Die Ernährung hilfsbedürftiger Tiere. - Naturwissenschaftliche Plauderei

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1927
Autor: Dr. Johannes Bergner, Erscheinungsjahr: 1927

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Insekten, Reptilien, Anakonda, Ameisen, Stechfliegen, Mücken, Schmetterlinge
Begegnet schon die Ernährung unserer Kranken oftmals Schwierigkeiten, so ist dies noch ungleich mehr der Fall bei den Tieren, die vielfach jeder Hilfeleistung Widerstand entgegensetzen. Auch die Aufzucht von Neugeborenen, deren Mutter zu früh für die hilflosen Jungen starb, erfordert viel Geduld und Pflege. Mitunter glückt es zwar, eine Dogge als Amme den jungen Löwen, Panthern oder Tigern zuzuführen, sonst muss man diese mit der Milchflasche großziehen.

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In anderen Fällen wieder, wenn ausländische Gäste des Tierreiches infolge unbefriedigender Lebensverhältnisse in einen Hungerstreik eintreten, hilft sanfte Gewalt.

Die beliebten Riesenreptile unserer Tiergärten, die fast neun Meter messende Pythonschlange oder die etwas kleinere Anakonda können freilich monatelang fasten, besonders wenn sie einen guten Happen, wie eine ganze Ziege, der man vorsichtshalber die Hörner absägt, sich einverleibte. Selbst solche Beute ist aber bald verdaut, und bei hartnäckiger Nahrungsverweigerung müsste auch diese Hungerkünstlerin zugrunde gehen. Deshalb rückt eines Tages ein Aufgebot von sechs bis acht Mann an, die sie ohne weiteres ergreifen und das muskelstarke Tier mit Aufbietung aller Kräfte möglichst gestreckt halten. Geschäftige andere Wärter sperren der Schlange dann den Rachen auf und schieben, just wie man eine Gans stopft, tote Kaninchen, Hühner oder Tauben hinein, die sie wohl oder übel herabwürgt. Kurzum, es wird nichts unversucht gelassen, die Tiere lebensfähig zu erhalten.

Und wie im Großen ist es auch im Kleinen. Wie freut sich der Naturfreund, wenn es ihm glückt, ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen durch Brotkrumen, die er mit Milch befeuchtet, und gekochtem Eigelb, oder auch, je nach der Art des Pfleglings, mit feingehacktem Fleisch, das er mit einem Federkiel in das geöffnete Schnäbelchen streicht, soweit heranzuziehen, dass er dem kleinen Gast bald seine Freiheit wiedergeben kann.

Auch der Terrarienliebhaber in der Stadt hat manchmal seine liebe Not, die Frösche, Salamander und Eidechsen, die nur lebende Beute annehmen, in Zeiten zu ernähren, in denen es an Fliegen und Gewürm mangelt. Deshalb versucht er es mit List, indem er einen kleinen Streifen weich geklopften Fleisches an ein Zwirnfädchen drückt, so dass es daran kleben bleibt, und den so bereiteten „Wurm“ vor den hungrigen Terrarieninsassen hin und her bewegt. Durch den zappelnden Bissen gereizt, schnappen sie bald danach und gewöhnen sich so an die Zwischenkost, bis wieder bessere Zeiten kommen.

Ja, es gelingt sogar, den Schmetterling, der vorzeitig im warmen Zimmer seiner Puppe entschlüpfte, am Leben zu erhalten, indem man ein Tröpfchen Honig oder etwas Zucker in der hohlen Hand mit Wasser auflöst, dann den mit aufgeklappten Flügeln rastenden Falter sanft ergreift und mittels einer feinen Nadel seinen spiralig gewundenen Rüssel aufrollt, um dessen Ende in den Zucker einzutauchen. Hat er einmal davon geleckt, so streckt er bald von selbst sein Saugorgan heraus, wenn er die Nahrung wittert, sind doch die Fühler gleichzeitig das feinste Riechorgan, das wir aus der gesamten Tierwelt kennen. Wie eigene Erfahrung mit einem Weißling lehrte, lässt sich auf diese Weise der anmutige Frühlingsbote wochenlang am Leben erhalten und gewissermaßen zähmen.

Im Allgemeinen wächst die Schwierigkeit der künstlichen Ernährung, sobald es sich um niedere Tiere handelt. Welcher Scharfsinn mitunter aufgeboten werden must, zeigt unser Bild, das im Regent-Park, dem berühmten Tiergarten Londons, aufgenommen wurde. Der Patient ist eine große Seidenspinne aus Ostafrika, der ihre lange Überfahrt und mehr noch das veränderte Klima so schlecht bekam, dass sie im Glasbehälter, der ihre Wohnung bildete, zusehends hinsiechte. Um ihren tiefgesunkenen Lebensmut neu anzuregen, verfiel der Assistent des Gartens auf die Idee, mit einer Stimmgabel, die er dem Netz näherte, das Summen einer Fliege nachzuahmen, die sich im Spinnennetz verstrickt und die alles aufbietet, um wieder freizukommen. Der Versuch gelang über alles Erwarten. Die Spinne wurde durch den ihr wohlbekannten Ton aus ihrer geistigen Erschlaffung aufgeweckt, die Lebenslust und damit der Hunger kehrten wieder, kurzum, sie war gerettet und wurde in der Folge so zahm, dass sie, wie unser Bild es zeigt, dem Assistenten bald eine Küchenschabe aus der Hand nahm, um sie mit bestem Appetit zu verzehren. Was aber lehrt uns der an sich nicht bedeutende Vorfall? Nichts Anderes, als dass die Spinnen wirklich hören und nicht etwa erst durch das Zappeln des in ihrem Netz verstrickten Opfers darauf aufmerksam werden. Nähert man eine tönende Stimmgabel einem Spinnennetz, ohne es zu berühren, so wird die Fallenstellerin durch den singenden Ton erregt und schaut gierig nach Beute aus. Im Volk erzählt man sich längst, dass Spinnen musikalisch seien, und es ist glaubhaft, dass eine Spinne sich stets an ihrem Faden von der Decke ließ, wenn das Klavier ertönte. Übrigens ist es längst bekannt, dass viele niedere Tiere, sogar die Würmer, Gehörorgane haben in Form von Bläschen, in denen winzige Gehörsteinchen von feinen Haaren getragen werden.

Von den Insekten aber glaubt man, dass sie taubstumm seien, mit Ausnahme derjenigen, die durch besondere Apparate Töne erzeugen, um sich zur Paarung anzulocken. So zirpen die Männchen unserer Feldheuschrecken, indem sie eine feinbezahnte Ader an der Innenseite ihrer Hinterschenkel gegen eine Leiste der Flügeldecke reiben, um sie in tönende Schwingungen zu versehen. Die männlichen grünen Laubheuschrecken aber tragen ihre Geigen auf der rechten Flügeldecke, wo sich in einem Ring eine glashelle runde Haut befindet, die durch Anstreichen mit dem Fiedelbogen, einer quergerillten Leiste an der Unterseite der linken Flügeldecke, laut ertönt. Natürlich haben diese kleinen Musikanten auch Gehörorgane. Sie liegen bei den Grashüpfern beiderseits des ersten Leibesringes, bei Laubheuschrecken und Grillen, die gleichfalls zirpende Töne durch Aneinanderreiben ihrer Flügeldecken erzeugen, gar an den Schienen ihrer Vorderbeine. Es sind kleine Membranen, die sich über ein nervenreiches Schallbläschen spannen.

Auch unter den Ameisen finden sich stimmbegabte Tiere. Der deutsche Gelehrte Hermann Landois vertritt sogar in seinem Werk „Ton und Stimmapparate der Insekten“ die Ansicht, dass die Ameisen eine wirkliche Tonsprache haben, die allerdings von unseren: Ohr meist nicht empfunden werde. Die Männchen und Weibchen der europäischen Spinnenameisen schrillen dagegen sehr vernehmlich durch Ein- und Ausstülpen ihrer Hinterleibsringe, von denen der vierte oben ein feingerilltes Feld besitzt, über das ein scharfes Leistchen des vorhergehenden Ringes streift.

Auch viele andere Insekten sind nicht stumm, stützt doch, um nur ein Beispiel von den Schmetterlingen zu erwähnen, der „Totenkopf“ quiekende Töne aus, indem er Luft durch seinen kurzen Rüssel presst.

Von den Ameisen glauben viele Forscher, dass Töne keinen Eindruck auf sie machen. Dem widerspricht aber ein eigenartiges Erlebnis, das der Zoologe V. Forbin in Südamerika mit Wanderameisen hatte. Es sind das die Zigeuner der Insektenwelt, die bei ihrem ständigen Umherziehen über alles herfallen, was sich nicht durch schleunige Flucht rettet. Selbst in die Dörfer dringen diese Nomaden ein, die sie von allem Ungeziefer gründlich säubern, doch auch die eingesperrten Hühner, die man vergaß, bis aufs Skelett zernagen. Solche gefährliche Vagabunden überfielen also die auf Pfählen erbaute Hütte des genannten Forschers, in der er mit zwei indischen Dienern die Nacht verbrachte. Doch statt zu flüchten, zogen diese ihre Säbel und schlugen damit klirrend taktmäßig auf den Boden, nicht etwa um die eingedrungenen Bestien zu töten, sondern um sie zu verscheuchen; sie waren denn auch wirklich, kaum zehn Minuten später, Hals über Kopf in vollem Rückzug. Die einzige Erklärung dieses Wunders, schreibt Forbin, ist wohl darin zu suchen, dass dies Geklirr das Sammelzeichen, das „Rette sich, wer kann“ nachahmte, dass die Führer der Bande bei drohender Gefahr zu geben pflegen. Diese Ameisen müssen also doch recht gut hören oder wenigstens Schallwellen wahrnehmen.

Das mag nun freilich mancher für Jägerlatein halten, doch ist zu bedenken, dass Töne oft eine große Macht auf Tiere ausüben.

So hält die Küchenschabe beim Erklingen einer Violinsaite in ihrem Laufe inne, während der Rückenschwimmer, die Ruderwanze und der Gelbrand sich aufgeregt im Wasser hin und her bewegen, sobald das dreigestrichene D einer Geige ertönt. Es sind das alles Tiere, deren Männchen zirpen können.

Das sonderbarste Vorkommnis aber, mit dem wir unsere Plauderei beschließen wollen, berichtet der bereits genannte Landois. Ihm war die Tatsache bekannt, dass Stechmücken beim Schwärmen einen Ton vernehmen lassen, der dem zweigestrichenen E entspricht, worauf sie sich dann plötzlich niedersenken; das benutzte er zu einem Scherz. Er traf im Garten nämlich seinen Diener an, der sich, statt seinen Auftrag zu verrichten, dem süßen Nichtstun hingab. Zufällig war ein großer Mückenschwarm in seiner Nähe, deshalb rief Landois seinem Burschen im singenden Tonfall des hohen zweigestrichenen E zu: „Wenn du nicht ordentlich meine Stiefel putzest, sollen dich die Mücken totstechen!“ — Wie auf Befehl zuckte der ganze Schwarm herunter, so dass der Diener flüchten musste, fest davon überzeugt, dass sein Professor mit dem Teufel im Bunde stehe, weil ihm selbst die Mücken gehorchten.

Insekten, Spinnen, Eine gezähmte Spinne kriecht auf die Hand ihres Beschützers, um eine Küchenschabe in Empfang zu nehmen

Insekten, Spinnen, Eine gezähmte Spinne kriecht auf die Hand ihres Beschützers, um eine Küchenschabe in Empfang zu nehmen