Die Feier des Urbanstages in der Gemeinde Brunshaupten und Arendsee bei Kröpelin.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Von Fr. Schulz, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Urbanstag, Buttfischer, Arendsee, Brunshaupten, Kühlungsborn, Kröpelin, Kühlung, Ostsee, Strand, Diedrichshäger Berge, Neptun,
Es war wieder Frühling geworden. Die Buttfischer der Ostsee in den Dörfern Arendsee und Brunshaupten gingen regelmäßiger und fröhlicher hinaus in die See, um ihre Netze auszuwerfen. Der Sturm, der die Wellen zu brausenden Wogen hinauf treibt, zerriss oder raubte ihnen nicht mehr ihre Netze, denn der dicke Nebel verbarg ihnen jetzt nicht mehr den Ort, wo sie dieselben ausgesteckt, oder das Land, wenn sie sich zu weit auf die See gewagt hatten. Wenn jetzt auch zu Seiten Sturm oder ein Gewitter im Anzuge war, so waren die Vorboten davon schon zu bekannt, dass es also den kundigen Strandbewohnern an sicherer Nachricht hierüber nicht fehlte.

Am Nachmittage des 22. Mais 1516 standen die meisten Fischer am Strande, und einige wollten schon ihre Jölle *) in die See rollen, um zum neuen Fange hinaus zu fahren, als ein alter Kamerad seinem Maten **) den warnenden Vorschlag machte, die Netze lieber nicht wieder auszusetzen, denn es komme gewiss diese Nacht ein strenges Gewitter, das nicht geringer Sturm begleiten werde. Der jugendliche Mat war bereits gewohnt zu folgen, und alle übrigen Anwesenden taten ein Gleiches, da auch sie einsahen, dass der alte erfahrene Kamerad recht habe.

Auch in den Dörfern hatten die Alten ebenfalls schon das Herannahen eines Unwetters aus den bekannten Zeichen prophezeit. Es herrschte dort eine bange Stille, und man hatte alle Ursache dazu; denn zog einmal ein Gewitter über der Abdachung oder dem Tale zwischen der See und den Diedrichshäger Bergen***) und somit über ihren Wohnorten zusammen, so war es sehr hartnäckig und wich oft Tage lang nicht von der Stelle.

Alle Fischer holten also eiligst ihre am Morgen in die See gesteckten Netze mit dem ihnen von Neptun****) bescherten Segen heraus, und zogen dann, ihre bellenden Hunde vor den damit beladenen Karren gespannt, ihren Hütten zu.

*) Gondel Boot
**) Spezieller Kamerad, College, Gehilfe.
***) Die Diedrichshäger Berge mit dem 500 Fuß hohen Kühlungsberge bei Diedrichshagen, ½ Meile nordwestlich von Kröpelin, bilden den dritten Höhepunkt Mecklenburgs. Die Höhe steigt hier jedoch so allmählich und flacht sich ebenso nach der Ostsee zu wieder ab, dass der Weg nach Brunshaupten über den Gipfel des Kühlungsberges führt.
****) Gott des Meeres. Der Herausg.


Es kam die Nacht, und manches Auge schaute noch nach Westen, ob das sich entwickelnde Gewitter vielleicht nach Süden, um die Diedrichshäger Berge ziehe, oder ob es von der See erfasst in dieselbe hinein gezogen werde. Beides aber schien sich dies Mal nicht erfüllen zu wollen. Die dunkeln Wolken türmten sich mehr und mehr auf, und bald zitterte die Erde von den dumpfen, lange im Tale wiederhallenden Donnerschlägen. Der Regen ergoss sich in Strömen, der Sturm heulte, und die Wellen der See ließen ein eigentümliches Brüllen hören, welches ein sicheres Zeichen von anhaltendem Unwetter war.

Die Nacht verging, und noch immer kreuzten die grässlichsten Blitze über den Häuptern unserer Talbewohner.

So wütete das Ungewitter noch am Morgen des 25. Mais! Drei schreckliche Nächte und zwei bange Tage waren vollbracht. Die Menschen waren vor Angst fast verschmachtet, und das Vieh brüllte vor Hunger in den Ställen.

Da verließen an demselben Tage sämtliche Einwohner ihre Häuser, versammelten sich vor der Tür ihres Seelsorgers und ersuchten ihn, mit ihnen in die Kirche zu kommen, und den drohenden Herrn um Gnade zu bitten.

Es geschah dies auch unverzüglich, und ehe eine Stunde verging, glänzte die Sonne am klaren Himmel. Die Betenden waren noch im Gotteshause. Wie sie heraustraten und an den fernen Wolken den Gnadenbogen des allliebenden Vaters sahen, war ihr Mund voll fröhlichen Rühmens. Mit leichtem Herzen wanderten sie ihren Häusern zu und gelobten einstimmig, diesen Tag fernerhin als einen Buß- und Bettag festlich zu begehen.

Sie hielten auch im folgenden Jahr ihr Gelöbnis, und der Herr blieb aus mit seinem Dräuen.

Aber im dritten Jahre schon war Alles vergessen und der Buß- und Bettag auch. Jeder ging am Morgen dieses Tages feinen irdischen Geschäften nach, und Niemand ahnte etwas Böses, denn der Tag schien freundlich zu werden.

Da plötzlich eilte von Westen ein Wetter daher, das unerwartet die Arbeitenden auf der See und den Feldern überfiel. Alle erreichten jedoch glücklich ihre Wohnung, nur ein Mann aus Arendsee, der mit Ochsen pflügte, musste, vom Blitze getroffen, sein Leben lassen.

Der allgemeine Schrecken und die Angst war groß, zumal als das Gerücht von dem Erschlagenen sich verbreitete. Wenn schon der erste Donner Allen die Arbeitswerkzeuge aus den Händen geschlagen hatte, so trieb diese letzte Nachricht Jeden schon unwillkürlich in das Gotteshaus.

Der Herr erhörte auch dies Mal wieder ihr heißes Flehen; denn bald stand die Sonne wieder mild lächelnd am wolkenlosen Himmel.

Als die Gemeinde also zum zweiten Male wieder gestraft worden war, hat sie urkundlich folgendermaßen festgesetzt:
,,Anno Christi 1516 auf Urbani Tag hat ein großes Ungewitter über der Brunshaupter Gemeinde gestanden; wieder aufgehöret, nachdem sich die Gemeinde sehr bußfertiglich bezeiget gehabt. Worauf dieselbe dem großen Gotte gelobet hat, dass sie und ihre Nachkommen jährlich mit aller ihrer Arbeit an diesem Tage ruhen wollten und denselben als einen Buß- und Bettag feierlich begehen. Und wird dem Pastori für seine Predigt und dem Küster für seine Mühe, von dem Hofe sowohl, als von dem Kirchspiele, als nämlich von beiden dieser, Broten und Eier etc., von den Kätern etwas Opfergeld an diesem Tage gegeben, wovon der Pastor zwei, der Küster aber den dritten Teil empfängt."

Zu keinem Feste trafen von dieser Zeit an die Bewohner je so große Vorbereitungen, als zum Urbanustage.

Alles Gerät des Hauses, der Feldwirtschaft und der Fischerei musste vorher geordnet und an seinen Platz gebracht werden. Das Haus wurde gereinigt und geschmückt, die Festkleider herbei geholt, und soweit es tunlich war, mussten auch schon die Speisen vorher bereitet werden, damit am Sabbath des Herrn kein unnötiges Werk geschehen brauche. Der Knecht wagte nicht am Morgen noch den Dung aus dem Pferdestall zu ziehen, und die Magd übernahm es nicht einmal, das Milchsieb hinaus auf den Zaun in die Sonne zu hängen. Und selbst die Glocken des mitten in dem 2/4 Stunden langen Dorfe Brunshaupten liegenden Kirchturmes riefen von je her deutlicher denn sonst: „Komm! Komm!"

Unter allen Kirchgängern waren es aber immer die Fischer, die mit doppelter Andacht dem Hause des Herrn zuschritten. Sie waren es, die sich heute sämtlich dem heiligen Altare nahten, und unter reuigem Bekenntnis ihrer Sünden, Gnade und Segen erflehten, und dabei ganz besonders ihres gefahrvollen Geschäftes gedachten.

Der Gottesdienst trug auch ganz den Charakter eines Bußtages und versetzte den fremden Teilnehmer mit in jene schauerliche Schreckenszeit zurück, zu deren Erinnerung er begangen wurde.

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So wie es schon vor Jahrhunderten gehalten wurde, so ist es auch heute noch, und wer das nicht glauben will, der stelle sich zum 25. Mai selbst einmal in Brunshaupten ein, komme dann aber ja die Straße von Kröpelin oder Buckow.
Es macht einen wundersamen Eindruck auf den Fremden, der am Urbanstage von dem Hochlande herab ins schöne Tal kommt. Dort sah man Alles in seinem Alltagskittel bei irdischen Geschäften, hier findet man Alles in Festkleidern, in Ruhe und Andacht.

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Nach hunderten von Jahren ist es erst einem Fremdling wieder eingefallen, den Urbanstag zu lästern.

Ein Erbpächter nämlich, an dem äußersten Ende von Brunshaupten wohnend und dem Gottesworte ziemlich abhold, meinte, dass ihn der dumme Urbanus nicht kümmere. Er schickte deshalb auch an diesem Tage seinen Knecht mit dem Angespann auf den Acker zur Arbeit. Der aber kam bald wieder ohne Pferde nach Hause, denn sie lagen auf dem Felde und waren vom Blitze des rächenden Gottes erschlagen.

Hart ist das Leben für die Fischer an der Ostsee.

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Fischeralltag

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In der Saison wird jede Hand gebraucht

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Getreideernte, ein Fuder Getreidegarben

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Ochsengespann

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Mittagspause im Pferdestall

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