Erster Abschnitt

      Kaum gibt es stärkere Gegensätze als die zwischen Chile und Argentinien. Das eine flach nach allen Richtungen, in die unendliche Ferne sich streckend, das andere ein Bergland, eigentlich nur ein schmales Band, der Westabhang des Riesenwalles der Kordillere. 38°, fast 4.000 km beträgt die Länge von Nord nach Süd, und fast nur 20 Meilen die Breite des Landes, welches die eineinhalbfache Größe Deutschlands, aber noch nicht 4 Millionen Bewohner hat.
      Dort in Argentinien Zentralisation, ein einziger großer Wasserkopf, hier Dezentralisation, wenigstens des Handels- und Erwerbslebens. Jeder Hafen nn der langen Chileküste verkehrt direkt mit Europa.
Vollständig unabhängige Produktionszentren, wie z. B. die Salpetergebiete im Norden, die Kupferregion von Copiapó, die Kohlenminen der Lotaküste oder die Schafzuchtgebiete der Magellanes haben sich hier gebildet. Jeder Hafen mit seinem Hinterlande ist eigentlich ein solches.
      Die Hauptstadt liegt im Innern, der große Hafen ist Valparaiso. Erstere ist allerdings der Mittelpunkt der Verwaltung, die straffer organisiert ist als in Argentinien, da Chile ein Einheitsstaat ist, und sie ist auch der Mittelpunkt des sozialen und politischen Lebens, aber die kommerzielle Bedeutung, die Buenos Aires zugleich besitzt, muss Santiago an Valparaiso abtreten. Die Bedeutung eines solchen Haupthafens in Südamerika ist viel größer als in Europa. Hamburg ist lange nicht für Deutschland, was Valparaiso für Chile ist. — Die alten Spanier liebten phantasievolle Namen. Die Stadt ist durchaus kein Tal des Paradieses. Sie liegt auf dem Hange der hohen Küste in großem Halbkreise um den Hafen, und im Dunkeln erinnert der reiche sich berganziehende Lichterstreif an Genua. Bei Tage sieht es kahler aus, doch schließt sich im Norden das Tal von Viña del Mar an, in dem die ausgedehnten Villenkolonien der Kaufmannschaft liegen.
      Die allen den in Frage kommenden Ländern gemeinsamen Merkmale haben wir bereits früher erwähnt. Politisch herrscht Sicherheit und Ordnung, namentlich existiert absoluter Schutz für Fremde und deren Eigentum. Die Parteistreitigkeiten werden im Innern friedlich abgemacht. Die Chilenen sind hochintelligent und zeigen dies auch wesentlich auf dem Gebiete der äußeren Politik. Chile steht mit allen Nationen gut, ausgenommen mit Peru, mit welchem die Differenz wegen der Provinzen Tacna, Arica noch schwebt. Es bezahlt pünktlich die Zinsen seiner Anleihen, gewährt den Fremden jede Freiheit. Das Heer ist musterhaft, wesentlich durch Benutzung deutscher Instruktoren geschult und organisiert, die Flotte genügt vorläufig. Es existiert religiöse Duldsamkeit. Die Gegensätze der Konfessionen im Süden sind erst durch aus Deutschland eingewanderte Kleriker geschaffen. Die katholische Kirche hat viel Einfluss, Klerus und Orden sind zahlreich und haben großen Besitz, auch gibt es eine starke kirchliche politische Partei, die Conservadores. In der Hauptsache ist der Südamerikaner indes kirchlich liberal, die Frauen devot. Oft durchlaufen Notizen deutsche Blätter, denen zufolge irgend eine Regierung der in Frage kommenden Staaten Rechtsbrüche gegen Ausländer verübt haben soll. Es soll Land zurückgenommen sein, welches schon verkauft war oder sonst jemandem Unrecht geschehen sein. Geht man diesen Sachen auf den Grund, so wird man meistens finden, dass die Dinge sich anders verhalten als sie dargestellt werden. Werden Käufe rückgängig gemacht, so liegt dies in der Regel daran, dass Käufer die Bedingungen nicht erfüllt. Das gesteht er natürlich nicht gern ein, kommt sich aber sehr interessant vor, wenn er seine Klagen in die Presse ausströmen kann. Ich besuchte einen deutschen Gesandten, der vor langen Jahren aus einem dieser Länder in ein anderes versetzt war, in seinem neuen Wirkungskreis. Im Laufe des Gesprächs zeigte er mir ein dickes Aktenbündel. „Sehen Sie“, sagte er mir, „wie manche Deutsche sind. Hier ist einem Manne durch den Polizeikommissarius Unrecht geschehen. Die Regierung erkannte das an, sie hat dem Mann eine sehr hohe Entschädigung geboten, die den Schaden vielfach ersetzt. Er ist indes unzugänglich, will sich auf nichts einlassen und anscheinend nur so viel Lärm als möglich schlagen. Dieses Aktenbündel ist bereits aus der Sache entstanden, welche mit zwei Briefen abgemacht sein konnte, denn die Regierung hat den besten Willen gezeigt.“ Solle Fälle dürften nicht vereinzelt sein. Dass irgendeinem Ausländer von irgendeinem Beamten Unrecht geschehen kann, ist zweifellos — jedenfalls geschieht es hier nicht so häufig, als die Presse in Deutschland es konstatieren zu können glaubt. Dass in jedem Falle die Regierungen Remedur eintreten lassen und im Prinzip jede Differenz mit Ausländern zu vermeiden suchen, ist auch zweifellos. Wenn Einwanderer in Argentinien von Beamten des Landamtes gehumbugt wurden — es soll jetzt auch besser sein — so ist das natürlich nicht in der Ordnung. Es ist indes niemand gezwungen, mit der Regierung Geschäfte zu machen. In Chile hat die Regierung glatt erfüllt, was sie den Einwanderern versprach, das erkennen alle an. Die älteren Einwanderer beklagen sich wohl über Polizeischikane und schlechte Behandlung durch die Richter in früherer Zeit, das liegt in der Person, nicht aber über die Regierung, und es ist ihnen fast ausnahmslos gut gegangen. Sie sind alle wohlhabend.
      Der Handel Chiles ist zum weitaus größten Teil in den Händen der Ausländer. Engländer und Deutsche spielen die erste Rolle, ebenso in der Schifffahrt. Es existiert nur eine Küstenlinie unter chilenischer Flagge. Die Hamburger Dampferlinie Kosmos vermittelt den Verkehr mit der Westküste.
      Wer schneller reisen will, kann von Buenos Aires mit der Bahn über Land gehen und spart damit acht bis zehn Tage. — Die Salpeterindustrie liegt zum größten Teil in englischen Händen, doch hat Deutschland beträchtlichen Anteil. Die Banken sind zum Teil deutsch, auch englisch und spanisch.

      Die chilenische Papierwährung ist seit alters der Popanz und das wirksamste Mittel für die Antipropaganda. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine schwankende Währung ein sehr zweischneidiges Instrument ist und in erster Linie dem Importhandel Schwierigkeiten bereitet, welcher für Gold kauft und für Papier verkaufen muss. Sicher haben die Importeure viel Arbeit von der Sache. Sie wissen sich in der Regel durch rechtzeitige Preiserhöhung und ein ziemlich kompliziertes System der Rückversicherung gegen das Fallen der Valuta zu decken, während sie beim Steigen die Vorteile in der Stille gemessen, ohne groß Aufhebens davon zu machen. Der Chilehandel klagt und wird stets klagen; dass die Geschäfte trotzdem im Durchschnitt recht hübsch verdienen steht fest. Große Verluste treffen auch amerikanische Firmen, in der Mehrzahl rühren sie von missglückten Spekulationen her, die überall dieselben Folgen zeitigen und keineswegs auf Südamerika beschränkt sind. — Die chilenischen Finanzen sind im Allgemeinen gesund, deswegen wird die Valuta nie ganz entwertet, stets kommt sie wieder hoch. Für den Produzenten ist dies Verhältnis günstig. Er erzeugt billig und verkauft für Gold. Steht die Valuta einmal ausnahmsweise niedrig, so trägt er seine Scheine auf die Bank und wartet bis sie steigen, um sie dann für Gold einzutauschen. Auf diese Weise kann er bedeutend mehr verdienen und man behauptet, dass bei dem starken Schwanken der Valuta vor etwa drei Jahren die Salpeterproduzenten durch Ausnutzung der Konjunktur 7 $ am Zentner verdient hätten, d. h. ungefähr so viel, als der Salpeter im Durchschnitt in Europa gilt. Das Schwanken der Valuta zeitigt die Kursspekulation, die früher ein so starkes Bedürfnis geworden war, dass, als die Argentinawährung z. B. durch Anwachsen des Konversionsfonds absolut fest wurde, man Goldminen gründete, um ein anderes Spielpapier zu haben. Wie es nicht anders kommen konnte, sind diese denn auch bald alle verkracht und haben die Abneigung der argentinischen Kapitalisten gegen den Bergbau vermehrt. Die Valutaschwankung bringt auch in den Transporthandel ein unsicheres Moment mehr, weil sie dazu verleitet, kaufmännische Transaktionen und Kursspekulation zu verbinden. — Dies alles geht indes uns wenig an, die wir zeigen wollen, dass deutsches Kapital und deutsche Arbeitskraft auf anderen Feldern, als denen des Importhandels und der Banktätigkeit hochlohnende Beschäftigung findet. Oft wird die Frage aufgeworfen, wie Kapitaleigner, welche Geld dort investieren, sich vor Kursverlusten schützen können. Der Kapitalist investiert nicht in Papierpesos (moneda nacional $ m/n) sondern in englischen Pfund, Mark oder zu einem festen Pesokurs, und in gleicher Münze muss ihm das Kapital zurückgezahlt werden. Je tiefer der Geldstand, desto billiger produziert der Geldnehmer.
      Es ist nicht zu leugnen, dass im Kleinhandel alle importierten Waren, zum Teil auch inländische Produkte, z. B. Lebensmittel teurer geworden sind.
      Größere Unternehmungen in diesen Ländern pflegen selbst zu importieren und der reichlichere Gewinn an der Produktion wiegt diese höheren Ausgaben reichlich auf, zumal ländliche Unternehmungen die Lebensmittel allein produzieren, also nur Vorteil von hohen Preisen haben. Das Verkehrswesen ist im Allgemeinen gut und reichlich entwickelt, auch wird mit großer Energie an dem Ausbau des Bahnnetzes gearbeitet. Die Hauptverkehrsader ist die See. Chile ist ja eigentlich weiter nichts als ein etwas breiterer Küstenstrich, sie ist also überall relativ leicht erreichbar. Sie vermittelt auch den leichten Verkehr mit den Nachbarländern und Europa, sowie den sehr wichtigen Güteraustausch zwischen den einzelnen Landesteilen. In der Mitte zwischen See und Cordillera läuft die Longitudinalbahn, welche von Osorno bis nördlich Santiago fertig ist, d. h. zum größten Teil; die Verlängerung bis zum äußersten Norden und bis Puerto Montt im Süden ist begonnen. Mit diesem Rückgrat sind schon alle bedeutenderen Plätze des Zentrums und Südens verbunden und immer mehr Zweiglinien entstehen. Der langgehegte Plan eines Kordillerenüberganges der Bahn ist ausgeführt, weitere sind im Entstehen.