Die Feuersbrunst in Wittenburg - Die Feuerprobe

Aus: Mecklenburgische Sagen
Autor: Studemund, Friedrich (1784-1857) Pastor an der Nikolaikirche in Schwerin, Erscheinungsjahr: 1848
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Sagen, Wittenburg, Feuersbrunst, Feuerprobe, Gottesgericht, Mittelalter, Aberglauben, Stadtbrand, Brandstifter
Endlich war der wütenden Flamme Einhalt getan. Der Sturm hatte sich gelegt; die Rauch- und Aschenwolken, welche vorher die Größe des Brandes und das ganze namenlose Elend zu übersehen nicht gestatteten, hatten sich gesenkt und waren fast gänzlich verschwunden, außer dass aus dem einen oder dem andern glühenden Aschenhaufen je zuweilen noch ein hellerer Dampf sich erhob: da rief der alle, ehrwürdige Stadt-Voigt Berner die Herren des Rats und andere rechtliche Bürger um ihn her näher zu sich heran und sprach ungefähr Folgendes zu ihnen: „Meine Freunde, Gott hat uns heimgesucht, der Allbarmherzige hat eine sehr schwere Prüfung über uns ergehen lassen. Unser Hab und Gut hat die furchtbarste Feuersbrunst verzehrt, und wer weiß, was wir sonst noch alles darin verloren haben mögen. Der gemeinschaftlichen Tätigkeit bedarf es jetzt nicht weiter; ein jeder von euch möge nun die Trümmer seines ehemaligen Glücks aufsuchen und für sich selbst sorgen und für die Seinen. Ich danke euch mit zerrissenem Herzen für eure Anstrengungen, so wie für die Bereitwilligkeit, mit welcher ihr meinen Anordnungen Folge leistetet. Wollte Gott, ich hätte eure Treue bei einer andern Gelegenheit erproben dürfen.“

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Dem ehrwürdigen Greise liefen bei diesen Worten die hellen Tränen von den Wangen herab und die ganze Menge stand in der tiefsten Rührung um ihn. „Der Herr hat's gegeben“, rief er da noch mit sanfter Stimme aus, gleichsam als wollte er sich selbst und die ganze, schmerzlich gebeugte Versammlung dadurch wieder erheben und ermutigen; „der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobet!“

Da erhob sich ein fürchterliches Geschrei von den Brandstätten her und ein tobender Haufe näherte sich der Anhöhe, von welcher Herr Bern er nebst den übrigen Vätern der Stadt so eben nach den verschiedenen Schutt- und Trümmerhaufen und zerstörten Wohnstätten aufbrechen wollte. Man schleppte einen Menschen unter den entsetzlichsten Verwünschungen herbei. „Dieser Bösewicht hat den Brand angestiftet, hinein mit ihm in die Glut, hinein mit dem Buben, fort mit ihm“, so schrie der empörte Haufe, und nur mit Mühe gelang es dem alten Stadt-Voigte die tobende Menge zum Schweigen zu bringen. „Seht hier“, rief darauf einer aus der Mitte des aufgeregten Volks, „seht hier, Herr Stadt-Voigt, den heillosen Brandstifter. Dieser Schurke hat das Feuer angelegt im Neumann'schen Keller, da loderte zuerst die wütende Flamme auf. Er hatte es dem Alten geschworen, dass er ihm einen roten Hahn auf das Haus setzen wolle. Peinigt ihn nur, dann wird er es schon gestehen. Seht, wie er zittert; er muss sterben, der Bösewicht; er hat den Tod hundertfältig verdient.“

Bleich und entstellt stand der Angeklagte da vor seinen Richtern. „Unglücklicher, hub der Stadt-Voigt an, was vermochte dich, solch ein Elend über diese Stadt, über deine eigene Vaterstadt herbeizuführen? Sprich, du heilloser Mensch, wenn deine Zunge noch zu reden vermag. Hören wollen wir dich.“

„Herr, entgegnete der Angeklagte, ich kann nur Gott zum Zeugen anrufen, dass ich von dem Verbrechen nichts weiß, dessen ich angeschuldigt werde. Ich habe im Neumann'schen Keller bis spät in die Nacht gearbeitet; aber angelegt habe ich das Feuer nicht. Gott weiß das, und er wird mich nicht verlassen. Er spreche mein Urteil. Menschen, wenn sie Gerechtigkeit üben wollen, können es nicht. Lasst ein Eisen glühen. Habe ich den Brand angestiftet, so verbrenne diese meine Hand, mit welcher ich die Stange zu ergreifen bereit bin.“

Es war eine Sitte der damaligen Zeit, dass ein Angeklagter von der auf ihm haftenden Anschuldigung sich durch das Gottesurteil (Ordalium) reinigen durfte. Man glaubte, dass in Fällen, wo dem menschlichen Richter die Beweise für die Schuld oder Unschuld eines Angeklagten abgingen, der all' gerechte Gott selbst durch ein Wunder kund tun werde, was wahr und recht sei.

Es ward demnach alsobald aus Verfügung der Richter ein Eisen geglüht, und wie es recht hellrot war und Funken sprühte und gleich einer gereizten Schlange zischte und wogte, dem der Brandstiftung Angeklagten hingehalten, dass er es mit seiner Rechten ohne Zeitverlust ergreife. „Hilf Gott“, rief dieser aus, den Blick gen Himmel gerichtet, und fasste dann mit starker Faust das zischende Eisen, hielt es aufrecht, und höher und immer höher allem Volke hin, ohne eine Empfindung des Schmerzes zu verraten, vielmehr mit der heitersten Miene von der Welt. Er ist unschuldig, der Velten, er ist unschuldig, rief bald hier, bald dort einer der erstaunten Zeugen dieser außerordentlichen Begebenheit. Ja, er ist unschuldig, gewiss, er ist unschuldig, rief einstimmig zuletzt der ganze Haufe, und es entstand ein frohes Getümmel. Da erhob der alte, ehrwürdige Stadt-Voigt Berner seine Stimme und gebot Ruhe. „Bürger, redete er die Versammlung an, Gott hat gerichtet. Seine Entscheidung ist ganz anders ausgefallen, als die unsrige wahrscheinlich ausgefallen sein würde, wenn wir mit unfern schmerzlich aufgeregten, erhitzten und empörten Gemütern über diesen Mann Gericht gehalten hätten. Gott sei gelobt, dass unsere Seelen frei geblieben sind von einer schweren Verantwortung.“ Dieser Mann ist freigesprochen; ja, Gott hat ihn freigesprochen, rief das ganze Volk; und unsichtbar ward in demselben Augenblicke das glühende Eisen in der Hand des Unschuldigen. Verschwunden war es, wie durch einen Zauberschlag, und nur einige wenige Zeugen wollten gesehen haben, dass ein feuriger Streifen über ihre Köpfe weg nach der Stadt hingezogen sei und dort bei einem der Aschenhaufen sich gesenkt hatte.

Unter den bejammernswürdigen Umständen, worin sich die armen Bewohner Wittenburgs nach einem so furchtbaren Brande befanden, der fast die ganze Stadt in Asche gelegt hatte, war wohl nur ein so ganz außerordentliches Ereignis, wie das erzählte, im Stande, ihre Aufmerksamkeit eine Weile auf andere Gegenstände hinzuziehen. Mit der seltsamsten Empfindung zerstreute sich nach dieser wunderbaren Freisprechung des armen Velten nun aber auch der ganze Haufe bis auf einige Wenige, welche in der Nähe der Brandstätten Hütten aufrichten mussten. Alle möglichen Verfügungen und Anordnungen wurden getroffen zur Sicherung und Rettung desjenigen, was der zerstörenden Gewalt der Flamme entgangen war. Vater Bern er hielt Ruhe und Ordnung aufrecht. Man räumte nach und nach den Schutt und die Asche hinweg, begann neue Wohnungen zu gründen, und Gott segnete die Arbeiten und Anstrengungen der guten Bürger Wittenburgs dergestalt, dass nach einem Jahre fast die ganze Stadt wieder aufgebaut und bis auf einige wenige Spuren die Erinnerung an die entsetzliche Verwüstung fast gänzlich verschwunden war.

Da begab es sich eines Tages, dass beim Pflastern der Straßen einer der Arbeiter eine eiserne Stange unter dem alten Steinlager fand, welches er aufbrechen musste. Er wollte sie herausheben, zog aber in demselben Augenblick die Hand mit einem furchtbaren Geschrei zurück. Was ist dir, Jahnecke? riefen die andern Arbeiter, verwundert über den hellen Schrei desselben, aus. Hast du dich mit dem Hammer getroffen, du Unglücklicher? Hast doch seit Jahr und Tag kein Glück und Stern mehr. Jahnecke stand aber wimmernd und händeringend da, nicht anders, als hätte er die ganze Hand verloren, so dass sich bald alle übrigen Pflasterleger teils mitleidig, teils spottsüchtig um ihn her versammelten. Hat die Stange dir was getan? rief endlich einer, der das fast dunkelrot glühende Eisen im Sande erblickte. Seht doch, was liegt hier?

Kameraden, ist das nicht ein glühendes Eisen? Bei meiner Treu’, das Eisen zischt ja vor Hitze! Was ist das? Seht hier! Kommt her, hier liegt, wie durch Gottes Wunder, eine glühende Eisenstange! Und immer größer ward die Zahl der Neugierigen, die herbei strömten, das Wunder zu sehen. Da schrie Plötzlich einer mit fürchterlicher Stimme: das ist die Feuerprobe, das ist das Eisen, das nach dem Brande der Velten vor aller Augen glühend in die Höhe hielt und seine Unschuld erwies. — Bald war das Gerücht von dem, was sich auf der Straße begeben hatte, durch die ganze Stadt verbreitet. Jahnecke, der Steinpflasterer, wurde ergriffen. Er selbst war es, der den unschuldigen Velten vor dem Stadt-Voigt Berner vor einem Jahre der Brandstiftung im Neumann'schen Keller so heftig angeklagt hatte. Zwar leugnete er anfänglich, das Feuer angelegt zu haben, doch bald ward er zum Geständnisse gebracht und büßte mit seinem Leben ein Verbrechen, dessen er auf eine so wunderbare und ganz erschreckliche Weise angeklagt worden war.

Die Eisenstange soll noch lange Zeit auf dem Rathause zu Wittenburg gezeigt worden, sein.
(S. Klüver 2. Thl. 82. Wittenburg. Anno 1349.)

Wittenburg, Amtsbergturm

Wittenburg, Amtsbergturm

Wittenburg, Hungerturm

Wittenburg, Hungerturm

Wittenburg, St. Bartholomäus

Wittenburg, St. Bartholomäus