eher glauben sollen, sie sei eine römische Kalenderheilige und nicht eine Hexe, was sie doch war!

So konnte es nicht fehlen, dass dem armen Hirten schier die Verzweiflung anzuwandeln drohte und ihn auch wirklich angewandelt hätte, wäre ihm nicht eines glücklichen Tages ein guter Gedanke gekommen.

Außer seinem Hirtenposten bekleidete er nämlich ein anderes Amt, das war nicht weniger wichtig, nämlich das eines Nachtwächters. Da dachte er klüglich also: „Am Tage ist das Weib mit ihren Zauberkünsten noch nimmer ertappt, wer weiß, was sie des Nachts treibt, und was mir als Hirte nicht gelingen wollte, mag mir als Nachtwächter glücken."

Und als er nun in der nächsten Nacht seinen Rundgang durchs Dorf machte, da trat er in der Nähe des Hexenhauses noch einmal so leise auf und weilte dort noch einmal so lange, obgleich es dort so unheimlich still war und es ihn schüttelte, wenn er einen Blick in die dunkle Stube der Hexe warf.

Achtzehn, neunzehn, zwanzig Nächte hindurch blieb Alles beim Alten, und vergebens malträtierte er sein armes Gesicht und Gehör. Aber als in der einundzwanzigsten Nacht der Vollmond just über der „Eichhester" stand, und die Mitternachtsstunde anbrach, und der Nachtwächter hinter der Linde vor dem Hexenhause der Dinge wartete, die absolut nicht kommen wollten — da knarrte die Tür, und leise und vorsichtig trat die Hexe aus dem Hause. Deutlich sah er, und es war schaurig anzusehen, wie das Weib erst den Blick auf den Vollmond richtete und dann wieder auf das Herrenhaus warf. Ohne Zweifel murmelte sie einen Zauberspruch, und die Schläfer im Herrenhause träumten sicher nicht von dem Unheil, welches so eben über sie heraufbeschworen wurde.

Aber auch das Weib ahnte nicht, dass jetzt das Maß ihrer Sünden voll sei. Klug und verwegen, wie er war, der Nachtwächter nämlich, ließ er die Hexe den Zauberspruch nicht zu Ende bringen, sondern packte sie mit aller Kraft, dass ihr der gottlose Spruch in der Kehle stecken blieb. Freilich sträubte sie sich gewaltig, wollte sich losreißen, suchte sich durch Zauberkünste zu befreien; aber der kluge Wächter hatte sie so gepackt dass die bösen Zauberaugen des Weibes ihn nicht erreichen konnten, und ihre Bitten und Lamentos und ihr Zetermordio halfen ihr auch blitzwenig. Fort gings mit ihr nach dem Hofe und dort wurde sie bis zum Morgen in einem Saustall einquartiert.

Das setzte am Morgen ein Gaudium, als es hieß: „Sie haben sie, sie haben sie!" und als Jung und Alt nach dem Hofe eilte, um die gräuliche Hexe zu schauen, die sie doch Alle von Kindesbeinen an von Angesicht zu Angesicht kannten.

Das Verhör begann. Die Hexe beschwur hoch und teuer ihre Unschuld; aber es half ihr natürlich nichts, von wegen der zu klaren Beweise, welche sie gegen sich hatte. Als da waren, Nummer Eins, die roten Augen, Nummer Zwei, die vielen Unglücksfälle in Schwichow und Umgegend und, Nummer Drei, was in allerWelt hatte sie Nachts Punkt 12, als der Vollmond gerade über der Eichhester stand, bald nach dem Monde und dann wieder nach dem Herrnhause zu blicken.

Kurz und gut, man machte der Hexe den Prozess und verurteilte sie zum Feuertode. Und so verstockt war die graue Sünderin, dass sie nicht allein fort und fort im Leugnen beharrte, sondern auf dem Wege zum Richtplatze noch einmal ihre Tücke an einem der Hofknechte auszuüben versuchte. Zum Glück bemerkte einer der Anwesenden, dass das Weib diesen nicht aus den Augen ließ und gab ihr einen Schlag mit einem Kreuzdornzweig, wodurch ihre Kunst zu Schanden wurde.

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Der Berg, worauf die Hexe verbrannt wurde, heißt noch heute der Hexenberg und liegt zwischen Pritzier und Bellahn an der Hamburger Chaussee.

Noch vor wenigen Jahren soll unter dem Namen „Hexenpfahl" der Eichenstumpf vorhanden gewesen sein, an dem die arme Hexe den Feuertod erlitt.

Eine alte Urkunde über diese und eine andere Hexenverbrennung lautet also:

„Den 25. September 1685 ist Johanna Baark wegen Hexerei mit Feuer zur Aschen verbrannt und 1706 ist Trina Karck zu Schwechow wegen Hexerei verbrannt."

Schäfer mit seiner Herde auf dem Heimweg

Schäfer mit seiner Herde auf dem Heimweg

Kühe auf der Wiese

Kühe auf der Wiese