Die Erlösung eines Ruhelosen zwischen Wredenhagen und Hinrichshof bei Röbel

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Wredenhagen, Röbel, Hinrichshof,
Früher hat es in Wredenhagen noch keine Mühlen gegeben, und mussten die Leute von dort ihr Korn nach der nahen Hinrichshofer Windmühle bringen. Diese Mühle stand auf dem kleinen Berge, der zur Seite von Hinrichshof liegt; jetzt existiert dieselbe aber schon lange nicht mehr und nur einzelne Überreste deuten noch die Stelle an, wo sie sonst gestanden. Dafür gibt es augenblicklich aber zwei Windmühlen zu Wredenhagen.

Zu der Zeit nun, als die Bewohner Wredenhagens noch ihr Korn nach der Hinrichshofer Mühle bringen mussten, geschah es, dass eine Tagelöhnerfrau aus dem erstgenannten Dorfe des Abends im Zwielicht einen Sack mit Roggen nach der Mühle trug, um ihn dort abmahlen zu lassen. Da die Frau weder Brot noch Mehl mehr im Hause hatte, so musste sie notwendig am andern Morgen backen, und deshalb also auch ihr in Mehl verwandeltes Korn gleich wieder mit nach Hause haben. Der Müller hatte aber gerade pressiert zu mahlen, und so musste die Frau noch eine ganze Zeit lang warten, bis ihr Korn an die Reihe kam.

So war es denn schon sehr spät geworden, als die Arbeitsfrau endlich, ihren Sack mit Mehl auf dem Buckel, wieder zurück nach Hause wandern konnte. Noch nicht lange war sie unterwegs, als plötzlich ein Mann hinter ihr herkam. Die gute Frau fürchtete sich recht, denn der Mann sprach kein Wort; dabei war es um Mitternacht und der Mond schien so geisterhaft, dass es ihr ganz gruselig zu Mute wurde. Als sie bei der Koppel angekommen war — durch die der von ihr eingeschlagene Fußsteig nach Wredenhagen führte — und eben mit ihrem schweren Sacke hinüber steigen wollte, näherte sich der fremde Mann und erbot sich, da es ihr, wie er sehe, sehr schwer werde, ihr die Last etwas abzunehmen und sie eine Strecke weiter zu tragen.

Die Frau wollte dies anfänglich zwar nicht, indem sie meinte, sie könne das ja nicht verlangen etc. aber der Fremde redete ihr so freundlich zu und tat so gefällig, dass sie endlich gern auf sein Anerbieten einging und ihn nun den Sack mit Mehl weiter tragen ließ.

Als sie beide also das Dorf Wredenhagen fast schon erreicht hatten, begann plötzlich der Hahn zu krähen. Beim ersten Hahnenschrei sagte der fremde Mann: „Du deist mie noch nicks!" *) Dasselbe äußerte er auch beim zweiten; als er aber den dritten Schrei vernommen, sprach er: „Nu möth ick gah'n; wat gifst mie äwa doaföhr”, setzte er fragend hinzu, „dat ick Die't Mehl so wiet dragen heff?"**)

*) „Du tust mir noch nichts!"
**) „Nun muss ich gehen; was gibst Du mir aber dafür, dass ich Dir das Mehl so weit getragen habe?"


„Ach“, erwiderte die Frau, „wat sall ick Die woll gäb’n? ick bünn ne arm Frau un heff nicks!“ *)

„Du kannst mie doch wat gäb’n!“ **) antwortete der Fremde.

„Nicks Anners“, sprach die Frau, „as vähl schön Dank un dusend Gottes Lohn!“ ***)

„Gott Loff un Dank! Doana heff ick all vähl Johr vergäws wankt; nu bün ick erlöst un kann endlich ruhig schlapen!“†) rief freudig bewegt der Geist aus – denn ein solcher war er – und verschwand.

*) „Ach was soll ich Dir wohl geben? ich bin eine arme Frau und habe nichts!"
**) „Du kannst mir doch etwas geben!"
***) „Nichts Anderes, als vielen schönen Dank und tausend Gottes Lohn!"
†) „Gott Lob und Dank! darnach habe ich schon viele Jahre vergeblich umhergewandelt; nun bin ich erlöset und kann endlich ruhig schlafen!"