Die Heilquelle am Minzower Wege bei Röbel.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Von L. Pechel, Organist und Lehrer zu Röbel, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Heilquelle, Minzow, Röbel
Nach dem Dorfe Minzow, dessen schon in alten Urkunden und Sagen Erwähnung getan wird und das mit seiner ganz aus groben Granitblöcken aufgeführten Kirche in das graue Altertum mecklenburgischer Geschichte hinüberreicht, führt von Röbel aus durch fruchtbare Äcker eine breite Straße, die einst der Schauplatz regen Lebens war. Wer zu früher Morgenstunde des Weges kam und die Menge der Menschen zu Fuß und Wagen sah, hätte schwerlich eine Ahnung von dem Zwecke der Absicht dieser Wanderer gehabt; er hätte nicht gewusst, dass es des Leibes Not und Krankheit und einer Quelle wunderbare Heilkraft war, wodurch so Viele in der Morgenstunde hierher geführt würden.

Wie zu der Zeit, als der Herr auf der Erde wandelte, viele Blinde, Lahme und Dürre in dem Wasser des Teiches Bethesda von ihren Krankheiten und Gebrechen genasen, — Evang. Joh. 5, — so war auch in der Vorzeit in dem Minzower Wege ein Heilbrunnen, dessen segensreiche Wirkungen an Kranken aller Art bis in die fernsten Gegenden gekannt und gepriesen waren. Besonders war es an frühem Morgen, dass der Brunnen reichlich flutete und dann eine große Heilkraft äußerte. Zu dieser Zeit kamen die Bewohner der Stadt und schöpften des Brunnens gesegnetes Wasser zu Trank und häuslichem Gebrauch, und viel Leben und Bewegung zeigte sich dann auf dem Brunnenwege. Von Nah und Fern kamen Kranke, die mit Fiebern, Geschwüren und anderen körperlichen Leiden behaftet waren und tauchten ihren Leib in die Heilquelle, worauf sie alsbald genasen. Auch Gesunde kamen hierher und tranken zu erhöhter Kräftigung das Wasser.

So war die Quelle weithin gekannt und von Gesunden und Kranken besucht, und wer hier von seiner leiblichen Not befreiet war, pflegte späterhin gern immer noch einmal wiederzukommen und in dankbarer Erinnerung der empfangenen Wohltaten am Brunnen zu verweilen.

Aber neben der großen Zahl derer, denen der Brunnen ein Gegenstand der Verehrung und Liebe war, fanden sich doch in Nobel Manche, denen er zu Ärgernis gereichte und die ihn seines Daseins zu berauben suchten. Es lag nämlich die Heilquelle in der Mitte jenes Weges und verursachte dadurch sowohl den Reisenden manche Unbequemlichkeiten, als sie auch den Besitzern der angrenzenden Äcker kleine Nachteile zufügte, weil sie hin und wieder bei großem Wasserreichtum die Saaten überschwemmte. Darum war man vielfach bemüht, den Brunnen zu verschütten. Sand, Steine und Buschwerk ward in großer Masse in die Quelle geworfen, und oft war am Abend nach solch feindlichem Gebühren ihr stilles Rauschen verstummt. Wenn aber der Morgen anbrach, war Alles wieder hinweggeschwemmt und silberhell entquoll das gesegnete Wasser dem Grund der Erde, Durstigen zu fröhlicher Labe, Leidenden zu Trost und Hilfe. Die Bemühungen wiederholten und verdoppelten sich; immer derselbe Erfolg: der Abend brach trauernd über die versiegte Quelle herein und im Morgenlichte erglänzte sie in fröhlichem Leben. So war man denn zur Freude so vieler Leidenden dieser feindlichen Bemühungen müde geworden und fügte sich in das Unabänderliche.

Doch, eines Morgens, als nach gewohnter Weise Dieser seinen Krug und Jener sein herbes Weh zum Brunnen trägt, erkennt man die Stätte nicht mehr, die so Viele dahingeführt hatte. Die Quelle ist versiegt! Keine der Blumen, die an ihrem Rande ein fröhliches Gedeihen fand und ihren Kelch lieblich der Sonne erschloss, ist zu sehen! Nur kleines Gerölle deutet auf den früheren Gang des Wassers hin; die Straße ist eben. Bestürzung ergreift die Gekommenen; man weiß sich dies neue Wunder nicht zu deuten. Sie werden von Furcht und Hoffnung an die Stätte gebannt; suchend schaut das Auge in die Ferne, horchend lauscht das Ohr nach der Quelle freundlichem Murmeln. Sie ist auf immer verstummt.

Die Harrenden gehen endlich in die Stadt zurück und erzählen, was sich zugetragen, und von Haus zu Haus geht die traurige Kunde. Da hört man denn, dass in der Nacht ein böswilliger Mensch in frechem Übermut den Brunnen geschändet und entweihet habe. —

Wohl kam noch oft in des Morgens früher Stunde mancher Leidende und Kranke zum Heilbrunnen, nach seinem gesegneten Wasser verlangend; — aber nimmer floss die klare Quelle wieder, und es bezeichnet jetzt nichts mehr ihren einst so reichlich gespendeten Segen, als der Name des Ackers*), dem sie entquoll.

*) Das umliegende Feld heißt noch heute „am Brunnen". Der Herausg.

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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