Vierter Abschnitt
Man findet in Südamerika wohl auch Banditen wie in der ganzen Welt, aber auch einfache Arbeiter, denen man Zehntausende auf wochenlangen Reisen anvertrauen kann. Ganz sicher aber findet man mehr Rücksicht auf Frauen, Kinder und Schwache und mehr höfliches Entgegenkommen auch bei einem chilenischen oder argentinischen Arbeiter als bei manchem Deutschen „besseren“ Publikums, und die nationalen Schwächen dieser Südamerikaner, sowohl des einzelnen als wie im Verwaltungs- und im Staatsleben sind ebenso sicher nicht größer als in manchen europäischen Staaten. Wer Buenos Aires auch nur seit einem Dutzend Jahren kennt, wird wissen, dass der jetzige Ton des Verkehrslebens viel rücksichtsloser, fast kann man sagen, roher geworden ist. Jetzt werden die Straßen überwiegend von Ausländern gefüllt, früher waren es überwiegend Argentinier.
In den ersten Jahren des abgelaufenen Jahrzehnts herrschte in Chile ein Gründungsfieber, welches verhältnismäßig ebenso schlimm wütete, als dies in Berlin in der 70er Jahren der Fall war. Was einen Namen hatte, wurde gegründet. Die Schäfereien in den Magellanes machten den Anfang, dann kamen die Goldminen derselben Gegend, dann Zinnminen in Bolivien und so fort. Die von Nordamerika ausgehende Universalkrisis riss die meisten dieser Kartenhäuser ein, und je größer vorher die wilde Spekulation, umso größer war der Rückschlag. Chile hat sich noch heute nicht von dieser Krisis völlig erholen können. Auch diese Sachlage ist für einwanderndes Kapital günstig, es findet jedes Entgegenkommen. — Eine Betätigung des Deutschtums auf anderen Feldern als nur Handel und Schifffahrt — die Banken machen fast ausnahmslos nichts Anderes als reine Geldgeschäfte und engagieren sich kaum in irgendwelchen industriellen Unternehmen — ist dringend erwünscht, auch grade im Interesse der vorgenannten Gewerbe, dann aber, um für das Deutschtum so viel zu erlangen als zu erlangen ist. Erleichtert wird das durch Anlehnung an das überall stark vertretene, meist recht angesehene deutsche Element.
Die Eröffnung des Kanals von Panamá wird einen Merkstein in der Entwicklung der Westküstenländer bedeuten. Sie werden rapide vorwärts gehen. Andere Nationen haben die Bedeutung Chiles für die industrielle Entwicklung Südamerikas längst erkannt.
Schneider-Creuzot, ist der erste, welcher die enormen Eisen- und Manganlager ausbeutet. Er hat Hochöfen bei Corral in Südchile angelegt und eine große Waldlandkonzession als Belohnung erhalten. Unzweifelhaft ist er allen anderen um einen großen Sprung vorausgekommen, und hoher Verdienst an den außerordentlich umfangreichen Lieferungen für die chilenische Regierung dürfte die Folge sein. In der Entwicklung Chiles hat deutsche Arbeit eine hervorragende Rolle gespielt. Auch Argentinien hat deutsche Professoren und Instruktoren schon seit Dezennien herangezogen, aber mehr Einfluss auf den Gang der Entwicklung hat das Deutschtum in Chile gehabt. Zur Zentenarfeier [bezeichnet die Feier anlässlich des hundertjährigen Jubiläums eines Ereignisses, eine Hundertjahrfeier. Wikipedia] wurde von deutscher Seite eine umfangreiche Festschrift herausgegeben, welche in zahlreichen von Fachleuten geschriebenen Artikeln dieses Thema eingehend behandelt und sehr instruktiv ist. Das deutsche Generalkonsulat in Valparaiso dürfte den Bezug der Broschüren vermitteln, auch die in Berlin erscheinende Zeitschrift Süd- und Mittelamerika, das bedeutendste Blatt unter denen, welche sich speziell mit diesem Erdteil beschäftigen.
Chile hat eine relativ alte deutsche Kolonisation, die wirtschaftlich Hervorragendes leistet. Es wächst jetzt schon die vierte Generation der ersten Einwanderer heran, und somit dürfte sie geeignet sein, als Beispiel für das Verhalten deutscher Kolonisten zu dienen. Auch die vierte Generation ist noch deutsch in Sprache, Sitten und Denkweise. Der deutsche Ackerbauer klebt an der Scholle, sie wird seine Heimat in Amerika wie in Asien oder in den Kolonien. Der Deutsche in Chile ist auch Chilene und wohl mit der tüchtigste Teil der chilenischen Bevölkerung. Als 1898 der Krieg mit Argentinien drohte, verloren sich auf beiden Seiten der Kordillere die eingeborenen hijos de familia, d. h. die Söhne besserer Familien in beträchtlicher Anzahl nach Paris und London. In Valdivia bei den Deutschchilenen war der Enthusiasmus außerordentlich groß. Man beabsichtigte, drei Freiwilligenkorps zu bilden, und es unterliegt keinem Zweifel, dass die deutsche Bevölkerung Chiles in einem Kriege Hervorragendes geleistet hätte. Die wirtschaftlichen Leistungen der deutschen Kolonien sind bekannt. Sie erfüllen die Chilenen mit Anerkennung, aber auch mit Eifersucht, und der Umstand, dass das wirtschaftlich weniger tüchtige chilenische Element im Süden dem deutschen weichen muss, regt — das liegt einmal in der menschlichen Natur — die Stimmung gegen die Deutschen und ihre erfolgreiche Tätigkeit auf. Es ist anzuerkennen, dass die jungen Deutschchilenen in der Mehrzahl sehr intelligent, energisch und geschäftlich gewandt sind und dass, wo immer sie Gelegenheit haben, in größeren Unternehmungen sich heraufzuarbeiten, sie bald erste Plätze mit Auszeichnung ausfüllen. Der Deutschchilene hängt auch an der alten Heimat. Deutschland bleibt ihm in gewissem Sinne das Höhere, Vollkommnere. Er fühlt sich als Deutscher der Abstammung nach, als etwas Besseres, seine Sympathien sind mit Deutschland, er reist, um die Stammheimat kennen zu lernen, sobald und so oft es ihm möglich, nach dort. Er bezieht von dort seine geistige Nahrung und kauft seine Waren dort, kurz tausend Fäden verbinden das Mutterland auch mit den Kindern der ausgewanderten Söhne und verschaffen ihm im neuen Erdteil moralische und materielle Vorteile. Die südamerikanischen Länder sind die einzigen, welche dem Deutschtum diesen Vorteil bieten. Aus den Staaten, aus Australien, aus Kanada kommt der Abkömmling deutscher Eltern als englisch sprechender Yankee oder Australier usw. wohl einmal nach Deutschland zurück, um zu finden, dass bei ihm doch alles besser, und dass Deutschland ein rückständiger, abgelebter Begriff sei.
Der Deutschsüdamerikaner kommt mit Verständnis und Sympathie, um freiwillig die Bande fester zu knüpfen, die ihn mit der alten Heimat seiner Vorfahren verbinden. Dass auch in Südamerika Deutsche im Amerikanertum sich verlieren, ist selbstredend, fast immer ist es der Fall, sobald sie eingeborene Frauen heiraten. Was in Ländern englischer Zunge die Regel, ist in Südamerika Ausnahme, und das sollte man hier beherzigen. Dass jemals ein Deutschsüdamerikaner daran denken würde, in seinem Lande die schwarzweißrote Flagge zu hissen, dass er die Polizeikontrolle, die direkten Steuern und vieles andere, was ihm hier fremd und drückend erscheint, gern übernehmen würde, ist ausgeschlossen. Er fühlt sich in seiner chilenischen Jacke weit wohler, auch wenn das Bier und die Zigarren sehr viel teurer sind als in Deutschland. Selbst der Arbeiter hat es ja dazu. Aber ist es nicht für Deutschland ein großer Vorteil, sich die Sympathie eines großen Teiles der Bevölkerung neuer Länder in einem so hohen Grade zu erhalten? Ist diese Möglichkeit nicht wert, mit jeder Rücksichtnahme gepflegt und entwickelt zu werden? Die Fürsorge des Reiches für deutsche Schulen und Kirchen im Auslande, für Unterricht und Seelsorge sind sicher dankend anzuerkennen. Diese Ausgaben könnten wegfallen, und unendlich mehr erreicht werden, wenn die legitime Auswanderung nach Südamerika gelenkt und durch Privathilfe vorbereitet würde. —
Ein wunder Punkt aller kolonialen Unternehmen ist die Leitung. Die besten Sachen scheitern, weil man keine geeigneten Personen dafür findet.
Sie sind da, aber natürlich finden alle nötigen Elemente bei gegenseitiger Unbekanntschaft sich nicht ohne weiteres, häufig überhaupt nicht zusammen. Manche Kapitalisten wollen etwas machen, aber es geht nicht wegen Fehlens einer passenden Persönlichkeit. Solche gibt es in Südamerika in genügender Anzahl und häufig wegen des Mangels an Unternehmungslust auf Seiten des Kapitals nicht immer in glänzender Lage. Auch für diesen Punkt existiert die Abhilfe bereits durch Privattätigkeit.
Chile kann als Ziel und Arbeitsfeld für Menschenkraft und Kapital nur empfohlen werden und das in Chile vor aller Welt liegende Bestehende bestätigt die Richtigkeit dieser Empfehlung. Möge deutsches Interesse für dieses schöne, gesunde, dankbare Land sich ebenso energisch betätigen, wie das anderer Nationen, der Engländer, Italiener, Slawen, Franzosen, Belgier, ja selbst schon der Japaner. Und das umso mehr, als wir eine breite Basis an materiellen und geistigen Werten dort haben. Bald wird es gelten, sie zu stärken und zu verteidigen, wenn wir sie nicht verlieren wollen.
In den ersten Jahren des abgelaufenen Jahrzehnts herrschte in Chile ein Gründungsfieber, welches verhältnismäßig ebenso schlimm wütete, als dies in Berlin in der 70er Jahren der Fall war. Was einen Namen hatte, wurde gegründet. Die Schäfereien in den Magellanes machten den Anfang, dann kamen die Goldminen derselben Gegend, dann Zinnminen in Bolivien und so fort. Die von Nordamerika ausgehende Universalkrisis riss die meisten dieser Kartenhäuser ein, und je größer vorher die wilde Spekulation, umso größer war der Rückschlag. Chile hat sich noch heute nicht von dieser Krisis völlig erholen können. Auch diese Sachlage ist für einwanderndes Kapital günstig, es findet jedes Entgegenkommen. — Eine Betätigung des Deutschtums auf anderen Feldern als nur Handel und Schifffahrt — die Banken machen fast ausnahmslos nichts Anderes als reine Geldgeschäfte und engagieren sich kaum in irgendwelchen industriellen Unternehmen — ist dringend erwünscht, auch grade im Interesse der vorgenannten Gewerbe, dann aber, um für das Deutschtum so viel zu erlangen als zu erlangen ist. Erleichtert wird das durch Anlehnung an das überall stark vertretene, meist recht angesehene deutsche Element.
Die Eröffnung des Kanals von Panamá wird einen Merkstein in der Entwicklung der Westküstenländer bedeuten. Sie werden rapide vorwärts gehen. Andere Nationen haben die Bedeutung Chiles für die industrielle Entwicklung Südamerikas längst erkannt.
Schneider-Creuzot, ist der erste, welcher die enormen Eisen- und Manganlager ausbeutet. Er hat Hochöfen bei Corral in Südchile angelegt und eine große Waldlandkonzession als Belohnung erhalten. Unzweifelhaft ist er allen anderen um einen großen Sprung vorausgekommen, und hoher Verdienst an den außerordentlich umfangreichen Lieferungen für die chilenische Regierung dürfte die Folge sein. In der Entwicklung Chiles hat deutsche Arbeit eine hervorragende Rolle gespielt. Auch Argentinien hat deutsche Professoren und Instruktoren schon seit Dezennien herangezogen, aber mehr Einfluss auf den Gang der Entwicklung hat das Deutschtum in Chile gehabt. Zur Zentenarfeier [bezeichnet die Feier anlässlich des hundertjährigen Jubiläums eines Ereignisses, eine Hundertjahrfeier. Wikipedia] wurde von deutscher Seite eine umfangreiche Festschrift herausgegeben, welche in zahlreichen von Fachleuten geschriebenen Artikeln dieses Thema eingehend behandelt und sehr instruktiv ist. Das deutsche Generalkonsulat in Valparaiso dürfte den Bezug der Broschüren vermitteln, auch die in Berlin erscheinende Zeitschrift Süd- und Mittelamerika, das bedeutendste Blatt unter denen, welche sich speziell mit diesem Erdteil beschäftigen.
Chile hat eine relativ alte deutsche Kolonisation, die wirtschaftlich Hervorragendes leistet. Es wächst jetzt schon die vierte Generation der ersten Einwanderer heran, und somit dürfte sie geeignet sein, als Beispiel für das Verhalten deutscher Kolonisten zu dienen. Auch die vierte Generation ist noch deutsch in Sprache, Sitten und Denkweise. Der deutsche Ackerbauer klebt an der Scholle, sie wird seine Heimat in Amerika wie in Asien oder in den Kolonien. Der Deutsche in Chile ist auch Chilene und wohl mit der tüchtigste Teil der chilenischen Bevölkerung. Als 1898 der Krieg mit Argentinien drohte, verloren sich auf beiden Seiten der Kordillere die eingeborenen hijos de familia, d. h. die Söhne besserer Familien in beträchtlicher Anzahl nach Paris und London. In Valdivia bei den Deutschchilenen war der Enthusiasmus außerordentlich groß. Man beabsichtigte, drei Freiwilligenkorps zu bilden, und es unterliegt keinem Zweifel, dass die deutsche Bevölkerung Chiles in einem Kriege Hervorragendes geleistet hätte. Die wirtschaftlichen Leistungen der deutschen Kolonien sind bekannt. Sie erfüllen die Chilenen mit Anerkennung, aber auch mit Eifersucht, und der Umstand, dass das wirtschaftlich weniger tüchtige chilenische Element im Süden dem deutschen weichen muss, regt — das liegt einmal in der menschlichen Natur — die Stimmung gegen die Deutschen und ihre erfolgreiche Tätigkeit auf. Es ist anzuerkennen, dass die jungen Deutschchilenen in der Mehrzahl sehr intelligent, energisch und geschäftlich gewandt sind und dass, wo immer sie Gelegenheit haben, in größeren Unternehmungen sich heraufzuarbeiten, sie bald erste Plätze mit Auszeichnung ausfüllen. Der Deutschchilene hängt auch an der alten Heimat. Deutschland bleibt ihm in gewissem Sinne das Höhere, Vollkommnere. Er fühlt sich als Deutscher der Abstammung nach, als etwas Besseres, seine Sympathien sind mit Deutschland, er reist, um die Stammheimat kennen zu lernen, sobald und so oft es ihm möglich, nach dort. Er bezieht von dort seine geistige Nahrung und kauft seine Waren dort, kurz tausend Fäden verbinden das Mutterland auch mit den Kindern der ausgewanderten Söhne und verschaffen ihm im neuen Erdteil moralische und materielle Vorteile. Die südamerikanischen Länder sind die einzigen, welche dem Deutschtum diesen Vorteil bieten. Aus den Staaten, aus Australien, aus Kanada kommt der Abkömmling deutscher Eltern als englisch sprechender Yankee oder Australier usw. wohl einmal nach Deutschland zurück, um zu finden, dass bei ihm doch alles besser, und dass Deutschland ein rückständiger, abgelebter Begriff sei.
Der Deutschsüdamerikaner kommt mit Verständnis und Sympathie, um freiwillig die Bande fester zu knüpfen, die ihn mit der alten Heimat seiner Vorfahren verbinden. Dass auch in Südamerika Deutsche im Amerikanertum sich verlieren, ist selbstredend, fast immer ist es der Fall, sobald sie eingeborene Frauen heiraten. Was in Ländern englischer Zunge die Regel, ist in Südamerika Ausnahme, und das sollte man hier beherzigen. Dass jemals ein Deutschsüdamerikaner daran denken würde, in seinem Lande die schwarzweißrote Flagge zu hissen, dass er die Polizeikontrolle, die direkten Steuern und vieles andere, was ihm hier fremd und drückend erscheint, gern übernehmen würde, ist ausgeschlossen. Er fühlt sich in seiner chilenischen Jacke weit wohler, auch wenn das Bier und die Zigarren sehr viel teurer sind als in Deutschland. Selbst der Arbeiter hat es ja dazu. Aber ist es nicht für Deutschland ein großer Vorteil, sich die Sympathie eines großen Teiles der Bevölkerung neuer Länder in einem so hohen Grade zu erhalten? Ist diese Möglichkeit nicht wert, mit jeder Rücksichtnahme gepflegt und entwickelt zu werden? Die Fürsorge des Reiches für deutsche Schulen und Kirchen im Auslande, für Unterricht und Seelsorge sind sicher dankend anzuerkennen. Diese Ausgaben könnten wegfallen, und unendlich mehr erreicht werden, wenn die legitime Auswanderung nach Südamerika gelenkt und durch Privathilfe vorbereitet würde. —
Ein wunder Punkt aller kolonialen Unternehmen ist die Leitung. Die besten Sachen scheitern, weil man keine geeigneten Personen dafür findet.
Sie sind da, aber natürlich finden alle nötigen Elemente bei gegenseitiger Unbekanntschaft sich nicht ohne weiteres, häufig überhaupt nicht zusammen. Manche Kapitalisten wollen etwas machen, aber es geht nicht wegen Fehlens einer passenden Persönlichkeit. Solche gibt es in Südamerika in genügender Anzahl und häufig wegen des Mangels an Unternehmungslust auf Seiten des Kapitals nicht immer in glänzender Lage. Auch für diesen Punkt existiert die Abhilfe bereits durch Privattätigkeit.
Chile kann als Ziel und Arbeitsfeld für Menschenkraft und Kapital nur empfohlen werden und das in Chile vor aller Welt liegende Bestehende bestätigt die Richtigkeit dieser Empfehlung. Möge deutsches Interesse für dieses schöne, gesunde, dankbare Land sich ebenso energisch betätigen, wie das anderer Nationen, der Engländer, Italiener, Slawen, Franzosen, Belgier, ja selbst schon der Japaner. Und das umso mehr, als wir eine breite Basis an materiellen und geistigen Werten dort haben. Bald wird es gelten, sie zu stärken und zu verteidigen, wenn wir sie nicht verlieren wollen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen Interessen in Argentinien, Chile, Bolivien und Peru.